Die Geschichte geht weiter...
Jeder anderen hätte ich es zugetraut, ihm böse Blicke oder anderes zuzuwerfen. Nicht so Jojo, sie lächelte ihn an, drückte noch kurz meine Hand und ging die Treppe rauf. Da ich ihr gesagt hatte, dass ich ihm vertraute, versuchte sie sich keine Sorgen zu machen.
Ich wusste in dem Moment nicht was ich tun sollte, ich starrte einfach auf den Boden neben meinen Füßen.
Er trat an mich heran, ich hob den Kopf. Da waren seine Lippen schon auf Meinen. Nach meinem Geschmack dauerte der Kuss viel zu kurz. Er zog mich zur Tür hinaus und ging auf sein Auto zu.
„Ich fahr dich nach Hause.“
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Essylt kam am nächsten Tag auf mich zugestürmt. Sie hatte mich gestern mit ihm zusammen im Auto gesehen. „Der ist nicht gut für dich, Mädchen. Das spür ich.“
Vielleicht hätte ich mir das zu Herzen nehmen sollen.
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Kurz vor der Treppe zu unserer Haustür blickte ich auf. Er lehnte an der alten Eiche, die eigentlich aus acht zusammengewachsenen Stämmen bestand. Als er sah, das ich ihn bemerkt hatte, trat er in den Schatten zurück. Sollte ich jetzt die beiden hohen Hänge hoch laufen, oder warten, ob er runterkam?
„Schön, dich zu sehen.“ Er stand direkt hinter mir. Ich bekam eine Gänsehaut und mir lief es eiskalt den Rücken runter.
„Komm mit.“
„Wohin?“
„Lass dich... überraschen.“ Er packte mich am Handgelenk und ging los. Auf die Scheune zu, die direkt neben unserem Haus stand. Unser Hund, Benni, fing an zu bellen. Ich spürte einen kalten Luftzug. Meine Oma kam aus dem Garten und fragte: „Wo willst’n du hin? Du solltest erst mal reingeh’n, die Kleine wartet schon auf dich.“
„Ist gut.“ Ach ja, die hatte ich ja ganz vergessen. Gestern hatte ich meiner vierjährigen Schwester versprochen, heut mit ihr Sandmann zu gucken.
„Komm zu mir, wenn deine Mutter im Bett liegt. Ich warte hier auf dich.“ Seine Stimme war direkt neben meinem Ohr, aber er war nirgends zu sehen.
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Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat, aber ungefähr eine halbe Stunde, nachdem Mama ins Bett gegangen war, stand ich auf. Vorsichtshalber hatte ich mir einen Wecker gestellt, doch der war gar nicht nötig, da ich so lange wach gelegen hatte. Als meine Mutter vorhin hineinkam, hab ich mich schlafend gestellt und so gehofft, sie würde nicht merken, dass noch meine Schulklamotten anhatte. Es war nun kurz vor halb elf, die Kleine schlief schon seit drei Stunden tief und fest und auch meine Mutter war garantiert auch schon im Tiefschlaf. Papa würde erst um vier von der Arbeit heimkommen. Leise schlich ich mich die Treppe runter. Meine Großeltern schliefen vor ihrem Fernseher. Ich hörte die gedämpfte Stimme eines Fernsehmoderators und das Schnarchen meines Opas, als ich an ihrer Stube vorbeikam. Unten im Flur war mir mulmig zumute, da ich kein Licht angemacht hatte. Am liebsten hätte ich jeden einzelnen Lichtschalter im Haus betätigt, aber da hatte ich die Befürchtung, dass Mama sich wieder so über eine ‚Festbeleuchtung’ aufregt,.
Schon als kleines Kind hatte ich immer, na ja, nicht direkt Angst, aber es war, als würden irgendwelche Kreaturen im Dunkeln auf mich lauern. Ich erinnerte mich, wie schon ich als Fünfjährige von einem Lichtschalter zum nächsten gehechtet bin. Damals hatten wir oben noch kein Bad und ich musste immer unten bei Oma und Opa auf Toilette gehen. Schalter eins vor meinem Zimmer an, durch den kleinen Flur gehen, Licht mit Schalter drei auf der Treppe anmachen, Hand ganz vorsichtig nach Schalter zwei ausstrecken, um das Flurlicht auszuschalten und dann ganz schnell ins Licht auf der Treppe rennen, um ja nicht eine Sekunde im Dunkeln zu sein. Und so ging das weiter bis unten ins Bad. Etwas älter habe ich manchmal zurückgeblickt. Ich habe seltsame Wesen im Dunkeln gesehen, alte und junge Hexen, bedrohliche Riesenkraken und andere unheimliche Dinge.
Noch etwas älter, begegnete ich, durch diverse Literatur, auch Vampiren und Wesen, die doppelt so groß waren wie ich, im unserem Flur. Natürlich hab ich das nicht ernst genommen, und mir gesagt, ich hätte mir das nur eingebildet.
Im Flur unten war zwischen der Badtür und der gegenüberliegenden Küchentür eine weitere Tür, eine mit so einem gekräuselten Glasfenster. Diese Tür führte in so eine Art Vorraum, in den man als erstes kam, wenn man durch die Haustür hereinkam. Das Glasfenster hörte ungefähr in Hüfthöhe auf. Als kleines Mädchen bin ich immer an der Wand entlang zur Küchentür gegangen, dann in die Hocke, und bin dann schnell und vorsichtig unter diesem Glas vorbeigeschlichen, weil ich immer fürchtete, es würde jemand dahinterstehen und mich beobachten.
Jetzt schaute ich auf genau dieses Fenster. Schon seit ein paar Jahren hatte ich nicht mehr darauf geachtet, ich war auch nur noch selten im Dunkeln hier unten. Da stand niemand hinter diesem Glasfenster. Eine merkwürdige Ruhe überkam mich. Wie die Ruhe vor dem Sturm. Unwillkürlich musste ich an Ellie denken. Sie war immer so unbeschwert gewesen, hatte sich um nichts Sorgen gemacht. Meine Mutter machte sich immer um alles Sorgen, und ich war irgendwo in der Mitte von beiden. Es war seltsam, jetzt an Ellie zu denken. Dieser schreckliche Unfall schien schon so lang her... An ein Leben nach dem Tod glaubte ich nicht wirklich, aber wenn jemand ein schönes verdient hatte, dann war sie es.
Die Badtür stand offen, ich schloss sie hinter mir. Ich fühle mich sicherer im Räumen mit geschlossenen Türen. Ich ging durch die hintere Tür nach draußen, außerhalb von Häusern hatte ich im Dunkeln keine Angst. Opas Flutlicht hatte ich ausgeschaltet, ich wollte nicht, dass unser Hund wegen dem Licht bellte. Benni war schon alt, und er kannte mich gut, also würde er ruhig bleiben, wenn der Typ bei mir auftauchte. Hoffte ich. Früher am Abend hatte er ja auch gebellt.
„Lass uns gehen.“ Ich erschrak nicht, als er plötzlich hinter mir auftauchte. Irgendwie hatte ich so was schon erwartet.
„Du vertraust mir.“ Er hatte Recht. Bei ihm fühlte ich mich irgendwie so sicher. Dabei kannte ich ihn doch gar nicht.
„Ich weiß nicht, warum.“
„Du wirst es noch erfahren.“ An seiner Stimme war dieses schiefe Lächeln deutlich herauszuhören. Er nahm mich bei der Hand und zog mich in die Scheune. War die die ganze Zeit schon offen gewesen? Ich beschloss, nicht weiter drüber nachzudenken.
„Na los.“
„Ich soll ernsthaft die Leiter hochklettern? Es ist stockfinster!“
„Ich halt dich fest.“ Irgendwie beruhigte mich das sehr.
„Und jetzt?“
„Die nächste Leiter hoch.“ Auf den Dachboden? Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Ich war mir sicher, dass er es hören konnte. Was sollte ich denn hier oben? Er zog mich über die losen Bretter, bis wir links an der offenen Wand standen.
„Die Leiter auch noch hoch?“
„Ja. Dein Papa baut dir da oben das Zimmer aus, richtig?“ Das stimmte. Nur leider kam er bei der Hitze nicht dazu, es waren dreißig Grad im Schatten, und das an einem Abend im Juni.
Neben mir nur den Dachbalken stand ich oben an der Kante, mit dem Rücken zu meinem neuen Zimmer. Direkt unter mir, eine Etage tiefer, das Schlafzimmer meiner Eltern. Der Mond schien durch das Fenster. Er kam die Leiter hoch und stellte sich direkt vor mich.
„Setz dich doch“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich tat, wie geheißen und setzte mich auf die Kante. Direkt neben mich setzte er sich.
„Schließ die Augen.“ Ich schloss sie.
„Spring.“ Ich ... nein.
„Glaub mir, es ist vielleicht besser, dir alles unterwegs zu erklären.“ Ungläubig sah ich ihn an. Es waren höchstens drei Meter, aber da unten waren diese alten Dielenbretter, wenn ich da durchfiel...
„Wovor hast du Angst? Mehr als sterben kannst du nicht.“ Genau das war meine größte Sorge. Er nahm meine Hand und zog mich mit runter.
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Schon früher hatte ich noch nie meine Augen geschlossen, wenn ich irgendwo runter fiel. Ich wollte nicht irgendwo aufkommen, ohne nicht genau zu wissen, wie ich da hingekommen war. Wir schlugen nicht auf den Brettern auf, oder ein Stückwerk tiefer, wir fielen einfach... durch die Diele durch und waren... eben woanders. Es gab auch keinen dumpfen Aufprall, er ließ mich los und fing mich auf.
„So.“
„Wer ‚so’ sagt, weiß nicht weiter, oder hat noch viel vor“, flüsterte ich noch geschockt.
„Eher Zweiteres. Obwohl ich nicht weiß, wie ich anfangen soll. Dabei hab ich das schon so viele Male durchgekaut, ich sollte es eigentlich auswendig können.“ Mit wem? Allein vor dem Spiegel? Das hielt ich für richtig unwahrscheinlich.
„Mit dir. Du bist nicht erst sechzehn. Vielleicht in diesem einen Leben, aber alles in allem bist du fast so alt wie ich.“ Das hielt ich ebenfalls für unwahrscheinlich.
Ich sah mich um. Es war dunkel, aber ich konnte so ziemlich alles erkennen. Wir standen im Freien auf nackter Erde, am Horizont links von mir waren Felsen und hohe Berge. Rechts war nur endlose Weite.
„Dreh dich um.“ Vor mir war eine riesige Stadt. Aus dem Schatten trat eine junge Frau, sie sah aus wie... genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Mir stockte der Atem. Ellie.
„S... schön dich zu sehen.“
„Wenn du dich wieder erinnerst, wer ich wirklich bin, wirst du das anders sehen.“ Ihre Augen leuchteten hämisch. Ihre Augen waren leblos, grau und ohne Lichtreflex.
„Folge mir.“ Er hielt mich davor zurück. Seine Augen hatten ebenfalls diesen Lichtpunkt nicht, allerdings hatten sie einen dunkleren Grauton. Langsam begann ich, zu realisieren, dass hier alles grau war. Wo war ich hier? Ellie verschwand wieder im Schatten. Ihre Worte hallten mir immer noch in den Ohren.
„Willkommen zurück in der Unterwelt, Süße.“
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„Was sie eigentlich sagen wollte, war ‚Willkommen zu Hause’...“ Toll. Ich lebte in der Unterwelt, sah schon gestorbene Leute, und rannte mit einem Typen rum, von dem ich fast nichts wusste.
„Ich heiße Alexander.“ Wow... ähh, Moment, den Namen fand ich schon immer toll.
„Und jetzt rate mal, warum.“
„Du bist nicht zufällig ziemlich von dir selbst überzeugt, oder?“ Er lächelte mich schief an. Was fand ich nur an ihm? Wir bogen von einer leeren Gasse in eine große Straße ein, wahrscheinlich die Hauptstraße. Ein reges Treiben herrschte hier.
„Ich bin schließlich deine rechte Hand.“ Einige Leute, an denen wir vorbeikamen, blickten ehrfürchtig zu mir hoch.
„Du hast mir einiges zu erklären“
„Das hab ich allerdings. Als erstes: Du bist die Königin der Unterwelt. Lust auf einen Spaziergang durch die Residenz?“ Was auch immer, nur weg hier. Je weiter wir die Straße entlanggingen, desto seltsamer, ehrfürchtiger und auch vertrauter wurden die Leute, an denen wir vorbeigingen. Den mittleren Teil, von dem was er gerade gesagt hatte, ignorierte ich hartnäckig. Das war ein bisschen zu seltsam, um alles auf einmal zu verarbeiten. Wir hielten uns rechts, vor mir türmte sich ein riesiges Schloss auf. Es sah wundervoll aus, doch beim näherkommen merkte ich, dass es alt und verwittert war.
„Dürfen wir hier überhaupt rein?“
„Normales Fußvolk darf nur in die Vorhalle. Wo willst du zuerst hin, in den großen Saal, oder auf den Glockenturm?“ Damit gehörte ich schon mal nicht zum Fußvolk. Womöglich hatte ich in dem seltsamen Traum hier doch die schräge Hauptrolle...
Ein kauziger alter Herr öffnete die Tür.
„Hallo Johannes.“
„Herr Alexander. Und Eure Hoheit!“ Er verbeugte sich tief und hielt mir die Tür auf. Von der Seite flüsterte Alexander mir zu: „Geht zuerst rein, ihr seid ranghöher.“
Kaum standen wir in der Vorhalle, verschwand dieser Johannes durch einen Seitengang.
„Warum hast du mich mit ‚Ihr’ angesprochen?“
„Entschuldigung, alte Gewohnheit. Du hast mich auch erst vor ein paar Dekaden darum gebeten, dich nicht mehr ‚Meine Hoheit’ zu nennen.“
„Heißt das nicht ‚Eure Hoheit’?“
„Ich hatte Privilegien.“ Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was die alles beinhalteten. Schliefen wir etwa auch im selben Raum?
„Die hab ich übrigens immer noch. Allerdings schlage ich vor, dass wir nicht gleich als erstes ins Schlafzimmer gehen...“, flüsterte er mir ins Ohr. Offenbar haben wir auch schon... Er brach in schallendes Gelächter aus.
„Du solltest dein Gesicht sehen. Entschuldigung! Komm mit.“ Er hakte mich bei sich unter und zusammen stiegen wir die ganz linke Treppe hoch. Oben auf dem Turm stockte mir der Atem.
Von hier oben konnte ich endlos weit sehen. Ich sah die ganze Stadt vor mir liegen und die kleinen Gestalten, die da herumwuselten. Die Stadt hörte abrupt auf, direkt hinter der letzten Häuserreihe war nur die weite nackte Erde. Dahinter die blanken bizarren Felsformationen, endlos lang und endlos hoch. Die Spitzen von Einigen verschwammen über mir mit dem weiten Grau des Himmels. Rechts hinten neben den Felsen war ein Meer. Obwohl es hier keine Farben gab, wusste ich instinktiv, dass es blutrot war.
Alexander trat von hinten an mich heran, umarmte mich und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Es war, als hätte ich das hier schon tausende Male erlebt und gesehen. So langsam fing ich an, das alles hier zu glauben.
Ich fühlte mich zu Hause.
Beplinerin Du Lügnerin, klar hab ich das schon gelesen! Naja egal, ich find das mit den Previlegien noch immer zu herrlich XD |