Die Geschichte von Ginger und Fred
Aus gegebenem Anlass soll unsere Kurpfälzerin heute einmal den Namen Ginger tragen. Der Erzähler – der Pfalzgraf – ist eher ein Außenseiter der Geschichte und versucht die spannenden Ereignisse jener fatalen Nacht wahrheitsgemäß zu Papier zu bringen:
„Dont`t worry, be happy“ tönt es leise aus dem Autoradio als wir, einer freundlichen Einladung folgend, zur Geburtstagsfeier einer lieben Freundin der Kurpfälzerin – Entschuldigung: Gingers – fuhren. „Fährst Du heute – Liebling? Dann könnte ich etwas trinken.“ Während ich, zugegeben etwas missmutig mein Einverständnis gab, fuhr mein Blick den hübschen Beinen meiner Beifahrerin folgend zu deren linken Fuß, welcher leise zum Takt wippte. Eine Reminiszens an kommende Ereignisse?
Nach kurzer Fahrt am Ort des Geschehens angekommen gratulierten wir zuerst der Gastgeberin zu deren Wiegenfest, um anschließend nach einem Sitzplatz Ausschau zu halten. Nahezu fünfzig eingeladene Personen tummelten sich auf dem weitläufigen Gelände einer Sportgaststätte, teils sitzend an Biertischen, andere stehend im Smalltalk oder mit den Händen die Teller fest umklammernd am Buffet.Wir selbst kannten nicht viele der anderen Gäste und fanden einen Platz am Tisch einer älteren Dame.
Im Innern des Lokales erging sich an Disc-Jockey in seiner Tätigkeit die Gäste mit netter Musik zu unterhalten und diese zum Tanzen zu animieren. Zwei Pärchen folgten den Tönen von „Life is Life“ mit ungelenken Bewegungen. Während ich mich lästernd verbal über diese zweifelhaften Verrenkungen ergoss, zuckte Gingers Füßchen – diesmal war es das rechte – unaufhörlich im Takte mit. Ein Umstand, welcher mich sinnieren ließ, was wohl geschehen möge, wenn der DJ die Lieblingsmusik meiner Angebetenen spielen würde und diese noch etwas mehr getrunken habe. Immerhin hatte Ginger ihre angekündigte Trunkenheit mit Bier und Wein bereits gestartet.
Während ich meine Magenwände mit Coca-Cola malträtierte und Ginger abwechselnd Wein und Ramazzotti verköstigte kam die Party langsam in Gange.Immer mehr Pärchen, wie auch Einzelkämpfer begaben sich auf die Tanzfläche um mir den Gefallen zu tun, meine Gefährtin mit lasterhaften Bemerkungen zu unterhalten.
„Ich möchte auch tanzen“. Wie aus heiterem Himmel erreichte mich diese Hiobsnachricht. Inzwischen zuckte der gesamte weibliche Körper meiner Begierde unter den Klängen eines unangenehmen Discofox-Klassikers. Wer mich kennt weiß, dass meine Art des Tanzes nicht unbedingt den Vorstellungen der klassischen Tanzschule entspricht und somit zur Vorführung anlässlich dieses Anlasses ungeeignet erscheint. Außerdem würde ein Pfalzgraf niemals auf „Tina Charles“ tanzen.
Plötzlich gesellte sich ein mir fremder Herr an unseren Biertisch. Hatte dieser vielleicht die Tanzgelüste meiner Gefährtin an derer Gesichtsausdruck erkannt? Oder erkannte er vielleicht anderes?
Ich schaute mir den fremden Herrn genauer an. Er schien mir, als würde hier jemand mit zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren, einem markanten Gesicht und vortrefflich ausschauend ein jüngerer Bruder meiner selbst gegenüber sitzen. Als er seine Stimme zur Rede anhob und lustige Anekdoten erzählte, musste ich erkennen, dass dieser fremde Herr nicht nur charmant, sondern in hohem Maße formvollendet und gesellig schien. Ein zehr Jahre jüngeres Pendant meiner selbst.
Auch Ginger schien dies zu bemerken, denn dieser sehnsuchtsvolle Blick, welcher ihren Augen entwich erkannte ich selbst aus unserem ersten Treffen, welches in einer infernalen Liebe endete.
Musste ich Sorge hegen? Nein – wohl kaum. Meine Gefährtin schien die Anwesenheit zweier Pfalzgrafen – eines jüngeren und eines älteren – wohl zu genießen.
„Tanzt Du mit mir?“ richtete sie ihre Bitte nun an den Jüngeren von uns beiden. Sekunden später wiegten sich zwei Körper nicht exstatisch, aber wunderschön anzuschauen zum Rhythmus der Musik. Stolz erfüllte mein Herz, als mein Auge den nicht unbedingt lasziven, doch in hohem Maß erotischen Bewegungen Gingers folgen durfte.
Dennoch verschmähte ich den Augenkontakt mit der tanzenden Angebetenen um nicht doch einen Anflug von Lüsternheit beim Anblick ihres Tanzpartners erkennen zu müssen.
Zwischenzeitlich hatte der DJ die Penetration meines Gehörganges mit Discomusik eingestellt und spielte eingängige Rockmusik aus den späten siebziger Jahren. Dies entsprach eher meinem Geschmack und ich gönnte mir ein kleines Bier zwischen den unerträglich gewordenen Colas.
Während Ginger unterdessen unentwegt mit wechselnden Tanzpartnern die Hüften kreisen ließ und nur ab und zu zwischen den Liedern zum Tisch kam um sich durch einen weiteren Ramazzotti zu stärken, fiel mir zum ersten Mal Fred auf.
Wie auch Fred Astaire glänzte dieser Fred durch seine ungewöhnliche Tanzkreation. Nur in weniger künstlerischer Form. Fred? Wie soll ich ihn beschreiben? Ein bulliger Körper voller geschmackloser Tätowierungen. Auf dem unförmigen Hals ein kahlrasierter Schädel und Augen welche die Intelligenz eines King Kong ausstrahlten. Überhaupt würde ich gerne Fred mit King Kong vergleichen, aber hiermit würde ich King Kong über Gebühr beleidigen.
Fred verwechselte die Geburtstagsparty seiner Gastgeberin wohl mit dem Geburtstag von Sid Vicious und er glaubte die Sex Pistols spielten hier zum Tanz auf. So pogte er mit ungelenken Bewegungen auf die Musik von Deep Purple und war stets bemüht irgendwelche andere hochseriöse Menschen anzurempeln und zu provozieren. Ich kannte diese Art Menschen. Dieser volltrunkene Mann suchte eindeutig Streit. Ließe sich jemand provozieren, so wäre ein gut gezielter Faustschlag wohl das mindeste als Freds Reaktion. So beobachtete ich mit dem einen Auge Gingers tanzende Grazie, mit dem anderen Auge Freds zunehmend asoziales Verhalten.
Plötzlich traf es mich wie ein Hammer. Schweiß trat auf meine Stirn. Meine beiden Augen hatten ein gemeinsames Ziel gefunden: Ginger tanzte mit Fred.
Während Fred weiterhin wie ein HB-Männchen auf Speed hin und her sprang und unschuldige Tänzer von der Tanzfläche fegte, stand meine Ginger in höchst erotischer Form tanzend vor diesem personifizierenden Grauen und wiegte ihre Hüften ihm kreisend entgegen.
Panik stieg in mir auf. Wäre Fred von diesem weiblichen Wesen nur annährend so sexuell stimuliert wie ich (und wohl auch mein jüngeres Pendant), so wäre es nur ein Frage von Minuten bis er diese – seine derzeitige Tanzpartnerin – in affenartiger Manier über die Schulter werfen und zwecks Begattung in ein stilles Eckchen entführen würde. Ich sah ihn sich bereits mit lautem Grunzen an meiner Lebensgefährtin vergehen.
Doch zu meinem, wie auch zum Glück Gingers, zeigte seine tänzerische Provokation Wirkung. Ein freundlich tanzender Herr Mitte Fünfzig bekam den tänzerischen Ellbogen Freds in die Rippen und machte den Fehler, statt den kurzfristigen Schmerz zu ignorieren, hier verbal zu intervenieren und höflich auf etwas mehr Umgangsformen beim Tanze zu achten.
Freds Antwort kam so plötzlich, wie von mir erwartet. Ein Faustschlag traf das intervenierende Gesicht. Noch kurz zuvor von der Musik und dem eigenen tänzerischen Können beglückt, erstrahlte dieses nun in einer Mischung zwischen Schmerz und Verwunderung.
Noch während der geschlagene Mann nicht wusste, wie ihm geschah, gedachte sich Fred seines Konfirmationsunterrichtes: „Hält Dir einer die linke Wange hin, so schlage ihm auch auf die rechte“. Dies war nicht wörtlich der Bibel entnommen, doch bei Fred hatte sich dieser Spruch in abgewandelter Form in dessen Gehirn festgenagelt. So ließ er seine lüsternen Augen von Ginger ab, um seinen Sparringspartner mit noch einem Faustschlag zu beglücken.
Prügeln schien ihn zum Glück mehr zu interessieren als Sex.
Nun mischten sich weitere – sowohl trunkene, als auch halbtrunkene – Anwesende ein. Manche wollten die Streithähne schlichten, manche sahen sich in ihrem Alkoholrausch befähigt hier und heute den Bruce Willis zu geben. Und schon war ein heftiges Gerangel zugange und die Fäuste flogen.
Meine Ginger stand in ihrem, ebenfalls vom Alkohol umnebelten Kopf dazwischen und ich sah mich genötigt zumindest so weit einzuschreiten, dass ich sie aus der Gefahrenzone bringen sollte. So nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und nährte mich der kämpfenden Meute.
Ich war nie ein Kämpfer und entzog mich während meines ganzen Lebens stets Schlägereien durch Flucht. Dennoch nährte ich mich den fliegenden Fäusten, ergriff meine Ginger am Arm und wollte sie nach draußen ziehen.
Doch ich sollte diese Frau besser kennen. Sie wollte hier nicht weg. Sie erkannte einen flüchtigen Bekannten, welcher durch ein zerbrochenes Glas verletzt schien. Sie glaubte hier inmitten des Chaos diesem Herrn helfen zu müssen. Ich zog mich auf sichere Entfernung zurück und beobachtete meine Lebensgefährtin. Als Mutter Theresa versorgte sie mütterlich den Verletzten, während sie gleichzeitig als Kampfamazone andere Kämpfende von weiteren Attacken abhielt.
Ich saß auf meinem Stuhl, nippte an einem dem Anlasse entsprechenden, mir selbst genehmigten Schnaps und harrte ab, wie sich die Dinge weiter entwickelten.
Erst jetzt fiel mir auf, dass der DJ einen Song der Rolling Stones spielte: „Street Fighting Man“ wäre passender gewesen, aber auch „Satisfaction“ war nicht geeignet, die Kämpfenden zu beruhigen. Könnte nicht einmal jemand den DJ prügeln, damit er die nun unpassende Musik abstellt?
Irgendwann, nach viel zu langer Zeit endete die Keilerei. Fred wurde mit vereinten Kräften der Lokalität verwiesen und nach draußen verbannt. Die Party war vorüber, die Beteiligten leckten ihre Wunden. Alle außer Ginger.
„Lass uns nach Hause fahren und eine Flasche Wein öffnen“ meinte sie ungerührt.
Gerne tat ich ihr den Gefallen.
MysticRose An das Kommentar unter mir: Das ist der einzige Grund, warum du die Geschichte mit nur drei Sternen bewertet hast? Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder??? Also, lieber pfalzgraf, ich finde die Geschichte toll :-) Sie hat so ihren ganz persönlichen Pepp, das find ich am Besten und sowas schafft bei Weitem nicht jeder. Also Respekt :-) |