Romane & Erzählungen
Die Taube auf dem Dach (2) - Bolero

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"Die Taube auf dem Dach (2) - Bolero"
Veröffentlicht am 06. September 2011, 2 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

"Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln." Wilhelm Busch Habe hier 2010 mit Gedichten begonnen, aber das meiste davon ist für mich inzwischen passé. Man lernt auch als Großmutter nicht aus ;-) Bin in der DDR aufgewachsen, immer berufstätig gewesen, links orientiert. In zweiter Ehe verheiratet, gehören zu meiner Familie drei Enkelinnen. Den Nick "Fleur de la coeur" hat seinerzeit meine Freundin Seelenblume ...
Die Taube auf dem Dach (2) - Bolero

Die Taube auf dem Dach (2) - Bolero

Bolero

Diese Geschichte mit dem Bolero ereignete sich an einem warmen Juniabend. Das zweite Semester neigte sich dem Ende zu, und ein paar Tage später würden die anstrengenden Prüfungen hinter uns liegen. Ich hatte den Tag mit Betty im "Studentenbad" am Lacul tei verbracht. Im Schatten einer der mächtigen Linden, denen der See am Stadtrand von Bukarest offenbar seinen Namen verdankt, hatten wir unsere Bücher und Kladden ausgebreitet, ein wenig mit ein paar rumänischen Geologiestudenten geflirtet und den Vorgeschmack auf das Sommerlager am Schwarzen Meer ausgekostet.

Am Abend, nachdem wir im Wohnheim bei zunehmender Heiterkeit geduscht und uns die Haare gewaschen hatten, gingen wir aus. Betty war am Kino verabredet, und ich besuchte die Ghideas. Trotz unseres schattigen Lagerplatzes hatten wir ordentlich Farbe bekommen, und Bettys Sommersprossen leuchteten fast so dunkelbraun wie ihre Augen. Sie sah einfach umwerfend aus in ihrem engen weißen Rock und der gelben Bluse. Ich trug ein Trägerkleid mit straffem Gürtel und weitem Rock. Das türkis und orange gemusterte Leinen lag angenehm kühl auf der Haut. Wir fühlten uns richtig toll, als wir ausgelassen die Calea Victoriei - die Siegesstraße - entlangspazierten. Am Kino trennten wir uns, und ich brauchte nur noch durch einen kleinen Park zu gehen. Die Luft war samtig und voller Blütenduft, und plötzlich ertönte eine getragene und dennoch aufreizende Melodie, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte. Wie betäubt lief ich an Rosenbeeten und blühenden Jasminbüschen entlang, erfüllt von einem unbestimmten Glücksgefühl. Noch bevor ich das Haus der Ghideas erreicht hatte, wurde irgendwo ein Fenster zugeschlagen und die Musik brach unvermittelt ab.

Es war schon reichlich spät, als die Hausangestellte Doina mir die Tür öffnete, und dennoch hatte ich das Gefühl, zu früh zu kommen, in der Küche machte sich Pimpinellas Mutter Viorica zu schaffen. Für einen Moment richtete sie ihre glänzenden schwarzen Augen auf mich und nickte mir freundlich zu, um sich danach wieder mit grämlicher Miene ihrem Salat zuzuwenden. Die alte Frau im grellgeblümten Hausmantel mit der unvermeidlichen Zigarette im Mundwinkel wirkte in ihrer grotesken Aufmachung wie das Zerrbild eines alternden Bühnenstars. Das fuchsrot gefärbte Haar, jetzt handbreit schlohweiß nachgewachsen, baumelte ihr in losen Strähnen auf die mageren Schultern. Ihr Lippenstift war verschmiert und der knallrote Lack von den Fingernägeln zum Teil wieder abgeplatzt.
Diese traurigen Reste verschlissener Eleganz machten überdeutlich, dass die Witwe Viorica Ghidea einst sehr viel bessere Zeiten erlebt hatte und eigentlich nichts mehr vom Leben erwartete. Dennoch gelang es ihr - allein durch ihre Gegenwart - spielend, ihrer Schwiegertochter Lore das im fremden Land ohnehin nicht leichte Leben schwer zu machen.

Während Doina im Speisezimmer das Abendessen auftrug, mühte sich Lore an einer Ecke des Tisches ziemlich erfolglos damit ab, den widerstrebenden Constantin mit Möhrenbrei zu füttern. Die ständigen Ratschläge und Belehrungen ihres Ehemannes hatten sie schon beträchtlich entnervt, so dass sie meine Ankunft als willkommene Unterbrechung empfand und mich herzlich begrüßte. Gleichzeitig wurde ihr offenbar klar, dass sie wieder einmal das allabendliche Geduldspiel gegen ihren anderthalbjährigen Sohn verloren hatte. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich leichter Unmut. Es stand außer Zweifel, dass dieser blauäugige, blonde Knirps, der Lore wie aus dem Gesicht geschnitten war, die Familie wie ein kleiner Teufel beherrschte, indem er Vater, Mutter. Großmutter und Hausmädchen erbarmungslos gegeneinander ausspielte. Nun, als er seinen Brei nicht mehr essen musste, quietschte er ausgelassen und ließ sich willig zu Bett bringen.

Pimpinella schenkte mir zur Begrüßung ein strahlendes Lächeln und einen Kuss auf die Wange. Dann schob er mich in die Mitte des Zimmers und musterte mich durch seine langen, gebogenen Wimpern, die seinen Blick melancholisch verschleierten.
     "Was für ein herrliches Kleid!" rief er entzückt, "wie schön du bist heute Abend!" Seine braunen Augen begannen, feucht zu glitzern.
     "Ein einfaches Kleid ist aus dem Kaufhaus, nichts Besonderes", sagte ich, verlegen über seinen Gefühlsüberschwang.
     "Aber es steht dir phantastisch", steigerte er sich in seine Begeisterung, "Lore, sieh nur. diese Taille! Und die Farben! So etwas solltest du auch tragen - nicht so, wie du immer herumläufst!"

Wie konnte er nur in meiner Gegenwart so mit ihr reden! Aber im Grunde hatte er recht, die schlanke, zierliche Lore kleidete sich absolut geschmacklos. Dennoch tat sie mir leid, obwohl sie die Situation sehr gut meisterte.
     "Porumbel hat recht, Reni. Schönheit wird nicht am Preis gemessen. Dieses einfache Kleidchen bringt deine schmale Taille und die Sonnenbräune perfekt zur Geltung. Dennoch scheint mir heute Abend noch etwas ganz anderes in dir zu stecken - oder vielmehr aus dir herauszuleuchten und dich von innen heraus schön zu machen", sagte sie lächelnd, als wir bei Tisch saßen.
     "Lore meint, du siehst glücklich aus", sagte Viorica auf Deutsch mit dem Akzent der Siebenbürger Schwaben und prostete mir zu.
     "Ja, das bin ich auch", gab ich erstaunt zu und erzählte, wie mich zu all meiner Vorfreude auf die Semesterferien die Musik im Park berauscht und beflügelt hatte. Pimpinella schaltete mit einem bedeutungsvollen Blick zu Lore den Plattenspieler ein, und der Raum war plötzlich erfüllt von betörenden, wehmütig-monotonen Klängen.

     "Genau das war es!" sagte ich frappiert, "es kam also von hier?"
     "Es ist der Bolero von Maurice Ravel", erklärte Pimpinella.
     "Und ich glaubte, es sei die Liebe!" rief Viorica und schwang ihr Weinglas in der Hand.    
     "Reni,wolltest du nicht deinen Freund hereinbringen?" fragte sie mich neugierig und legte mir Kiftele auf den Teller, eine Art Frikadellen mit viel Knoblauch. Freundlich lächelnd schüttelte ich den Kopf und sog die Musik tief in mich ein.
     "Aber Mutter", sagte Pimpinella vorwurfsvoll und verzog schmerzlich sein Gesicht, „wer kann schon essen beim Bolero!“
     "Ich", konterte Viorica, "denn jetzt ist die Zeit zum Essen, und wenn das euch den Appetit stiehlt, dann sollte es ausgestellt sein.


Fortsetzung folgt

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Über den Autor

FLEURdelaCOEUR
"Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln."
Wilhelm Busch

Habe hier 2010 mit Gedichten begonnen, aber das meiste davon ist für mich inzwischen passé. Man lernt auch als Großmutter nicht aus ;-)
Bin in der DDR aufgewachsen, immer berufstätig gewesen, links orientiert. In zweiter Ehe verheiratet, gehören zu meiner Familie drei Enkelinnen.

Den Nick "Fleur de la coeur" hat seinerzeit meine Freundin Seelenblume für mich ausgesucht. Er hat nichts mit der Gestalt aus den Harry-Potter-Büchern Fleur Delacour zu tun.

Inzwischen bin ich im letzten Lebensquartal angelangt, da küsst mich die Muse nur noch selten. ;-(

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FLEURdelaCOEUR Re: -
Zitat: (Original von tscherry am 17.03.2012 - 16:16 Uhr) Eine sehr schöne Geschichte. Gehört zu meinen Favoriten.lgUrsel


Danke, Ursel, das freut mich ganz besonders.
Ich hoffe, du konntest heute auch die Sonne genießen.
Meine Velchen machen sich ...
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Re: Ich freue mich ... -
Zitat: (Original von Rattenfaenger am 17.03.2012 - 16:13 Uhr) ... dass wir uns hier "über den Weg gelaufen" sind bei myStorys. Dein Erzählstil gefällt mir sehr gut***** ... und weiter mit Taube 3 ...
LG Rattenfänger


Danke für das Kompliment, freue mich sehr.
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
tscherry Eine sehr schöne Geschichte. Gehört zu meinen Favoriten.lgUrsel
Vor langer Zeit - Antworten
Rattenfaenger Ich freue mich ... - ... dass wir uns hier "über den Weg gelaufen" sind bei myStorys. Dein Erzählstil gefällt mir sehr gut***** ... und weiter mit Taube 3 ...
LG Rattenfänger
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Re: ***** -
Zitat: (Original von roxanneworks am 07.09.2011 - 01:40 Uhr) Liebe Fleur

Du lässt interessante Personen erscheinen, beschreibst sie wunderbar...

ich bin gespannt, wie es weiter geht....

liebe Grüße
roxanne


Auch dir meinen herzlichen Dank, liebe Roxanne. :-))
freue mich immer sehr über deine Kommis.

Lieben Gruß
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Re: -
Zitat: (Original von cyranoDe am 07.09.2011 - 01:23 Uhr)

Eine schön erzählte Geschichte, gut beschrieben

Gruß
cyrano


Danke dir, das freut mich zu lesen.

LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
roxanneworks ***** - Liebe Fleur

Du lässt interessante Personen erscheinen, beschreibst sie wunderbar...

ich bin gespannt, wie es weiter geht....

liebe Grüße
roxanne
Vor langer Zeit - Antworten
cyranoDe 

Eine schön erzählte Geschichte, gut beschrieben

Gruß
cyrano
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Re: Re: Re: Re: Re: Re: Re: spannend und einfach super geschrieben -
Zitat: (Original von cbvisions am 06.09.2011 - 23:27 Uhr)
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 06.09.2011 - 23:20 Uhr)
Zitat: (Original von cbvisions am 06.09.2011 - 23:09 Uhr)
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 06.09.2011 - 23:04 Uhr)
Zitat: (Original von cbvisions am 06.09.2011 - 22:55 Uhr)
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 06.09.2011 - 21:53 Uhr)
Zitat: (Original von cbvisions am 06.09.2011 - 21:45 Uhr) freue mich schon auf die Fortsetzung

GLG Chris


Ich bin sehr überrascht, dass auch junge Leute meine Storys hier lesen.
Dann war es nicht umsonst.
Ich hoffe, du hattest einen schönen Geburtstag!

GlG fleur


Alter ist relative und nur eine Zahl :))) Als in den Augen eines zehnjährigen bin ich mit 33 ein alter Knacker. Deine Geschichte ließt sich gut und ist bisher alterslos.
Im großen und ganzen war er so wie immer und doch ganz anders, die Überraschungen gleich zu beginn haben ihn zu etwas besonderem gemacht. War ein super Tag, nächstes Jahr dann wieder auf ein neues.

GLG Chris


Lieber Chris, freu mich, dass du einen schönen G*tag hattest,
mit 33 bist du für mich noch jung, hier ist noch vom Plattenspieler die Rede, den du sicher nicht mehr kennst. Stell dir einfach die Generation deiner Eltern vor ...oder so. ... :-)) GlG fleur


Bin noch mit Plattenspieler und Videorecorder aufgewachsen. PCs, CDs, DVDs usw gab es in den 80er noch nicht (zumindest nicht bei uns im Haushalt), kamen erst Anfang der 90 groß in Mode. Meine Eltern haben noch eine Menge Kinderhörspiele auf Schallplatte.

GLG Chris


DAs ist schön, ich dachte schon, ich hätte es umschreiben müssen .....
Bin aber sicher, dass die Gefühlsebene sich trotz aller technischer Neuerungen damals auch nicht anders abspielte, als heute...

GlG fleur


Bisher bist du in einem Rückblick, also passen Plattenspieler und co sehr gut hinein. Ohne Jahresangaben, kein Grund etwas zu ändern. :)) außerdem hört sich der Bolero vom Plattenspieler doch noch anders, besser an als aus dem CD Player. Das Rauschen und Knacken macht halt den Unterschied. Chris


*lach* - die Jahresangaben habe ich wohlweislich rausgenommen ;-)))
freut mich jedenfalls, dass mir deine Generation und auch noch Jüngere wie MysticRose die Ehre geben, mich zu lesen und zu kommentieren.
GlG fleur
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