Einst war dieser Ort etwas Fröhliches, etwas Ausgelassenes, doch nun bist du weg und hast alles mitgenommen. Trotz deiner Abwesenheit gibt es keinen Fleck hier, an dem du nicht bist. Auf dem Weg zu dir senke ich meinen Kopf, um nicht sehen zu müssen, was ich nicht sehen will. Ich komme nie wieder hier her, so wie du nie wieder kommen wirst. Ein letzes Mal Blicke ich hinab zu dir. Ich möchte keine Fragen mehr stellen, drum stecke ich meine Rose in die Erde und flüstere: " Adieu, mögen die Engel dich auf deinem Weg begleiten".
Schweißgebadet erwachte ich plötzlich,
mein Herz raste. Seit sechs Monaten verfolgte mich dieser Traum jede Nacht, er wurde durch die Häufigkeit nicht harmloser, sondern traf mich jedes Mal aufs Neue wie ein Schock. Von wegen man härtet ab.“ Pff“, dachte ich. Der Prozess rückte immer näher und ich erschauderte bei dem Gedanken, bald von jener Nacht berichten zu müssen. Ich war immer noch viel zu aufgebracht und unruhig um einfach weiter schlafen zu können, unter diesen Umständen war es mir unmöglich in meinem warmen Bett zu bleiben, wie ich es sonst immer tat. Statt dessen schlüpfte ich in meine Tigerhausschuhe und setzte mich auf das kalte Fenstersims, die Knie
angezogen und mit Armen umhüllt, starrte wieder etwas ruhiger hinaus in die neblige Nacht, auf das Haus gegenüber, das ich so abgrundtief hasste, wegen den Menschen die dort wohnten und Schuld an meinen nächtlichen Qualen trugen. Ich musste den schrecklichen Tag, vor einem halben Jahr, noch mal Revue passieren lassen. Immer wieder verdrängte ich den Gedanken daran, doch der Prozessauftakt war bereits in einem Monat, also sollte ich mir wieder alles in Erinnerung rufen was an diesem Tag geschah, um kein einziges noch so klitzekleines Detail zu vergessen. Das bin ich ihr einfach schuldig. Traurig sah
ich hinüber auf das andere Bett, das auf der gegenüberliegenden Seite von meinem im Zimmer stand. Früher hatten wir uns um dieses Bett gestritten. „Wir werden uns nie wieder streiten können“, bei diesem Gedanken, kullerte mir eine Träne über die Wange. Meine große Schwester, Alexja, schön, klug und jung, viel zu jung, zweiundzwanzig Jahre. Das ist doch kein Alter um zu gehen! Du bist gegangen, aber nicht freiwillig.
Schrilles Gebimmel weckte mich effektiv, aber unsanft aus meinem viel zu kurzen Schlaf. Der Schleier auf meinen Augen vernebelte mir noch die Sicht, um die Uhrzeit von meinem penetranten Wecker zu lesen. Ich kniff die Lider mühsam zusammen, als ich endlich die genaue Zeit erkennen konnte, war ich plötzlich hell wach. Heute war es so weit, der erste Schultag des letzten Schuljahres und ich kam wahrscheinlich zu spät. Seit dem Vorfall war ich nicht mehr dort, doch Dr. Martin, mein Seelenklempner und
meine Eltern meinten es wäre nun wieder an der Zeit, zu versuchen mein altes Leben weiter zu führen. Auch wenn ich nicht daran glaubte, dass ich nur ansatzweise da weiter machen konnte, wo die Zeit schien stehen zu bleiben, tat ich es trotzdem. Ich wollte meinen Eltern nicht zusätzlich zur Last fallen und die ganze Sache schlimmer machen, als es ohnehin schon für alle war, indem sie sich auch noch um mich sorgen mussten. Vielleicht konnte ich ihnen damit wenigstens etwas Trost schenken, das es doch weiter gehen konnte. Leises klopfen an meiner Türe riss mich aus meinen Gedanken. Meine Mutter trat
zögerlich in mein Zimmer. Bis auf meinen Vater, der mich einfach so nahm wie ich war, ohne sich zu verstellen, waren alle stets auf der Hut und übervorsichtig damit wie sie etwas sagten, oder was sie zu mir sagten, besonders meine Mutter. Ihr kurzer brauner Bob ließ sie sonst immer so frisch und jung wirken, man sah ihr das Alter kaum an. Mittlerweile haben die Sorgen und die große Trauer ihre Spuren hinterlassen. Sie sah müde und erschöpft aus, ihre einst strahlend grünen Augen, die schon immer faszinierend waren, sahen trüb aus und glänzten nur noch wenn sie sich mit Tränen füllten. Mom ging es schlecht
und sie tat ihr Bestes um dies vor mir zu verbergen. Sie räusperte sich noch etwas. „ Schätzchen, weist du schon wie spät es ist? Ich will nicht, dass du dich hetzt, ok, aber wir sollten langsam los. Ich warte unten im Auto auf dich“. „ Ich bin gleich unten“, erwiderte ich in einem höhst munteren, aber gespielten Ton. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, ohne noch etwas zu sagen, verschwand sie so still, wie sie gekommen war. In meinen Schlafklamotten stellte ich mich vor den Spiegel. Aus dem was ich sah, sollte ich binnen wenigen Minuten eine vorzeigbare Version zaubern. Meine
dunkelblonden Haare sahen zerzaust aus vom Schlaf, da ich nicht viel darauf gab, ist mir kaum aufgefallen, dass sie die letzten Monate fast bist zur Taille gewachsen sind. Alexja hatte auch diese Haarlänge, jedoch waren ihre schön glatt und dunkelbraun. Damals habe ich sie um ihre wunderschönen Haare beneidet, wie unwichtig diese Dinge unter solchen Umständen einem erscheinen, dachte ich. Meine Augen füllten sich Tränen, wie meistens, wenn ich an sie dachte. Ich musste mich zusammen nehmen, jetzt konnte ich mir das nicht erlauben, vor allem nicht vor meiner Mutter, die unten im Auto auf mich wartete und dachte ich war bereit
für diesen Tag. Kritisch betrachtete ich meine Figur, ich habe deutlich Gewicht verloren. Wahrscheinlich passte ich in meine eng geschnittene 36 er Jeans, die ich früher nie tragen konnte. Da ich weder Lust auf Make up hatte und mein Outfit mir auch egal war, verlief die restliche Morgenroutine ziemlich schnell. Nach einer schweigsamen Fahrt in die Schule, war ich sogar pünktlich. Noch einmal kräftig Luft holend, stieg ich aus dem Auto und winkte ein letztes Mal meiner Mom zu, die etwas skeptisch los fuhr. Ich wendete mich der Straße ab und sah direkt zu dem imposanten Eingang meiner Schule. Das große Betonvordach wurde von zwei
mächtigen grauen runden Säulen mit ionischem Kapitell gestützt. Das restliche Gebäude glich eher einem langweiligen Block, es erinnerte an die akkuraten Plattenbauten aus der DDR. In den vielen Fenstern spiegelte sich die Sonne, die morgens noch tief Stand. Es wirkte fast wie ein angenehm lauer Spätsommertag, wenn ich alles drum herum vergaß. Ich ging in Richtung des Haupteingangs und versuchte dabei so unauffällig wie möglich zu wirken, obwohl das in Anbetracht der Tatsachen kaum denkbar war. Die verstohlenen Blicke von allen Seiten waren mir durchaus bewusst, Neugier und das Schlimmste für mich, Mitleid konnte man
in deren Gesichtern erkennen. Ich wollte nicht bemitleidet werden, damit konnte ich nicht umgehen, die Trauer die ich zu versuchte zu verdrängen wurde damit zwangsweise zu präsent. Kurz bevor ich es mir überlegte tatsächlich umzukehren und nach Hause zu gehen, entdeckte ich Kelly meine beste Freundin, am Eingang unserer Schule. Sie lehnte gegen einer der beiden Säulen und sah sich suchend in der Menge um. Ein strahlendes Lächeln begrüßte mich, als sie mich erblickte. Ihre roten Haare und die Sommersprossen passten perfekt zu diesem herrlichen Wetter. Bevor ich nur eine Kleinigkeit sagen konnte umschlang
sie mich ganz fest. Wir haben uns seit diesem Vorfall weder gesehen, noch geredet, ich wusste dass sie sich große Sorgen um mich machte. Seit ich denken kann, ist kein einziger Tag vergangen, an dem wir nicht miteinander redeten. Die letzten Monate wollte ich einfach nur allein sein und so schloss jeden aus meinem Leben, den ich nicht zwingend sehen musste. Sie war gewiss verletzt deswegen, aber ließ sich wegen mir nichts anmerken und akzeptierte mein Verhalten, dafür liebte ich sie. „ Maya, ich bin so froh dich zu sehen, ich wusste nicht ob du kommst, ich habe zwar gehört das es so sein sollte,
aber wir haben seit dem…“, sie brach kurz ab, „ Ach, egal, du bist da, ich habe dich so vermisst“ fügte Kelly schnell hinzu. „Ich war eine grauenhafte Freundin, es tut mir so leid, ich wollte mich melden, aber konnte einfach nicht.“ „Hör bitte auf dich zu entschuldigen, wie geht es dir?“. „ Es ist ok, ich komme schon irgendwie klar“, log ich. Sie sah mich zweifelnd an, aber sagte zu meinem Glück auch nichts mehr dazu. Eines beschäftigte mich jedoch heute besonders, ich konnte nicht anders, ich musste es wissen. “Ist er auch da? Ich meine die ganze Zeit, auch vor den Ferien?“. Ich
konnte seinen Namen nicht aussprechen, das war auch nicht nötig, sie wusste wen ich meinte. „Ja, Dominic war da, er ist heute auch da, er ist kurz vor dir rein gegangen. Er hat oft nach dir gefragt, Maya“. Überrascht sah ich sie an: „ Was zum Teufel will er von mir, er bildet sich tatsächlich ein, ich würde noch ein Wort mit ihm reden“. Die Schulglocke ertönte. „Komm gehen wir rein, lass uns in der Pause noch mal reden“ beendete Kelly damit das Gespräch. Kaum wurde sein Name ausgesprochen kreisten meine Gedanken, die ich in der letzten Zeit krampfhaft versuchte zu ignorieren,
unaufhörlich um die beiden Silver Brüder. Dominic, der mit mir im letzten Jahrgang hier in die Schule ging und sein älterer Bruder Lucas. Letztes Jahr zog die Silver Familie direkt gegenüber in das Haus, das ich jede Nacht beobachtete, wenn ich mal wieder, so wie gestern von einem schrecklichen Alptraum heimgesucht wurde. Alexja und Lucas freundeten sich schnell an, es dauerte nicht lange, da verbrachte Alexja mehr Zeit mit ihm, als mit sonst jemandem. Sie hatte sich verändert in dieser Zeit, zog sich immer mehr zurück. Ich dachte stets, das sei wohl die Liebe, die ihren Kopf vernebelt und das sie deshalb keine anderen Gedanken
mehr fassen kann. In jener Nacht war Lukas der Letzte, der Alexja noch lebend gesehen hat. Während Lucas mich, bis auf den Blickkontakt kaum beachtete, verstand ich mich mit seinem Bruder Dominic sehr gut, er wuchs mir ans Herz, ich fühlte mich wohl in seiner Nähe. Er wirkte immer unbeschwert und konnte selbst aus der hässlichsten Lage etwas Positives ziehen. Manchmal war er albern und brachte mich oft zum Lachen. Wie gerne hätte ich ihn die letzten Monate um mich gehabt. Getrieben davon, dass die Silver Familie etwas mit Alexjas Verschwinden zu tun hatte, allem voran Lukas, wuchs meine Wut gegenüber deren Mitgliedern, wozu
Dominic auch zählte. Dieses letzte Stück Loyalität war ich meiner Schwester schuldig, weil es das Einzige war, das mir noch Halt gab. Wir eilten schnell zum Klassenzimmer und waren nur wenige Sekunden nach dem Gong an unseren Plätzen. Mrs. Miller bemerkte meine Anwesenheit mit einem kurzen nicken und startete gleich mit Mathe. Der Schultag zog sich wie Kaugummi, ich folgte dem Unterricht halbherzig, doch wurde erfreulicherweise zu nichts aufgefordert. Auf dem Pausenhof konnte ich Dominic von weitem sehen, um der Gefahr aus dem Weg zu gehen von ihm entdeckt zu werden, ging ich
zur Toilette und verbrachte die restliche Pause dort mit Kelly. Ich lenkte Kelly von mir ab, wir redeten hauptsächlich über ihre Ereignisse in den letzten Monaten. Sie sprudelte förmlich über und hörte kaum auf zu reden. Ich musste schmunzeln, man merkte ganz deutlich, dass ich eine lange Zeit nicht für sie da war. Der ersehnte letzte Gong ertönte und der erste Schultag war gemeistert. Das war doch besser, als gedacht. Wie früher liefen wir gemeinsam nach Hause. Es fühlte sich gut an, zur Abwechslung Dinge zu machen, die sonst alltäglich waren. Vielleicht war der Vorschlag von Dr. Martin, mein altes
Leben wieder weiter zu führen, gar nicht so schlecht wie Anfangs gedacht. Wir redeten den ganzen Weg über, Kelly vollendete ihre News, die sie in der Pause nicht fertig brachte, bis ich über so ziemlich alle Neuigkeiten auf dem aktuellen Stand war. Als sich unsere Wege auf dem Heimweg trennten, sinnierte ich noch über Kellys euphorische Stimmung, nach dem ich ihr versicherte, dass wir uns wieder öfter sehen würden. Noch etwas in Gedanken daran, vernahm ich hinter mir schneller werdende Schritte. Ich wollte mich nicht umdrehen, denn es gab nicht viele Menschen, die hier in den letzten beiden Häusern der Straße wohnten. Ich
hatte da so eine Ahnung und betete, dass es sich nicht um die Person handelte, die ich vermutete, doch ich wurde nicht erhört. Etwas außer Atem rief Dominic mir hinter her:“ Maya, warte bitte, ich will nur reden“. Statt zu antworten beschleunigte ich meinen Gang, es waren nur noch wenige Meter zu unseren Häusern. Doch Dominic war schneller, stellte sich genau vor mich und versperrte mir mit verschränkten Armen den Weg. „Ich weiß was du denkst und wie das Ganze für dich aussieht, aber ich schwöre dir, er hätte ihr nie etwas angetan, im Gegenteil“. Bevor er weiter reden konnte drängte ich mich an Dominic vorbei. „Ich lass
dich nicht gehen, bevor du mir wenigstens kurz zugehört hast“, fügte er entschlossen hinzu. Seine goldenen Augen blickten mich traurig an, er wirkte etwas verzweifelt. „Was sonst? Lässt du mich auch verschwinden? Vielleicht hast du nichts damit zu tun, aber du verschweigst mir etwas“, presste ich hervor. “ Lass mich in Ruhe“. Schmerzlich dachte ich daran, wie Lukas und Dominic am Waldrand heftig diskutierten, als ich die beiden unterbrach um nach meiner Schwester zu fragen: „Wo verdammt noch mal ist Alexja?“. Überrascht blickten beide zu mir, als hätten sie nicht mit Gesellschaft gerechnet. Die verstohlenen Blicke
zwischen den beiden wirkten ganz und gar vertraut, genauso wie zwischen mir und Alexja, wenn wir als Kinder etwas angestellt haben und nicht erwischt werden wollten. Es war einfach zu viel, meine Augen füllten sich mit Tränen und ich ging so schnell ich konnte zu meinem Haus, in der Hoffnung, das Dominic mich nicht so sehen konnte. Ich schloss die Türe etwas lauter, als ich vorhatte hinter mir und sank erschöpft an den Boden mit dem Rücken an der Türe nach unten. Die große helle Holztreppe vor mir lud mich dazu ein, schnellen Schrittes in meinen derzeitigen Lieblingsrückzugsort, meinem Zimmer zu eilen. Aus der Küche
hörte ich plötzlich Rufe: „Und? Wie war der erste Schu…ul..tag?“ stockte mein Vater, als mich so vor der Türe sah. „ Es ist alles ok, ich habe eben nur Dominic gesehen, kannst du das glauben? Er wollte doch tatsächlich das ich mit ihm rede!“ „ Beruhige dich“, er setzte sich zu mir. “Du meisterst das wirklich toll, lass dich davon nicht aus der Ruhe bringen, du brauchst deine Kräfte noch, du wirst ihn in Zukunft auch noch öfter sehen“. Nach einer kurzen Pause sprach er weiter. „ Sei erst auf Andere böse, wenn du die Gewissheit hast, dass du es kannst.“ „ Sie hat es verdient dass wir für sie
kämpfen, auch wenn nur ein kleiner Verdacht besteht“. „ Ich wünschte mir mehr als alles a
Andere die Person zu finden, die das Alexja und uns angetan hat, aber sich auf jeden zu stürzen, der möglicherweise in Betracht kommt, bringt sie nicht zurück.“ „Wie schaffst du das nur, es so weg zu stecken? Wie kannst du noch normal mit ihnen reden, als ob nichts wäre?“, ich sah fragend nach rechts zu meinem Dad, die Knie angezogen, saß er genauso wie ich, neben mir. „ Sie sind bestimmt nicht meine Freunde, aber ich möchte niemanden zu Unrecht verurteilen, wenn noch nichts
fest steht, verstehst du? Es geht ihr bestimmt gut, wo sie jetzt ist, dieser Gedanke beruhigt mich etwas“. Er nahm mich tröstend in den Arm, nach einer Weile, ging ich in das Zimmer, das damals noch uns gehörte. Unser Zimmer war ganz oben, der ausgebaute Dachboden war wirklich sehr groß, wir hatten nebenan unser eigenes Bad, was ganz klar bei der täglichen Morgenroutine von vier Personen ein Vorteil war. Nur leider teilten sich diese beiden Personen ein Bad, die es eine Ewigkeit besetzten, das führte unweigerlich zu regelmäßigen Streits. Links, an einem Ende des
Zimmers stand Alexjas Bett, davor eine kleine japanische Trennwand. Obwohl es keinen Nutzen mehr hatte, konnte ich mich von dem leeren Bett am anderen Ende des Zimmers nicht trennen, diese Endgültigkeit jagte mir noch zu viel Angs ein. Rechts, hinter einem Wandvorsprung in einer Art Nische schlief ich. Ich konnte direkt von meinem Bett aus dem Fenster sehen, zum Glück in einem Winkel, in dem ich nur noch den Himmel sah und nicht das Haus nebenan. Ich liebte diese hölzernen Dachschrägen, sie machten große Räume gemütlich und heimisch und man war nicht gezwungen duzende Bilder an die Wand zu nageln, um es wohnlicher zu
gestalten. Ich ging zum Fenster, es musste dringend gelüftet werden, das war definitiv der Nachteil an Dachböden, kaum war es draußen warm, staute sich die Hitze. Als ich das Fenster gerade öffnete und mir die angenehme Spätsommerbrise entgegen wehte, hörte ich lautes Motorengeräusch. Ich wusste sofort von wem dies kam. Unten fuhr Lucas auf seinem schwarzen Motorrad in die Einfahrt. Elegant schlängelte er hinein, bevor er stehen blieb. Alexja schwärmte immer davon, es handelte sich um eine schwarze Hayabusa, wohl eines der schnellsten Bikes auf den Straßen. Lucas nahm seinen Helm ab und wurde
an der Türe schon von Dominic erwartet, dieser sagte ihm etwas, das ich natürlich von meinem Fenster nicht verstehen konnte, Dominic sah etwas hoffnungslos aus. Lucas drehte sich nachdenklich zu unserem Haus, als ob er es gespürt hätte, wanderte sein Blick nach oben, zu mir. Dominic folgte ihm und entdeckte mich ebenfalls, beide starrten mich geradeheraus an. Wenn sie jetzt dachten, ich sah weg, haben sie sich geschnitten. Ich ließ mich von ihnen nicht einschüchtern, das sollten sie gerne wissen, also tat ich es ihnen gleich und starrte sie ebenfalls an. Dominic klopfte Lucas auf die Schulter und ging kopfschüttelnd ins Haus,
während Lucas noch provokant die Arme ineinander verschränkte und mir direkt ins Gesicht sah. Selbst von dieser Ferne strahlte mir das Grün seiner Augen entschlossen entgegen. Kaum schloss Dominic die Türe, änderte sich seine Mimik, er wirkte tatsächlich belustigt, sah mich jedoch weiterhin intensiv an. Mir lief ein Schauer über den Rücken, ich beendete diesen lächerlichen Machtkampf, drehte mich weg und ging zu meinem Bett. Was bildete er sich nur ein. Ich war wütend. Dachte er wohl er kann mich aus dem Konzept bringen, wie bestimmt meine Schwester damals. Zugegeben, es wäre zwar nie in Frage gekommen, aber die
besondere Wirkung die er auf alle hatte, hatte er auch damals auf mich. Man konnte kaum wegsehen, wenn er in der Nähe war. Anders als Dominic, der zwar sportlich, aber immer noch etwas jungenhaft mit seinen blonden zerzausten Haaren wirkte, wie der hübsche und nette Junge von neben an, war Lucas ganz unverkennbar ein junger Mann. Seinem Körper zu urteilen musste er womöglich eine Sportart ausüben, er war definitiv trainiert, jedoch nicht aufgeblasen wie diese Bodybuilder, sondern eher trainiert wie ein Kampfsportler. Lucas war etwa einen halben Kopf größer als Dominic. Die unverschämte Kombination mit seinen
kurzen dunklen Haaren und den grünen Augen, machten ihn zu einem Blickmagneten. Kaum zu fassen, wie selbst ich nicht weg sehen konnte, ich schämte und hasste mich dafür, dass eine Person jemals so eine Wirkung auf mich haben konnte, die möglicherweise für den Tod meiner Schwester verantwortlich war. Ich verwischte schnell wieder den Gedanken an Lucas, ich musste duschen und heute noch zu Dr. Martin, wie immer am Montag. Diese Sitzung würde Besonderes von mir abverlangen. Da der Prozess immer näher rückte, haben ich und Dr. Martin vereinbart, jede folgende Sitzung über das zu reden, weshalb ich überhaupt bei
Dr. Martin Patientin war. Ich mag Dr. Martin, er wirkt nicht wie ein klassischer Psychiater, nein, ganz und gar nicht, lächelte ich etwas. Schnell rannte ich die letzten Meter zu Dr. Martins Praxis, er war zwar ziemlich locker, Unpünktlichkeit war ihm jedoch ein Dorn im Auge. Ich hastete die Treppe in den ersten Stock und klopfte energisch gegen die Türe. Dr. Martin öffnete die Türe. „ Hallo, wie geht’s uns heute?“ Er blickte kurz auf seine Uhr, als ob er nicht schon längst wüsste wie spät es war. „ Pünktlich wie immer“, sagte erst mit etwas finsterer Miene, die sich jedoch schnell in ein kleines Lächeln wandelte. „
Ganz ok“, antwortete ich ihm mit Unschuldsmine. Ich ging ihm in sein Besprechungszimmer nach. Die Praxis war klein, neben einem Empfangstresen gegenüber vom Eingang, gibt es ein Besprechungszimmer, in das ich ihm folgte, einen Warteraum und eine Toilette. Es war zwar sehr modern, doch mit vielen antiken Highlights eingerichtet. Im Besprechungszimmer angekommen, setzte sich Dr. Martin, ganz typisch für einen Psychiater auf seinen gemütlichen dunkelbraunen Sessel, während ich auf der schwarzen Ledercouch, die mit verschiedenen Kissen belegt war, meinen Platz einnahm. Auf dem kleinen Tisch vor mir,
stand wie gewohnt eine gefüllte Glasschüssel mit leckeren kleinen Bonbons, die ich abgöttisch liebte und immer wie ferngesteuert, die ganze Sitzung einen nach dem anderen verschlang. „ Nimm doch endlich eins“, grinste Dr. Martin. „ Du schaust ja schon wie ein Trüffelschwein.“ „ Natürlich, warum denken sie, bin ich überhaupt so oft hier“. „Wenn ich mir dein Konsum so manchmal ansehe, kann ich das sogar fast glauben“. Fügte er belustigt hinzu. Dr. Martin trug ein Karohemd und eine Jeans, so war er meistens gekleidet. Mit seiner großen Brille sah er fast aus wie ein Student, nur eben etwas älter,
seitlich konnte man schon graue Ansätze seiner sonst braunen Haare entdecken. Er legte sich seinen Notizblock zu recht und begann zu sprechen. „ Heute war ein großer Tag für dich, du warst wieder in der Schule, wie ist es dir ergangen?“ „Anfangs war es ganz ok, auch wenn mir der Tag ewig vorkam. Ich habe Kelly wieder gesehen, es war toll. Mir wurde heute erst bewusst, wie sehr sie mir gefehlt hat. Ich war eine grauenhafte Freundin“, traurig heftete ich meinen Blick zu meinen Trostbonbons. „ Du hast nicht falsches getan, der Meinung ist Kelly bestimmt auch. In deiner Situation hast du nun so
reagiert und niemand wird dir das übel nehmen, du musst aufhören es allen recht machen zu wollen, weil das ein Ziel ist, das du nie erreichen wirst. Im Umkehrschluss wirst du dich immer schuldig fühlen. Manchmal ist es völlig ok, wenn du es nur dir recht machst.“ Das Thema hatten wir schon öfter, leider bin ich dazu geneigt, den Menschen die mir am Herzen liegen möglichst gerecht zu werden. Ich hasse Streit und unausgesprochene Konflikte sind für mich eine Qual, weil ich mich dann noch kaum auf andere Dinge konzentrieren kann. Wie Dr. Martin mir schon oft gesagt hat, Menschen die sich lieben streiten sich nun mal, das bedeutet
jedoch nicht das man sich weniger liebt oder nicht mehr sehen will, was wie er bei mir diagnostizierte meine größte Angst ist. Mittlerweile habe ich das besser im Griff, jedoch legt man jahrelange Gewohnheiten nicht über Nacht ab. Nachdem ich ihm vom restlichen Tag, auch der Begegnung von Dominic erzählt habe, kamen wir zu dem Thema, das ich seit langem mied. „ Erzähle mir von dem Abend, wie hat er begonnen? Du darfst jederzeit abbrechen, wenn es zu viel wird.“ Aufmerksam studierte Dr. Martin mein Gesicht. Ich begann über jene Nacht zu berichten. Jedes Jahr im März fand das altbewehrte Frühlingsfest statt. Alexja
ging wie zu erwarten mit Lucas und meine Begleitung war Dominic. Es war schon etwas seltsam, dass zwei Geschwister mit einander dort waren, jedoch waren Dominic und ich nur als Freunde und nicht als Pärchen dort, das machte die Sache wieder etwas normaler. Ich erzählte Dr. Matin über die tolle Feier, wie wir alle etwas über den Durst getrunken haben und auch über die seltsame Bemerkung von Alexja, die mir damals noch so nichtig erschien. Sie sagte irgendwann: „ Dabei wäre ich doch lieber mit jemandem anderen hier“. Ich entdeckte Lucas, der erst etwas zornig aussah, dessen Mine sich jedoch zu einem wundervollen
Lächeln aufhellte, als sich unsere Blicke trafen. Wie hypnotisiert sah ich zu ihm, bis mich Dominic aus meiner Trance riss und mich zur Tanzfläche drehte. Immer weiter entfernend sah ich zu Lucas nach, der Alexja an die Hand nahm und mit ihr den Saal verließ. Alexja drehte sich ein letztes Mal zu mir um, bevor sie hinter der Türe verschwand. Ihr Ausdruck ließ mich erschauern, sie sah ganz merkwürdig aus, eine Mischung aus Angst und Trauer. Das war der Punkt, an dem ich mich hätte auf meinen siebten Sinn verlassen sollen. Ich hatte gespürt das etwas komisch war, doch ich habe nichts getan, diese Schuldgefühle
belasteten mich seit dieser Nacht. „ Sie ging mit Lucas nach draußen, und das Ganze was vorher ablief, dasa hat einen Grund und nur so ergibt das einen Sinn“, bezeugte ich Dr. Martin. Er überraschte er mich mit der Frage: „Was macht dich so sicher, das Lucas etwas damit zu tun hat?“ „Nachdem plötzlich auch noch Dominic verschwunden war, er wollte eigentlich nur mal kurz aufs Klo, suchte ich automatisch Alexja, mir war etwas übel, ich wollte gehen und wir haben ausgemacht, das wir gemeinsam nach Haus gehen. Nachdem ich sie vergeblich gesucht habe, ging ich zum Ausgang. Ich wurde sogar etwas wütend, da sich
nun alle in Luft aufgelöst haben. Draußen habe leise Stimmen gehört, ich folgte der Richtung, woher sie kamen. Schließlich sah ich Lucas und Dominic am Waldrand“. Ich erzählte Dr. Martin noch die Reaktion der beiden, als ich nach Alexja fragte und wie ich beide in diesem Moment empfand. „ Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass du falsch liegst, oder?“, brachte Dr. Matin ein. „Womöglich aber nicht, der Prozess ist bereits in vier Wochen“, erklärte ich überzeugt. „ Das wünschst du dir, Maya, aber in Wahrheit wartest du noch auf die Klageschrift und den Prozesstermin“.
„Der mit Sicherheit die nächsten Tage bei uns in der Post liegen wird, die Staatsanwaltschaft hat uns letzte Woche bestätigt, dass das Ermittlungsverfahren innerhalb der nächsten Woche abgeschlossen ist und wir dann unverzüglich Post bekommen. Außerdem wurde uns versichert, das auf Dringlichkeit der Prozesstermin mit einem Eilantrag gestellt wird und das dauert nach der Klageschrift etwa vier Wochen.“ „ Sei vorsichtig mit hohen Erwartungen und mit deinen Überzeugungen, wenn diese nicht erfüllt werden, denn es besteht auch die Möglichkeit dass du
falsch liegst. Es könnte dich hart treffen. Ich will damit sagen, schau etwas über den Tellerrand und versteif dich nicht zu sehr auf Dinge die eine ganz andere Wendung nehmen können“. „ Warum sagen sie das? Sollten sie mich nicht darin bestätigen dass ich alles gut mache, damit es mir besser geht“, sagte ich etwas schmollend. „ Vor allem bin ich dafür da, dir zu helfen mit der Realität umzugehen. Was tust du, wenn sich heraus stellt, das Lucas nichts damit zu tun hat?“ „ Dann habe ich wohl nichts Sinnvolles mehr zu tun“. Zornig schweifte mein Blick nach unten.“ Und das ist der springende Punkt. Denn dann bist
gezwungen, dich damit zu konfrontieren, wovor du so Angst hast“. „ Und das wäre?“. „Das du deine Schwester nie wieder siehst“. Es war nicht das erste Mal das ich hier weinen musste. Dr. Martin traf den Nerv wie immer richtig, ich war verletzt, weil ich wusste er hatte Recht. Er reichte mir ein Taschentuch und versuchte mich zu trösten „ Du machst dass sehr gut, ich weiß wie schwer das gerade eben für dich ist“. Er blickte zu meinem anderen Trostspender und reichte mir diesen. „ Bonbon?“, er lächelte etwas. Ich erwiderte noch immer halb schluchzend sein Lächeln „
Was denken sie wozu diese Show hier gut war.“ Nun musste er lachen. Die Sitzung war wirklich anstrengend und doch fühlte ich mich etwas erleichtert. Ich lag abends noch wach in meinem Bett und dachte darüber nach, was Dr. Martin heute zu mir gesagt hat, das ich vielleicht falsch lag mit meiner Anschuldigung. Falls dies, gegen meine Überzeugung zutreffen sollte, habe ich einen Plan B. Ich nahm das Bild von meinem Nachtkästchen, das seit ihrem Tod dort stand. Es zeigte uns beide an ihrer Kommunionsfeier, sie trug standesgemäß ein weißes Kleid, die grüne Augenfarbe, die sie von Mom hatte und die dunklen Haare ließen sie
schon immer geheimnisvoll und besonders aussehen. Heimlich formte ich mit meinen Fingern Hasenohren hinter ihrem Kopf ich musste meinen Arm dafür weit durchstrecken, während sie engelsgleich in die Kamera lächelte. Ich strich traurig über Alexjas fröhliches Gesicht. Ich werde herausfinden was damals geschehen ist, angefangen bei Lucas und Dominik und ich werde erst damit aufhören, wenn ich die Wahrheit kenne. Mit diesen Gedanken fielen mir die Augen zu und ich glitt in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Zwei Wochen waren seit der letzten Sitzung mit Dr. Martin vergangen, seither beschäftigte mich vor allem die tägliche Post genauer gesagt die Klageschrift. In der Schule lief es ganz gut, ich war auf automodus und erledigte meine Aufgaben absolut gewissenhaft, in Gedanken war ich jedoch weiter weg, als den meisten Menschen um mich womöglich bewusst war. Ungeduldig lief ich nach der Schule zum Briefkasten, um dann doch wieder enttäuscht festzustellen, dass der besagte Brief fehlte. Letzten Freitag hielt ich es nicht mehr aus, ich rief die
Staatsanwältin an, diese Warterei wurde unerträglich. Sie versicherte mir, zu Beginn dieser Woche würde ich den Brief erhalten, natürlich konnte sie mir telefonisch keine weiteren Angaben über den Inhalt machen. „Maya, hörst du mir überhaupt zu?“, Kelly sah skeptisch zu mir rüber. „Entschuldige, ich war gerade nur mit…“ „ den Gedanke wo anders?“ beendete Kelly meinen Satz. „Das ist nicht das erste Mal, oder? Ich weiß du brauchst Zeit und ich will dich bestimmt nicht damit nerven, aber du wirkst so als beschäftigt dich etwas und wenn du jemanden zum reden brauchst, du weißt ja…“, fügte Kelly hinzu, während sie
euphorisch mit beiden Daumen auf sich zeigte. „ Danke, ich versichere dir du bist meine erste Anlaufstellte,“ beruhigte ich sie. „ Außerdem, willst du neulich mehr Sport machen, oder warum joggst du fast immer nach Hause?“. „Dieser Brief, er ist heute bestimmt im Briefkasten, ich muss es wissen und das schnell.“, grinsend sah ich zu ihr rüber, Kelly wusste was ich meinte. Den restlichen gemeinsamen Weg schwiegen wir, Kelly hielt kommentarlos mit mir Schritt. Nachdem wir uns verabschiedeten rannte ich fast, ich platzte vor Neugier. Um keine Zeit zu verschwenden suchte ich schon während
ich lief meinen Schlüssel aus der Tasche. Unruhig und etwas nervös öffnete ich unseren Briefkasten, nach schneller Kontrolle machte sich der Frust in mir breit. In diesem Moment hörte ich das vertraute Motorengeräusch der Hayabusa, das immer lauter wurde. Provokant blieb ich noch in der Einfahrt am Briefkasten stehen. Seit unserem geheimen Duell am Fenster wiederholte sich dies fast täglich. Sobald ich Lucas Anwesenheit bemerkte zeigte ich mich erkenntlich, im Gegensatz zu den letzten Monaten, in denen ich mich wie eine kleine Maus verkroch, bewies ich seither Präsenz. Ich hoffte ihn damit etwas einschüchtern zu können, ihm
begreiflich zu machen das ich bereit und entschlossen war heraus zu finden was er mit Alexja und ihrem Tod zu tun hatte. Leider lief es nicht wie geplant. Seine Blicke waren hypnotisierend, er glitt damit über meinen Körper fixierte mein Gesicht, meine Augen, einmal bemerkte ich erschrocken, das ich seinen Blick mit leichtem Grinsen erwiderte. Während er mir dabei unwiderstehlich, ein strahlendes Lächeln schenkte, ärgerte ich mich zu tiefst über meine eigene miserable Selbstbeherrschung. Meinen Unmut machte ich rasch in einem ganz offensichtlichen Gesichtsausdruck deutlich, woraufhin er unser Duell
beendete. Diese Entgleisung war erst gestern, ich hoffte ihn heute nicht sehen zu müssen. Doch wie so oft in letzter Zeit passiert das Gegenteil von dem, was ich mir wünsche. Lucas fuhr in die Einfahrt und stieg wie gewohnt elegant von seinem Bike. Trotz meiner Enttäuschung wollte ich auch heute Stärke beweisen. Er nahm seinen Helm ab, heute war er viel früher zu Hause, als gewöhnlich. Seine Haare standen stachelig in alle Richtungen, als sie von seinem Helm befreit wurden. Er sah zu mir und lehnte sich lässig, den Helm in der Hand, an sein Motorrad. Gut, die Spiele mögen beginnen. Plötzlich stieß er sich ab und ging auf
mich zu. Ich bewegte mich nicht. Er kam immer näher. Sein enges kaki Shirt unterstrich jede Bewegung seiner Muskeln, wie ein Tiger vor dem Angriff, steuerte er, ohne mein Gesicht dabei aus den Augen zu lassen, auf mich zu. „Ähm, kann ich dir vielleicht helfen?“, er riss mich aus meiner Trance. „Was?“, verdutzt sah ich vor uns auf den Boden, beim durch suchen der Post viel mir der gesamte Rest des Briefkasteninhalts auf den Boden. Ich habe nicht mal bemerkt, das mir was runter gefallen war. „Nein, danke, ich..“, stammelte ich. Wir gingen gleichzeitig in die Hocke, anscheinend überging er meine Antwort. Während wir den Papierkrieg
aufsammelten, berührten sich zufällig unsere Hände. Wie ein Schlag schwappte eine wohlige vertraute Welle durch meinen Körper, direkt zu meinem Herzen. Es fühlte sich an, als ob ich das schon mal erlebte, ich hatte ein Dejavue. Verwirrt stand ich wie ein Stein da und versuchte diese merkwürdige Reaktion einzuordnen. Er näherte sich mir sehr nah “Bitte“, flüsterte er fast. Ich brachte kein Wort heraus, so nah wie er war. Als ob es ihm gefiel, blieb er dicht bei mir stehen. Wir sahen uns in die Augen, süchtig sah ich in sein wundervolles Gesicht und unterdrückte den starken Drang ihm noch näher zu sein. Sein Blick war so
durchdringend, ich hätte schwören können das es ihm in diesem Moment ähnlich ging wie mir. Er atmete tief aus, senkte leicht seien Kopf, bevor es sich umdrehte und mich völlig verdattert so stehen lies. Ich sah ihm nach, wie er zu seinem Haus und Dominic, der aufgebracht in seiner Einfahrt stand, ging. Ich habe Dominics Anwesenheit nicht mal bemerkt, ich hoffte daß er dieses Spektakel nicht mit erlebt hat. Bei Dominic verletzte es mich zwar, jedoch hatte ich die letzten Wochen meiner Präsenz kein Schwierigkeiten ihm die kalte Schulter zu zeigen. Verwirrt ging ich endlich ins Haus.
Dad begrüßte mich gleich am Eingang. „ Jeden Tag sehe ich nun diesen Blick. Ist es wegen der Schule?“. Dad wirkte besorgt.“ Ich warte auf den Brief. Haben sie vergessen ihn zu verschicken?“ „ Meinst du etwa diesen? „Dad hielt einen gelben Brief vor meinen Augen hoch. Unverschämt riss ich ihm den Brief aus der Hand. Er war schon geöffnet. Eilig las ich Wort für Wort durch. Doch die letzten Wörter verschwammen vor meinen Augen. Die Tränen behinderten meine Sicht, als ich las. Ich musste auch nicht mehr weiter lesen, das Wichtigste wusste ich schon.
Die Klage wurde fallen gelassen. Fassungslos stand ich in der Küche vor meinem Vater. Die Tränen, die ich versuchte mit aller Macht zu verdrängen, liefen wie selbstverständlich über meine Wange. Ich öffnete leicht meinen Mund um etwas zu sagen, doch ich brachte kein Ton heraus. Stattdessen drehte ich mich um, auf dem Weg in mein Zimmer warf ich den Brief in den Müll, wer braucht den schon. Meine Augen brannten, als ich in meinem Bett lag und das Bild von uns beiden fest an mein Herz presste. Als ob ich versuchte Alexja zu trösten, auch wenn das unmöglich war. Vielleicht
verschaffte es mir etwas Beruhigung. Dr. Martin hatte Recht, ich hätte mich besser darauf vorbereiten sollen. Zum Glück machte ich mir seit unserer letzten Sitzung etwas mehr Gedanken. Wie heißt es so schön: Sei deinen Freunden nah, doch deinen Feinden noch näher. Ich wusste was ich zu tun hatte und ich würde gleich morgen damit beginnen. **Danke an jeden, der es bis hierher geschafft hat** Fortsetzung folgt, diesmal etwas schneller, als
gewohnt;-)**