Romane & Erzählungen
Unbewusst Bewusst

Unbewusst Bewusst

Unbewusst Bewusst.

 

 

Ich gehe durch unseren Garten vorbei am Teich, den mein Vater so hegt und pflegt. Ich blicke zurück zur Terrasse. Stühle und Tisch stehen bereit für die nächste Gartenparty, wo alle Nachbarn eingeladen sind und zusammen feiern. Die schwere Terrassentür, die den Eintritt ins Wohnzimmer gewährt, steht ein Stück weit auf. Ich selbst kam aus dem Keller, wo ich mein Zimmer habe. Ich wollte dort hinunter. 45qm Zimmerfläche für einen kleinen Mann wie mich war zu verlockend. Ich würde schon bald meine eigene Party dort unten feiern.

Ich schaue hoch zum Balkon und auch dort stehen die Balkontür und das Nachbarfenster weit auf. Eigentlich ein untrügliches Zeichen dafür, dass jemand zu Hause ist. Doch es ist Sommer. Die noch frische Luft wird zum Lüften der Räume genutzt und für den Moment war niemand zu Hause außer mir.

Wenn niemand da war, brauchte ich auch nicht um Erlaubnis zu fragen. Mal sehen, ob Daniel alias Dangermouse aus der gleichnamigen Zeichentrickserie in unserem Revier ist.

Unser Revier umfasst ein siebenreihiges Wohnhaus mit all seinen Sträuchern, Bäumen und Verstecken in Nachbargärten und natürlich dem kleinen Tannenwäldchen, welches gerade mal 12 Meter lang war und spitz zulief. Es lag genau den Garagen gegenüber und wir nutzten diesen Forrest, um unsere Waffen, vorzüglich Flitzebögen und Pfeile in Ruhe  und außer Sicht unserer Feinde zu bauen. Sie waren gemeine Schnösel. Milchbrötchengesichter, verwöhnte Reiche, die alles hatten und dies andere immer unter die Nase rieben. Dangermouse und ich waren von daher Robin Hood und sonstige Helden, Die die Reichen bestehlen, um es den Armen, in diesem Fall uns selbst zu geben.

Mit diesen Gedanken verließ ich unseren Garten. Ein Schwung und das kleine Jägerzauntörchen war überwunden. Ich ließ es immer zu für den Fall, dass ein schneller Rückzug erforderlich war, falls die Schlacht verloren ging. Es diente zwar nicht wirklich als Hindernis, doch als psychologische Grenze für die Verfolger. Tief ins Innere der Burg traute sich kein Verfolger.

Danger war nicht im Garten gegenüber, welches seine Burg war. Also lief ich weiter über den rotgepflasterten Weg, der sich zwischen der Häuserreihe und den gegenüber liegenden Einzelhäusern hindurch schlängelte, Hin zu den Garagen und den Tannenwäldchen. Ein Blick zu dem stattlichen Kletterbaum, wo wir unseren Thronsitz hatten, verriet mir, dass Danger nicht hier war. Ein geschulter Blick in das Wäldchen, doch Danger war nirgends zu sehen.

Besorgt schaute ich in die Richtung unserer Feinde, die am Ende der Spielstraße auf der anderen Straßenseite lag. Nein, er wird nicht alleine dorthin gegangen sein. Sich mit dem Feind verbünden? Nein, völlig ausgeschlossen. Genauso gut konnte man eine rote und eine schwarze Ameise zusammen einsperren. Die würden sich auch gegenseitig zerfleischen, wie es unzählige Versuche belegten. Dass die roten stärker waren wie die schwarzen, konnte man nicht sagen. Es lag wohl eher am Glück, welche der anderen zuerst eines der Extremitäten abbeisst.

Vielleicht war Danger ja alleine im Feindesland, um zu kundschaften. Ich musste wenigstens nachschauen. Vorsichtig, ohne meinen Bogen wagte ich den langen Marsch ins Feindesland.

Kurz vor dem Ende der Spielstraße, welches die Grenze markierte, schlich ich mich an eine Buschreihe, die uns so einige Male tiefe Einblicke in die Geschehnisse unserer Feinde gewährten. Doch die Buschreihe war tückisch. Nutzte sie doch das große Unbekannte aus einem noch weiteren Königreich, welches diese Buschreihe, die immerhin gut 4 Meter breit und 200 Meter lang war, als sein Gebiet ansah. Der Herrscher kannte jeden noch so kleinen Gang zwischen den Büschen und duldete niemanden sonst. Einst schlugen wir eine große Schlacht gegen ihn, die keine Seite gewann, doch jetzt hier zu sein ohne meinen treuen Gefährten Danger rief Unbehagen in mir.

Und noch bevor ich mich auf die Suche nach Danger konzentrieren konnte, tat sich etwas in den Büschen direkt neben mir.

"Danger?" fragte ich. Doch anstatt eine Antwort zu erhalten, hörte ich nur ein tiefes Glucken oder eine Art Gurgeln. Es war so tief und hell gleichzeitig, so dass es bis tief in mir eine Starre hervorrief. Eine Angst, die ich bis dahin nicht kannte. Welch unheiliges Geschöpf vermag solch ein Geräusch zu erzeugen. Und dann sah ich sie. Keine zwei Büsche mir gegenüber sah ich sie. Zwei große gelbe Augen mit einem schmalen schwarzen Schlitz in der Mitte, starrten mir bis tief in die Seele. Es konnte nicht sein. Langsam drehte ich mich um und versuchte meine erstarrten Beine zur Bewegung zu zwingen. Sie waren krämpfig und schwer und jeder Schritt wog so viel wie die ganze Welt. Ich drehte mich nicht um und hoffte mich zu irren, das konnte einfach nicht sein. Doch ein darauf folgendes Brüllen, das dem eines Löwen gleich war, drohte nun mir die Luft zu rauben und mein Herz zum Erliegen zu bringen. Es war ein Löwe. Was hat ein Löwe hier zu suchen? , fragte ich mich. Ich erreichte die Garagen, als ich hörte, wie er sich durch die Büsche brach und erneut brüllte. Ich sah zum Kletterbaum, dessen dicke Äste ihm genügend Halt bieten würden. Also rannte ich zum Garten, ins tiefe Innere meines Reiches. Vielleicht würde er am Törchen halt machen und ich könnte ihn verspotten wie alle anderen meiner Feinde. Doch dieses Mal, so war ich sicher, würde es niemals funktionieren. Ich quälte mich über das Törchen, welches ich sonst so sportlich nahm und rannte zur Terrassentür. Ich schloss sie hinter mir und verriegelte sie. Durch das Fenster sah ich den Löwen in seiner ganzen Größe und wie er über das Törchen sprang. Er war wirklich hinter mir her. Ich rief nach meiner Mama ,nach meinen Geschwistern. Sah hoffnungsvoll zum Sofa, in dem Vater abends gerne saß und den Abend ausklingen ließ. Doch jetzt am frühen Morgen war er nicht da. Ich rannte weiter durchs Wohnzimmer in die Küche, doch niemand antwortete mir. Ein erneutes Brüllen durchdrang die Mauern unseres Hauses und wie fallende Schatten vor meinen Augen fiel es mir ein: Die Kellertür stand weit offen. Nichts, keine Tür, die ich in diesem Haus jetzt noch verschließen konnte, würde mich schützen. Eilig verließ ich das Haus durch den Vordereingang. In meiner Hast ließ ich diese aufstehen. Doch die Angst zwang mich, nicht zurück zu gehen, um die Haustür zu schließen. Ich rannte zur Schule, der Ort wo Danger nur noch sein konnte. Danger und weitere Helden die ich zu meinen Freunden zählen konnte. Wieso war ich eigentlich nicht in der Schule? Weit war es nicht bis zur Schule. Etwa 1200 Meter, nicht viel weiter. Es war eine lange Querstraße, die man fast bis zur Schule einsehen konnte. Ich rannte die lange Straße entlang und hoffte, dass der Löwe im Haus bleiben würde. Mich zu verstecken, daran dachte ich zwar, doch sprach ich dem Löwen Fähigkeiten zu, die solch eine List zunichte machen. Ich sah die Schule bereits, nur noch wenige Meter bis zum Eingang des Pausenhofs. Doch das Unheil blieb hinter mir. Das Brüllen erklang erneut und erschwerte meine Seele. Doch die Hoffnung auf Verbündete gab mir Kraft. Ich öffnete die schweren Glaseingangstüren zum Pausenhof und mein Glück, es war gerade Pause. Alle Kinder, meine Freunde waren dort, um mir zu helfen. Doch in dem Getümmel konnte ich sie nicht so schnell finden, wie es nötig war.

Ich schaute mich um, lief an den Toiletten vorbei, schaute in den großen abschließbaren Fahrradhof, doch auch hier nichts von Danger. Ich konnte nicht länger suchen. Der Löwe würde schon bald da sein. Völlig außer Atem wandte ich mich an eine Lehrerin, die auf einer der beiden Baumbänke unter dem Ahornbäumen saß. Es waren mächtige Bäume die so hoch wie die Schule selbst waren. Einmal im Jahr wuchsen die Ahornsprossen an ihren Zweigen. Man nahm sie ab, öffnete den Kern und klebte sich den gespaltenen Kern auf die Nase und schon war es ein Nashorn Baum für alle Kinder der Schule. Ich erzählte der Lehrerin, was geschehen war und so sehr ich mich bemühte, glaubte sie mir nicht. Erst als der Löwe majestätisch den Pausenhof betrat und sein Dasein mit einem lauten, markerschütternden Gebrüll ankündigte, war auch ihr alles klar.

Panik brach aus und alle rannten instinktiv in die vermutlich sicheren Gemäuer der Schule. In mir keimte etwas auf. Ich habe sie alle in Gefahr gebracht. Wie konnte ich so töricht sein und hoffen, dass Danger und andere Helden mir bei diesem Problem helfen konnten. Ich wusste, er wollte mich und deshalb blieb ich, bis auch der letzte der Schüler hinter dem großen Eingangstor verschwand.

Nur ich und der Löwe waren noch auf dem Pausenhof und dieses Mal eröffnete er mit einem Satz die Jagt. So schnell ich konnte rannte ich zum Eingang, rannte die ersten sechs Stufen hinauf zum ersten Trakt, wo sich Klassenzimmer an Klassenzimmer reihte. Meine Klasse lag in der Mitte des Traktes. Ich riss am Türgriff, doch die Tür ging nicht auf. Sie war verschlossen. Eilig ging ich zur nächsten Tür, doch auch diese war verschlossen." Geh weg" hörte ich nur. Ich konnte sie verstehen. Ich hatte sie in diese Situation gebracht und jetzt zahlte ich den Preis dafür. Danger war sicher auch hinter der verschlossenen Tür, doch sich diesem Schrecken zu stellen vermochte auch er nicht. Ich rannte den Flur zurück, zurück zur Treppe, stieg die nächsten Stufen hoch und erreichte den nächsten Trakt. Die Schüler hier waren älter und vielleicht auch mutiger. Doch alles Bitten und Betteln mir zu helfen und mich hinein zu lassen war erfolglos. Niemand wollte mir helfen. Weit hinten öffnete sich eine Klassentür, ein Mädchen schaute hinaus. Es war der Kunstunterrichtsraum. Sie sah mich an und ließ etwas über den Boden gleiten." Hier" sagte sie," Verteidige dich". Dann verschloss sie die Tür wieder. Ich ging die paar Schritte und erkannte, dass es ein Cuttermesser war. Nun wusste ich, dass es die einzigste Hilfe war, die ich erwarten konnte.   Langsam und voller Bedacht ging ich zurück zur Treppe  und lief sie hinunter. Ich werde mich auf dem Pausenhof dem Schrecken stellen und alle werden zusehen können, wie ich gewinne oder verliere. Und da stand er mir auch schon gegenüber, seiner Beute, die er überalles wollte, ganz nah. Er hatte die Schule bereits betreten. Ich ließ die Klinge des Cuttermesser vorschnellen. Meine Hand zitterte und noch bevor ich verstand, wie mir geschah, packte mich der Löwe am Bein. Es schmerzte wie verrückt ich schrie und der riesige Kopf gab mir keine Chance, den Hals mit dem Messer zu erreichen. Für einen Moment gab ich auf, er würde mir erst mein Bein abbeißen, so sehr schmerzte es. Wut keimte in mir auf und ich schnitt dem Löwen durchs Gesicht. Mein Puls raste, mir wurde heiß, mein Bein pochte. Nassgebadet saß ich in meinem Bett im Dunkeln, den Schrecken im Nacken. Mein Bein pochte immer noch. Aus Angst, der Löwe wäre wirklich, schnellte meine Hand zum Lichtschalter. Doch niemand war da. Kein weiterer Mensch, kein Löwe, nur ein schmerzendes pochendes Bein. Ich warf die Decke weg und sah, wie der Saum der Decke sich gelöst und sich um mein Bein gewickelt hatte und es am Fußgelenk abschnürte. Es war bereits blaugrau.

Unbewusst bewusst hat mich das Unterbewusstsein auf die drohende Gefahr aufmerksam gemacht und eine Geschichte entwickelt die mit dem Biss eines Löwen endete.

Autor To-H