Was weiß der Schimpanse von der Menschenwelt? - Nichts. Er empfindet den Menschen nach Maßgabe seiner tierischen Instinkte, vielleicht als den etwas unheimlichen Teilnehmer an seiner Schimpansenwelt. Vielleicht erschließt sich ihm in instinktiver Furcht, dass hier ein "höheres Wesen" ihn umgibt - aber sicher nicht einmal in der Ahnung eines solchen, sondern eben bloß als instinktive Furcht. Der Schimpanse kann nicht "an den Menschen glauben". Allein der Mensch in seiner Gottesfurcht bezeugt die Ahnung eines "höheren Wesens" durch die Jahrtausende.
Hat die Evolution uns überlaufen? Ragen Götter in unsere Lebenswelt und wir bemerken sie nicht? Sind wir die Schimpansen für eine höhere Spezies? - Welche Zeugnisse des Göttlichen haben wir? - Ein höheres Wesen als uns gibt es nicht in der biologischen Kette. Die Ausformung der menschlichen Großhirnrinde vor ca. 40000 Jahren ist die Krone der Schöpfung: die komplexeste Struktur im bekannten Universum. Dass eine um den Faktor 10000 beschleunigte (Kultur-)Evolution mit technisch-biologischen Hybridstrukturen die Linie einmal fortsetzen wird, ist noch Science-Fiction. Zeugnisse des Göttlichen geben die großen religiösen Lehrer und spirituellen Meister sowie die großen Philosophen. Letztere tun dies an der Spitze der wissenschaftlich formulierten Weltsicht ihrer jeweilígen Zeit.
Die Wissenschaft, verstanden als technisch-instrumentelle Vernunft, ist eine Schöpfung des Zweigestirns Sokrates/Plato vor 2400 Jahren. Etwa zur Lutherzeit explodieren deren Horizonte: nach tausendjährigem Interregnum einer anderen Vernunft, von der wiedererlangten klassischen diffamierend das Mittelalter genannt. Es kommt zu dem, was wir den Fortschritt nennen. - Als "Skandal der Philosophie" ist bekannt, dass ihre wesentlichen Probleme, gipfelnd vielleicht in der Zeugenschaft des Göttlichen, einen solchen Fortschritt nicht kennen. Indiz genug, die Überlegenheit unserer Zeit über die Vergangenheit als einen Unfug zu betrachten. Die Alten hatten es echt drauf. Bloß wir sind die Spätgeborenen einer virulenten Unvernunft. Heideggers Terminus der "Seinsvergessenheit" umklammert 2400 Jahre europäischer Geistesgeschichte als den Erfolg der falschen Vernunft. - Was ist die andere Vernunft? - Warum ist sie nicht das Instrument, sondern vielmehr die Burg des Göttlichen?
Wir können die technisch-instrumentelle Vernunft unserer Wissenschaften von der anderen, ursprünglichen Vernunft unterscheiden, indem wir in beiden nach dem Ort der Wahrheit fragen. Die allgemeinste Auffassung von "Wahrheit" ist die sogenannte Korrespondenzthese: Wahrheit ist die Übereinstimmung von Aussagen mit der Wirklichkeit. – An welchem Ort aber wird diese Übereinstimmung geprüft? – Im "linguistic turn" des 20. Jh. liegt der Ort der Wahrheit in der Sprache selbst, in der Exaktheit ihrer Begriffe und logischen Strenge ihrer Ableitungen. Die Referenz eines Satzes ist ein anderer, schon bewiesener. So korrespondiert Sprache mit sich selbst, abgehoben von allen konkreten Sprechern. Der Ort der Wahrheit ist außer uns und wird im Abgleich mit Äußerem festgestellt.
Dieser "positivistischen" Auffassung steht ein anderer Wahrheitsbegriff gegenüber, der auf etwas zurückgeht, das den Griechen ursprünglich Philosophie hieß und der im 20. Jh. von Martin Heidegger neu formuliert worden ist. Für Heidegger ist der Mensch der Ort, an dem sich Wahrheit ereignet – oder verbirgt. Übereinstimmung von Aussagen mit der Wirklichkeit auch hier. Nur der Referenzpunkt der Sprache ist innen: im Innern des Menschen, in dem sich selbst begegnenden Geist. Was ist die Wirklichkeit dieses Geistes und wie weit reicht sie? –
Hier schließt sich der Kreis zurück zu unserer Frage nach Zeugnissen des Göttlichen. Heidegger geht davon aus, dass dem Menschen ein Bezug zu etwas Transzendentem gestiftet ist. Dieses Transzendente nennt er das Sein. Dieser Bezug wird nicht durch den Menschen im Schweiße einer begrifflichen Anstrengung realisiert, sondern ereignet sich vom Sein her, so dass der Mensch darüber nicht verfügt. Er ereignet sich aber in der Sprache, besser: im Sprechen.
Wir haben diese Philosophie seit bald 80 Jahren. Vieles davon ist schon in unser Alltagsverständnis eingegangen. Etwa in unsere Vorstellung von "Authentizität", Echtheit; Offenheit, wenn einer sein Wesen zum Ausdruck bringt; Verschlossenheit, wenn der transzendente Bezug gekappt ist und wir in einer Stimmung der Sinnleere sind. Das Wesen dieser Stiftung zu bedenken, den inneren Referenzpunkt zu suchen und achtsam zu sein, sich nicht von ihm abzuheben: das ist auch ein Weg der Meditation. Ein Erscheinenlassen dessen, was sich in mir zeigt, ohne den Gestalten, mit denen es sich zeigt, anzuhaften.
"Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins. [...] Die Sprache verweigert uns noch ihr Wesen: dass sie das Haus der Wahrheit des Seins ist. Die Sprache überlässt sich vielmehr unserem bloßen Wollen und Betreiben als ein Instrument der Herrschaft über das Seiende. [...] Soll aber der Mensch noch einmal in die Nähe des Seins finden, dann muss er zuvor lernen, im Namenlosen zu existieren." (Martin Heidegger: Über den Humanismus. Klostermann/Frankfurt a. M. 1949)