Der EINBRECHER
Nach dem Mittagessen wurde sie immer müde. Wie fast jeden Tag, legte sie sich auch heute im Wohzimmer auf die Bettbank. Diese Stunde des Nichtstuns liebte sie sehr. Das Fenster auf die Terrasse stand offen und die Straßengeräusche drangen nur von ferne an ihr Ohr.
Umso lebhafter, umso lauter zwitscherten die Vögel im Garten – welch herrliche Musik!
Bilder voll Harmonie zogen an ihrem inneren Auge vorüber. Sie freute sich am
Duft und dem üppigen Blühen der Rosen, sie beobachtete das dunkelbraune Eichhörnchen, das im Nussbaum auf und ab kletterte und begrüßte das Rabenpaar auf der Gartenmauer.
Seit sich diese Vögel in ihrem Garten niedergelassen haben, war die Taubenplage nur noch Vergangenheit. Es war nur ein kleiner Garten, mitten im Häusermeer, doch er bedeutete ein Stückchen Paradies, wo alles blühen durfte und sich die Vögel zum Lobgesang sammelten...
„Ja, so was!“ , durchschnitt eine tiefe
Stimme die Idylle. Mia drehte sich um, ein riesiger Mann stand vor ihr....
„Tut mir leid, Sie zu stören“, fuhr der Mann fort und holte sie brutal aus den sanften Träumen.
Verschreckt fuhr Mia hoch und rieb sich die Augen.
Zum Teufel! Sie träumte doch nicht. Oder doch? Nein! Der Mann stand tatsächlich vor ihr.
„Wwwaas wooollen Sie? Wwwie sind Sie hereingekommen? Wwwer sind Sie?“
Der Mann lächelte jetzt, „so viele Fragen auf einmal! Aber, aber!“
In Mia liefen die Gedanken Amok. Was sollte sie tun? Wen könnte sie um Hilfe rufen? Und wie?
Der Mann beobachtete sie.... und lächelte.
„ Verflixt nochmal! Was lächelt der? Was hat der vor?“ Die ältere Frau geriet in Panik.
Ihr Puls raste.... tausend Bilder zugleich stürmten auf sie ein... hatte sie doch schon viele Krimi gesehen .... was würde nun geschehen?
Will er Geld? Und weil sie keines hat, wird er sie dann umbringen?
"Lieber Gott, hilf mir!", betete sie und sah immer wider angstvoll zu dem Mann. Der stand immer noch lächelnd da. Er schien sich zu amüsieren...
Mia schloss die Augen, sammelte sich und atmetet tief und fest ein. „Ruhe bewahren!“, befahl sie sich.
Langsam öffnete sie sie wieder und fixierte den Fremden, der noch immer bewegungslos vor ihr stand. „Wer sind Sie? Was wollen Sie?, fragte sie nun mit fester Stimme.
„Eigentlich wollte ich einbrechen .... ich bin nämlich ein Einbrecher, wissen Sie!“
„Ach, NUR ein Einbrecher, Gott sei Dank!“, stieß Mia hervor, „ Sie sind also kein Mörder!! Nur ein Einbrecher!"
Irgendwie beruhigte sie sich zusehends und gewann auch ihren Humor zurück. "
WAS könnten Sie bei mir schon holen?
So ein goldenes Ketterl, wie ich eins hab´, mit einem Kreuzerl dran, so etwas tragen Sie ja schon.
Und meine Perlenkette ... ich denke, die steht Ihnen nicht besonders. Allerdings gebe ich Ihnen die auf keinen Fall. Sie ist nämlich ein Hochzeitsgeschenk meines Mannes.
Sie sollten lieber eine schwere Goldkette wählen ... die jedoch hab´ ich nicht. Da hätten Sie sich eine lukrativere Einsteige
suchen müssen....
Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, dass HIER etwas zu holen wäre! So ein Schwachsinn! Schauen Sie sich das Haus an! Hätten wir Geld, würden wir es renovieren!“
Fast verächtlich warf sie ihm einen Blick zu und erhob sich.
„Möchten Sie Kaffee? Jetzt ist gerade meine Jausenzeit.“
„Bitte, gern!“
Alle Angst war von Mia gewichen. Sie stellte Kaffee auf, deckte den Tisch und holte den Kuchen hervor.
„So", sagte sie "statt der Perlenkette kann ich Ihnen aber ein Stück Kuchen anbieten.“
„Danke! Das ist sehr liebenswürdig."
Sie nahmen Platz, der Fremde etwas eingeschüchtert, Mia sehr selbstsicher. Immerhin war er kein Mörder, nur ein Einbrecher ... und zu holen gab es bei ihr wahrlich wenig.
Freundlich verwickelte sie ihn in ein Gespräch, wie oft er so etwas schon gemacht habe ..
.... noch nie ..
....warum gerade jetzt und hier ...
...weil das Fenster offen stand....
...was er sich erhofft hatte....
..vielleicht Geld, vielleicht habe sie denn wenigstens Geld?“
Ja. Geld habe sie schon ein bisschen, aber nicht viel.
„Aber sehen Sie“, erklärte sie freundlich, „in diesem Monat kann ich Ihnen keines geben, ich habe mit meinen Freundinnen einen Urlaub im Salzkammergut gebucht. In Bad Ischl, wenn Sie das kennen? Und da brauch` ich mein Geld selber. Wenn es aber warten kann? Im nächsten oder übernächsten Monat vielleicht?
Da könnten Sie dann noch einmal einbrechen und auf Kuchen und Kaffee
kommen?“
„Na gut! Dafür gehen Sie aber nicht zur Polizei und zeigen mich nicht an....?“
„In Ordnung.“
„Wissen Sie, eigentlich ist Einbrecher ein blöder Beruf. Wenn alle so nett sind, wo man einbricht, wie soll man da zu etwas kommen? Ich denke, ich muss mir doch einen anderen Beruf suchen, scheine kein erfolgreicher Einbrecher zu werden...!
Vielen Dank für den Kaffee und den leckeren Kuchen...“
Mit diesen Worten stieg er wieder aus dem Fenster und winkte Mia zum Abschied zu..
(C ) I. H. 2011