Es war einmal eine fleißige und herzliche Frau. Sie stammte aus Portugal und hieß Maria. Sie buk liebend gern Leckerein und bot diese zum Verkauf an.
Eines Tages machte sich Maria gut gelaunt an ihre Arbeit und buk wieder fleißig allerlei Gebäck. Dabei summte sie fröhlich ein Lied und kreierte unbewußt ein neues Backwerk, das sehr köstlich war. Es waren mit Vanille gefüllte Blätterteiggefäßchen. Und weil diese kleinen Kuchen wie Mini-Törtchen aussahen, gab Maria ihnen den Namen „Vanilletörtchen“.
Eines dieser neuen Kreationen war besonders fröhlich, als es aus dem Ofen kam. Es war so aufgeregt seine Lebensaufgabe mit ganzem Einsatz und schmackhaften Eifer zu erledigen.
Es freute sich von genussvollen Menschen verspeist zu werden und diese mit seinem köstlichen Aroma glücklich zu machen.
Das kleine Vanilletörtchen wartete gespannt und mit freudiger Erwartung, darauf verkauft zu werden. Wen würde es nur glücklich machen?
Aber als seine Gleichgesinnten alle nacheinander an hungrige Menschen verkauft wurden, sank seine Stimmung zunehmend. Irgendwie wollte keiner dieses kleine, köstliche Vanilletörtchen kaufen.
Am Ende stand dieses kleine Gebäck allein und unglücklich da. Es war als einziges übrig geblieben.
Wie sollte es so seine Lebensaufgabe erfüllen? Wie sollte es Menschen glücklich machen, wenn es nicht zur Verköstigung verkauft werden würde?
Es fing leise zu weinen an. Aber dieses kleine Vanilletörtchen war ein lebenslustiges Gebäck und gab nicht so schnell auf.
Es raffte sich wieder auf und sagte zu sich: „Wenn keiner mich kaufen möchte, werde ich mich selber auf die Suche nach Jemandem machen, der mich essen möchte!“
Und mit neuem Mut machte sich das kleine Vanilletörtchen auf dem Weg.
Zunächst traf es aber Niemanden, bis es in einer Ecke Links abbog.
Es begegnete ein sehr, sehr dürres junges Mädchen. Das Vanilletörtchen dachte sich: „Sie ist so dürr. Bestimmt möchte sie mich liebend gern aufessen.“
Als es sie ansprach, antwortete das dürre junge Mädchen: „Vielen Dank, aber ich esse nie! Ich bin Anas beste Freundin und die sagt, dass das Essen unwichtig ist und unglücklich macht.“ (Ana ist der Kosename für die Anorexia nervosa – Magersucht)
„Oh, das ist ja schade“, sagte das kleine Vanilletörtchen „da weißt du ja gar nicht was du im Leben verpasst, aber ich will dich ja nicht unglücklich machen!“
Seine Lebensaufgabe bestand schließlich nicht darin Menschen unglücklich zu machen. Es machte sich weiter auf die Suche und traf auf einen ziemlich dicken Mann. Das kleine Vanilletörtchen dachte sich bei diesem Erscheinungsbild: „Dieser Mann hat bestimmt Appetit auf etwas Leckeres.“
Aber der dicke Mann musste das verlockende Angebot abweisen: „Es tut mir sehr Leid, aber ich muss strenge Diät halten. Ich mache meine Frau und mich sonst unglücklich, wenn ich nicht abnehme.“
Das kleine Vanilletörtchen ging weiter, denn seine Lebensaufgabe bestand schließlich nicht darin Menschen unglücklich zu machen.
Es kam an einem schönen und sehr grünen Park vorbei. Dort setzte es sich auf eine Bank und genoss die Ruhe und die schöne Aussicht. Plötzlich raschelte es im Gebüsch hinter ihm. Ein Wolf kam heraus.
Sie kamen ins Gespräch. Als sich das kleine Vanilletörtchen dem Wolf anbot, antwortete das Tier: „ Ich mag nichts Süßes! Ich fresse ausschließlich Fleisch. Mit Vorliebe fresse ich kleine Geißlein, Großmütter und kleine Mädchen mit roten Mänteln!“ Der Wolf grinste, als er die verschreckte und ungläubige Miene seines Gegenübers sah.
Verwirrt macht sich das kleine Gebäck weiter auf die Suche.
Schließlich stand das kleine Vanilletörtchen vor einem Café. Das war ein portugiesisches, nettes Lokal und darin saßen viele Leute.
Sie tranken Kaffee und aßen Leckerein. Traurig sah das kleine Vanilletörtchen, dass es hier seine Lebensaufgabe nicht erfüllen würde, da ja alle schon ausreichend versorgt waren.
Es drehte sich um und wollte sich wieder auf den Weg machen, als Jemand im nächsten Augenblick das köstliche Gebäck ansprach: „Du siehst ja lecker aus!“
Erstaunt blickte das kleine Vanilletörtchen in ein fröhliches Gesicht eines jungen Mannes. „Darf ich dich vernaschen?“ fragte der Mann. Glücklich wollte das kleine Vanilletörtchen zustimmen, als eine zweite Person dazwischen sprach: „Ich möchte dich auch vernaschen!“
Überrascht drehte sich das kleine Gebäck um und sah eine junge Frau, die freundlich lächelte.
„Wie wäre es, wenn ihr beide euch ins Café setzt,euch ein Getränk bestellt und mich beide vernascht?“ schlug das kleine Vanilletörtchen vor.
Mit diesem Vorschlag waren beide einverstanden und setzten es in die Tat um. Sie gingen in das Lokal, bestellten sich ein Getränk und teilten mit einem Messer das kleine Vanilletörtchen in zwei Teile auf.
Das kleine Vanilletörtchen konnte sein Glück kaum fassen! Erst wollte ihn keiner verspeisen und nun konnte er gleich zwei Menschen glücklich machen!
Seine Lebensaufgabe war somit erfolgreich erfüllt. Es lächelte die beiden glücklich und selig an und im nächsten Augenblick wurde sein größter Wunsch erfüllt.
Genüsslich vernaschten der Mann und die Frau das halbe kleine Vanilletörtchen.
Das kleine Vanilletörtchen wäre wohl das glücklichste und zufriedenste Vanilletörtchen gewesen, hätte es noch erleben können, dass diese beiden Menschen, durch ihn, eine Freundschaft aufgebaut haben.