Jaroslav Kaminer ist eigentlich nur wegen eines langweiligen Meetings in Berlin, erlebt dort aber eine Begegnung der erschreckenden Art. Bild: www.pixelio.de/©Rolf Handke/PIXELIO
Die Sterne funkelten in die Berliner Nacht. Die grellen Lichter der Stadt machten es jedoch allen Menschen unmöglich dieses Schauspiel zu beobachten. Jaroslav Kaminer blickte trotzdem aus seinem Fenster im 5. Stock eines typischen großstädtischen Mehrgeschössers hinauf. Wieder keine Sterne, dachte er zerknirscht.
Jaroslav war auf Geschäftsreise in der Hauptstadt, wichtiges Meeting der Zeitungsverlage über die Zukunft des Mediums, doch das war erst in 3 Tagen. Bis dahin wollte er sich diese Stadt, die doch so speziell sein sollte, er hatte schon viel von der berühmten Berliner Luft gehört, mal genauer betrachten.
Obwohl er um 22 Uhr normalerweise schlafen ging, jedenfalls in Augsburg, wo er mit seiner Verlobten lebte, konnte er dies hier nicht tun. Im Zug hatte er schon ausgiebig geschlafen, auch wenn ihn zu Anfang immer die
unverständlichen Durchsagen des Zugführers genervt hatten. Sie hatten ihn häufiger kurz vor dem Einschlafen geweckt und dabei etwas sehr gemeines fast zynisches an sich. Jetzt allerdings war er putzmunter und musste unbedingt auf die Straße, vielleicht ins Kino oder sonst wohin.
Er schnappte sich seine Geldbörse mit dem Ausweis, den Mantel und den Hut und verließ wortlos den Plattenbau, der ein gut gehendes Hotel beherbergte in dem man für moderate Preise moderaten Service erhielt, Richtung Mitte. Kaminer hatte auf Dienstreisen schon Hotels mit ähnlichen Preisen zugeteilt bekommen, allerdings mit grauenvollem Service. So konnte er Berlin, was seine Unterkunft anging, schon einmal etwas Positives abgewinnen.
Er bestieg die U-Bahn und betrachtete die müden oder aufgeputschten Mitfahrer. Ein paar Menschen, die gerade zur Schicht fuhren,
entweder hin oder weg, eine Gruppe Punks, die sich über die Unmöglichkeit des kapitalistischen Systems unterhielten, mehrere Männer in schwarzen Ledermänteln, die aussahen als hätte man sie aus einem Film über die SS herausgeschnitten, ein paar Frauen mit Kinderwagen und fröhliche Partygänger oder noch Partygeher bevölkerten seinen Wagen.
Einer der SS Kerle blickte ihn mürrisch an, ob man ihm ansah, dass er Jude war? An jeder Station füllte und leere sich der Wagen unregelmäßig. Das Partyvolk nahm direkt proportional zur Anzahl der abgefahrenen Stationen zu, dafür verschwanden die anderen Gruppierungen ebenso schnell, außer dem Kerl im schwarzen Anzug. Wollte er Jaroslav verfolgen?
An der Station Alexanderplatz stieg er aus. Er hatte Döblin gelesen und fand ein ähnliches Bild vor. Die Menschenströme waren allerdings
nicht ganz so reißend und natürlich hatten sie die Geschäfte und die Reklamen seit den späten 20ern stark verändert. Er versuchte sich zu orientieren was ihm erst einmal nicht gelang, deshalb zog er sich zur Weltzeituhr zurück. „Wohin soll ich denn bloß“, fragte er sich halblaut. „Bist wohl auf der Flucht?“, fragte es keck neben ihm. Jaroslav zuckte zusammen. Erschrocken blickte er neben sich und sah in die haselnussbraunen Augen einer sommerlich gekleideten farbigen Frau, deren schwarzes Haar ich Lockenkaskaden über die Schulter fiel. „Nein, ich fliehe nicht.“ „Hast du dich verlaufen?“, fragte die Frau amüsiert. Ihre freche Art sprach Jaroslav irgendwie an, obwohl er solche Indiskretion normalerweise streng verurteilte. „Nicht verlaufen, ich wollte noch was unternehmen, weiß aber nicht wohin ich mich wenden soll, überall sind so viele Menschen.“ „So, bist kein Berliner.“ Sie steckte ihm die Hand hin. Er ergriff sie mechanisch,
genau wie er es bei jeder Sitzung zu tun pflegte, das Handgeben erfolgte kühl, berechnet. „Ich bin Jaroslav Kaminer.“ „Bianca“, kam es von der Frau, die ihn freundlich anlächelte. „Woher wussten Sie eigentlich, dass ich kein Berliner bin?“ „Zuerst einmal heißt es du und zweitens war mir das klar, weil sowas wie du sagt bloß ein Nichtberliner.“ „Und Sie, pardon, du bist Berlinerin?“ Biancas Kopf wippte hin und her. „Nicht ganz. Erst seit meinem 12. Lebensjahr, aber trotzdem kenne ich mich hier aus als würde ich hier schon immer wohnen.“ Erst jetzt bemerkte Jaroslav das sich die Beiden bereits von der Stelle bewegten. Bianca hatte seine Schulter ergriffen und führte ihn bereits seit einigen Augenblicken über den Alex. Er war bereit diese allzu vertraute Geste abzuschütteln, doch es gelang ihm nicht. „Wohin führst du mich?“ „Magst du Kino?“ „Schon, kommt aber auf den Film
an.“ „Hier gibt’s jeden Film. Suchen wir uns doch dann einen raus.“
Zielsicher hatte Bianca den verdutzten Jaroslav zu einem der vielen Berliner Lichtspielhäuser geführt. Zusammen hatten sie sich eine Komödie angesehen. Die Befürchtung seinerseits, Bianca könnte bloß eine freundliche Schnorrerin sein bewahrheitete sich nicht, denn sie bezahlte ihre Karte und ihr Wasser selbst. Das Popcorn ließ sich zum Dank aber gern von Jaroslav bezahlen.
Nachdem sie das Kino wieder verlassen hatten verspürte Jaroslav den dringenden Wunsch sich wieder ins Hotel zu begeben was Bianca ihm nicht krumm nahm. „Ist schon spät, also für Verhältnisse der Außenstehenden. Für richtige Berliner geht es jetzt erst richtig los.“ „Kann ich mir vorstellen“, erwiderte er mit einem verschmitzten Grinsen. Die junge Frau hatte ihm viel Freude im Kino bereitet. Ihren Körper im Doppelsitz neben sich zu fühlen, ihr Parfum
zu riechen, ihren bebenden Busen beim Lachen zu beobachtenden hatte ihm gefallen. Doch jetzt gingen beide nach einem kurzen Abschiedsgruß auseinander.
Zurück in seinem Hotelzimmer ließ sich Jaroslav auf sein Bett fallen und ihm fielen augenblicklich die Augen zu. Der Schlaf kam wie eine große, schwarze, weiche, warme Decke, die sich über ihn stülpte. Er fühlte sich geborgen, wie ein neugeborenes Kind, welches die Wärme seiner Mutter spürt.
Er träumte, was er normalerweise nicht tat. Sie stand wieder vor ihm, Bianca, in all ihrer Schönheit. Es war dem Schlafenden im Traum ein Bedürfnis sie anzusprechen, doch er konnte nicht. Überhaupt schien er in ihrer Gegenwart nur machen zu können was sie wollte. Als er sie berührte schlangen sich plötzlich Ketten, Fesseln um seinen Körper und verbanden ihn mit ihr. Ihr Gesicht verzog sich zu einem diabolischen Grinsen fernab von
jeder Schönheit, ihre Augen brannten wie Feuer, ihre Haare wurden zu Schlangen, überall brannte es jetzt. „Es ist dein Ende, dein Verderben“, kam es von überall. Jaroslav konnte nicht reden, auch seinen Mund hatte man verbunden. Abseits der Szenerie, in grelles weißes Licht getaucht stand seine Verlobte wie ein Engel des Jüngsten Gerichts. Tränen liefen ihr über die Wangen, mit einem unendlichen Schmerz sah sie ihren Verlobten an, der glaubte ihm müsse das Herz in tausend Teile zerspringen, so knallte es in seiner Brust. „Du wirst ewig mir gehören“, sprach Bianca und aus ihrem Mund roch es nach einer Schwefelmine. Ihr grässliches Lachen hallte von überall wieder und dröhnte ihrem Opfer in den Ohren.
Schwitzend und wild strampelnd erwachte Kaminer am kommenden Morgen in seinem Hotelzimmer. Alles war wie immer, nur sein Bettlaken, das Kissen und die Bettdecke lagen
vollkommen quer. Seine Kleidung triefte vor Schweiß, er kam sich vor als wäre er damit in die Spree gesprungen.
Nachdem er sein Bett gerichtet hatte, sich geduscht, angezogen und ein Frühstück eingenommen hatte ging er wieder nach draußen. Erneut zog es ihn zum Alex. Jetzt fiel ihm erstmalig auf, dass er gar nicht genau wusste in welche Richtung ihn seine Begleiterin am Abend zuvor bugsiert hatte. Er hatte wirklich nur auf sie und nicht auf den Weg geachtet.
„Na, schon wieder orientierungslos?“, fragte man ihn keck und Kaminer zuckte zusammen. Diese Stimme war ihm vertraut, doch seit dem Traum nicht mehr im positiven Sinne. „Bianca, welch eine Überraschung?“ „Ist was?“; fragte sie den Erschrockenen. „Nein, nichts.“ Er konnte ihr unmöglich von seinem Traum erzählen. Außerdem fragte er sich warum er diesen überhaupt gehabt hatte. Bianca machte
wieder den gleichen Eindruck wie am Abend und während sie ihm wieder die Ecken Berlins zeigte verlor er seine Scheu.
Der Tag erging sich in interessanten Nichtigkeiten, die der Erwähnung nicht bedürfen. Auch an diesem Abend gingen die beiden nach kurzem Gruß auseinander.
Kaminer übermannte das gleiche Gefühl wie am Abend zuvor, doch diesmal sollte der Traum weitreichendere Folgen haben.
Das Monster hatte seine Fänge bereits um ihn geschlossen, er konnte nichts tun, nicht sprechen. Sie drückte ihn fest an ihren Körper, es war ihm kein Vergnügen, denn es brannte wie Höllenfeuer. „Wir sind vereint, für alle Ewigkeit“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Der Gedanke schien ihr zu gefallen. Abseits stand wieder seine Verlobte, die ebenso weinte wie im Traum zuvor. „Du hast mich verlassen, wegen ihr!“, klagte sie in grellenden Misstönen,
erstickt von ihren Tränen und dem heftigen Beben ihres Körpers. Nun trat auch noch eine weitere Gestalt auf, ein Mann, der einen Kapuzenmantel trug und langsam auf Jaroslav zukam. Und seine Stimme klang in seinen Ohren wie die einer großen Maschine, die aus den Tiefen des Meeres zu ihm sprach. „Ich dachte ich hätte dich gestern kuriert, aber du wolltest ja nicht hören, jetzt spüre die Bestrafung!“
Erneut erwachte er, doch diesmal war er nicht einfach nur verschwitzt, sondern wurde von heftigen Fieberkrämpfen geschüttelt. Er brauchte dringend ärztliche Behandlung. Nachdem er die Rezeption verständigt hatte kam wenig später ein Arzt, der ihm nicht nur Medikamente sondern auch strikte Ruhe verordnete.
Am Nachmittag kam seine Verlobte vollkommen aufgelöst in sein Zimmer. Lange saß sie auf der Bettkante und wachte über
ihren Kranken Verlobten, redete ihm gut zu, tröstete ihn, gab ihm Geborgenheit. Er fühlte sich mit jeder Minute, die er mit ihr verbrachte gesünder, stärker.
Sie wachte über ihn als er schließlich am Abend einschlief und diesmal in einen traumlosen Schlaf versank.
Am Tag des Meetings ging es Jaroslav wieder so gut, dass er es besuchen konnte ohne fürchten zu müssen wieder einen Fieberanfall zu erhalten. Seine Verlobte war bereits zum Bahnhof vorgefahren, er wollte nach dem Meeting gleich alle seine Sachen packen und ihr folgen.
Das Meeting selbst war wieder eine dieser langweiligen Veranstaltungen, die nicht zu einem wirklichen Ergebnis kamen und dafür ein paar Allgemeinplätze als wichtige Schlagworte proklamierte.
Zurück im Hotel hatte Jaroslav seine Sachen
schon halb gepackt, als es an der Tür klopfte. Ohne nachzudenken bat er den Gast herein. „Du warst gestern nicht auf dem Alexanderplatz, ich habe mir Sorgen gemacht“, erklang es hinter ihm und wie erstarrt verharrte er in der Bewegung. „Wie hast du mich gefunden?“, fragte er misstrauisch. „Habe mich nach deinem Namen erkundigt“, antwortete Bianca. Verdammt, seine Freunde sagten ihm immer er solle Fremden niemals seinen wahren Namen nennen, jetzt wusste er warum. „War gestern krank, konnte nicht raus“, antwortete er knapp und begann wieder damit seine Sachen eilig zu verstauen. „Du gehst?“ „Allerdings.“ „Wohin?“ „Warum willst du das wissen?“, fragte er schlecht gelaunt. Die Sache wurde ihm langsam zu bunt, er wollte nur noch weg. „Vielleicht will ich dich mal besuchen, das tun Freunde doch, jedenfalls bei uns“, erwiderte sie kalt. Das würde ihm noch fehlen. Er schnappte sich seine Koffer und war in Gedanken schon aus dem Zimmer heraus,
als Bianca ihm den Weg versperrte. „Warte noch!“ Sie fasste Kaminers Kopf, presste ihren Mund auf seinen und küsste ihn leidenschaftlich. Er konnte sich nicht wehren, er fühlte keine Leidenschaft, es war ihm als würde sie ihn aussaugen. Nachdem sie ihn mit einem sehnsuchtsvollen Blick gehen ließ fühlte er sich wieder schlechter.
Auf der Fahrt nach Augsburg verschlimmerte sich sein Zustand, in Augsburg angekommen musste man ihn sofort ins nächste Krankenhaus bringen.
Er hatte verloren, er wollte Bianca loswerden, doch sie hatte ihn zum Schluss doch noch gefangen.
ENDE
RogerWright an tscherry, Danke fürs Lob. |
RogerWright An Katakombe, Ja, Kaminer ist mir auch nicht unbekannt, habe mehrere Bücher von ihm gelesen. Gut, der Name ist zufällig so getroffen. Danke für den Kommentar! |
Herbsttag Hat mir sehr gut gefallen - deine Geschichte. Ungewöhnliche Handlung. Erst dachte ich Kaminer? Berlin? Hallo das kennst du doch. Es gibt nämlich einen Wladimir Kaminer, russischer Jude, Schriftsteller etc., der in Berlin wohnt. Aber dann war ich beruhigt, das es wirklich deine Geschichte ist. Katakombe |
RogerWright An SchreibSchreiber, Danke für das Lob aber noch viel mehr dank für die hilfreichen Hinweise. Werde versuchen meine Hilfsverbsucht beim nächsten Mal etwas einzuschränken. Danke, RogerWright |
SchreibSchreib Hallo Rogerwright, Bis auf ein paar Kommafehler hat mir deine Geschichte gut gefallen. Die Idee an sich ist auch sehr gut und auch verständlich. Dein Stil, einfach und klar, ist gut lesbar. Was mir beim Lesen am meisten aufgefallen war, waren deine Hilfsverben oder die vielen "hatte/war". Aber das ist nicht so schlimm, da es ja nicht im Übermaß ins Auge sticht. LG die SchreibSchreiber |