Lucius Plogojowitz hat einen kleinen Unfall. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn er dabei nicht einen vollkommen anderen Charaker erhalten hätte, der alle ihn Umgebenden auf eine schwere Probe stellen. Bildquelle: www.Bilderkiste.de
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Lucius Plogojowitz erwachte unsanft. Was zum großen Teil daran lag, dass er mit hoher Geschwindigkeit gegen den Deckel seines Sarges knallte. Er hatte von mit Gänseblümchen überzogenen Wiesen geträumt, welche von der Sonne freundlich beschienen wurde und über die träumerisch verliebte Paare lustwandelten. Ein fürchterlicher Alptraum, fürwahr.
Mit einem schmerzenden Kopf und einer deutlich sichtbaren Verbeulung öffnete er fluchend seinen Sarg und blickte sich in der mit Fackeln beleuchteten Gruft um.
„Von elektrischem Strom haben die hier aber auch noch nichts gehört“, ließ er sich missmutig vernehmen. Neben ihm öffnete sich ein weiterer Sargdeckel und seine Frau Morbidia blickte ihn gut gelaunt an. „Guten Abend, Liebling. Hast du gut geschlafen?“ Verwirrt blickte Lucius sie an. Hinter seiner Stirnplatte tat sich etwas, seine Frau vermochte es nicht
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zu ergründen. „Lucius, stimmt etwas nicht?“ „Entschuldigen Sie, wenn ich indiskret frage, aber wer sind Sie?“ Sie riss erschrocken die Augen auf. „Was? Du erkennst deine eigene Frau nicht mehr!“ „Frau?!“, rief Lucius Plogojowitz entsetzt aus. „Ich bin mit Ihnen verheiratet?“ „Allerdings und das auch schon mehr als 120 Jahre lang“, ergänzte seine Frau im tadelnden Tonfall. Erneut arbeiteten die grauen Zellen des Vampirs auf Hochtouren. „Moment, Menschen leben doch höchstens 137 Jahre, wie können wir dann so lange verheiratet sein?“ Morbidia stemmte die Hände in die Hüften und wollte eigentlich dazu übergehen ihrem vergesslichen Mann mit einem längeren Vortrag über die Vorteile des Alterungsprozesses bei Untoten aufzuklären, doch dies verschob sie lieber.
Lucius stieg umständlich aus seinem Sarg, schüttelte den Kopf als er ihn näher betrachtete und malte mit seinem Zeigefinger Buchstaben
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in die Muttererde im Schlafbehältnis. „Was machst du da?“, fragte seine Frau und griff ihm von hinten über die Schulter. Erschrocken zuckte Lucius zusammen. „Hilfe! Sie sind ja eiskalt wie eine Leiche!“ „Liebling, wenn man, ach, egal, das würde jetzt zu lange dauern es dir zu erklären.“ „Dreck, überall Dreck, Spinnweben! Hier wurde lange nicht mehr sauber gemacht. Das sollte eine gute Hausfrau eigentlich nicht zulassen.“ Mit diesen Worten lief er schnurstracks die Treppe hinauf und begegnete dabei Alaister, der seine laute Stimme in der Gruft vernommen hatte. „Herr, ist Ihnen etwas geschehen? Ich habe zur Sicherheit das Vampirjäger – Abwehrspray mitgebracht.“ Er hielt es Lucius vors Gesicht und sprühte ihm eine kleine Wolke ins Gesicht. Der Angesprühte hustete. „Das riecht ja wie die schlimmsten Müllhalden des Planeten zusammen und mit 10 multipliziert!“, schnaubte er. „Korrekt, das erinnert die Herrschaften an ihren eigenen schlechten Lebensstandart und
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sie fliehen Hals über Kopf. Ist das nicht wundervoll?“, fragte Alaister mit minimaler Emotion in der Stimme. „Wer sind Sie, wenn ich fragen darf? Mein Bruder?“ Alaister blickte Lucius an wie einen aus der Irrenanstalt ausgebrochenen Insassen. „Frau Plogojowitz, was ist los?“, fragte er über die Schulter seines Herren. „Beantworte die Frage, das Weitere erkläre ich später.“ „Nun, mein Name ist Alaister McCool, stamme aus Salisbury, England, ehemals British Empire und bin der Butler der Familie.“ „Wir haben einen Butler?“, fragte Lucius ungläubig. „Allein meine physische Präsenz beantwortet die Frage mit einem „„ja““, kam es trocken aus seinem Mund. „Alaister, bitte. Schatz, wollen wir nicht weiter durch das Schloss gehen?“ „Wir befinden uns in einem Schloss?“ „Normale Einfamilienhäuser haben keine solchen Keller, nicht mal in Inzestregionen“, gab der Butler zu bedenken, was seine Arbeitgeberin mit einem
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durchdringenden Blick quittierte und in ihm den starken Wunsch erregte unsichtbar zu werden.
Im Gemeinschaftsraum angelangt versuchte sich der geistig falsche Hausherr krampfhaft an der Wand festzukrallen während er mit starrem Blick das Mobiliar betrachtete und dabei einen kräftigen Schweißausbruch bekam. „Das, das ist ja grauenhaft!“, presste er hervor. „Schön, wie ich sehe hast du deinen guten Geschmack noch nicht verloren“, stellte Morbidia zufrieden fest und lächelte ihren verwirrten Mann mit einem diabolisch süßen Lächeln an, was ihn förmlich zur Salzsäule erstarren ließ. „Wer ist für diesen Alptraum verantwortlich?!“ „Wie meinst du das?“ „Das muss alles raus! An die Wand gehören Bilder von Thomas Kinkade oder Klassikimitate wie Rembrandts Sonnenblumen, irgendwas Freundliches, Helles. Und Dinger wie der Totenschädel mit dem Raben oder die Axt werden ebenfalls verschwinden“, sprach er im Brustton der
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Ãœberzeugung. „Mein konfuser Fürst der Finsternis, du willst doch nicht deine Notfallaxt von der Wand entfernen und der Schädel mit dem Raben ist doch eine herrliche Requisite für Poes Raben.“ „Für solche Absonderlichkeiten ist kein Platz mehr, basta!“
Hellhörig geworden, ob der lauten Worte ihres Vaters, kamen Lucius jr. und Carmilla in den Gemeinschaftsraum. „Haben wir einen Familiennotstand?“, war die logische Frage des Sohnes. „Ah, Kinder, schön dass ihr da seid. Lucius, das sind unsere Kinder.“ „Mutter, was soll das?“, fragte Carmilla verwirrt. „Wir haben Kinder? Zwei? Wie ist denn das passiert?“ „Soll ich Ihnen das mit den Bienen und den Blumen erklären, Herr?“, fragte Alaister zynisch grinsend. „Normalerweise nicht, aber wenn ich die ganze Misere komplett betrachte, dann…“, konstruierte er und verwarf den Gedanken sogleich. „Was ist denn mit ihm los?“ „Kinder, euer Vater ist, wie soll ich es sagen?“ „Verrückt
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geworden?“ „Carmilla! Euer Vater ist nicht verrückt!“ „Frau, lass uns nun weiter durch das Schloss gehen. Ich will wissen wo ich noch Verbesserungen anordnen muss. Butler!“ „Zu Diensten.“ „Schaff den ganzen schaurigen Müll hier heraus und ersetzte ihn durch anständige Bilder und schöne Biedermeiermöbel.“ „Zu Befehl!“ Nachdem er zackig salutiert hatte verschwand Alaister aus dem Schloss. „Etwas aufmüpfig, aber er ist Ausländer, was will man da schon erwarten“, resümierte der Schlossherr und betrat den Raum mit den Pflanzen. „Wenn Vater nicht verrückt geworden ist, was ist er dann?“ „Kinder, so leid es mir tut, aber ich befürchte ihr habt recht.“
Morbidia lief ihrem Mann hinterher und sah erschrocken, wie er Erzsebet, ihre fleischfressende Pflanze, aufmerksam musterte. „Lucius, was hat du? Ich befürchte die Frage werde ich noch öfter stellen müssen.“ „Eine interessante Züchtung.
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Hier scheint jemand Ahnung von Blumenzucht zu haben. Was ist es?“ „Eine Dionaea gigantis[1]. Sehr selten vorkommend, hauptsächlich in kleinen Horrorläden in den Vereinigten Staaten“, erklärte Morbidia. „Eine fleischfressende Pflanze, natürlich…“, Lucius blickte entsetzt in den leicht geöffneten Blütenkopf von Erzsebet und versteckte sich, nachdem er einen kurzen, erstickten Schrei von sich gegeben hatte, hinter seiner Frau. Dies gestaltete sich recht einfach, da Morbidia einen mehr als einen halben Kopf größer ist als ihr Mann. „Lucius, bitte, benimm dich nicht wie win Kleinkind!“, wies sie ihn zurecht und wartete auf seine Reaktion. „Das würde ich nicht, wenn es nicht im Stande wäre mich zu fressen!“, konterte er. Morbidia ging auf die Pflanze zu und fuhr ihr liebevoll über den Kopf, wobei diese seltsamerweise leicht
[1] Gigantische Venusfliegenfalle
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schluchzende Laute von sich gab, seitdem Lucius sich erschrocken von ihr abgewandt hatte. „Keine Sorge, Herrn Plogojowitz wird es bald wieder besser gehen“, sprach sie in liebevollem Tonfall zu ihr, als wäre sie ein Kleinkind. „Ãœbrigens; ich habe dich eben zurechtgewiesen, spürst du etwas, Lucius?“ Er dachte kurz nach. „Ja, allerdings, ich fühle etwas, tief in mir.“ „Und was?“, fragte seine Frau erwartungsvoll. „Wut, da meine Frau mich zurechtweist, ich bin hier der Herr im Haus!“ Damit rauschte er aus dem Raum. „Hoffentlich wird er recht bald wieder normal, denn sonst wird er bald weniger un als tot sein.“
Als der aufgebrachte Vampir an der Küche vorbeikam, verweilte er, da er einen eigentümlichen Geruch wahrnahm, den er zu seiner eigenen Ãœberraschung äußerst anziehend fand. „Was wird da zubereitet?“, fragte er Alaister, der über einen Topf gebeugt stand. „Porridge, Herr.“ „Was ist
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Porridge?“ „Ein Gericht, welcher wir den sturen Schotten zu verdanken haben. Es ist ein Haferbrei, gekocht in Milch und Wasser. Ich persönlich verfeinere ihn mit einer Prise Salz.“ Lucius blickte mit Forscherblick, der sich einer unbekannten Lebensform gegenübersieht in den Topf und sah die Blasen schlagende graue, zähflüssige Masse. „Schmeckt das auch?“ „Für den kontinentalen Gaumen ist es vielleicht nichts, aber wenn jemand, der aus einer englischen Arbeiterfamilie stammt, so wie ich, dann…“ „Dürfte ich vielleicht einmal probieren?“, fragte sein Arbeitgeber und Alaister glaubte, dass das Ende der Welt wohl nahe sein müsste. Bisher hatte er sich nur über seinen Essensgeschmack lustig gemacht, jetzt bewies er plötzlich Mut vorm Feind. Lucius aß einen Löffel des Porridge und die Welt hielt für einige Augenblicke die Luft an als er die Augen schloss und den Geschmack, oder was der abgestumpfte Gaumen als solchen bezeichnen
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möchte, auf der Zunge zergehen ließ. „Es ist kaum zu glauben, dass etwas, was so grässlich aussieht, so gut schmecken kann!“, rief er freudig aus. „Ihr wollt es essen?“, fragte der Butler ungläubig. „Allerdings!“ „Nehmt das im Topf“, hastig stellte er einen Teller auf den Tisch und legte einen Löffel dazu und spurtete zur Tür, „ich habe heute keinen Hunger mehr!“
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RogerWright Danke für den Kommentar! Werde die Fortsetzung gleich reinstellen, den finalen Part morgen. Solltest du jetzt Blut geleckt haben, um bei der Fachtermination zu bleiben, dann kannst du dir ja die weiteren Geschichten mal durchlesen und kommentieren. Das Titelbild ist immer das Gleiche. |