Biografien & Erinnerungen
Der gläserne Kerzenleuchter

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"Der gläserne Kerzenleuchter"
Veröffentlicht am 25. Juli 2011, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Der gläserne Kerzenleuchter

Der gläserne Kerzenleuchter

 

Das Häuschen meiner Großeltern war sehr bescheiden eingerichtet. Zwei Kästen, zwei Betten  und ein Tisch mit Stühlen, mehr besaßen sie nicht und mehr hätte in den zwei kleinen Zimmern auch nicht Platz gefunden.

Auch der Hausrat in der Küche bestand nur aus dem Notwendigsten, es gab weder einen Teller noch einen Topf, der nicht ständig in Gebrauch war. Darum war es für meine Großmutter immer ein großes Malheur, wenn einer der wenigen Kochtöpfe ein Loch bekam, denn zum ersten kostete die Reparatur Geld, und zum zweiten fehlte ihr der schadhafte Topf beim Kochen.

Einen Gegenstand jedoch besaß sie, auf den sie sehr stolz war.

Es war ein Kerzenleuchter aus Glas.

Auf einem, mit Ornamenten geschmückten runden Sockel, waren hufeisenförmig zwei ebenfalls reich verzierte Arme angebracht, die zwei Kerzen Platz boten.

Das gute Stück hat sie, in weiches Tuch eingewickelt, immer im obersten Fach ihres Kleiderkastens aufbewahrt.

Ab und zu durfte ich den Leuchter herausnehmen und das Glas mit dem weichen Tuch polieren, aber nur in ihrer Gegenwart.

Der ist nur für ganz besondere Anlässe, sagte Großmutter immer. Wahrscheinlich gab es in unserer Familie keine besonderen Anlässe, denn der Leuchter blieb fast immer im Kasten, nur manchmal, wenn Bekannte oder Nachbarn sie darum baten, borgte sie ihn äußerst ungern her..

Doch an einem Tag im Jahr hatte auch er seinen großen Auftritt, dann nämlich wenn der Herr Pfarrer zur Haussegnung kam.

In unserem kleinen Dorf war es Tradition, dass der Herr Pfarrer einmal im Jahr in jedes Haus kam und das Haus und seine Bewohner segnete.

Er begann mit seinen Besuchen am ersten Sonntag nach dem Jahreswechsel. Nach dem Hochamt am Vormittag machte er sich mit den Ministranten und dem Mesner auf den Weg von Haus zu Haus. Vor einem improvisierten Altar wurde gebetet und andächtig kniend nahmen alle Hausbewohner seinen Segen entgegen.

Für meine Großmutter waren diese Besuche immer eine große Ehre und Freude. Schon Tage vorher brachte sie das Haus in Ordnung und schrubbte stundenlang den alten Holzfußboden. Auf den Tisch in der Stube kam ein weißes Leintuch, darauf ein Kruzifix aus dunklem Holz und daneben der frisch polierte Leuchter, der im flackernden Licht der Kerzen glänzte und funkelte. Zwischen seinen Armen hatte sie mühevoll mit ganz dünnem Zwirn ein kleines Heiligenbildchen befestigt. Ein Gesteck aus Buchsbaum und kleinen Christbaumkugeln, sollte festlichen Blumenschmuck vortäuschen.

Stolz auf ihr Werk konnte sie ihren Gast kaum erwarten. Aufgeregt trippelte sie zwischen Tisch und Haustür hin und her, zupfte meine Haare in Form und richtete unzählige Male Opas Hemdkragen.

War die feierliche Handlung vorbei und der Herr Pfarrer gegangen, kam der Leuchter sofort wieder in den Kasten.

Sie aber, erzählte noch tagelang von der Begegnung. Was denn der Herr Pfarrer gesagt hätte, wohin er geblickt hätte und ob er wohl den schönen Leuchter gesehen hätte, all das war für sie von großer Bedeutung.

Seither sind viele Jahre vergangen.

Meine Großeltern leben nur noch in meiner Erinnerung.

Der Kerzenleuchter jedoch, hat noch heute einen Ehrenplatz in meinem Wohnzimmer.

Für mich ist er immer etwas ganz Besonderes geblieben – etwas, das nur an Festtagen in Verwendung kommt.

Einer dieser Tage ist jedes Jahr der Muttertag.

 

 

 

 

 

 

 

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ulla Re: Manche Erinnerungen -
Zitat: (Original von baesta am 29.07.2011 - 20:55 Uhr) verblassen nie. Und es ist schön, wenn man sie immer wieder aufleben läßt.

Liebe Grüße
Bärbel


Ja, an manchen Tagen werden sie übermächtig...
Danke fürs Vorbeischauen
glg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Manche Erinnerungen - verblassen nie. Und es ist schön, wenn man sie immer wieder aufleben läßt.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Obwohl ... -
Zitat: (Original von Gunda am 26.07.2011 - 12:49 Uhr) ... wir heute ja eher in einer Überflussgesellschaft leben (wer kann sich ernsthaft vorstellen, dass ein kaputter Küchenteller eine Katastrophe wäre?) gibt es doch immer noch Stücke, die uns besonders am Herzen liegen. Die müssen gar nicht mal teuer sein, aber es hängen eben bestimmte Erinnerungen daran, so wie bei dir an dem Leuchter. Ich besitze zwei Medaillons mit Abbildern meiner Urgroßeltern. Das mit dem Bild der Frau ist als Kravattennadel gearbeitet, das Gegenstück als Teil eines Armbandes. Jahrelang besaß ich nur eines dieser beiden Medaillons, das andere war verschollen, bis es sich plötzlich vor Jahren bei einem anderen Familienzweig wieder anfand. Ich glaube, meine Großmutter würde sich sehr freuen, wenn sie wüsste, dass beide Medaillons ihrer Eltern jetzt wiedervereint in meiner Vitrine liegen ...

Schön, dass du mich auf diesen Ausflug in die Vergangenheit mitgenommen hast, Ulla.

Lieben Gruß
Gunda


Das ist eine wunderschöne Geschichte, die du mir da erzählst, der ideele Wert solcher Erinnerungsstücke ist unbezahlbar. Auch für mich ist dieser Kerzenleuchter immer eine Kostbarkeit geblieben, ich würde mich nie freiwillig von ihm trennen. Meine Großeltern lebten damals wirklich in sehr bescheidenen Verhältnissen, doch ich war immer von Liebe umgeben und durfte dort eine wunderschöne Kindheit erleben.
Danke für deinen ausführlichen Kommi
glg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Gänsehautende -
Zitat: (Original von SchreibSchreib am 26.07.2011 - 11:10 Uhr) Gegen Ende hatte ich ein bisschen Gänsehaut. Ich glaube, jeder Mensch besitzt so einen besonderen Schatz. Manchmal kleinere Schätze, wie ein Bilderbuch oder größere Schätze, wie ein Kerzenleuchter. Sehr schön.

lg Schreibnerd



Danke für das Lob, freue mich sehr. So persönliche Erinnerungsstücke sind für mich ein Stück Kindheit, bergen oft noch die Geborgenheit des Elternhauses.
glg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von shirley am 26.07.2011 - 10:44 Uhr) Ganz toll - diese Zeitreise. Meine Oma hatte auch solche Schätze.


Jedes Stück erzählt eine kleine Geschichte und
mit den Jahren werden diese alten Erinnerungstücke immer wertvoller für uns
Danke fürs Vorbeischauen und liebe Grüße
ulla

Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von mukk am 25.07.2011 - 19:13 Uhr) da werden auch bei mir Erinnerungen wach. Meine Mutti hatte wehe Knie, daher musste immer ich, schon in meiner Schulzeit, den Holzboden schruppen und die Stiegen im Treppenhaus. Das jedoch jeden Samstag. Damit er wenigsten bis Sonntag schön und sauber bieb, wurde er mit Zeitungspapier abgedeckt - so war er dann immer ein schöner Sonntagsboden...
Lienbe Grüße
Ingrid


Ja, an das Zeitungspapier erinnere ich mich auch noch...
Schön, dass du wieder da bist, habe dich schon sehr vermisst.
Danke für deinen ausführlichen Kommi und ganz liebe Grüße
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: danke fürs mitnehmen -
Zitat: (Original von Himmelskind am 25.07.2011 - 15:55 Uhr) auf eine zeitreise

lg

birgit


Ab und zu kommen eben so Gedanken, die einfach in die Tasten wollen...
Danke fürs Vorbeischauen
glg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: () () -
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 25.07.2011 - 12:33 Uhr) Das sollen die beiden Kerzenflammen sein....

Eine sehr plastische Schilderung, ich sehe das Häuschen vor mir im Kerzenschimmer und nehme den Geruch des frisch gescheuerten Holzfußbodens wahr....

GlG fleur


Genauso war es, dieser Fußboden wurde immer sorgfältig geschrubbt, damals trug man im Winter auch im Haus Schuhe, es gab keine Zentralheizung und der Fußboden war daher sehr kalt. Lang, lang ist´s her...
Danke für deinen einfühlsamen Kommi
glg
ulla

Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Obwohl ... - ... wir heute ja eher in einer Überflussgesellschaft leben (wer kann sich ernsthaft vorstellen, dass ein kaputter Küchenteller eine Katastrophe wäre?) gibt es doch immer noch Stücke, die uns besonders am Herzen liegen. Die müssen gar nicht mal teuer sein, aber es hängen eben bestimmte Erinnerungen daran, so wie bei dir an dem Leuchter. Ich besitze zwei Medaillons mit Abbildern meiner Urgroßeltern. Das mit dem Bild der Frau ist als Kravattennadel gearbeitet, das Gegenstück als Teil eines Armbandes. Jahrelang besaß ich nur eines dieser beiden Medaillons, das andere war verschollen, bis es sich plötzlich vor Jahren bei einem anderen Familienzweig wieder anfand. Ich glaube, meine Großmutter würde sich sehr freuen, wenn sie wüsste, dass beide Medaillons ihrer Eltern jetzt wiedervereint in meiner Vitrine liegen ...

Schön, dass du mich auf diesen Ausflug in die Vergangenheit mitgenommen hast, Ulla.

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
SchreibSchreib Gänsehautende - Gegen Ende hatte ich ein bisschen Gänsehaut. Ich glaube, jeder Mensch besitzt so einen besonderen Schatz. Manchmal kleinere Schätze, wie ein Bilderbuch oder größere Schätze, wie ein Kerzenleuchter. Sehr schön.

lg Schreibnerd
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