Kurzgeschichte
Jeder hat 2 Seiten

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"Jeder hat 2 Seiten"
Veröffentlicht am 22. Juli 2011, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Jeder hat 2 Seiten

Jeder hat 2 Seiten

Beschreibung

Alfonse Kaiser ist Versicherungsvertreter. Wer das schon langweilig findet, der sollte lieber das Buch nicht nach dem Einband beurteilen, denn in diesem Mann schlummert auch noch eine ganz andere Seite... Titelmotiv: www.pixelio.de/ ©Gerd Altmann/PIXELIO

 

Es gibt Berufe, die verlangen ein ganz besonderes menschliches Profil. Dazu gehört der eines Versicherungsvertreters. Sie müssen immer seriös wirken auch wenn sie es nicht sind. Die Blätter, die sie ahnungslosen Individuen anbieten müssen sie immer als das Beste vom Besten anpreisen, auch wenn sie wissen, dass sie es nicht sind. Charmante, glatte und perfekte Lügner.

Diese Maske trug auch Alfonse Kaiser. Bei seinem ihm Arbeit gebenden Versicherungsunternehmen strich er in die anderen grün vor Neid werdenden Regelmäßigkeit die dicksten Prämien ein. Irgendetwas schien dieser nicht besonders schöne Mensch zu haben, mit seinem zu großen Kopf, den großen traurigen Augen und den überdimensionierten Füßen, mit denen er Flächenbrände in Australien austreten konnte, wie es seine Kollegen immer scherzhaft bemerkten.

 

 

Zu Hause war bei Kaiser auch nicht alles eitel Sonnenschein. Seine Verlobte vergnügte sich, ebenfalls in erstaunlicher Regelmäßigkeit, wenigstens da war sie ihrem Verlobten gleich, mit dem blonden, blauäugigen, traumhaft gebauten und zum Steinerweichen dummen Lustknaben von nebenan. Sie war zu Recht stolz auf ihren perfekten Haushalt mit einem treusorgenden Verlobten, der die Brötchen verdiente und einem Befriediger ihrer niederen Triebe, der scheinbar nichts anderes konnte.

Kaiser lebte jetzt schon seit Jahren mit der Maske des Versicherungsvertreters und kam damit gut durchs Leben. Natürlich war er nicht so dumm zu glauben, dass seine Verlobte nur ruhig und brav auf sein Erscheinen am späten Nachmittag wartete. Er vermutete eine Affäre seit mehreren Monate, wollte der Sache aber nicht näher auf den Grund gehen. Dass er selbst eine Vergangenheit hatte, von der er bisher niemandem erzählt hatte, wusste

 

deshalb auch niemand.

Doch eines schönen Sommertages, als sein Arbeitskollege mit ihm zur Zerstreuung in den Wanderzirkus ging, da flackerte plötzlich wieder jenes Funkeln in den Augen auf, welches er seit Jahren zu verbergen gewusst hatte.

Beide saßen in den Zuschauerrängen und betrachteten die Attraktionen. „Sieh mal, die Kleine, die auf dem Pferd die Dressur reitet, da will man auch mal Pferd sein, was die für durchtrainierte Schekel hat“, erging sich sein Kollege in lustgeile Vorstellungen. „Was glaubst du wohl warum das Mädel so aussieht wie es aussieht? Die muss vor jeder Vorstellung hungern, trinkt nur Wasser und trainiert unter den strengen Augen von irgendeinem sadistischen Trainer“, setzte Alfonse seinem Kollegen entgegen. „Ha, du willst mir doch nicht etwa die Vorstellung madig machen, oder?“ Kaiser schüttelte seinen Kopf.

 

 

 

 

 

„Ich will dir lediglich die Augen dafür öffnen, was wahrlich da ist.“ „So und woher nimmt Herr Superschlau seine Informationen?“, fragte der Kollege spöttisch. Alfonse kam in Erklärungsnot. „Habe mich mit dem Thema früher mal genauer auseinandergesetzt“, antwortete er und hoffte, dass der Kollegen nicht sah, wie er zu schwitzen begann.

Am Ende der Vorstellung, Alfonse wirkte sehr zerstreut und seine Augen funkelten beständig wild, strebten beide ihrer heimatlichen Häuser zu.

Alfonse Kaiser war diesen Tag mal etwas zeitiger nach Hause gekommen, er und sein Kollege hatten sich im Geheimen verabredet, seiner Verlobten hatte er nicht vom arbeitsfreien Tag erzählt. Und genauso unerwartet traf es sie und ihren Toyboy als Kaiser plötzlich ins Schlafzimmer trat und beide in eindeutiger inniger Zusammenkunft bestaunen konnte. Jetzt war das Fass

 

übergelaufen! Er wollte nicht mehr der sich verstellende biedermeierige Versicherungsvertreter sein, er wollte nicht mehr mit seinen ihn neidenden Kollegen zusammenarbeiten, die heimlich ihre Vorzimmerdamen vernaschten. Er wollte nicht mehr mit einer Frau zusammenleben, die ihn nur um des Geldes wegen hatte und er wollte endlich seiner wahren Berufung nachgehen, der werden, der er eigentlich war; ein Zirkusclown.

Noch zur gleichen Stunde ließ er sich vom Wanderzirkus engagieren und kündigte sein vorheriges Arbeitsverhältnis.      

Alfonse Kaiser, ausgebildeter Clown, der die Clownsschule mit Bravour bestanden hatte war wieder dort wo er einstmals angefangen hatte und nur ausgestiegen war, weil ihm die Arbeit unter einem menschenverachtenden Direktoren nicht mehr gepasst hatte. Jetzt brachte er andere zum Lachen und nicht nur

 

 

 

 

 

die Herrschaften, die sich freuten ihre Schundversicherungen an unbescholtene Bürger verkauft zu haben. Und sein neuer Direktor war das genaue Gegenteil dessen, den er einstmals Angestellter war.

Ende

 

 

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RogerWright
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