Die unverschlossene Tür
Ich sah sie vor mir stehen: Große zentnerschwere Kerle mit schwarzem Fell. Stolze Hörner krönen ihre Häupter.
Den Blick in die Weite der argentinischen Wildnis gerichtet und mit Hoden versehen, welche leicht den Umfang meines kleinen Köpfchens erreichen konnten: Südamerikanische Bullen sah ich vor mir liegen.
Und diese Bullen lagen auf dem Rücken liegend und die Beine weit gespreizt vor mir. Welch ein Anblick!
Ich darf mich vorstellen: Gretel – ein erst kürzlich volljähriges gewordenes Labrador-Mädel, welchem diese nachvollziehbar unanständigen Gedanken der gerade heimsuchenden Pubertät zuzuschreiben sind.
Dennoch muss ich einiges zu meiner Verteidigung vorbringen: Ich bin keine Lolita – keine Frau, welches sich an jeden verschwendet – kein frühreifes Luder. Ich bin stets anständig geblieben, wenn auch diese Hoden schon etwas meinen Geist vernebeln. Doch dies hat seinen Grund.
Die Herren der Llanos lagen auch nicht wirklich in ihrer vollen Pracht vor mir – eher in160 Grammgroßen Teilchen. Teilchen zerlegt in jener Form, in welcher meine Herrschaft jene südamerikanischen Besucher zu braten und zu vertilgen gedachte.
Doch ich konnte auch durch das zerlegte Fleisch die Weite der Steppe und die Kraft der Hoden riechen. Ein wenig Lolita steckt wohl doch in mir.
So lagen unsere Besucher in der Pfanne und ließen den Duft ihres Fleisches unsere Wohnung erfüllen. Auch meine große Schwester Frida wässerte bereits voller Inbrunst ihre ältlichen Lefzen.
Wir beide wussten: Ein kleiner Rest des Festmahles würde uns zukommen.
Plötzlich vernahm ich die Stimme meines Herrchens, dem Pfalzgrafen, gerichtet an die Kurpfälzerin. Doch welch grausame Nachricht sollte meine dunkelbraunen Schlappohren erreichen:
„Heute können wir den Hunden nichts vom Essen abgeben, schließlich haben wir die Steaks in canadischen Whisky eingelegt“. Ich erstarrte und wandt mich meiner depressiven Seite zu. Frida wurde unter ihrem Fell blass.
Bevor wir jedoch in Tränen ausbrechen konnten dachte ich nach. Frida würde wohl klein beigeben. Dies war ihre Art. Ich jedoch gedachte um meinen Anteil an der menschlichen Nahrung zu kämpfen. Mit List und Tücke sollte mir dies gelingen.
Doch zuerst wollte ich mein eigenes kleines Gewissen beruhigen. Ich sinnierte über die kosmopolitischen Zusammenhänge zwischen den reichen nordamerikanischen und den den armen südamerikanischen Staaten. Ich gab dem Pfalzgrafen recht: Sie sollten ihre globale Kooperation zumindest in dieser kleinen Pfanne im kurpfälzischen Haushalt finden.
Doch wie sollte ich von dieser politischen Kooperation profitieren.
Ich lies meine Herrschaften genüsslich die argentinischen Freunde verspeisen, sorgsam darauf achtend, dass ein kleines Stückchen für Frida und mich übrig bliebe. Es blieb nichts übrig.
Herrchen und Frauchen fraßen lustvoll alles auf und ereiferten sich auch noch über den vorzüglichen Geschmack. Meine Depression wuchs. Der Fleischgeruch hing noch in der Luft, die Hoden waren inzwischen vergessen.
Der humane Anteil des ansässigen Rudels räumte die Teller weg und verstaute diese in der Spülmaschine. Danach begaben sich die menschlichen Vielfraße auf meine Couch, um mir auch noch den mir angestammten Liegeplatz streitig zu machen.
Doch eines hatten sie übersehen: Sie vergaßen die Tür der Spülmaschine zu schließen. Die Teller mit all ihren Fleischresten und dem Duft Südamerikas lagen direkt vor mir. Ich wollte nicht eigensüchtig sein und rief meine Freundin. Frida.
Während Herrchen und Frauchen sich ihre wohlbeleibten Bäuche mit Schnäpsen jeglicher Art füllten, schlichen sich acht Pfoten zur Spülmaschine. Ein kleiner Stoß durch meine linke Vorderpfote eröffnete uns das südamerikanische Paradies. Die Teller lagen vor uns – bereit genussvollen Hundemäulern entsprechende Labsal zu verschaffen.
Wir leckten, was unsere Zungen hergaben. Beinahe hätte Frida die Glasur des Porzellantellers vernichtet. Die Mischung aus südlichem Rindfleisch und canadischem Whisky mundete einfach vortrefflich. Menschen haben doch Geschmack wenn es um Nahrung geht.
Zwei Stunden später: Es wäre Zeit gewesen meinen Labradorkörper vor die Tür zu bewegen um meine Blase zu entleeren. Daran konnte ich mich noch erinnern. Mein Herrchen schüttelte mich an den Beinen. Doch diese waren zu schwer um aufzustehen. Mein Kopf war wie Blei und meine Zunge fühlte sich an, als hätte ich mich an den südamerikanischen Hoden vergangen. Doch meine Blase war randvoll gefüllt.
Ich war ein betrunkener Labrador.
So tat ich jenes, was ich besser nie getan hätte: Ich entleerte mich auf jenem Teppich, auf welchem ich mein Haupt gebettet hatte.
Während ich wieder einschlief hörte ich Herrchen und Frauchen diskutieren, wer von den beiden die Spülmaschinentür offen ließ.