Wie werden ein wütendes Wagenrad und ein neunschwänziger Fuchs Craigs Leben beeinflussen?
Die Wut brodelte noch immer in ihm. »Diese weißen Freaks hätten ruhig einen härteren Kampf abliefern können… Jetzt konnte ich mich nicht einmal an denen abreagieren…«, dachte er und schob seinen Wagen mit grimmigem Blick vor sich her.
Doch plötzlich ertönte hinter ihm die Frauenstimme. „Hey du, warte mal!“ Craig seufzte leise, zeigte aber sonst keine Reaktion. Wie viele Leute konnten ihn heute noch nerven? Er hatte sie schon absichtlich auf seinem Weg zurück zum Wagen ignoriert, also warum konnte dieses Mädchen ihn nicht einfach in Ruhe lassen? War es so schwer zu verstehen, dass er nicht warten wollte? Dass er nichts mit ihr zu tun haben wollte? Konnte sie nicht einfach verschwinden?
Doch Hoffnung wurde augenblicklich zertrümmert, als sie mit klackenden Schritten näher kam. Nach wenigen Augenblicken tauchte ihr kleiner Kopf neben ihm auf, doch er tat weiterhin so, also ob er sie nicht sehen würde. „Hey du… Ich rede mit dir!“ Craig sah weiter geradeaus und erwiderte: „Sach bloß? Darauf wäre ich jetzt nicht von alleine gekommen.“ Ein perplexer Ausdruck schlich sich in ihr Gesicht und sie blinzelte ein paar Mal ratlos. Verunsichert fragte sie: „Weißt du eigentlich was du da gerade getan hast?“ Noch immer ohne sie anzusehen antwortete er: „Etwas, wofür du deinen Papi brauchst.“ Darauf entstand eine unangenehme Stille. Das Mädchen sah ihn beleidigt an und stellte ihre Versuche Augenkontakt herzustellen mit einem resignierenden Seufzen ein. Doch sie musterte ihn unablässig, während sie ihn mit dem Klacken ihrer Absätze durch den Supermarkt folgte. „Du bist nicht sehr gesprächig, oder?“ Wieder erhielt sie keine Antwort und bis sie die Kasse erreichten, verließ kein Wort mehr ihre Lippen.
Mit einem leichten Stirnrunzeln warf die Kassiererin dem Mädchen immer wieder skeptische Blicke zu. Craig fand es nicht schwer zu erkennen, dass die Anwesenheit des Mädchens die Frau irritierte. Fast so, als könne sie sich nicht daran erinnern, das Mädchen beim Betreten des Ladens gesehen zu haben. Doch sie sagte nichts, Craig fragte nicht weiter nach und nach wenigen Momenten hatte er alles in die Tüten gestopft und befand sich auf dem Weg zum Ausgang.
Aber noch bevor er die Tür erreichte, blieb er unerwartet stehen und tat so als würde er durch die Fenster das Wetter beobachten. Das Mädchen imitierte ihn, folgte seinem Blick und meinte: „Grässliches Wetter, nicht wahr? Das wird bald so richtig schütten…“ Doch Craig schaute nur kurz zu ihr herüber und fragte: „Was willst du noch?“ Unwillkürlich zuckte sie unter seinem feindseligen Blick zusammen und antwortete kleinlaut: „Eigentlich wollte ich mich nur bei dir bedanken...“ „Nur damit keine Missverständnisse aufkommen, ich habe dich nicht absichtlich gerettet, oder wie auch immer man es nennen will. Es war viel mehr eine unabsichtliche Folge meines Versuchs meine schlechte Laune an irgendwelchen verrückten Freaks auszulassen.“, erklärte er ihr kalt und setzte sich wieder in Bewegung. „Du… Freaks? Eto… Du hast keine Ahnung, was gerade geschehen ist, oder?“, fragte sie plötzlich stotternd, während sie Craig durch die Tür folgte.
Sofort schlug den Beiden eine kräftige Windböe entgegen und das Mädchen zog ihre Jacke enger um ihre Schultern. Craig seufzte erneut und musterte sie zum ersten Mal genauer. Sie war eine junge Asiatin, wahrscheinlich in seinem Alter und entsprach fast völlig seinem stereotypen Bild. Klein in fast allen Aspekten, hatte eine helle Haut und ebenholzschwarze Haare. Lediglich ihre Augen waren bei weitem nicht so mandelförmig, wie er es erwartet hätte. Um ehrlich zu sein, fand er ihr Gesicht sogar recht attraktiv und freundlich. Jedoch war sie eindeutig nicht der Typ von Frau, der von sechs maskierten Typen lediglich für Triebbefriedigung aufgelauert wird.
„Wenn ich jedes Mal kalkulieren, nachdenken und nachforschen würde bevor ich handle, hätten die Würmer wahre Freude an mir. Ich hab den Weg von ein paar Verrückten gesäubert und du hast dabei zufällig profitiert.“, er warf ihr einen warnenden Blick zu, der sie dazu brachte ihren gerade erst geöffneten Mund wieder zu schließen. „Und wehe du erzählst mir jetzt, dass die jetzt ihre großen Brüder holen. Ich habe heute denkbar schlechte Laune, also bete zu Gott oder an wen auch immer du glaubst, dass die nicht wieder kommen werden… Für unser aller Wohl.“ Das Wort »aller« betonte er dabei besonders und warf ihr einen bedeutenden Blick zu, der sie sichtlich unruhig werden ließ. „Aber…“, setzte sie an. „Nichts aber! Sei still und nerv mich nicht weiter. Ich habe dich nie gebeten mich vor irgendwas zu warnen oder gar zu beschützen.“, unterbrach er sie brummend. Das Mädchen biss sich darauf wütend auf die Unterlippe und tapste trotzig hinter ihm her, während er sie gekonnt ignorierte.
Es dauerte nicht lange, bis die beiden in ihrem stillen Zug die letzte Kreuzung vor Craigs Haus erreicht hatten, als plötzlich ein Blitz wenige Meter von ihnen in die Straße einschlug. Erschrocken sprang er aus Reflex zur Seite weg und spürte trotzdem noch die Hitzewelle des Einschlags. Das Mädchen hatte einen spitzen Schrei ausgestoßen, die Augen auf den Boden gerichtet und eine gekrümmte Haltung mit den Händen schützend über den Kopf eingenommen. Dabei murmelte sie panisch mehrere Sätze hintereinander und tapste ängstlich auf Craig zu, der sowohl die Einschlagsstelle, als auch den Himmel misstrauisch musterte. Auch wenn er es nach außen hin nicht zeigte, war er verwirrt. Dieser Blitz hatte ihm nicht nur das Adrenalin ins Blut und den Schock in die Knochen gejagt. Da war noch etwas anderes gewesen. Dem Blitz hatte eine Gier nach Blut innegewohnt, die ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken gejagt hatte. Doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts am Himmel erkennen. Darauf schüttelte er den Kopf und schallte sich einen Narren. Es war nicht möglich, dass einem Blitz Blutdurst innewohnt, dass er wissentlich geschleudert wurde.
So riss er sich vom mittlerweile völlig geschwärzten Himmelszelt los, warf einen schnellen Blick zu seiner nervigen Begleiterin, um sicherzugehen, dass sie in Ordnung war und wandte sich dann wieder zum Gehen. Doch in diesem Moment schoss das Mädchen hervor und umklammerte ihn von hinten auf Brusthöhe. „Oi, lass los! Wenn du Angst vor Unwettern hast, mach dir gefälligst alleine in die Hose.“, fluchte Craig und versuchte sich mit sanfter Gewalt zu befreien. Doch sie war hartnäckig, klammerte sich mit all ihrer Kraft an ihn und murmelte wirres Zeug, das er nicht verstehen konnte. Er stellte die Tüten ab, um sie von sich zu schieben, doch genau in diesem Moment erzitterte sein Körper erneut unter dem Gefühl des Blutdursts. Instinktiv riss er sich los, drehte sich um, schnappte sich den Körper seiner Klette und schmiss sich mit all seiner Kraft zur Seite, sodass sie zu zweit eine beträchtliche Strecke flogen und über den rauen Teerboden schlitterten. Und einmal mehr hatten sich seine Instinkte als lebensrettend erwiesen. Dort, wo er noch vor wenigen Momenten gestanden hatte, schlug einen Wimpernschlag später ein weiterer wütender Blitz ein. Da er ihn diesmal erwartet hatte, konnte er einen kurzen Blick auf ihn erhaschen. Doch das trug nur zu seiner Verwirrung bei. Es war kein Blitz, sondern etwas das aussah, wie eine Feuerlanze, die aus dem Nichts auf sie zugeschossen kam. So schnell er konnte sprang er wieder auf die Füße, ignorierte die Schürfwunden, die er durch den Sturz davongetragen hatte und zog das Mädchen auf die Beine. Sie hatte mittlerweile aufgehört zu murmeln, starrte aber noch immer entgeistert auf den Boden. „Wenn du nicht geradeaus schaust, wirst du geröstet!“, warnte er sie wütend, ergriff aber trotzdem ihre Hand und zog sie rücksichtslos hinter sich her unter das Vordach eines nahestehenden Hauses.
Dort angekommen beruhigte er als erstes seinen Atem und spähte vorsichtig gen Himmel. Doch bevor er irgendwas Verdächtiges hätte entdecken können, drängte sich das Mädchen erneut gegen ihn. Diesmal vergrub sie allerdings nur ihr Gesicht in seiner Brust und rief mit ängstlich zitternder Stimme: „Du darfst ihn nicht sehen! Schließ deine Augen oder du wirst sterben. Papa… Papa ist auf dem Weg. Wir müssen nur ausharren. Dann sind wir gerettet!“ „Ihn nicht ansehen?“, echote Craig skeptisch, behielt weitere Zweifel aber für sich. Was hier gerade geschah, konnte er sich mit seinem Verstand nicht erklären. Wie konnten Feuerlanzen, die die Geschwindigkeit von Blitzen hatten aus dem Nichts abgefeuert werden? Vor allem warum und von wem?
Nur auf die zweite Frage wusste er eine Antwort. Sein Gefühl verriet es ihm. Er hatte es schon oft genug gespürt. Dieses Prickeln unter Haut, wenn sein Feind versuchte ihn mit alle seiner Macht umzubringen. Der Blutdurst, der sich nur den Tod des Gegners, Craigs Tod wünschte. Kompromisslos und eindeutig.
„Was zur Hölle geht hier ab?“, fuhr er schließlich das Mädchen an, das ihn noch immer panisch umklammerte. Sie vergrub ihr Gesicht weiter in seiner Brust, so dass er Schwierigkeiten hatte sie zu verstehen: „Wanyudo… Wanyudo ist gekommen, weil du seine Untergebenen vertrieben hattest, bevor sie ihre Aufgabe erfüllen können.“ Ein weitere Feuerlanze schlug mit einem gefährlichen Zischen neben ihnen ein, was das Mädchen in sich zusammenzucken ließ. „Er ist gefährlich…“, wimmerte sie. Doch in Craig wallte bereits wieder die Wut, die langsam seine vor Angst, Unverständnis und Schreck gefrorenen Knochen auftaute. Er packte sie grob bei den Schultern und riss sie trotz ihres Widerstands ein Stücken von sich weg, um dann ihr Kinn nach oben zu drücken und Augenkontakt herzustellen. „Wer ist Wanyudo? Und was bei allen Heiligen dieser Welt, was sind das für seltsame Blitze? Du weißt doch genau was gerade geschieht, oder nicht?“, knurrte Craig wütend und ignorierte dabei gekonnt die feucht glänzenden Augen seines Gegenübers. „Ein Dämon… Mitglied von Bellarasque…“, schluchzte sie zitternd und blickte flehend zu ihm auf. Doch Craig hatte seinen Griff bereits gelockert und langsam begann sie wieder damit sich ihm zu nähern. Allerdings flüsterte er noch bevor sie ihn erreichte zu sich selbst: „Ein Dämon? Das kann nicht sein…“ Jedoch waren seine Worte ohne jegliche Überzeugung gesprochen. Das Mädchen blickte fragend, den Wandeln in ihm bemerkend, auf und blieb stehen. Sie spürte, dass es sicherer für sie war sich ihm nicht weiter zu nähern.
In Craig herrschte Chaos. Sein Verstand sträubte sich gegen ihre Worte, er weigerte sich die Existenz von Dämonen anzunehmen. Doch die Worte des Mädchens hatten trotzdem die Wirkung eines Augenöffners gehabt. All seine Sinne bestätigten die Unnatürlichkeit der Situation. Er spürte das seltsame Prickeln unter seiner Haut, die Spannung die ihn innerlich ergriff, das Blut rauschte in seinen Ohren, wie nie zuvor. Seine Nase wurde gekitzelt von dem Geruch der Blitze, von dem er nicht mehr sagen konnte, als dass er nach reinem Feuer roch. Aber auch sein Instinkt sagte ihm, dass er es nicht versuchen bräuchte mit allem zu rechnen, weil das Kommende etwas sein würde, dass er sich nicht hätte ausmalen können. Er sagte ihm, dass etwas nicht Menschliches in der Schwärze des Himmels lauerte, das seinen Tod wollte. Doch gleichzeitig beruhigten ihn seine Instinkte. Sein Körper, seine tierische Seite fürchtete sich nicht. Und so tat er, was er am besten konnte.
Er folgte seinem Instinkt, schritt an dem Mädchen vorbei, wobei er ihr mit einem strengen Blick verbat ihm zu folgen und ging geradewegs in die Mitte der Straße. Und da bemerkte er, dass die Luft in einiger Entfernung in einem flackernden dunkelblauen Licht schimmerte. Er achtete genauer auf seine Umgebung und registrierte, dass ihn das Schimmern in einem durchgängigen Kreis von etwa 15 Metern Durchmesser einschloss. Gleichzeitig bemerkte er, dass kein lebendes Wesen in Sichtweite war. Ebenfalls schien keiner der angrenzenden Bewohner irgendetwas zu bemerken. Als er sein Ziel schließlich erreicht hatte, blickte er gen Himmel und hob provozierend die Hände. Mit fester Stimme schrie er: „Wanyudo! Was oder wer auch immer du bist, komm sofort aus deinem Versteck und zeig mir deine hässliche Fratze!“
Doch was Craig erhielt, war nur ein weiterer Blitz. Allerdings war dieser schneller und heftiger, als die vorherigen. Craig wusste, dass er nicht ausweichen konnte. Und trotzdem blieb jenes Gefühl der Sicherheit.
Ohne sich schützen zu können, wurde er von der Feuerlanze getroffen. Aber anstelle sofort in hell lodernden Flammen aufzugehen, drang die Hitze in ihn ein, kroch unter seine Haut. Für einen kurzen Moment durchfuhr Craig ein fast unerträglicher, brennender Schmerz, der ihn benommen machte. Aber er wusste was zu tun war. Er spürte, dass die Flammen und der Schmerz nur ein fremder Wille waren, der versuchte ihn von innen heraus zu vernichten. Also nutzte er seinen eigenen sturen Willen, um diesen Fremdkörper aus sich zu vertreiben. Es war eine Sache von höchstens zwei Sekunden. Da hatte er die fremde Präsenz vertrieben und den brennenden Schmerz davongejagt. Mit spöttischem Lachen wandte er sich mit seinem gesamten Oberkörper in Richtung des schwarzen Zelts und rief: „Wenn das all deine Tricks sind, verschwende nicht meine Zeit! Ich habe weitaus besseres zu tun als mich mit einem Schwächling herumzuschlagen!“ Craigs Lächeln wurde breiter, als er das erschrockene Quicken des Mädchens hörte, das ihm gehorcht hatte und das Spektakel von weitem mit großen Augen beobachtet hatte.
Nicht lange ließ Wanyudo auf sich warten. Wenige Augenblicke nach Craigs Provokation ertönte das Geräusch von lodernden Flammen gemischt mit einem unheimlichen hölzernen Knarren. Craig suchte aufmerksam den Himmel ab und entdeckte schließlich nördlich von dem Vordach, unter dem sie Zuflucht gesucht hatten, die ersten Teile seines Angreifers. Zuerst konnte er nur eine heiß brennende Flamme erkennen, die sich langsam hinter den schwarzen Wolken hervorschob. Als es dann aber immer näher kam, musste Craig die Nase rümpfen. Er hatte einen teuflisch aussehenden Dämon erwartet, mit Schwanz, gefährlichen Stacheln überall am Körper, schwarzen Schuppen, roten Augen, Klauen und Reißzähnen. Doch alles was auf ihn zukam, war ein hölzernes Wagenrad von etwa einem Meter Durchmesser, wobei das Rad an sich in mystische Flammen getaucht war und die Speichen anstatt im Knotenpunkt in dem dämonischen Gesicht eines alten Mannes mit Glatze und Vollbart endeten.
Mit gekränktem Unterton wandte sich Craig von dem seltsamen Wesen ab, sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu dem Mädchen herüber und fragte laut: „Das ist jetzt nicht dein Ernst? Bedroht von sechs komischen Kerlen, die dir jeder Zeit ihre Tonmasken über den Schädel hätten ziehen können, kriegst du noch Widerworte raus, aber beim Anblick von einem einzigen fliegenden Rad mit dem Gesicht eines alten, hasserfüllten Knackers verkriechst du dich zitternd in einer Ecke?“ Die Asiatin konnte nur mit einem geschockten Ausdruck tief sitzender Panik zurückblicken und verständnislos ihren Kopf schütteln. Hinter Craig ertönte darauf ein wütendes Krachen und Knarren von Holz. Genugtuung stieg in ihm auf, als er den eigentlichen Zweck seiner Provokation erfüllt wusste. Über die Schulter blickte er zurück und entdeckte das Rad wenige Meter von sich entfernt in der Luft schweben. Die Fratze des Alten war entstellt vor Hass und Wut. Eine donnernde Stimme schlug Craig entgegen, die sein brodelndes Blut ein wenig abzukühlen vermochte: „Wer bist du, Mensch? Was für ein niederes Wesen wagt es mich zu beleidigen und meinem Blick zu widerstehen?“ Mittlerweile hatte er sich völlig zu dem Dämon umgedreht und blickte ihm geradewegs in die rot glühenden Augen. Immerhin diese hatte er mit Craigs Vorstellungen gemein. „Antworte!“, donnerte es in solch einer Intensität über ihn hinweg, dass seine Ohren zu schmerzen anfingen. Hinter sich hörte er einen erneuten Schrei des Mädchens, den er nicht beachtete. Ohne zu zucken starrte er mit kalter, unbewegter Miene seinem Angreifer entgegen. Und dieser fing förmlich an am Rad zu drehen. Mit einem tiefen vibrierenden Knurren, das einem nicht nur in Mark und Knochen fuhr, beschleunigte sich die Drehbewegung des Rades, bis die Flammen, die ihm entsprossen ein Flammenrad formten, das sich in Craigs Richtung bewegte. Er festigte seinen Stand. Ihm war bewusst, dass eine Flucht nicht möglich war. Denn das Rad fing zwar erst behäbig an in der Luft zu rollen, wurde dann aber in kürzester Zeit immer schneller und fegte geradewegs auf ihn zu. Seine Ohren vernahmen bereits das lodern des Fegefeuers im Wind, als er die Hände hob, um den Dämon mitten in der Luft aufzuhalten.
Seine Sinne schärften sich. Ein kalter Schauer im Angesicht seines möglichen Todes durchfuhr ihn. Der Feind hatte ihn schon fast erreicht. An seinen Händen spürte er die Hitze, als die Flammen gierig nach seinem Fleisch leckten. Ein tiefer Atemzug, ein letztes Absinken seiner Hüfte waren die letzten Vorbereitungen. Dann krachte der Dämon in ihn hinein.
Schon beim ersten Kontakt verbrannte das Fegefeuer seine Haut. Es war anders als die Feuerlanzen. Es versuchte nicht in ihn einzudringen. Schnell wurde Craig klar, dass der einzige Zweck in der Zerstörung seines Körpers liegen konnte. Höllische Schmerzen durchzuckten ihn, die er aber gekonnt ignorierte. Mit all seiner Kraft grub seine Füße in den Boden und versuchte die Vorwärtsbewegung des Wesens zu stoppen. Doch die Schmerzen wurden immer schlimmer. Nicht nur fraß das Feuer ihn bei lebendigem Leib, auch schälte ihm das Drehen des rauen Holzes das verbrannte Fleisch von den Knochen.
Und plötzlich sah er es. Fast sachlich hatte sich das Bild seines Tods in seinem Herzen eingenistet. Doch je bewusster es ihm wurde, desto höher stiegen die Wellen der Angst. Seine Existenz würde ausgelöscht werden. Hatte er überhaupt gelebt? Hatte er erreicht, was er erreichen musste? Das Bild seines Vaters formte sich in seinem Geist, was seinen Magen Saltos schlagen ließ. Er verschränkte die Arme in einer Haltung völliger Überlegenheit vor der Brust und brüllte grinsend Befehle entgegen. Dieses verkümmerte Lächeln enthielt eine abstoßende Mischung aus Spott, Hass, Schuldzuschiebungen und sadistischer Freude. Insbesondere letzteres kam deutlich hervor, als er anfing seine Fäuste spielerisch zu reiben.
Vielleicht war seine Existenz in Wirklichkeit doch nur ein Alptraum gewesen, der sich bald im gähnenden Nichts der Geschichte restlos auflösen sollte? In diesem Moment registrierte Craig wie schwer es war sich zu ändern. All die Jahre hatte er Kraft gesammelt. Die Kraft, die er zum Leben brauchen würde. Er würde sich nicht damit zufrieden geben von seinem Vater in eine Rolle gedrückt zu werden, die er nicht wollte, ständig in seinem Schatten zu stehen, seine Visage immer als eine unsichtbare Mauer vor sich zu sehen. Und doch jetzt, im Moment, wo sein Leben enden würde, sah er ihn vor sich. Es hatte sich nichts geändert. Alles war gleich geblieben. Noch immer wurde auf ihn herabgeschaut, obwohl er immer wieder gekämpft hatte. Eine kalte Wut brodelte nun in ihm. Es hatte sich nichts geändert. Er würde nicht aufhören zu kämpfen. Er würde nicht sterben, bevor er sich nicht den Beweis erbracht hatte, dass er stark genug war seine größte Schwäche zu überwinden, seinen Vater in allen Abschnitten hinter sich lassen und nicht mehr bloß existieren. Irgendwann würde er stark genug sein zu leben.
Mit kalter Entschlossenheit in seinem Blick durchfuhr ihn neue Kraft, die er aus seinem unbeugsamen Willen zu überleben zog. Der Schweiß lief ihm in Strömen den Körper herab, während von seinen bereits zerfetzten, wie auch verbrannten Handflächen vereinzelt Bluttropfen den kalten Boden benetzten. Hoch konzentriert nicht von den noch immer stärker werdenden Schmerzen überwältigt zu werden, bemerkte er nicht, dass sein Körper angefangen hatte einen bläulichen Nebel abzusondern. Dieser umgab ihn mit einer dünnen Schicht, schmiegte sich spielend an seine Haut und flimmerte dezent unter dem Lodern des Fegefeuers.
Mit einem unnachgiebigen Knurren verdrängte Craig den Schmerz aus seinem Bewusstsein und verstärkte seinen Griff, um das rotierende Rad zu stoppen. Was ihm schließlich auch unter großer Anstrengung gelang. Und er nutzte seine Chance. Er gab dem alten Dämon nicht einmal die Gelegenheit seinem Entsetzen Ausdruck zu verleihen. Mit all seiner Kraft hämmerte er die Seite des Gesichts in den Boden. Augenblicklich verloschen die Flammen und es ertönte ein tiefvibrierendes Stöhnen. Doch Craig dachte noch nicht daran aufzuhören. Mittlerweile hatte er jenen Zustand erreicht, wo er gegen Schmerzen fast völlig unempfindlich war. Ohne seinem Gegner eine einzige Pause zu geben, drosch er mit seinen blanken Fäusten immer wieder auf die Rückseite des hölzernen Rads. Er hörte nicht auf, ehe das Holz anfing zu splittern, die Splitter seine Hände spickten und seine Konzentration nachließ, wodurch sein Schmerzbewusstsein wieder zurückkehrte. Atemlos mit hängenden, blutenden Händen kniete er nun vor den Überresten des Wesens, das seine Existenz auslöschen wollte. Langsam verarbeitete sein perplexes Gehirn diese absurde Situation und ein gedämpftes Lachen stieg ebenso schleichend aus seinem Brustkorb empor. Während er damit kämpfte das schmerzende Hüpfen seiner Brust zu kontrollieren, legte er den Kopf in den Nacken und betrachtete abwesend die Finsternis des Himmels. Nur am Rande seines Bewusstseins realisierte er, dass eine gigantische Kreatur geradewegs auf ihn zuflog und das auch nur, weil sie die Größe eines kleinen Hauses hatte.
Als das geschockte Mädchen ungläubig dem leeren Blick Craigs folgte, entdeckte sie ebenfalls das nahende Wesen. Fast augenblicklich verflog ihre Angst. So schnell sie konnte stand sie mit zitternden Beinen auf und rannte der Kreatur, die einen feurigen Schweif hinter sich herzog entgegen. Energisch winkte sie dem Wesen und als es näher kam, erkannte auch Craig, um was es sich handelte. Es war ein riesiger neunschwänziger Fuchs mit flammendem Fell, das selbst in der Finsternis des Unwetters zu schimmern vermochte. Nur verschwommen nahm er den fliegenden Fuchs wahr, spürte sein Nahen aber umso deutlicher. Es war als läge sich die Präsenz des Tiers auf seinen Körper und übte einen leichten, aber beständigen Druck auf ihn aus, der es ihm in seinem geschwächten Zustand erschwerte zu atmen.
Als es schließlich über dem Mädchen sein Tempo verringerte, fing es an zu schrumpfen, bis es die Größe eines Pferds hatte. Sanft ohne ein einziges Geräusch zu verursachen, landete der Fuchs schließlich zwischen Craig und dem Mädchen auf der Straße. Ohne zu zögern stürmte sie auf den Fuchs zu, umschlang freudig den schlanken Hals mit beiden Armen und fing nach kurzem Kuscheln an die Geschehnisse wiederzugeben. Davon bekam Craig allerdings nichts mit. Die Schmerzen hämmerten und der Widerstand seines Willens gab langsam nach. Das Denken wurde immer schwerer und sein Körper wurde schwer. Zudem wich das Adrenalin langsam aus seinem Blutkreislauf, was bei ihm einen gefährlichen Schwindel verursachte. Instinktiv war ihm klar, dass er gar nicht versuchen brauchte aufzustehen, weswegen er in seiner halb sitzenden, halb knienden Position verharrte und sich darauf konzentrierte seine Atmung zu regulieren.
Erst als der unwirklich große Kopf des Fuchses in seinem Blickfeld auftauchte, rührte er sich, indem er den Augenkontakt suchte.
Der Fuchs verharrte ebenso wie Craig in seiner Position ohne sich zu rühren und plötzlich ohne irgendeine Bewegung ertönte eine überirdisch wirkende Stimme, deren sanfter, tiefer Klang in Craig einzudringen vermochte und dort mit einem beruhigenden Hallen verklang.
„Was ist dein Name, Junge?“ Ohne zu registrieren, was er tat, antwortete er erschöpft: „Craig…“
„Du hast mir einen großen Dienst erwiesen. Niemals hätte ich es mir verzeihen können, wenn meiner Tochter etwas zugestoßen wäre.“ Craig nickte nur langsam. Aus irgendeinem Grund war sein Verstand zu ihm zurückgekehrt und die Schmerzen waren vergessen. Er wusste nicht, ob sie noch da waren oder nicht. Die Stimme des Fuchses hatte ihn gefesselt, hatte ihn eingelullt, sodass ihm es nicht einmal merkwürdig vorkam, dass jene Tochter des Fuchses nur das asiatische Mädchen sein konnte.
„Craig, als Dank sei es dir erlaubt mich Gakido der Mitte zu nennen.“ Wieder nickte Craig, ohne zu registrieren, dass der Faden, der sein Bewusstsein in seinem Körper hielt, drohte zu reißen. Auch wenn die Absurdität dieser Unterhaltung langsam durch sein Gehirn sickerte.
„Aber dem nicht genug“, fuhr Gakido fort, „ich biete dir die Ehre an einen Handel mit mir abschließen zu dürfen, indem die Heilung deiner Arme miteingeschlossen ist.“ Langsam schaute Craig auf seine schlaffen Arme herab. Im Grunde waren es nur noch zwei nutzlose blutige und verkohlte Stummel, wobei insbesondere die rechte Hand nicht mehr als solche wiederzuerkennen war. Langsam blickte er wieder auf, nickte erneut und krächzte: „Und was ist die Bedingung?“
„Solange sich meine Tochter in ihrer menschlichen Form befindet, wirst du sie beschützen. Dafür wirst du allerdings dein jetziges Verständnis der Dinge vergessen müssen. Da du nun weißt, dass wir existieren, dass eine Form von Leben existiert, die es laut euch Menschen nicht geben dürfte, wirst du eine für dich völlig neue Welt entdecken, die über lange Zeit zusammen mit der Welt der Menschen bestand und noch bestehen wird.“ „Ich akzeptiere.“, sprach Craig leise aus, ohne wirklich zu verstehen, was gerade geschah.
Im nächsten Moment drückte ihm der Fuchs seine feuchte Schnauze auf die Stirn. Ein unbeschreibliches Gefühl der Erfüllung ermächtigte sich Craigs Körper. Aber auch sein Geist ritt auf der Welle der Empfindung und einen Wimpernschlag später riss der Faden. Kraft und wehrlos kippte er zur Seite und verlor sein Bewusstsein.