„Jonathan, mein Schatz, hast du für heute schon etwas vor?“ fragt Edeltraud wie beiläufig am Frühstückstisch.
„Sicher, Liebling, ich habe einen Termin bei meinem Verleger in der Stadt. Warum fragst du?“
„Nimmst du mich mit? Bitte! Ich muss noch einiges besorgen und anschließend könnten wir ein bisschen bummeln gehen. Ich würde so gerne mit dir wieder einmal durch die Altstadt schlendern, du und ich, Hand in Hand, wäre das nicht schön? Kannst du dich noch an die kleine Boutique erinnern, von der ich dir neulich erzählt habe. Im Schaufenster habe ich ein ganz entzückendes Kostümchen entdeckt, in lindgrün mit schwarzen Knöpfen. Du weißt doch, lindgrün steht mir besonders gut. Das musst du unbedingt sehen. Dann trinken wir in dem alten Cafe, in dem wir uns das erstemal trafen, einen Cappuccino, es ist ganz in der Nähe. Willst du nicht?“
Und ob er wollte. Jonathan hätte nichts lieber getan, als mit seiner Frau einen Nachmittag in der Altstadt zu verbringen. Einfach durch die engen Gassen zu schlendern, die bewundernden Blicke zu registrieren, die andere Männer seiner Frau nachwarfen und in dem kleinen Cafe ein Glas Mineral trinken, es musste ja nicht gleich ein Cappuccino sein. Doch dieser leichte Glanz in ihren Augen und ihre samtweiche, bittende Stimme hat ihn schon öfter ein kleines Vermögen gekostet. Sofort schrillen alle Alarmglocken. Nur nicht schon wieder eine Einkaufsorgie.
„Liebling, heute geht es leider nicht. Ich muss mit meinem Verleger, die letzten zwei Kapitel meines Romans durcharbeiten, das nimmt sicherlich den ganzen Tag in Anspruch. Du würdest dich dabei sicher langweilen. Es tut mir wirklich leid. Ein andermal vielleicht“ Er nimmt sie in die Arme und gibt ihr einen Kuss. Die zwei dicken Tränen in ihren blauen Augen übersieht er geflissentlich.
Als er mit zwei bunten Einkaufstaschen spätabends nachhause kommt, empfängt ihn Edeltraud schon an der Tür mit einem dicken Kuss.
„Jonathan, Schatz! . Du hast es für mich gekauft. Dieses wunderschöne Kostümchen. Ich habe gewusst, es gefällt dir auch. Darf ich es gleich auspacken? Ich freue mich himmlisch Du bist der Beste. Darf ich es gleich probieren.“ Sie umarmt ihn zärtlich und will ihm die Taschen abnehmen.
„Nicht so stürmisch, Liebes. Aber du hast recht, ich habe dir in der Tat etwas Nettes mitgebracht. Du wirst staunen. Mach nur auf!“
Mit zittrigen Händen öffnet Edeltraud das erste Päckchen. Ihre Augen werden immer größer und ihr Gesicht wird immer länger. Was sie da vor sich liegen sieht, ist kein lindgrünes Kostüm, keine entzückende Handtasche. Es ist ein unbekanntes schwarzes Etwas, was da aus der Schachtel herausragt, am ehesten mit einem überdimensionalen Rasierapparat zu vergleichen. Edeltraud ist für kurze Zeit sprachlos und so etwas passiert selten.
„Jonathan, was ist daaas?“ presst sie nach einigen Minuten mühsam hervor.
„Aber Liebling, das kennst du nicht? Das ist ein richtiges Wunderding, eine Haarschneidemaschine. Stell dir vor, die gab es heute zum halben Preis, zusammen mit einer wirklich gut schneidenden Schere. Ich habe richtiges Glück gehabt. Als ich zufällig beim Supermarkt vorbeikam, gab es gerade eine Gratisvorführung. Ich war begeistert. Eine ganz neue Erfindung, schneidet jedes Haar in Sekundenschnelle auf die gewünschte Länge.Weißt du, wie viel Geld wir damit sparen können? Jeder von uns muss einmal im Monat zum Frisör, das kostet jedes Mal fünfzehn Euro. Fünfzehn mal zwei und das zwölfmal im Jahr, wir werden uns ein Vermögen ersparen. Erst schneide ich dir die Haare und dann schneidest du meine. Mit dem ersparten Geld können wir dann eine Urlaubsreise machen. Was hältst du davon?“
„Ja, scheint ganz interessant zu sein, diese Maschine. Gleich morgen werden wir sie ausprobieren.“ Gequält lächelnd legt sie das Unding beiseite.
Jonathans Sparsamkeit in allen Ehren, aber diesmal geht sie zu weit. Mit Schaudern denkt sie an seine letzten Schnäppchenjagden zurück. Ein Dutzend, genau zwölf Stück Gummibäume brachte er zum halben Preis heim. Drei davon konnte sie schon im Familienkreis verschenken. Neun Stück zieren noch immer das Wohnzimmer. Sehr günstig bekam er auch das Wellensittichfutter, drei Schachteln zum Preis von einer, - nur Jonathan hasst Wellensittiche. . Und jetzt diese Haarschneidemaschine und eine Schere für Linkshänder, statt einem lindgrünen Hauch von Kostümchen. Nein, das ist endgültig zu viel.
Beim Frühstück am nächsten Morgen fragt sie betont freundlich: „Jonathan, wo ist die Gebrauchsanweisung für die neue Haarschneidemaschine?“
„Brauchen wir nicht, ist ja ganz einfach. Schau, du stellst hier die gewünschte Länge ein und fährst mit der Maschine langsam über das Haar und schon ist alles erledigt. Komm setz dich her, ich werde deine Locken kürzen, ganz exakt um fünf Millimeter.“
"Nein, Jonathan, das ist sehr lieb von dir, aber das kann ich nicht annehmen. Du hast diese Wundermaschine gekauft, also steht dir der erste kostenlose Haarschnitt zu.“
So sehr Jonathan sich auch sträubt, Edeltraud macht sich sofort an die Arbeit. Die Maschine arbeitet gründlich, Edeltraud auch. Jonathans schüttere Haarpracht liegt bald auf dem Boden des Badezimmers, in das sie sich zurückgezogen haben.
„Edeltraud, was machst du? Lass einmal sehen. Dauert es noch lange?“
„Nein, Schatz. Gleich bin ich fertig, ich muss nur noch das Deckhaar mit der Schere kürzen. Du wirst dich nicht wieder erkennen. Die Maschine ist wirklich kinderleicht zu bedienen. Das war in der Tat ein guter Kauf.“
Jonathans Hinterkopf ist fast kahlgeschoren und Edeltraud schickt sich gerade an, das Deckhaar mit der neuen Schere zu bearbeiten, da wirft Jonathan einen Blick in den Spiegel.
„Um Himmels Willen, Liebling! Ich habe ja keine Haare mehr! Hör bitte auf. Wie sehe ich denn aus? So kann ich mich nirgends sehen lassen. In den nächsten drei Wochen werde ich das Haus nicht verlassen können,“ beginnt er zu jammern.
„Doch, das wirst du müssen. Heute ist doch Neujahrsempfang beim Bürgermeister.“
„So gehe ich nicht hin. Entschuldigst du mich, Liebling?“
„Das wird nicht möglich sein. Ich darf es dir eigentlich nicht verraten, aber du wirst heute dort der Ehrengast sein. Man rechnet mit deinem Erscheinen. Der Erfolg deines letzten Buches hat sich herumgesprochen.“.
Auch das noch. Eigenhändig versucht nun Jonathan zu retten, was noch zu retten ist, doch sein Kopf gleicht einem von Wind und Wetter zerzaustem Fliegenpilz. So sehr er sich auch bemüht, die kahlen Stellen hinter den letzten Resten seines Deckhaars zu verbergen, es ist sinnlos. Schließlich gibt es nur noch eine Lösung: Die gefürchtete Glatze!
Gerade als Edeltraud die letzten Haarreste hinter seinen Ohren entfernen will, bewegt sich Jonathan etwas unvorsichtig und schon ist es passiert. Sie fügt ihm mit der Schere eine kleine Schnittwunde zu, genau über dem rechten Ohr. Nun ist sie untröstlich. Sofort holt sie Verbandszeug und beginnt ihn zu verarzten.
„Schatz, es tut mir wirklich leid, aber vielleicht liegt es auch an der neuen Schere – sie ist für Linkshänder.“ Edeltraud beteuert es so treuherzig, dass Jonathan nicht anders kann, als sie in den Arm zu nehmen.
„Ist schon in Ordnung, Liebes. So etwas kann schon mal passieren.“ Ein dickes Pflaster ziert jetzt seinen Kopf.
Zum Empfang des Bürgermeisters erscheint Jonathan mit einer Baskenmütze. Schriftsteller haben eben manchmal kleine Marotten.