Romane & Erzählungen
Schatten umarmen

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"Schatten umarmen"
Veröffentlicht am 05. Juli 2011, 28 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Wer ich bin? Wenn ich Leute frage, die mich zu kennen glauben, bin ich immer sehr erstaunt. Das bin ich? Wenn ich Freunde frage, freue ich mich darüber, dass sie so liebevoll von mir denken.Wenn ich die Menschen frage, die mich lieben, bin ich gerührt und dankbar.Und wenn ich mir die Frage stelle? Dann bin ich die Frau, die alle in mir sehen, aber auch immer noch ein bisschen mehr.Aber am besten beantwortet diese Frage mein Buch ?leben? (ISBN ...
Schatten umarmen

Schatten umarmen

Beschreibung

PROLOG Nichts deutete darauf hin. Die Sonne verfinsterte sich nicht. Keine dunklen Wolken schoben sich vor die gelbe Mondsichel. Der Tag stieg wie jeden Morgen rot und glühend über den Horizont. In der Wüste legte sich allmählich das Heulen des Nachtwindes. Ein Felsbrocken, losgebrochen durch Regen, Wind und die Jahres-zeiten, stürzte krachend und polternd in eine Schlucht mit dem dumpfen Aufprall zerberstenden Gesteins. Das Echo vibrierte zwischen den kahlen Berghängen und öden Tälern, überschlug sich und türmte sich auf, bis es sich im fahlen Blau des Morgenhimmels verlor. Aus der Tiefe verstummte der schrille Schrei eines Schafes, als die Felsmassen es zermalmten. Am Rand des Abgrundes versammeln sich Geier. Sie haben Zeit, sitzen reglos als scharf umrissene Schatten auf den umliegenden Hügeln. Ihre runden Augen glitzern starr.

Am nächsten Morgen wurde sie vom Licht wach, das durch das offene Fenster strömte. Sie hatte von Lea geträumt. Bevor sie ganz wach war, spürte sie noch immer diese Lust, Leas Gesicht zu berühren. Ihr Lächeln zu teilen. Mit der Hand über ihre Haut zu streicheln. Mit ihrem Haar zu spielen.

Fragte sich verblüfft, ’wie denk ich denn an Lea?’

Sie sprang aus dem Bett, trat ans Fenster. Ihr Kopf dröhnte. ‘Warum hab ich mir das nicht schon früher eingestanden.’

Bei Frauen hatte sie sich immer so sicher und geborgen gefühlt..

Lea’ - sie sprach den Namen leise aus, fast - liebkosend. Staunte dem hellen Klang nach.

Mensch, Katharina, wach auf, komm zu dir!!!

Sie riss ihr Handtuch vom Haken, stürzte unter die Dusche, drehte das kalte Wasser auf. Zitterte, als der harte Strahl auf ihren Körper prallte. Das kann doch alles gar nicht wahr sein.... !!! Warum denn nicht? Nur weil sie es leugnete, hörte es nicht auf, wahr zu sein.

Sie war fast fertig angezogen... erschöpft setzte sie sich auf den einzigen Sessel in ihrem Zimmer. Und wurde innerlich still. Was sollte die Aufregung? ‘Es sind meine Gefühle, sie gehören mir!

Lea wird nichts von ihnen erfahren... Vorläufig!‘

Als Lea auf der Straße hupte, und Katharina die Treppe hinunter lief, hätte sie am liebsten gelacht und gesungen und ein kleines bißchen geweint. Sie fühlte sich lebendig wie nie zuvor.

 „In die Wüste sollten wir früh morgens oder spät abends fahren“, sagt Lea, als sie ihren offenen Geländewagen aus der engen Parklücke fährt. Katharina bindet sich ein Tuch um, wie sie es bei Lea gesehen hat. Sagt:

“Ich mag die ersten Stunden am Tag, wenn es hell wird. Die Dunkelheit ist eher ein Alptraum.” Sie erklärt nicht, warum....

Dann spürt sie die Spannung, die zwischen ihnen kauert. Denkt: ‚Das kann doch nur Einbildung sein.’

Lea kann nichts von ihrem Traum wissen und noch weniger von ihren Gefühlen. Und wenn doch?  - Wenn sie... ähnlich empfindet?

‘Vorsicht, Katharina, du wolltest euch Zeit lassen.’...

Das hat nichts mit Zeit zu tun, da ist einfach etwas! Es wartete! Seit wann? ‚Ich weiß nicht. Ich möchte sie lieben. Lieber Gott, mach’, dass ich mich traue.‘ Dann wieder Zweifel. Warum hat sie nie zuvor ihr Anderssein gespürt...?

War das überhaupt wichtig? Noch nie war sie sich ihrer Empfindungen so sicher gewesen....

 Lea achtet konzentriert auf den Verkehr. ‚Warum verstecke ich mich hinter der Sonnenbrille? Es geschieht ja doch wieder, da kann ich mich noch so sehr dagegen wehren. Dabei wissen wir so wenig voneinander. Sie darf einfach nichts von meinen Gefühlen wissen, nie’.

Laut sagt sie: “Ich fahre manchmal in die Wüste - nur so.... Lass das Auto irgendwo stehen, lauf einfach los. Und wenn nichts mehr um mich herum ist als diese karge Landschaft, denke ich, dass es hier nur bedingungslose Wahrhaftigkeit gibt.”

Sie schweigt, denkt noch, bedingungslose Wahrheit!! Gibt es überhaupt die Wahrheit, oder gibt es nur weniger Lügen.

Hört in ihre Gedanken hinein Katharinas Stimme:

”Magst du keine Kompromisse? Ist für dich alles entweder schwarz oder weiß?”

Lea wendet überrascht den Kopf in ihre Richtung. War das ein Vorwurf? - Nein, Katharina hat ernsthaft gefragt.

“Eigentlich doch, ich meine, ich schließe schon Kompromisse, aber eher ungern. Mir ist das Einfache, Ãœbersichtliche am liebsten.”

Sie schluckt, und ruhig meint sie noch: “Aber ich glaube, das gibt es gar nicht.”

Ja, so war’s bei mir auch. Früher sollte alles überschaubar sein.”

Wann früher?”

Bevor ich Miriam kennenlernte und nach Israel wollte.”

“Du magst Miriam sehr.” Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage.

“Ja. Außerdem bin ich durch sie hier.”

“Wieso das?”

“Ich wusste wenig von deinem Land. Miriam, na ja, sie hat meine Sehnsucht geweckt.”

Sehnsucht? Kannst du dich denn nach etwas sehnen, das du  nicht kennst?”

“Hm, ich glaub schon. Gilt Sehnsucht nicht meist Unbekanntem?”

“Wie lange willst du bleiben?”

“Ich geh nicht mehr fort.”

“Du sagst das so bestimmt?!.”

“Als ich gestern zum ersten Mal Jerusalem sah, wusste ich es.”

“Du bist komisch.... Sehnst dich nach etwas, das du nicht kennst. Entscheidest in einem Augenblick, nie mehr wegzugehen. Du suchst nicht das Israel der Deutschen, also keine Schuldfrage, keine Wiedergutmachung.”

Sie unterbricht sich, wirft trotzig das lange Haar zurück: “Ich hasse dieses Wort, nichts ist wieder gut zu machen.”

Und nach einer Weile: “Du bist keine Jüdin. Was fasziniert dich an dem Land?”

Katharina schweigt lange. Schuldfrage. Wiedergutmachung. Warum alles auf Begriffe reduzieren? Die Menschen sind ihr wichtig, und die Geschichte, aber die hat doch nicht vor 50 Jahren angefangen!!! Die Bibel - Abraham genauso wie Jesus, Moses oder Mohammed. Ursprung... Tod ... und Auferstehung in einem viel weiteren Sinn als dem christlichen.

Aus ihren Gedanken heraus, meint sie. “Muss es immer eine Erklärung geben? Vielleicht ist es... einfach mein Schicksal.”

“Ach... glaubst du auch an Schicksal?” Lea ist ehrlich überrascht.

Wie meinst du das? Natürlich glaube ich an Schicksal.”

Ich auch.” Leas Stimme ist sehr leise, als scheute sie sich unversehens, irgend etwas von sich preiszugeben.

Katharina zögert. Darf sie schon darauf zu sprechen kommen? Sie weiß es nicht, fragt trotzdem.

“Du glaubst an Vorbestimmung...? Wie ist es denn dann mit dem Schicksal deiner Eltern?”

Sie haben die Stadt längst hinter sich gelassen, fahren durch neu entstandene Siedlungen, und sind völlig übergangslos in der Wüste. Sonnenstrahlen ergießen sich über steinerne Hänge.  Felsen sind mit gelb blühendem Ginster überwachsen. Frühlingsgeruch steigt von der mit winzigen Blüten übersäten Erde empor.

Lea hält den Wagen am Straßen­rand an, nimmt ihre Sonnenbrille ab und dreht sich Katharina zu.

“Das waren Verbrechen!” Sie spuckt das Wort geradezu aus, “keine Vorbestimmung! So einfach kann das doch nicht sein. Einer bestimmt, Juden müssen ausgerottet werden... es tut mir leid, das war halt ihr Schicksal, wenn ich sie jetzt umbringe!!!”

Ihre Stimme überschlägt sich, Wut... Trauer... Verzweiflung... alles will auf einmal heraus, schlägt um sich, will Zerstörung... Raserei. Nicht wieder ducken, nicht wieder aushalten.

“Lea!” Katharina schreit den Namen, muss zu ihr durchdringen.

Plötzlich - Stille! Lea sackt auf ihrem Sitz zusammen.

Katharina flüstert: “So hab ich es nicht gemeint, so nicht.”

Sie beugt sich weit über den anderen Sitz, legt den Arm um die zitternde Frau. Lea - das mit deinen Eltern ist furchtbar. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen würde... -  aber ein ganzes Volk hassen?”

Sie spürt, wie sich Lea versteift, zieht ihren Arm zurück.

“Mein Vater hat miterlebt, wie seine Eltern umgebracht wurden! Vor den Augen meiner Mutter ist ihre ganze Familie ermordet worden. Diese Erinnerungen waren meine Kindheit!  Wie sollte ich mich denn da heraushalten?”

Katharina schlägt die Hände vors Gesicht. Warum nur immer der gleiche Kreislauf. Oh Gott, gibt es denn nie eine Möglichkeit, neu anzufangen?

Sie stößt die Autotür auf. Muss raus hier! Am liebsten würde sie sich auf den Boden werfen... um sich schlagen. Sie widersteht dem Wunsch, trommelt nur mit den Fäusten auf die Kühlerhaube des Wagens.

“Lea, dieser ständige Hass. Furchtbar was geschah, aber ich war es nicht, ich nicht! Was soll ich denn tun? Ich weiß es einfach nicht.”

Sie schweigt erschöpft. Fragt nach einer Weile: “Lea, warum sind wir uns begegnet? Das muss doch einen Sinn haben.” Tränen laufen ihr übers Gesicht, sie wischt sie nicht weg.

Lea hat den Kopf aufs Lenkrad gelegt. Verzweiflung wie Feuer. Es frisst sich durch die Eingeweide.

Suche nach einem Ausweg....

Und plötzlich ist ihr, als wäre die Geschichte des Volkes, zu dem sie gehört, immer nur eine Suche nach Auswegen gewesen. Waren sie wirklich für immer Verdammte, die ständig ihren eigenen Untergang miterlebten? Trauernde und Verstorbene in einem? Was konnten sie dem entgegensetzen? Versöhnung? - Liebe? Das waren Träume, aber können Träume Hass verändern?

Sie hebt den Kopf. Nur das Schweigen der Wüste weht gegen die Windschutzscheibe.

Fragt sich: ‚Und wenn ich anfange mit dem Träumen‘?

Katha­rina hat Recht, es war ein Teufelskreis - heute sind sie Besat­zungsmacht. Verletzen die Würde eines anderen Volkes. Ver­bieten Freiheit. Verbannen Menschen in Gettos, die sie Flüchtlingslager nennen.

Und auch dort Unversöhnlichkeit – ‚keine palästinensische Frau am Grab ihres Sohnes gibt mir die Hand.‘

Langsam steigt sie aus dem Wagen. Nähert sich Katharina, die blicklos in die grell schimmernde Wüstenlandschaft starrt.

Wir können uns nicht gegen alles schützen, Lea. Irgendwann gibt es kein Zurück mehr oder wir verlieren uns selbst.”

Sie wendet sich ab, überquert den Strassengraben, macht ein paar Schritte hinein in dieses Meer von winzigen blauen Blüten, von leuchtend roten Anemonen und gelb blühender Kamille.

Lea ist hinter sie getreten: “In einem Monat ist das hier alles vorbei, dann hat die Wüste wieder ihr grau-braunes Kalksteingesicht.”

Katharina dreht sich um. “Vielleicht klingt es abgeschmackt, aber... ist das nicht wie Hoffnung?"

Du bist zu romantisch, Katharina. Was ist schon Hoffnung? Siehst du da vorn die Zelte und Wellblechhütten? Beduinen..., jahrhundertelang gehörte ihnen die Wüste. Jetzt werden sie von riesigen Baumaschinen immer weiter verdrängt. Wo ihre Dörfer stehen, walzen wir alles nieder und bauen unsere Siedlungen. Bei jeder Polizeikontrolle müssen sie sich ausweisen wie unerwünschte Ausländer. Sie haben Angst und wir haben Angst. Hoffnung!? Eine sinnlose Hoffnung...”

Die beiden Frauen stehen schweigend nebeneinander, bis Katharina die Stille bricht. ”So viel Leid.... Was sollen wir nur tun?”

Die letzten Worte hat sie so leise gesprochen, dass Lea sie mehr erraten muss, als dass sie sie hört.

Was geschieht zwischen ihnen? Warum gehen sie nicht jede ihren Weg, trennen sich genauso zufällig, wie sie sich getroffen haben. Noch während Lea sich das fragt, weiß sie, dass es dafür zu spät ist.

Sanft legt sie ihre Hand auf Katharinas Arm: “Komm, ich zeig dir das Israel, nach dem du dich sehnst.”

Katharina dreht sich um, voll ungläubiger Verwunderung. Woher dieser Wandel? Sie greift nach Leas Hand und fühlt trotz der heraufbeschworenen Welt aus Trauer... Trostlosigkeit... und Ängsten ein zärtliches Vertrauen zu dieser Frau und ihrem Land. Sie weiß nicht, wie Lea empfindet, aber - sie selbst hat keine Angst mehr.

Kapitel aus Schatten umarmen

8. Kapitel aus Schatten umarmen

Lea wunderte sich, dass der Vater nicht fragte, warum sie so selten zu Hause war.

Eines Tages kam doch die Frage: “Bist du verliebt, Lea? Möchtest du darüber sprechen?”

Es war so unerwartet, dass sie erschrak. “Ich weiß es noch nicht.”

Die Eltern haben nie von Hannah gewusst. Wie konnte man das dem eigenen Vater erklären?

“Kennen wir ihn?”

“Nein.”

“Nun, du wirst wissen, was du tust. Wir vertrauen dir.”

Und wieder begehrte sie innerlich auf. Was heißt hier vertrauen! Sie war schließlich kein Kind mehr. Das ging doch nur sie an...

Sie antwortete nicht.

Ein paar Tage später, es war schon Nacht, als sie nach Hause kam, wartete er auf sie. Er saß unter dem Lichtfleck der Hängelampe, nähte, um das Offensichtliche seines Wartens zu verschleiern. Mücken taumelten in der Dunkelheit. Verfingen sich im Licht der Lampe und verbrannten.

Als sie nur kurz Gute Nacht sagen wollte, fragte er:

“Willst du ihn nicht einmal mit nach Hause bringen?”

Das Licht der Lampe erreichte sie nicht, er konnte ihr Gesicht nicht sehen.

“Es ist eine Frau.”

Stille.

“Sie ist Deutsche.”

Die Jacke, an der er nähte, entglitt seinen Händen. Er hatte sofort verstanden, fragte dennoch: “Du meinst, du bist mit einer deutschen Frau befreundet?”

“Nein, ich liebe sie, aber sie weiß es noch nicht.”

Es war das erste Mal, dass sie es aussprach...

Er saß jetzt ganz aufrecht und starr auf seinem Schneidertisch. Warf ihr einen langen Blick zu. Seine Augen waren gerötet, als würde er jeden Augenblick anfangen zu weinen. Doch gleichzeitig ging Anspannung von ihm aus, als bemühte er sich krampfhaft um Fassung. Er zog an der Lampenschnur, das Zimmer versank im Dunkeln. Irgendwo der fahle Schein einer Straßenlaterne.

In die Stille hinein seine Stimme. Schwankend zwischen Zorn und Verstehenwollen: “Eine Deutsche!”

Sie verstand ihn, wehrte sich trotzdem: “Ich kann nicht eure Erinnerungen leben.”

“Aber eine Deutsche!” Seine Stimme so brüchig.

“Die Deutschen haben mir nichts getan!” Woher plötzlich dieser Satz, der ihr noch vor Wochen unsäglich erschienen wäre?

“Warum eine Deutsche?” Verzweifelt die Frage.

“Ich habe es mir nicht ausgesucht.” Fast die gleichen Worte hat Katharina gesagt, damals in Tel Aviv.

Von irgendwoher aus der Nacht das aufdringliche Hupen eines Autos.

Ganz unerwartet wurde sie furchtbar wütend. Wusste gleichzeitig, dass es nicht der Vater war, gegen den sie sich wehrte, wollte trotzdem nicht länger schweigen. Ihre Stimme klang bitter: “Habt ihr je nach mir gefragt? Immer euer Leben, eure Erinnerungen, euer Leid. Und ich mittendrin.” Sie stockte, fuhr traurig fort, “Wo blieb mein Recht auf ein eigenes Leben? Erstickt wäre ich fast. Auf sehr subtile Art hast gerade du letzten Endes immer über mich bestimmt.” Sie hielt inne. Alle Unsicherheit fiel von ihr ab. Aber auch die Wut erlosch so plötzlich, wie sie gekommen war.

“Sprich weiter.”

Aber Lea schüttelte den Kopf. Trat in den Lichtkreis der Straßenlaterne, wollte auf den Vater zugehen. Eine Handbewegung von ihm hielt sie zurück.

“Wir - wir sind eine Familie!  Und haben nichts voneinander gewusst! Deine Wahrheit - unsere Wahrheit! Ist es zu spät, darüber zu sprechen? Sollen wir uns vielleicht rechtfertigen?”

Seine Stimme zitterte. Sie wollte zu ihm laufen, Scheu lähmte sie. Wie verletzlich seine Würde war.

Nach einem langen Schweigen fing er wieder an zu sprechen. “Deine Liebe zu Frauen, seit wann weißt du....? Wie lebst du damit, wer ist die Frau?”

Er ließ ihr keine Zeit zur Antwort, fragte hastig: “Wird sie hierher kommen?”

Er biss sich auf die Lippen, noch nie hatte sie einen so entschlossenen Ausdruck bei ihm bemerkt.

“Ja - ja, sie soll kommen. Ich will nicht vor Gespenstern davonlaufen. Damals, das waren Männer, sie ist eine Frau,” er stockte, “nur - meine Mutter war auch eine junge Frau.”

“Vater!” Sie schrie auf. Wieder nur seine Geschichte, seine Erlebnisse.

Er hob abwehrend die Hand. “Verzeih, ich möchte dich doch nicht verletzen.”

Er strich sich über die Stirn, eine unsagbar hilflose Geste. Sie verstand kaum seine Worte, als er  murmelte: “So viel Erinnerungen. Geräusche, nie ist es ganz still. Schlurfende Schritte. Nachts. Die Strohsäcke rascheln. In dem stinkenden Raum unterdrücktes Schluchzen. Klingt wie Ersticken. Einer schreit. Scheinwerferlicht kriecht über die Erschöpften, die Halbtoten. Und einige sind wirklich tot, das merken wir oft erst beim Appell. Manchmal Schüsse. Am nächsten Morgen hängt wieder einer im elektrischen Zaun. Es lässt mich nie los.”

Es war, als erwachte er, sah sie an wie eine Fremde. Sie wagte nicht sich zu rühren.

“Weißt du schon... ich meine, wie stellst du dir dein Leben vor?”

Sie hatte sich einen Stuhl herangezogen, saß zu seinen Füßen. “Ich weiß nicht. Hast  du dich nie gefragt, warum ich keinen Freund habe?”

Er wollte etwas einwenden, sie winkte ab: “Lass, das ist  nicht mehr wichtig. Es war nicht erst Katharina.” Ihre Stimme fast tonlos.

Er unterbrach sie. “Katharina...,” lauschte nachdenklich auf den Klang. “Heilige heißen Katharina, aber auch eine Zarin von Russland oder Katharina von Medicci.”

Jetzt umspielte ein Lächeln seinen Mund, allerdings ohne die Augen zu erreichen.

Lea erwiderte vorsichtig dieses Lächeln. “Ich glaube nicht, dass sie eine Heilige ist. Wir haben uns übrigens durch Miriam kennengelernt.”

“Ach Miriam! Ich mag sie.” Er schwieg lange. Im Flur  schlug eine Uhr die volle Stunde. Der Klang zitterte verloren in der Stille nach.

Zögernd fing der Vater wieder an zu sprechen: “Ich hasse die Deutschen gar nicht. Mein Leben lang habe ich mich gegen Verallgemeinerungen gewehrt. Ist der Antisemitismus nicht auch so eine Verallgemeinerung? Und was hat er uns gebracht? Verfolgung. Mord. Ausgelöschtwerden.”

Er nahm seine Brille ab, fing umständlich an, sie zu putzen.

Lea spürte, wie er nach Worten suchte, verhielt sich ganz ruhig, wollte ihm Zeit lassen.

Er setzte die Brille wieder auf, blickte auf seine Hände, fuhr bedächtig in seinem Gedankengang fort: “Die Täter sollen bestraft werden, die gleichgültigen Mitwisser dürfen nicht einfach so davonkommen. Aber ein ganzes Volk verurteilen? Wir wissen doch, was Angst aus einem Menschen macht. Ist das Eingeständnis der eigenen Feigheit nicht auch Strafe? Die Fragen der Kinder, die Vorwürfe der Enkel, die Verständnislosigkeit zwischen den Generationen, ist das nicht alles Bestrafung?”

Er schaute Lea fragend an: “Warum also mein Entsetzen vorhin?”

Lea legte ihre Hand auf seine im Schoß gefalteten Hände. Behutsame Hände, denen sie vertraute. Sie spürte eine Verbundenheit mit ihm, wie schon lange nicht mehr. Sagte leise: “Vielleicht kam das alles zu überraschend. Wir sind uns eine Weile sehr fern gewesen.”

Er lächelte ihr zaghaft zu. “Und jetzt?”

Sie erwiderte sein Lächeln: “Jetzt?” ,wiederholte sie seine Frage, “jetzt habe ich große Lust, dir von Katharina zu erzählen. Magst du sie kennenlernen?”

Er nickte und mit eindringlicher Achtsamkeit beschrieb sie ihm den Abend in Tel Aviv, als sie sich kennenlernten. Sie erzählte, wie sie gemeinsam Jerusalem erleben. Auch wie Katharina versuchte, damit umzugehen, in Israel Deutsche zu sein. Von der Fahrt ans Tote Meer und Katharinas verzweifelter Suche nach gegenseitigem Verständnis.

Es wurde eine lange Nacht und erst als gegen Morgen in den Straßen der Verkehr erwachte, als sich vor dem großen Fenster die Dunkelheit in Dämmerung verwandelte, ging Lea in ihr Zimmer.

Sie fiel angezogen auf ihr Bett, konnte nur noch denken, ‘ ich liebe Katharina, mein Gott, wie sehr lieb ich sie.”

Doch dann fuhr sie noch einmal in die Höhe, fragte sich erschrocken: “Und sie, was fühlt sie? Wenn ich mich nun lächerlich mache mit meinen Gefühlen?”

Aber sie war zu müde. Darüber nachzugrübeln, hatte auch noch morgen Zeit.

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Hörbuch

Über den Autor

madrilena
Wer ich bin? Wenn ich Leute frage, die mich zu kennen glauben, bin ich immer sehr erstaunt. Das bin ich? Wenn ich Freunde frage, freue ich mich darüber, dass sie so liebevoll von mir denken.Wenn ich die Menschen frage, die mich lieben, bin ich gerührt und dankbar.Und wenn ich mir die Frage stelle? Dann bin ich die Frau, die alle in mir sehen, aber auch immer noch ein bisschen mehr.Aber am besten beantwortet diese Frage mein Buch ?leben? (ISBN 978-3-934136-65-6 ASIN 3934136656, erschienen im Buchverlag Alkyon Irmgard Keil)Schaut doch mal rein ? ich würde mich sehr freuen.

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