Sonstiges
Windhauch

Wer kennt sie nicht, die Fliege, die unentwegt an einer Fensterscheibe herumsurrt und hinaus möchte. Auch wenn sie sich noch so bemüht, sich verausgabt, es immer und immer wieder versucht: oben, unten, links und rechts, hat sie nicht die geringste Chance, ihr Ziel zu erreichen. Es ist ihr wohl unbegreiflich, warum sie nicht weiterkommt. Wo sie doch das Licht erkennt – aber die Blockade nicht wahrnehmen kann. Ohne Hilfe geht sie jämmerlich zu Grunde. Irgendwann, nach Stunden, liegt sie auf dem Rücken, strampelt noch ein letztes Mal mit den Beinchen und stirbt an Erschöpfung.
Wenn sie Glück hat, kommt zuvor jemand und öffnet das Fenster, bahnt ihr den Weg in die Freiheit. Genauso gut kann es ihr aber passieren, dass sie ein Opfer der Fliegenklatsche wird. Dieser Tod ist zwar kurz – ob schmerzlos, weiß ich nicht – und vielleicht trotzdem angenehmer, als an Erschöpfung zu sterben.
Auch schon konnte ich beobachten, dass ein Fensterflügel offen stand und sich ein ahnungsloses Insekt an der geschlossenen Hälfte abmühte, nur ein paar Zentimeter neben dem ersehnten Ausweg. Da gibt es noch die Option, dass sie aus lauter Zufall, und sei es nur durch einen Windhauch, in die Freiheit gelangt. Ansonsten bleiben die Aussichten, die zuvor genannten.

Manchmal, so scheint es mir, bin auch ich eine Fliege. Ich bemühe mich, verausgabe mich, weiß wohin ich möchte, versuche es oben, unten, links und rechts und habe nicht die geringste Chance, weiterzukommen. Das Licht erkenne ich, doch die Blockade ist mir verborgen. Der Gedanke schaudert mich, ich könnte auf dem Rücken enden, noch ein paar Mal mit meinen Beinen strampeln und den Geist aufgeben. Bin auch ich – wie die Fliege – auf Hilfe angewiesen? Welche Variante wird auf mich zutreffen? Bahnt mir jemand den Weg oder ende ich unter der Klatsche? Oder doch die Option mit dem puren Zufall? Woher aber sollte denn der Windhauch kommen?

Die Frage nach dem Windhauch erinnert mich spontan an das Buch Kohelet (Teil des alten Testaments der Bibel). Dort schreibt König Salomo vom Windhauch.
Zitat: Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne?
Die Frage ist mehr als berechtigt. Auch seine weiteren philosophischen Betrachtungen zum Sinn des Lebens sind sehr spannend, trotzdem möchte ich den kleinen Exkurs hier gleich wieder beenden.

Vielmehr beschäftigt mich der Windhauch. Wäre es nicht schön, von einem sanften Windhauch berührt und getragen zu werden, durchs offene Fenster dem Licht entgegen. Für viele Fliegen war ich schon der Windhauch – die Klatsche widerstrebt mir. Und wenn es bei Fliegen funktioniert, müsste es doch auch unter uns Menschen funktionieren. Eigentlich traurig, dass da so oft – auch unbewusst – die Klatsche eingesetzt wird. Wo doch jeder in seinem Leben irgendwann einmal einen Windhauch benötigt.

„Wirst du für mich, werde ich für dich der Windhauch sein?“