Der Kampf gegen den inneren Schweinehund
4:30. Der Wecker ist gnadenlos und leider auch außer Schlagdistanz. Die Luft, die mein Seufzer erzeugt entweicht leicht pfeifend aus meinen Nasenlöchern. Es nützt alles nichts, ich muss raus. Das Fahrzeug haben wir Gott-sei-Dank schon am gestrigen Abend beladen. Hätte ich heute Morgen auch keinen Kopf für. Ein Blick nach rechts zeigt mir, daß Spatzerl schon aufgestanden ist. Wenn ich meine Ohren spitze, meine ich auch die Kaffeemaschine plätschern und spucken zu hören.
Ich schlurfe ins Badezimmer. Die Dusche ist schon im Stress und dampft den Spiegel zu. Ein „Morgen“ entfleucht meinem Mund, wird jedoch auf Grund der Geräuschkulisse überhört. Nicht jedoch die Toilettenspülung, nachdem ich mich entleert habe. „Huch, jetzt hab ich mich aber erschrocken! Du bist schon auf? Ist doch noch Zeit. Bin schon länger auf, weil ich mir noch die Haare waschen mußte.“ Ich antworte nur: „Tut mir leid, wollte Dich nicht erschrecken. Kaffee?“. „Bin gleich fertig, danke gerne“ höre ich noch, als ich mich schon in Richtung Küche bewege.
KAFFEE! Spätestens nach den ersten beiden Schlucken und der obligatorischen Zigarette bin ich dann endlich wach. Heute gehts zum Flohmarkt. Bin mal gespannt, ob das Wetter hält. Da kommt auch Spatzerl ins Wohnzimmer. Ihr Turban auf dem Kopf sieht wie immer lustig aus, aber ihr Gesicht verrät mir: Bloß noch nicht ansprechen. KEINE UNTERHALTUNG vor dem ersten Kaffee! Ein „Hast Du gut geschlafen?“ kann ich mir dennoch nicht verkneifen. „Geht so. Hab blöd gelegen. Mein Rücken tut weh.“ „Ich werd Dich heut Abend noch mal richtig massieren.“
Massieren hat sie gerne. Sie genießt es richtig. Und ich auch. Es gibt kaum etwas Schöneres, als jede einzelne Stelle ihres Rückens zu entdecken. Durch die Wohnzimmertür sehe ich schon den fertig gepackten Korb mit dem Proviant und anderen Dingen für den Tag. Fürs Frühstücksfernsehen ist es noch zu früh, deshalb läuft in der Glotze überflüssigerweise ein Musiksender. Wie kann man nur in stockdunkler Nacht schon so einen Sch. anhören? Aber sie braucht wohl diese Berieselung. Ist akzeptiert. Wird Zeit, daß ich mich auch mal so langsam fertig mache. Also schnell frische Unterwäsche geholt und ab ins Bad. Was folgt ist Routine und wird von mir in 10 Minuten erledigt.
Währenddessen taucht mein Spatzerl wieder auf und lässt den Fön anspringen. Das Signal für mich zu flüchten. Nur nicht stören und im Weg stehen bei geheiligten Zeremonien. Den Rest der Zeit verbringe ich mit Warten und dem Lesen von Videotextseiten. Letzte Meldungen und Wetter, alles andere ist nicht von Interesse. Endlich ist sie fertig und wir schleichen das Treppenhaus hinunter. Heute müssen wir nicht so weit fahren. Der Markt ist im Nachbarort. Ist zwar erfahrungsgemäß nicht so doll dort, aber es gab keine vernünftigen Alternativen. Und fahren müssen wir. Das ist Pflicht. Ein Wochenende ohne Flohmarkt ist wie ein verlorenes Wochenende.Der Kampf um den Stellplatz
Viel zu erzählen haben wir uns unterwegs immer noch nicht. Ihr scheint es wirklich nicht so gut zu gehen. „Wir wären besser zu Hause geblieben Spatzerl. Wie willst Du den Tag überstehen mit dem Rücken?“ „Das wird schon gehen. Zur Not laufe ich über den Markt. Beim Laufen tuts nicht so weh.“ Bis zur Ankunft reicht es noch für eine Zigarette. Also mache ich mich an der Zigarettenschachtel zu schaffen. „Warte, ich mach Dir eine an?“. Diesen Service lass ich mir meistens gefallen, insbesondere dann, wenn ich noch Probleme habe mich auf die Straße zu konzentrieren. Sie reicht mir die Kippe und ich werfe ihr ein Lächeln zu. Sie lächelt zurück, sie mag mich noch. „Hattest Du einen Platz reserviert?“ frage ich sie. „Ich hab gestern noch angerufen. 3 Meter mit Auto am Stand.“
Wir biegen auf den großen Parkplatz ab. Es herrscht schon hektische Betriebsamkeit. Es wird rangiert, ausgepackt, aufgebaut. Ich entdecke einen Mann mit orangener Jacke und irgendeiner Aufschrift auf dem Rücken. Aha, einer vom Veranstalter. Also nichts wie hin. Der ist aber gerade in einer heftigen Diskussion mit einem Herrn mittleren Alters und südländischen Gesichtszügen. „Ich hab gesagt: Nur Angemeldete!“ bekomme ich mit. Der Südländer lässt nicht locker: „Ich komme immer hier, nix Probleme haben früher“. „Ich kanns doch nicht ändern. Es haben sich zu viele angemeldet. Deine 6 Meter kriege ich nirgends mehr unter“. Entgegnet der Handlanger des Veranstalters schon leicht entnervt. Ich wage nicht dazwischen zu gehen und so warte ich geduldig, bis der Südländer mit seinen Südfrüchten laut fluchend und schimpfend von dannen zieht.
In der Zwischenzeit hat sich schon eine Meute weiterer Trödler und Händler um den gestressten Menschen mit der orange leuchtenden Jacke geschart. Alle wollen jetzt und sofort ihren Platz zugewiesen haben. „Leute, der Reihe nach. Wunder dauern bei mir was länger. Jeder, der sich angemeldet hatte, bekommt seinen Platz. Keine Panik“. Das beruhigt ein wenig. Dennoch tippe ich ihn am Oberarm an und sage: „Ramirez, wir hatten 3 Meter reserviert“. Der Mensch kramt einen schon leicht beanspruchten Zettel aus seiner Hosentasche und fährt mit dem Finger an einer Namensliste entlang. „Ramirez, Ramirez. Ja hier! 3 Meter mit Auto. Trödel oder Neuware?“. Ich antworte schnell: „Trödel“ und er dackelt los. Die ganze Truppe hinterher, jeder will ja der Nächste sein. Ich bekomme einen Platz. Nicht schlecht, unter einem Baum und strategisch günstig gelegen. Will sagen, nah an den Toiletten, da Spatzerl erfahrungsgemäß häufiger laufen muss.
Also schnell zurück zum Auto und den Wagen vorfahren, da hinter uns schon ein kleiner Stau von Lieferwagen und Pkw entstanden ist. „Alles klar, der Platz ist ok“, werfe ich ihr zu, während ich den ersten Gang einlege. Auf Slalomkurs um die ganzen Umzug-Kartons, Kisten und Kleiderständer geht es zu dem eroberten Standplatz. Jetzt sauber einparken, um genügend Platz für unsere Schätze zu schaffen, ist eine meiner leichtesten Übungen. Sofort fange ich an, den Kofferraum zu leeren. „Ich lauf mal grad rum“. Sagt sie, was von mir mit einem: „Mach Du, ich fang schon mal langsam an“. quittiert wird. Das ist immer so und in genau demselben Wortlaut.Der Kampf mit den Kunden
Ich habs sowieso lieber, wenn ich die schweren Kisten alleine auslade. Trotzdem ist das mit dem Ausladen so eine Sache. Schon wenn du dich das zweite Mal in den Kofferraum beugst, lungern die Profis um dein Auto herum und begutachten die noch verstauten Artikel. Ich hasse das, besonders wenn darin rumgekramt wird. „Leute, lasst mich doch erstmal auspacken“ rufe ich der Meute zu. Die ist wenig beeindruckt. Ein anderer könnte einem ja ein Schnäppchen vor der Nase wegschnappen.
Prompt kommt dann auch die erste Frage: „Was kostet?“ meint ein Händler und hält eine Kristallglasvase hoch, die er mit geschickten Fingern aus der ersten Kiste gezogen hat. Ich erkenne Händler sofort. Nein falsch, ich rieche sie mittlerweile schon. Der will die Vase natürlich mit Gewinn weiter verkaufen und ich habe kein Interesse daran, alles zu verschenken. Also entgegne ich lustlos: „8 Euro“, wohlwissend, das dem der Preis viel zu hoch ist. Ich erreiche damit aber das angepeilte Ziel. Er stellt mit einer abwertenden Handbewegung das Objekt der Begierde wieder weg und macht sich an der nächsten Kiste zu schaffen.
„Wie viel?“ wirft mir einer die nächste Frage ans Ohr und hat auch schon seine Geldbörse in der Hand. „Verhandlungsbasis 50 Euro“, gibts von mir als Antwort. Für die alte Agfa aus Großvaters Zeiten will ich mindestens 40 Euro erzielen. Also mal deutlich höher angesetzt. „Och du bess jo beklopp“, bekomme ich erwiedert. „Mie wie dressisch zahl ich net“. War mir natürlich klar, also gibts ein: „Ich muss 45 haben“ zurück. „Komm, 40 und dann bruchste se nemmie mit Heem ze schleppe“. Ich verziehe gewohnheitsmäßig bei solchen Übungen mein Gesicht, nicke leicht und entgegne: „Ja ok, ist in Ordnung“. So ist jeder zufrieden und das Wichtigste ist, ich habe das Standgeld schon verdient.
Endlich ist Spatzerl wieder zurück und winkt verheißungsvoll mit zwei Tüten. Triumphierend und unendlich langsam zieht sie die Beute aus den Taschen. Spielzeug für die Enkelkinder. Einen Anflug von Entäuschung kann ich gerade noch vertuschen und sage statt dessen: „Hey. Schön. Wieviel?“ „Nur 6 Euro für Alles“. Das ist in der Tat sehr günstig. Hat sie wohl bei Leuten erstanden, die vielleicht einmal im Jahr trödeln gehen und keine Ahnung haben. Aber davon lebt unser Geschäft.
Jetzt, wo wir wieder zu zweit am Stand sind, geht es wesentlich flotter zur Sache. Es ist nämlich ein Drahtseilakt, ein wachsames Auge auf die eigene Ware zu haben und gleichzeitig auszuladen. So ganz allmählich nimmt unsere Auslage Gestalt an. Noch ein paar letzte Handgriffe und die nächste Zigarettenpause ist fällig und verdient. 6:30 und schon fertig mit Allem. So muss es sein. Wer früh sein Geschäft macht, dem ist der Tag gerettet. Langsam verzieht sich auch der letzte Händler und es kehrt Ruhe ein. Das ist die Zeit nach den Profis und vor der eigentlichen Kundschaft. Die drehen sich jetzt nämlich noch im Bett herum.
Apropo Kundschaft. Es gibt verschiedene Kategorien von ihnen. Da sind als erstes mal die Leute zu nennen, die wirklich kaufen wollen. Die mir liebste Klientel versteht sich. Sie haben bestimmte Vorstellungen, lassen sich meist auch beraten und handeln nicht auf Teufel komm raus. Diese Kunden sind in der Regel früh unterwegs und sorgen für das Plus im Geldbeutel. Dann gibt es die sogenannten „Hammer“-Leute. Meist Paare mittleren Alters. Sie schlendern am Stand entlang und einer der beiden lässt dann so Sprüche wie: „Hammer schon; Hammer och“ oder ähnliches vom Stapel. Manchmal kommen auch so Sätze wie: „Och schau mal Schatz, das haben wir auch noch auf dem Speicher“, oder: „Guck mal Mausi, sowas haben wir doch noch neulich auf den Sperrmüll getan“.
Sowas lieb ich. Ich frage mich allen Ernstes, warum die dann überhaupt über den Flohmarkt spazieren? Wahrscheinlich um jedem Trödler zu verstehen zu geben: „Was ihr da verkaufen wollt schmeißen wir weg“. Naja, egal. Die nächste Kategorie taucht meist erst nach der Mittagszeit auf. Die Marine, die Seeleute. Diese Gruppe geht nach dem Essen oder dem Kaffee nochmal gemütlich spazieren und bevölkert den Trödelmarkt, ohne allerdings Umsätze zu generieren. Ach, fast vergaß ich die Schnäppchenjäger. Diese tauchen entweder ganz früh am Stand auf oder wenn man gerade seine Sachen wieder einpackt. Natürlich in der Hoffnung, alles für 50 Cent ergattern zu können.
Ein Blick zum Himmel verheißt schönes Wetter. Das ist enorm wichtig. Zum einen muss man bei Regengüssen nicht ständig die Auslage abdecken, zum anderen kommen bei schlechtem Wetter auch weniger Leute. Obwohl diese Sache zwei Seiten hat. Die Wenigen, die sich bei miesem Wetter auf den Weg zum Trödelmarkt machen wollen auch kaufen. Und außerdem kommen bei widrigen Bedingungen weniger Händler und private Trödler, was zur Folge hat, daß sich das Geld auf die wenigen Stände verteilt.
Ok, heut wirds also schön. Gewohnheitsmäßig taxiere ich die Leute, die sich unserem Stand nähern schon aus einiger Entfernung. Bis sie dann bei uns angekommen sind, habe ich die meisten von ihnen längst in eine Schublade gepackt: Seeleute, „Hammer“-Leute, potentielle Kundschaft. Einige von ihnen lernt man im Laufe der Zeit auch näher kennen. Man baut sich so eine Art Stammkundschaft auf. Mit denen hält man dann ein nettes, kurzes Schwätzchen und verabschiedet sich mit den Worten: „Bis zum nächsten Mal. Die Flohmarktwelt ist ja ein Dorf“.
Manchmal wirds richtig spannend. Ein Beispiel möchte ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten. Ein etwa 40-jähriger Mann blättert interessiert in einem antiquarischen Buch. Nach ausgiebiger Prüfung folgt die obligatorische Frage nach dem Preis. Mein Spatzerl übernimmt die Initiative und nennt ihm 25 Euro. „Leever Jott, dat es vell ze vell. Mie wie 10 zahlen ich net“. Spatzerl lässt sich nicht beeindrucken und entgegnet in ruhigem Ton nur: "Das sind mir die Richtigen. Wir sind zwar auf dem Flohmarkt, aber gleich den Preis um mehr als 50 Prozent drücken ist schon unverschämt“. „Nee, also dat zahl ich net“ kommt nur noch zurück und er bewegt sich auf den nächsten Stand zu.
Wir folgen ihm mit unseren Blicken und bemerken, daß er sich mit einer Frau unterhält und dabei mit einer Handbewegung auf unseren Stand verweist. Kurz darauf taucht dann auch prompt diese Frau bei uns auf und sieht sich mit gelangweilter Miene unsere Auslage an. Erst nach einiger Zeit greift sie sich wie zufällig das besagte Buch, blättert ein wenig darin herum und fragt dann ebenfalls nach dem zu entrichtenden Obolus. Wieder nennt Spatzerl den Preis von 25 Euro. Es folgt erneut ein kleinerer Kampf, der wiederum zu unseren Gunsten ausgeht. Mit einem mitleidigen Blick in unsere Richtung verlässt auch sie unverrichteter Dinge den Ort des Geschehens.
Nicht lange danach wird das Buch erneut in die Hand genommen. Zu unserem Glück hatte ich beobachten können, das dieser Herr den ersten Herrn offensichtlich kennt. Wie zum Beweis, das Spatzerl und ich den gleichen Gedanken hatten nicken wir uns lächelnd zu. Und dann endlich kommt die Frage: „Wieviel soll der alte Schinken denn noch kosten?“ Spatzerl lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen und kommt mir zuvor: „30 Euro!“ Staunend blickt er sie an: „Wie 30? Eben war der Preis aber noch bei 25!“ „Tja“ antwortet Spatzerl und kann sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen. „Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Es haben schon so viele Leute nach dem Buch gefragt, da muss es ja mehr Wert sein als 25 Euro.“ Peng! Das hat gesessen, und für mich ists ein innerer Reichsparteitag. Anzumerken bleibt nur noch, das der erste Herr das Buch zu guter Letzt für 20 Euro erstanden hat, und wir haben uns diebisch gefreut.
Nicht mit uns Kinder. Wir sind Profis.