Romane & Erzählungen
Wie alles kam - Kleiner Lebensrückblick

Wie alles kam

Als ich 10 Jahre alt war, gingen meine Eltern mit mir ein Buch kaufen. Mir war versprochen, ich dürfe mir eins aussuchen. Es gab damals schon die Reihe „Was ist Was“, in der Kindern und Jugendlichen die unterschiedlichsten Themen verständlich gemacht wurden.

Da standen wir nun bei Karstadt vor den Bänden 1-50. Das Dinosaurierbuch hatte ich schon, und so war ich etwas unschlüssig. Mein Vater, ein Handwerker, griff heraus: „Werkzeuge: was man mit ihnen machen kann.“ Ich spürte die sanfte Gewalt pädagogischer Lenkung – und dass ich mich ihr entziehen würde. Dieses Buch wollte ich auf keinen Fall, und so scheiterte einer der wenigen Versuche meines Vaters, seinen verträumten Spross mit praktischem Sinn zu begaben. Ich entschied mich dann für „Luft und Wasser“ und somit für die abstrakt-naturwissenschaftliche Richtung. Ich wollte nicht wissen, was das Regal an der Wand hält, sondern was die Welt im Innersten zusammenhält.

Nach dem Abitur am HGG 1987 und der Zivildienstzeit begann ich ein Studium der Philosophie und der Germanistik im schönen Marburg. Hindurch fließt die Lahn, und zu beiden Seiten ragen die bewaldeten Lahnberge. Dort bin ich viel gewandert und habe viel nachgedacht: über das Wahre, das Schöne und das Gute (Erkenntnistheorie, Ästhetik und Ethik) und über den Ursprung von allem (Metaphysik).

 

– Nebenbei stellte sich mir auch die Frage nach dem Ursprung meines Lebensunterhaltes. Und so fand ich mich in den Semesterferien bei Bettermann am „Trennjäger“ und schnitt „Unterflurkanäle“. Ich glaube, das war der Zeitpunkt, an dem ich zum ersten Mal bereute, das Buch über Werkzeuge nicht gelesen zu haben: „Hol mal den Hupwagen!“ – Ich sah mich um, hinter einer wirbelnden Wand aus Metallstaub entdeckte ich etwas, das aussah wie ein Wagen – aber ich konnte die Hupe nicht finden.

Nach Jahren zähen Ringens mit dem Unfasslichen schloss ich mein Studium ab mit einer Arbeit über den utopischen Wert der Weltfremdheit in der Literatur Robert Musils. – Und heute? Die Jahre gingen ins Land, und wie es einem Literaturmagister so blüht, habe ich dies und das gemacht: eine Zeit bei einem kleinen Verlag in Essen gearbeitet, dann für ein Jahr den Internetauftritt der Dorte-Hilleke-Bücherei betreut. Seit bald 2 Jahren bin ich Testfahrer für eine heimische Firma, die Dieselrußfilter entwickelt.

Hat es dieser arme Orpheus also ans Tageslicht geschafft? Nicht so ganz, wollen wir meinen. Aber immerhin: wenn er dereinst seine Eurydike findet, dann mit den Worten: „In meinem Auto rußt der Filter, in meinem Herzen ruhst nur du.“

[...]

4 Jahre sind vergangen, seit ich obigen Text geschrieben habe, um mich als Blogger für eine heimische Tageszeitung zu empfehlen. Die Dieselrußfilter testende Zeit ist lang vorbei. Meine Eurydike habe ich nicht gefunden. - Aber dafür euch auf dieser schönen, seelenvollen Seite, von der schon so manche gute Stimme zu mir gedrungen ist. Wer tatsächlich bis hierher gelesen hat, darf sich nun von meinem Dank angesprochen fühlen. ;-)

Wir lesen uns!

LG Michael