Nur Wassers
„Oh, wie hell. Wo kommt das denn so plötzlich her?" So dachte der kleine Tropfen, als er durch die Erde nach draußen auf die Welt geschoben wurde. Leider konnte er nicht bleiben, wo er war, so sehr es ihm hier in der dunklen warmen Erde auch gefiel. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit den vielen anderen Wassertropfen seine Geborgenheit zu verlassen, obwohl er sich mit all seiner Kraft dagegen sträubte, Sie drückten ihn einfach hinaus. Und so war er geboren worden.
„Puh, wenigstens habe ich hier etwas Platz und werde nicht mehr so eingeengt", stöhnte er erleichtert. Dabei strampelte und gluckste er fröhlich vor sich hin, wie alle Babys dieser Welt. Doch dieses kleine bisschen Nass hatte überhaupt keine Zeit sich erst einmal ein wenig umzusehen, es wurde eilig weitergeschoben. Wassertröpfchen für Wassertröpfchen drängten sich zu ihm und ließen es allmählich zu einem Tropfen werden.
Zunächst hielt er sich, wo er war, bekam jedoch plötzlich Schwierigkeiten. Zu viele seinesgleichen kamen angestrudelt, überfluteten den Tropfen und vermischten sich mit ihm, wobei sie ihn einfach mit sich mitnahmen. Dieser Übermacht konnte er sich nicht länger erwehren. Er ergab sich notgedrungen dem vielen Nass, das nachkam, und verwandelte sich mit ihm in ein kleines Rinnsal.
„Hui, wie lustig das ist, ich rutsche einfach auf der Erde den Berg hinunter“, quietschte das Rinnsal. Nun bereitete ihm die Veränderung auf einmal Vergnügen, es gluckerte lustig vor Übermut.
„Mach uns mal Platz, wir wollen auch mit“, plätscherte es ringsherum, denn immer neue Rinnsale flossen ihm zu. Ohne zu fragen, vermischten sie sich einfach mit dem kleinen Rinnsal, das sie antrafen. Ob sie wollten oder nicht, sie verwandelten sich im Nu in ein kleines Bächlein. Mit lustigen Sprüngen, quirlig über steinige Hindernisse hüpfend, flossen sie miteinander dem Tal zu. Der kleine Bach wuchs gurgelnd neuen Abenteuern entgegen.
Andauernd gab es etwas Neues zu sehen und zu hören. Aber seinen größten Spaß hatte der Bach, wenn er spritzend hochsprang. Besonders gern netzte er dabei einer Blüte am Ufer die Blütenblätter oder er drückte ihr einen nassen Kuss in ihr Blumengesicht.
Auch Menschen tranken von ihm, denn sein kristallklares Wasser ließ an ruhigen Stellen sogar das sandige Bachbett mit den Steinen darin sehen. Mit einem „Gluck“ übersprang er voll Freude jedes Hindernis. Das Wasser tanzte, wirbelte Sand auf und rieb sich mit ihm an den Steinen, wobei sie völlig glatt und rund geschliffen wurden.
„Ach, ist das ein schönes Leben“, plätscherte der Bach, sobald die goldene Sonne aufging und ihre Strahlen wie Spiegelsplitter glitzernd auf der Wasserfläche auf und ab hüpfen ließ. Oft am Tag sah der Bach auch nach oben zum Himmel, der in einem wundervollen Blau leuchtete. Auch dieses widerspiegelte sich im Wasser. Ebenso freute sich der Bach über die Nacht, wenn Tausende von silbernen Sternen mit dem goldenen Mond um die Wette glitzerten. Wie die Sonne am Tag beäugten sich Sterne und Mond im Wasser des Bachs. Auch sie brachten die Wellen zum Glänzen und Glitzern.
So wie es dem Bach gefiel, ging seine Reise in aller Gemütlichkeit weiter. Allerdings wurde mit der Zeit, das Tempo immer schneller, denn andauernd drängelte sich neues Wasser hinzu. Ob er einverstanden war oder nicht, der kleiner Bach wuchs.
Sein Nass war inzwischen aber nicht mehr so rein und klar wie am Beginn der Reise. Es hatte sich nämlich Schmutz eingefunden, der sich einfach mitnehmen ließ. Einmal war ein großer, heftiger Regen gekommen, der die Erde der Felder in den Bach spülte und dort ablud. An und für sich hatte der Bach ja nichts gegen den Regen, denn sein Nass füllte das verlorene Wasser auf, das Sonne, Wind und alle möglichen Lebewesen aus ihm weggetrunken hatten. Nur auf die Erde und den Schmutz hätte der Bach gerne verzichtet. Jedoch musste er es nehmen, wie es kam. Je breiter, umso weniger klar wurde er. Kein Mensch hätte mehr aus ihm trinken wollen. Aber seine Fische zum Spielen hatte er immer noch und manchmal durfte er sogar voll Stolz ein kleines, schwankendes Boot tragen, das er dem Tal entgegen schob. Währenddessen gesellte sich ihm immer mehr Wasser hinzu. Männer kamen, die ihn Räder antreiben ließen, die mithilfe seiner Wasserkraft Strom erzeugten. Manchmal füllten sie auch Gefäße mit seinem Wasser und nahmen sie mit. Aber auch kleine Menschen kamen, schwammen in ihm und spritzten sich gegenseitig nass. Im Großen und Ganzen gefiel dem Bach, das Leben. Aber er machte auch unliebsame Bekanntschaften. Zum Beispiel traf er Menschen, die Angeln nach seinen Fischen auswarfen. Sie nahmen ihm seine flinken, befloßten Spielgefährten weg um sie als Nahrung zu gebrauchen. Wieder andere beschmutzten ihn mit Müll und Gerümpel, das sie in ihm entsorgten. Sein Wasser trug, was leichter war als es selbst oder er ließ was schwer war einfach zu Boden sinken. Das mochte er ganz und gar nicht leiden, aber er konnte nichts dagegen unternehmen, er musste es erdulden. Hinzu kam, dass sich sein Bachbett verbreiterte, wodurch er träger und langsamer wurde. Dadurch war er auf seine lustigen Spiele nicht mehr so versessen wie in der frühen Jugend. Aber das konnte ja nicht ausbleiben bei den vielen Aufträgen, die er erledigte.
Träge und müde ließ sich unser Bach wie immer dahintreiben, dabei gelangte er an einen Riesenbach, der ihn einfach in sich hinein sog. Welch ein Schreck. Da war es plötzlich aus mit der Schläfrigkeit, denn dieser Bach hatte keine Zeit. Viel zu schnell eilte er dem Tal zu. Eigentlich wollte unser Bach nicht dort hinein, doch er konnte sich nicht dagegen wehren. Er war gezwungen, sich mit dem Riesen zu vereinigen, wodurch er ein Teil des Flusses wurde.
Vorbei war es mit dem gemütlichen Leben. So schnell es ging mussten sie gemeinsam große, schwer beladene Schiffe zum Meer tragen. Einzig der Gedanke das große weite Meer zu sehen, versöhnte ihn mit seinem Schicksal. Denn auf dieses Erlebnis freute er sich.
Von Sauberkeit konnte jetzt keine Rede mehr sein. Zwar schwammen in ihm auch Fische, doch musste er fortan auf seine flinken Forellen und die vielen anderen Freunde verzichten. Auch das Spielen konnte er inzwischen vergessen. Nun war er erwachsen und musste seine aufgetragenen Arbeiten erledigen. Es galt getreu seine Pflichten zu erfüllen, so schwer ihm das auch fiel, denn ein Erwachsenenleben war eben nicht so leicht. Aber es machte ihn auch zufrieden, dass er alles erledigte, was nur eben ging.
Einzig nachts bekam der Fluss ein wenig Ruhe. Dann standen die Schiffe still und er durfte sich ein bisschen erholen. Dabei bereitete ihm das Sterne - und Mondgucken das größte Vergnügen, genau wie früher. Das Glitzern weit oben am Himmel weckte seine Erinnerungen und Sehnsüchte, es ließ ihn träumen.
Kam dann der Morgen, ging es frisch und ausgeruht wieder los. Schließlich wurden die Schiffe erwartet. So schnell wie möglich mussten sie ihren Zielhafen entgegengetragen werden.
Nach einer langen Reise war dann eines Tages dieses Ziel auch erreicht. Die großen Schiffe landeten in einem riesigen Hafen, während der Fluss unbeschwert die kurze Strecke zum Meer zurücklegen durfte. Immer hatte er gedacht größere Wasser als er, gäbe es nicht, doch als er am Meer ankam, war das Staunen groß. Er floss in eine unendliche unübersehbare Wasserfläche hinein und vereinigte sich mit ihr. Er wurde zu Meer.
So unbeschwert hatte das neue Meereswasser lange nicht spielen können. Hüpfend schlug es Wellen, schaukelte hin und her, machte Schaum und vergnügte sich, wie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr. Kaum zu glauben, dass er schon erwachsen war. Trotz der langen Reise, während der er sich auf seinem Weg abmühte, hatte er nichts verlernt. Er konnte immer noch genauso spielen, wie damals kleines Bächlein, als es gerade erst geboren war.
Auch das Meer hatte Schiffe zu tragen und zu arbeiten, aber nun war es so groß, dass ihm das nichts ausmachte, es fiel ihm leicht. Ja es spielte sogar mit den riesigen Tankern. Diese schaukelte es auf und ab und spritzte manchmal die Menschen nass, die sich über eine Schiffsreling beugten. Wenn Schwimmer kamen, umfloss es ihre Körper, machte Wellen und warf sie auf und nieder. Es floss über die Badenden hinweg, während es sie untertauchte. Das geschah aber nur zum Spaß, den Schwimmern sollte nichts passieren.
Nachts spiegelten sich Mond und Sterne so prächtig wie je in ihm und am Tag trank die warme Sonne von seinem erfrischenden Wasser. Als Meer wogte es hin und her, zog von Land zu Land und von Strand zu Strand. Die launischen Winde strichen darüber hin und formten Wellen aus ihm. Manchmal schüttelte es der Sturm so sehr, dass seine Wellen weiße Kronen aus Schaum bekamen. Auch der Regen strömte in es hinein und die Sonne leckte an ihm. Aber es blieb, was es war. Das Meer.
Eines heißen Sommertages bekam die goldene Sonne großen Durst. Sie trank und trank, soviel sie nur konnte. Als sie genug getrunken hatte, kam ihr eine Idee.
„Soweit lass ich es nicht mehr kommen, dass ich fast verdurste. Ich nehme mir einfach einen Wasservorrat mit, dann kann mir nichts mehr passieren.“
Sie machte ihr Strahlenkleid von oben bis unten tropfnass und begab sich wieder hinauf an ihren Platz. Das Meerwasser in ihrem Kleid flog natürlich mit ihr mit. Was die Sonne aber nicht bedacht hatte, war ihre Hitze. Sie strahlte viel zu heiß, um ihren Wasservorrat lange zu halten. Er verdampfe und wurde zu einer zarten, weißen Wolke.
„Oh das ist auch schön, nun bin ich eine Wolke und kann auf die Welt herabsehen“, freute sich das Wasser. Es war mit seinem Schicksal zufrieden.
In der Nacht leuchteten die Sterne aus nächster Nähe und auch der Mond warf sein Licht auf die Wolke. Sie glänzte in einem Kleid mit Gold – und Silbersprenkeln.
„Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe“, seufzte das Wolkenwasser, „und deshalb werde ich für alle Zeiten hier oben wohnen. Ich bleibe einfach eine Wolke.“ Mit diesem Gedanken schlief sie zufrieden ein. Frieren und Zittern riss sie mitten aus ihren schönsten Träumen. Gerade eben noch spielte sie lachend Ball mit einem goldenen Engelchen. Und nun dieses unsanfte Erwachen. Aber was hatte sie denn so unfreundlich geweckt? Oh, weh, war das ein Schrecken. Die schöne weiße Wolke hatte sich in lauter kleine Regentropfen verwandelt.
„Na so etwas, jetzt habe ich mich ja schon wieder verwandelt“, wunderte sich die ehemalige Wolke enttäuscht, denn sie wäre viel lieber noch ein bisschen bei dem kleinen Engel mit dem Ball geblieben. Jedoch es geschah wie immer, sie konnte sich nicht dagegen wehren. Die hübsche weiße Wolke war zu Wasser geworden, das als Regen auf die ausgetrocknete Erde fiel und sofort dort versickerte.
„Auf meiner Reise habe ich so viele schöne Dinge erlebt“, erinnerte sich das Wasser dabei, „da kann ich mit meinem Leben zufrieden sein.“
Und dann war es auch schon völlig in die Erde eingebunden.
„Nun schlaf gut, du liebes, segenbringendes Wasser und sei willkommen, wenn du eines schönen Tages deinen Kreislauf von Neuem beginnst.“