Kurzgeschichte
Hätte er doch nur gefragt

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"Hätte er doch nur gefragt"
Veröffentlicht am 06. August 2011, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Hätte er doch nur gefragt

Hätte er doch nur gefragt

Es vergehen wenige Sekunden, schon öffnet er die Tür. Ich kenne ihn nun schon seit einer halben Ewigkeit, bestimmt schon an die zehn Jahre, doch noch immer überrascht mich seine positive Ausstrahlung, sein freundliches Lächeln und der damit verbundene warme Empfang in sein Haus.
    »Ah, da bist du ja. Komm rein.«
    »Sorry für die Verspätung, aber ich wurde aufgehalten.«
    »Ach was, die paar Minuten. Ich habe inzwischen den Kaffee aufgesetzt«, sagt er und schließt hinter mir die Haustür. Zum ersten Mal höre ich ein Klicken. Er schließt die Tür ab, bemerkt meinen fragenden Blick.
    »Ist eine neue Angewohnheit von mir, ich weiß. In der Nachbarschaft gab es in letzter Zeit ein paar Einbrüche. Irgendwie macht mich das nervös.«
    Ohne weiter darauf einzugehen, nehme ich am gedeckten Esstisch platz. Ich staune immer wieder über die moderne Einrichtung seiner Bleibe. Es passt so gar nicht zu seinem Alter. Während er mir Kaffee einschenkt, verjage ich die eingetretene Stille.
    »Und, wann steht die Frührente an?«
    Er lacht.
    »Na ja, fünf Jahre muss ich noch. Früher geht es leider nicht.«
    Ich nicke ihm zu und betrachte das Schwarz in meiner Tasse. Scheinbar gut temperiert, ohne Milch, ohne Zucker. Perfekt wie immer. Dann mustere ich meine Umgebung. Kaum eine Veränderung ist zu sehen, seit ich das letzte Mal hier war. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass sich etwas verändert hat.
    »Wie geht es deinem Freund?«
    Ja, ich bin schwul.
    »Immer noch alles im Lot?«
    »Alles bestens«, antworte ich kurz und knapp.
    »Gut, gut. Ich hoffe, dass ich dich heute nicht von irgendwas abhalte, aber es ging leider nicht anders. Ich brauche Hilfe bei den Formulierungen einiger geschäftliche Briefe und ich bin am PC nicht der Schnellste, wie du weißt.«
    »Ungewöhnlich für einen Kaufmann, oder?« falle ich ihm ins Wort.
    Er muss wieder lachen. Ein merkwürdiges Funkeln blitzt kurz in seinen Augen auf.
    »Ja, schon. Standard-Schreiben sind kein Problem, aber bei diesen habe ich meine Probleme mit den Formulierungen. Und da bist du eindeutig besser drin. Danke noch mal, dass du mir hilfst und dir Zeit nimmst.«
    Wieder fällt mein Blick in die Kaffeetasse. Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier irgendwas nicht stimmt. Irgendwas ist anders, komisch. Ich schwenke die Tasse und bringe die schwarze Brühe leicht zum Aufschäumen.
    »Sag mal«, beginne ich, »diese Einbrüche in letzter Zeit... Ist das vielleicht der Grund, warum die Straße so leergefegt ist? Als ich hierher fuhr sah ich keine Menschenseele. Keine Autos vor den Häusern, alle Rollos waren unten.«
    »Das liegt weniger an den Einbrüchen als an der Urlaubszeit. Ich weiß nicht ob sich alle abgesprochen haben, aber irgendwie scheine ich im Moment der einzige Bewohner in der Straße zu sein, der nicht im Flieger gen Süden sitzt«, lächelt er mich an.
    Meine Hände werden schwitzig. Aus irgendeinem Grund werde ich nervös. Ich gucke mich noch mal um, kann mein Unterbewusstsein aber nicht davon überzeugen, dass keinerlei Gefahr droht.
    »Heute keine Lust auf Kaffee?«
    Mein Blick fällt erneut in die Tasse vor mir. Er scheint heller zu sein als vorher und er schäumt noch immer. Dabei habe ich die Tasse nicht mehr angerührt. Skepsis beschleicht meinen Verstand. Hier ist etwas faul und ich komme allmählich dahinter.
    »Das alles ergibt keinen Sinn«, sage ich schließlich und starre ihm direkt in die Augen.
    »Was meinst du?« fragt er verwirrt.
    »Du willst mit mir schlafen, stimmt‘s?«
    Endlich habe ich es ausgesprochen. Er wollte es schon immer, das wusste ich. Und ich habe richtig geraten, das sehe ich in seinen Augen. Über seinen überraschten Gesichtsausdruck legt sich eine verlogene Empörung.
    »Bitte was?«
    »Du hast mich schon verstanden, aber du kriegst mich nicht rum - und das weißt du. Deswegen die ganze Show hier. Deswegen auch der Kaffee.«
    »Was stimmt mit dem Kaffee nicht?«
    »Er schäumt, noch immer, und hat einen leicht bläulichen Ton. Ich kenne mich mit Betäubungsmitteln nicht so gut aus, aber KO-Tropfen soll man genau daran erkennen können.«
    »Du spinnst doch!«
    »Und dann die abgeschlossene Tür, damit du nicht gestört wirst. Oder damit ich nicht einfach abhauen kann. Wobei, ich könnte ja sowieso nicht um Hilfe rufen. Du hast den Moment perfekt geplant: alle Nachbarn sind verreist.«
    Ungläubig schüttelt er den Kopf. Wut steigt in ihm auf, aber das ist mir egal.
    »Wahrscheinlich hast du dein Bett oben schön hergerichtet, die Vorhänge zugezogen, das Gleitgel bereit gelegt, die netten Spielzeuge, vielleicht auch noch ein Seil, falls die Wirkung der Tropfen zu schnell nachlässt und du mich fixieren musst. Wahrscheinlich hast du an alles gedacht, bis auf die Kondome natürlich, denn du vergisst ja immer irgendwie das Wichtigste. Aber so läuft das nicht.«
    »Ich glaube jetzt hast du komplett den Verstand verloren, oder? Wie lange kennen wir uns jetzt schon?«
    »Eben, deswegen kann ich es mir sehr gut vorstellen«, antworte ich schnell.
    »Das ist nicht zu fassen«, er schüttelt den Kopf und erhebt sich. »Ich weiß nicht was in dich gefahren ist, aber das ist echt das Letzte. Wie kannst du mir so etwas unterstellen? Ja, ich finde dich attraktiv, das weißt du auch, aber so etwas würde ich nicht versuchen wollen. Dass du mir so etwas zutraust... Mir fehlen die Worte, wirklich.«
    Ich schweige einen Moment und beobachte ihn. Liege ich vielleicht wirklich vollkommen falsch? Bin ich wirklich so ein Arsch, der so etwas einem guten Freund zutraut? Eigentlich gibt es nur eine Möglichkeit das rauszufinden.
    »Dann hier,«, ich deute auf meine Tasse, »nimm einen Schluck von meinem Kaffee.«
    Sein Blick verfinstert sich, jetzt ist er wirklich sauer.
    »Raus«, brüllt er, und gestikuliert wild herum. »Ich möchte dich hier nicht mehr sehen! Zumindest so lange nicht, bis du dich bei mir für diese Unverschämtheit entschuldigt hast!«
    Ich stehe auf, hebe meine mitgebrachte Jacke vom Sofa auf und trete aus der Tür. Knallend lässt er sie hinter mir ins Schloss fallen. Was habe ich jetzt wieder angestellt, ich Depp? Kein Klicken.

Im Haus. Er tritt mit Wut imMagen eine Vase in die nächste Ecke. Fassungslos und mit hochrotem Kopf stampft er auf den Esstisch zu, räumt meine Tasse ab und schüttet den Inhalt, immer noch kopfschüttelnd, in den Abfluss. Beide Tassen landen im Geschirrspüler. Angespannt nimmt er die Treppe in den ersten Stock und betritt sein Schlafzimmer. Die Gardinen sind zugezogen, lediglich zwei eingeschaltete Deckenfluter spenden sanftes Licht. Er setzt sich auf das ordentlich gemachte Bett. Neben ihm liegt eine Tube Gleitcreme, auf dem Nachtisch Sexspielzeug. Zu seinen Füßen schlängelt sich ein dünnes Tau. Enttäuscht lässt er sich auf‘s Bett zurückfallen.

Ich stehe draußen. Es regnet. Warum habe ich nur so weit weg geparkt? Ich stelle meinen Jackenkragen hoch und krame in meiner Jeans nach dem Autoschlüssel. Ich fische etwas heraus und präsentiere es mir auf der Hand: drei Kondome. Falsche Tasche.
    Hätte er doch einfach nur gefragt.

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Winston

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Carina Hätte er doch nur gefragt - Eine sehr gut geschriebene Geschichte. Man kann sich gut in die Situation reinversetzten.
Gruß Carina
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