Unterschwellig
Ich weiß nicht wer Sie sind oder was Sie sind, doch Ihre Intention lässt sich nun nicht mehr schönreden. Sie wollen meinen Tod. Zu allem Überfluss verlangen Sie, dass ich es selbst tue. Die Mannigfaltigkeit Ihrer Präsenz schließe ich aus den verschiedenen Klangarten Ihrer Stimmen und der Art wie Sie sich artikulieren. Mal obszön und roh, mal weich und schmeichelhaft, fast zärtlich. Auch bedienen Sie sich des Timbres längst verstorbener Verwandte, um mich in den Suizid zu treiben. Dies äußert sich in alltäglichen Situationen wie zum Beispiel in Unterhaltungen mit Bekannten, Telefonaten, Fernsehübertragungen oder über das Radio. Vergleichbar subliminaler Botschaften, wie sie angeblich zu Werbezwecken im Fernsehen benutzt werden, richten sich diese Nachrichten jedoch unverkennbar an mich. Wenn ich mich mit Freunden unterhalte scheint es als leide mein Gegenüber am Tourette-Syndrom und schreit mir irgendwelche, ungewollte Obszönitäten entgegen. Wäre da nicht diese ruckartige, blitzschnelle Veränderung im Gesicht der Personen, diese grotesk verzerrten Grimassen und diese eindeutigen Ansagen zu meiner Person, könnte man diesen Effekt sicherlich als Tourette entschuldigen.
Die Diagnose, lediglich an einer Geisteskrankheit zu leiden, habe ich bereits nach meinem ersten Psychiater-Besuch negiert. Die Unterhaltung mit ihm erwies sich anfänglich als sehr beruhigend und erschien mir logisch, angesichts der infrage kommenden Diagnosen die er stellte.
„ …Ich verschreibe Ihnen also, aufgrund Ihrer Angstzustände, Clozapin. Halten sie sich jedoch dringendst an die, von mir verordnete, Dosierung oder…“
Plötzlich schoss das Gesicht des Psychotherapeuten nah an meines. Die Gesichtszüge verzogen sich zu einer Grimasse des Hasses. Seine Augen rollten unnatürlich nach hinten, sodass das weiß seiner Augäpfel zum Vorschein kam.
„…friss doch einfach die ganze, gottverdammte Schachtel auf einmal!“
Meine Hände krallten sich in die lederne Liege und ich schloss meine Augen.
„…eine Abhängigkeit ist nicht auszuschließen. Hallo? Haben sie mich verstanden? Geht es ihnen nicht gut?“
Ich hielt mich an die verschriebene Dosierung, doch meine Situation blieb unverändert. Nachwievor attackierten mich diese Wesen und forderten meinen Suizid. Jedoch nahm ich diese verbalen Attacken, dank der Pillen, etwas gelassener auf als vorher.
Vor einigen Tagen, zum Beispiel, stand ich in der Küche vor der Arbeitsplatte und bereitete mir ein Mittagessen zu. Wie immer, beim Kochen, hatte ich das Radio eingeschaltet. Im Hintergrund tönte eine sympathische Frauenstimme, die das Wetter des Tages vorhersagte. Ich schnitt gerade ein Stück Fleisch zu Geschnetzeltem zurecht.
„…und so erwartet uns heute ein sonniger Tag mit bis zu achtundzwanzig Grad. Ein herrlicher Sommertag um sich das Messer zu nehmen und sich die Kehle aufzuschlitzen. Tu es einfach Marc! Komm schon! Ramm dir das Messer in den Hals! Also, viel Spaß. Und weiter geht es im Programm mit...“
Reflexartig schlug ich das Radio, mit der Hand in der ich das Messer hielt, von dem kleinen Regal neben mir. Es viel scheppernd zu Boden. Durch die Wucht meines Schlages riss das Kabel direkt am Gerät ab. Jedoch zog ich mir dabei einen tiefen Schnitt an meinem linken Unterarm zu. Die Wunde blutete stark und der Lebenssaft tropfte zu Boden. Aus dem defekten Empfänger vernahm ich das höhnische Lachen der Sprecherin.
Ich reinigte gerade die Verletzung und legte einen Verband an, als das Telefon klingelte. Als ich abnahm vernahm ich die Stimme eines verstorbenen Freundes. „ Na, Marc? Siehst beschissen aus. Tu uns doch allen einen Gefallen und leg dich doch einfach selbst um!“ Ich warf das Sprechgerät gegen die Wand und es zerbrach. Der Appetit war mir längst vergangen. Ich nahm noch eine Tablette ein, setzte mich ins Wohnzimmer auf die Couch und schaltete den Fernsehapparat ein. Irgendein Natur-Freak lief gerade durch einen Wald und redete fasziniert über die dort wachsenden Bäume.
„ Dieser herrliche, robuste über hunderte von Jahren gewachsene Baum zum Beispiel…“ Der Mann spurtete direkt auf die Kamera zu. Seine Gesichtszüge verschoben sich unnatürlich. „… wäre ideal um sich daran zu erhängen, nicht wahr Marc? Ein wunderschönes, unberührtes Stück Natur. Niemand würde dich hier finden.“
Ich schleuderte die Fernbedienung gegen den Bildschirm, als könnte ich diesen Kerl so im Gesicht treffen. Der Flachbildschirm zersplitterte und verdunkelte augenblicklich. Das Läuten der Türklingel riss mich aus meinen Gedanken. Durch den Spion sah ich eine Nachbarin vor meiner Tür und ich öffnete.
„ Hallo Marc. Ist alles in Ordnung bei dir? Ich hörte beunruhigende Geräusche und wollte mich erkundigen ob es dir gut geht. Du siehst so blass aus.“ Dann rollten ihre Augen nach hinten und sie schrie kehlig: „ Bring dich doch einfach um und beende diese ganze Scheiße!“
Ich sitze auf meiner Couch. Hab mir noch ein paar Pillen eingeworfen und mir die Schlagader meines linken Armes aufgeschnitten. Vor mir auf dem Holzboden hat sich schon eine beachtliche Blutlache gebildet. Sie werden nicht aufhören, das weiß ich jetzt. In der Küche, auf dem Boden, liegt noch das kaputte Radio. Ich höre Sie lachen.