Die letzten Momente im Leben eines kleinen Mädchens.
Scylla Jeruscha
Hexenjagd
Erzählung
Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, da lebten wir in einer nahezu verzauberten Welt. Zumindest dachten die Menschen das. Sie glaubten an Magie und Hexerei, an Hexen und Zauberer. Und sie hatten angst vor diesen Menschen. Ich erinnere mich noch gut an diese Tage voller Magie und Zauberei, und auch an die Angst und den Schrecken, der unter dem einfachen Volk verbreitet war. Doch vielleicht stelle ich mich euch erst einmal vor, ehe ich weiter erzähle.
Mein Name ist Julietta, ich bin 9 Jahre alt und wohne mit meiner Familie in Frankreich, in einem kleinen Dorf. Ich
hatte bis jetzt eine fröhliche Kindheit. Bis vor zwei Jahren eine Frau wegen etwas, was sie „Ketzerei“ genannt hatten, auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Ihr Name war Jeanne gewesen, sie hatte behauptet, sie würde mit Gott sprechen.
Daraufhin hat man sie verbrennen lassen, glaube ich.
Ich finde das reichlich dumm, der Pope im Dorf redet auch immer mit Gott – jedenfalls sagt er das. Und er wird nicht verbrannt. Als sie vor zwei Jahren verbrannt wurde, hatte ich riesen Angst, meine große Schwester Amelié hat mir einen Teddybären genäht. Sie sagte zu mir, solange es meinem Bären gut gehen würde, würde es auch mir selbst gut gehen. Solange mein Bär in Sicherheit war, wäre auch ich es.
Es beruhigt mich ungemein und ich lasse meinen Bären nicht aus den Augen. Auch hier nicht. Ich und meine Mutter wurden gefangen genommen, vor drei Monaten. Man sagte, wir seien Hexen. Mutter hat
ihnen mehrfach versucht zu erklären, dass wir keine seien, aber sie lachten immer nur. Nun sitzen wir zusammen mit einigen anderen Leuten hier in einem Gefängnis. Bei uns sind noch 2 andere Mädchen und ein Bube, eine junge Magd und zwei ältere Frauen, Mutter sagte mir, ich solle zu ihnen Damen sagen. Das gehöre sich so. Was Mutter sagt, wird schon stimmen.
Immer wieder kommen neue Leute hier hinein, andere kommen heraus und wir sehen sie nie wieder. Die junge Magd sitzt oft in einer Ecke des Gefängnisses und hält ihre Kinder im Arm, sie singt ihnen etwas vor oder erzählt ihnen Geschichten. So macht Mutter es auch mit mir. Manchmal wird Mutter auch hinausgerufen, sie kommt dann blutend zurück. Sie will mir nur nie sagen, was dann passiert war. Auch mich holen sie oft ab, aber ich kann mich nicht daran erinnern, was bei ihnen passiert.
Im Moment liegen Mutter und ich uns zitternd in den Armen, sie schluchzt vor sich hin und ich kann nicht verstehen
wieso. Dabei haben wir so viel zusammen erlebt. Als unsere Cousine vor einigen Monaten gefangen genommen wurde, beschloss Mutter, dass wir das Dorf verlassen sollten. Wir versteckten uns in einer Höhle im Wald. Bald fanden wir eine kleine, leerstehende und verwüstete Holzhütte im Wald und richteten sie uns weitestgehend ein.
Mehrmals die Woche kam ein Freund von uns vorbei, Robért, er brachte uns dann leckere Sachen zum Essen und zum Trinken mit und erzählte und die Neuigkeiten aus dem Dorf. Er versprach Mutter auch, dass er niemandem erzählen würde, wo wir seien und das sie uns bereits suchen würden.
Nach einigen Wochen hörte ich mitten in der Nacht einen lauten Knall, ich weckte Mutter und wir sahen aus einem Spalt, dass einige Dorfbewohner unsere Hütte gefunden hatten. Mutter öffnete leise das Fenster und sagte, ich solle raus klettern, als ich draußen war, folgte sie mir, ich sollte schon mal zu den
dichteren Bäumen gehen. Ich tat, wie sie mir sagte und als sie bei mir war, rannten wir durch den Wald, auf der Suche nach einem Versteck, wo sie uns nicht finden konnten. Doch wir fanden keins und schon bald hatten sie uns eingeholt. Sie fingen erst Mutter, sie schrie, dass ich weiterlaufen müsse, dass sie mich nicht
fangen dürften, doch es war aussichtslos, schon bald stolperte ich und krabbelte unter einigen dicken Zweigen hindurch, doch ein Mann packte mein Bein und zog mich zurück.
Sie brachten uns hierher, ins Gefängnis, zu einigen Leuten, die nicht mehr da waren. Sie durften gehen, sagte Mutter. Ihre Unschuld sei bewiesen. Und jetzt sitzen Mutter und ich hier und warten darauf, dass auch wir gehen dürfen, weil wir sind auch unschuldig, wir können doch nicht zaubern. Und wenn ich zaubern könnte, dann wäre ich eine liebe Hexe und keine böse. Weil wer böse zu anderen ist, dem widerfährt auch nur böses.
Einige Stunden später kommt der Mann, der immer das Essen bringt und sagt Mutter und mir, wir sollen aufstehen und mitkommen. Er fesselt uns mit Hanfseilen an den Handgelenken und ich sage Mutter, dass ich angst habe. Sie sagt, das brauche ich nicht, das sei normal. Der Mann brüllt uns an, wir Weibsbilder sollen schweigen. Ich beginne zu zittern. Man bringt uns auf den Marktplatz und dort stehen einige Scheiterhaufen, sie bringen Mutter zu einem und führen sie hoch, dann binden sie sie fest. Das Seil, mit dem ich gefesselt bin, wird einem anderen Wachmann übergeben. Zwei andere
Frauen sind auf den anderen Scheiterhaufen festgebunden wurden. Ich drücke Jeanne, meinen Teddy, so gut es mit durch die Fesseln möglich ist, an mich und wimmere.
Drei Männer kommen mit fackeln und zünden das Heu, dass sich in Mengen unter den Scheiterhaufen befindet, an.
Ich kriege noch größere Angst und fange an zu wimmern. Solange Jeanne bei mir ist, kann mir nichts passieren, da bin ich mir sicher. Die Flammen schlagen immer höher. Ich kann nicht hinsehen, bin aber starr vor angst und kann die Tränen nicht unterdrücken. Der Wächter, bei dem ich stehe, nimmt mir Jeanne weg und guckt sich den Bären an, sein Mund ist mehr eine Fratze als ein Lachen. Ich bitte ihn, mir den Teddy zurück zu geben. Doch er wirft ihn in die Flammen des Scheiterhaufens, auf dem meine Mutter schlaff hängt. „Da wo du gleich hinkommst, wirst du den Bären nicht mehr brauchen, Hexenbrut!“ sagt er kalt
und stößt mich in den Rücken.
Ich kann nicht mehr und weine noch mehr als zuvor. Er lacht.
Nach einer, für mich regelrecht unendlichen, Zeit, bringt mich der Wächter zu einem weiteren, großen Scheiterhaufen. Dort sind auch die anderen Mädchen und der Bub, sie werden mit mir zusammen auf einen Scheiterhaufen gebunden. „Die Hexenbrut muss sterben!“ rief der Pope und begann, aus seinem Buch zu lesen. Und da weiß ich, dass es keinen Gott gibt. Für mich ist er gestorben, in dem Moment, in dem meine Mutter aus dem Leben schied. Das meine große Schwester weinend in der Menge steht sehe ich nicht, als ich endlich in gnädige Ohnmacht falle.
NakayaHirumi Wow, eine wirklich dramatisch erzählte Geschichte. Sie berührt mich sehr. Lg Nakaya |