Kurzgeschichte
Ach Jonathan... - ein hilfsbereiter Mann

„Jonathan, Schatz, hast du zehn Minuten Zeit?“

 Edeltraud hat ihre grüne Gartenschürze umgebunden. Ihr Haar ist hinter einem roten Kopftuch versteckt, das im Nacken fest verknotet ist, nur eine vorwitzige Locke hängt ihr in die Stirn. Ihre Miene ist mehr als geschäftig. Mit der Gartenschere in der Hand,

trippelt sie aufgeregt vor der Terrasse auf und ab. Sie scheint wieder einen ihrer, gottlob seltenen, Anfälle von Arbeitswut zu haben.

 „Aber natürlich, für dich immer,“ hört er sich sagen. Ihr geschäftiger Ton lässt nichts Gutes erahnen. Dabei hat er sich so auf diesen Samstagnachmittag gefreut. Im Liegestuhl auf der Terrasse die ersten warmen Sonnenstrahlen dieses Frühlings genießen. Der Nachmittagskaffee, ein Blick in die Zeitung – es wäre zu schön gewesen, scheint wohl nichts daraus zu werden.

 „Könntest du bitte die Oleanderbäume etwas zurechtschneiden. Der lange Winter im Keller hat ihnen arg zugesetzt. Die vielen dürren Blätter und abgestorbenen Triebe gehören entfernt. Hier hast du die Gartenschere“.

 Ach, die Oleanderbäume, schon wieder die Oleanderbäume. Edeltraud liebt Oleanderbäume. Sie kann nie genug davon haben. Jeden Herbst schleppt Jonathan die schweren Kübeln in den Keller und jeden Frühling wieder in den Garten. Sie müssen gegossen, gedüngt und besprüht werden, kurzum sie machen jede Menge Arbeit. Unnötige Arbeit, ist Jonathan überzeugt, doch seine Meinung behält er wohlweislich für sich. Er will Edeltraud die Freude daran nicht verderben.

  Seufzend nimmt er nun die Gartenschere und beginnt zu arbeiten. Die dürren Blätter scheinen kein Ende zu nehmen. Je mehr er abschneidet, desto unnötiger und langweiliger findet er die Arbeit. Und die vielen langen Triebe. Was das wohl sein soll? Egal - weg damit. Jetzt macht ihm die Sache plötzlich Spaß. Er macht seine Arbeit gründlich. Kein einziges dürres Blatt ist mehr zu sehen. Zufrieden setzt er sich jetzt in seinen Liegestuhl und vertieft sich in die Tageszeitung.

 Plötzlich ein Schrei: „Jonathan, um Himmels Willen! Was hast du denn da gemacht?“

 „Was ist denn Schatz? Ich habe alle dürren Blätter und unnötigen Triebe entfernt. Das wolltest du doch, oder nicht?“

 „Aber Jonathan, diese - wie du glaubst - unnötigen Triebe waren die Blütenstände für das kommende Jahr. Jetzt werden wir im Sommer keine blühenden Oleander haben. Wie konntest du das nur machen?“

 „Das tut mir aber wirklich leid. Das habe ich nicht gewusst.“ Jonathan bemüht sich um eine unschuldige Miene. Insgeheim hofft er, damit das Thema Oleanderpflege endgültig erledigt zu haben.