Wenn von der Erde nicht mehr viel übrig ist, bleibt nur das Träumen. Neustes Kapitel 6
Die Sonne brannte auf das Tal, natürlich tat sie das, schon seit Jahren. Viele hatten es vorhergesagt, die Welt würde verglühen. Es war ein schleichender Prozess gewesen, der sich jedoch stetig fortsetzte.
Es hatte damals viele Katastrophen gegeben, Unwetter, Sturmfluten und dann irgendwann gab es keine Fluten mehr. Heiße Sommer hatten das Land ausgedörrt. Es könnte sich um das Jahr 3029 nach dem christlichen Kalender handeln, aber das wusste niemand. Dieser Kalender verschwand im Überlebenskampf der menschlichen Art irgendwo im Nichts.
Es gab noch kleine Städte, die umgeben von Wüste, dem Land ihre Nahrung abrangen und sich dem Aussterben widersetzten.
"Wir hätten links abbiegen sollen."
Damian schüttelte den Kopf. "Links ist nichts mehr..."
Sein Begleiter plusterte sich auf. " Erst vor wenigen Tagen gab es Lebenszeichen im Funknetz! Da müssen noch Menschen sein."
Die beiden Jungen waren in weiße Mäntel gehüllt, die im heißen Wind wehten.
"Diese 'Lebenszeichen' können schon Wochen alt sein. Manchmal bleiben Frequenzen im Netz zurück. Passiert hier ziemlich oft, hat was mit den starken Magnetfeldern zu tun"
Damian setzte seine Schweißerbrille, mit getönten Gläsern, auf und strich sich eine nervige blonde Strähne unter die Kapuze zurück, die ihm augenblicklich wieder ins Gesicht fiel.
Der etwas größere Kerl neben ihm grunzte missmutig. Er verbarg seine langen roten Haare unter einem leinenhaft gebundenem Turban.
"Wir schaffen es vielleicht eine Woche." Conner verstränkte die Arme vor der Brust und sah trotzig in das glühende Land vor ihnen.
Damian sah zum Himmel hoch, gerne stellte er sich vor wie Vögel über sie hinweg zogen. Selber hatte er noch nie welche gesehen, er kannte sie nur aus Büchern.
Die Sonne prangte wie ein rieses Mahnmal am Himmel, riesig, drohend. Es konnte nicht mehr lange dauern bis sie den Kampf um den ehemals blauen Planeten gewannen.Die Menschen, die Geld hatten, lebten schon lange nicht mehr hier. Die, die zurückgeblieben waren, erzählten sich Geschichten über andere Planeten mit Tieren und Wasser. Ob es wahr war?
"Dann sollten wir uns beeilen." Mit diesen Worten machte der Blonde auf dem Absatz kehrt und lief zu seinem Motorrad. Die beiden Maschinen waren bepackt mit viel zu vielen Satteltaschen und Kanistern, Rost färbte sie rötlich. Sie funktionierten, das war das Wichtigste.
Conner folgte ihm, gemeinsam fuhren sie in die vor Hitze schwelende Weite.
Den ganzen Tag sahen sie kein einziges Lebewesen, denn die Tiere, die es noch gab waren nicht ohne Grund nachtaktiv.
Sie bahnten sich den Weg auf Etwas, das vielleicht einmal eine Straße gewesen war. Kaum zu erkennende Spuren im Sand zeigten das es nicht lange hergewesen sein konnte, dass jemand sie überquert hatte.
Damian hielt mit quietschenden Reifen sein Motorrad an und rutschte im weichen Sand noch ein Stück.
"Bist du verrückt?" Conner konnte gerade noch rechtzeitig bremsen, um nicht in den quer auf dem Weg stehenden Jungen hineinzufahren. "Erkläre dich!" sagte er mit einem schiefen Lächeln.
"Lass den Quatsch und guck dir das an." Er wies auf die Spur die den Weg kreuzte.
"Hmm... könnte ein Konvoi gewesen sein." Der Große schwang sich von seinem Gefährt und kniete sich zu den vermeintlichen Reifenhinterlassenschaften auf die Straße. "Mehrere Autos wenn du mich fragst. Vielleicht einen halben Tag her."
Damian grinste zufrieden. "Ich wusste doch, dass dir beim Anblick eines Haufen Drecks auf der Straße das Herz aufgeht."
"Was soll das? Ich nerv dich doch auch nicht mir deinem Techniktick."
"Du verstehst ja auch nicht was ich mache, aber dass du gerne im Matsch wühlst kannst du nicht abstreiten."
Kampfeslustig stand Conner auf. "Hör mal Kleiner, wenn ich du wäre, würde ich aufpassen, dass ich nicht gleich mit dem Gesicht im Dreck liege!"
Die beiden Jungs schmunzelten. Sie hatten schon zu viel Zeit zusammen verbracht um nicht zu wissen, dass es keiner wirklich ernst meinte.
Als beide wieder auf ihren Rädern saßen, tauschten sie einen kurzen Blick und ließen dann knatternd ihre Maschinen an.
Der Spur zu folgen konnte ein Wagnis sein, doch jedes Lebenszeichen versprach auch die Aussicht auf Menschen.
Einige Stunden folgten sie dem beschwerlichen Weg durch den tiefen Sand, der irgendwann so tief wurde, das sie die Motorräder schieben mussten. Eine gefühlte Ewigkeit quälten sie sich die Dünen auf und ab, bis der Boden unter ihren Füßen härter wurde und allmählich in Stein überging.
"Fantastisch.... eine Steinwüste..." Maulte Conner.
Enttäuscht ließen sich die beiden, dort wo sie standen, in den letzten weichen Sand sinken. Sie sahen wie sich die Reifenspuren ein paar Meter vor ihnen auf dem harten Boden verlor.
"Hätte ja mal was klappen können." Immer noch vor Erschöpfung schnaufend wischte sich Damian den Schweiß von der Stirn.
"Wir sollten irgendwo ein Plätzchen zum Schlafen suchen, vielleicht dahinten..."
Der Große folgte dem Fingerzeig seines Freundes zu den Anfängen einer zerklüfteten Hügelkette und nickte.
"Ich hasse diesen Planeten." Er wickelte seinen Turban neu, der ihm schon fast vom Kopf rutschte.
Diese steinerne Einöde hatte auch etwas Gutes, sie mussten nicht länger die schweren Maschinen durch den Sand zerren. Einigen kraterähnlichen Löchern ausweichend erreichten sie ihr Ziel. Mit dem Verschwinden der Sonne war es die Kälte, die ihnen in die Glieder kroch. Trotz der dicken Handschuhe konnten sie ihre Hände kaum noch spüren. Diese widerliche Welt, um sie zu verlassen musste man reich oder kriminell sein.
Reich war keiner der beiden, also blieben ihnen nicht mehr viele Möglichkeiten und hier bleiben wollten sie nicht.
Mit abgehackten Bewegungen lenkten sie ihre Räder zu den Felsen, bei einem kleinen Felsvorsprung hielten sie.
Das Aufschlagen eines Lagers ging schnell, sie waren ein eingespieltes Team. Das was einmal ein Zelt gewesen war, stand innerhalb einer Viertelstunde und auch Satteltaschen und Kanister waren schnell verstaut.
Damian hatte sich mit einer Petroleumlampe vor den Zelteingang gesetzt. Ein großes offenes Feuer wäre zu auffällig gewesen und hätte wer-weiß-was aus der Dunkelheit angelockt. Dünnes fades Licht hüllte ihn ein.
Er strich über den ledernen Einband seines Buches. Es war alt, verwittert und die Seiten waren vergilbt. Bücher wurden nicht mehr gedruckt, wie auch ohne Bäume. Die wenigen die noch erhalten waren, waren so selten geworden, das kaum noch jemand lesen konnte.
Fast liebevoll blätterte er die Seiten durch, sie zeigten Bilder von Tieren und einem einst blühendem Planeten. Ein wenig konnte er lesen, nicht so gut wie er es gewollt hätte, aber er kämpfte sich beharrlich im schummrigen Licht der Lampe Seite für Seite voran.
Plötzlich zuckte Damian zusammen, er hatte nicht geschlafen, oder doch? Das Buch war ihm aus der Hand gefallen und lag aufgeschlagen vor ihm.
"Verdammt" zischte er leise.
Er drehte sich zum Zelteingang und verpasste Conner einen leichten Tritt. "Steh auf Dicker! Du bist dran."
Mit einem missmutigen Stöhnen bewegte sich ein haufen-ähnliches Gebilde unter der dicken Decke. "Noch 5 Minuten" maulte es aus dem Zelt.
"Nichts da! Steh auf!" Damian kroch nun ganz ins Zelt und legte sich auf seine Matte und zog den dicken Überwurf enger um seine Schultern.
Conner weckte ihn nicht sehr viel später wieder. Die Sonne war noch im Begriff aufzugehen und doch war es schon wieder unerträglich warm in dem kleinen Zelt. Zerknirscht krabbelte er aus dem Eingang und ließ sich neben einer zusammengesunken Gestalt auf den Boden fallen.
"Wird Zeit das wir mal wieder in einem Bett schlafen" sagte er müde zu seinem Begleiter.
"Wenn du es dir leisten kann, dann viel Vergnügen" Conner grinste leicht.
Zusehend wie die Sonne nun endgültig aufging saßen sie noch eine Weile da. Zeit spielte keine Rolle und das einzige was sie überhaupt zwang aufzustehen war die Hitze und der Mangel an Vorräten.
Elendig langsam packten sie die Sachen zusammen und zurtten die fast leeren Wasserbehälter an den Satteltaschen fest.
Als sie aufbrachen stand die Sonne schon wieder erbarmungslos am Himmel, langsam fuhren sie an den Felsformationen entlang, jedes bisschen Schatten nutzend was es gab. Dann stoppten sie ihre Fahrt und sahen ungläubig auf die zwei großen Stahltüren die jemand mitten in die Schlucht gebaut hatte.
Auf den ersten Blick erinnerte es an eine Festung, zwar eine improvisierte, aber dennoch eine Festung. Jemand hatte sich die Mühe gemacht aus dem Felsen kleine Nischen zu schlagen, in denen, wenn man genau hinsah, Menschen saßen. Auch auf den Toren liefen Leute entlang. Ihre Kleidung war zerschlissen, aber die Waffen die sie bei sich trugen sahen beunruhigend gut in Stand aus.
"Warum baut man eine Stadt in eine Schlucht? Das ist doch die perfekte Falle." Conner schüttelte irritiert den Kopf.
"Um die würde ich mir keine Sorgen machen, die können sicher auf sich aufpassen." der Blonde schmunzelte leicht, wurde aber schnell wieder ernst.
Mit einem Blick auf die zur Neige gehenden Vorräte gaben sie sich einen Ruck und fuhren bis zu den großen Toren vor.
"HALT!" schrie eine energische Stimme über ihnen. "Was wollt ihr?"
"Habt ihr hier Sehenswürdigkeiten die man besichtigen kann?" Rief der Rothaarige dem Wächter zu.
Damian verpasste ihm einen Stroß in die Seite "Was soll das? Die haben Gewehre und sehen nicht aus als würden die viel Humor haben." zischte er seinem vermeintlichen Freund zu.
"Ich beschütze dich schon Kleiner."
"Da fühle ich mich gleich viel sicherer, danke. Spinner!"
Während die beiden sich unten weiter stritten, beobachtete der Wachmann die Szene etwas verwirrt.
"Was seid ihr für zwei Vögel? Habt ihr zu lange in der Sonne gesessen?" brüllte er vom Tor hinunter.
Die Zwei fuhren zusammen und sahen entschuldigend nach oben.
"Lässt du uns jetzt rein oder nicht? Wir haben auch nicht den ganzen Tag Zeit!" rief Damian nur knapp zurück.
Der Mann auf dem Tor schüttelte nur den Kopf. "Unglaublich."
Er verschwand aus dem Sichtfeld der beiden und rief weiteren Männern am Tor etwas zu. Kurz darauf öffnete sich eine kleine Tür in dem riesigen Portal, die den beiden bis jetzt nicht aufgefallen war.
Als sie sich mit ihren Motorrädern durch die Tür schoben, begutachtete ein großgewachsener Mann, mit merklichem Interesse ihre Ladung. Alles was das Überleben sicherte war begehrt, das war auch der Grund warum man sich normalerweise von solchen Menschenansammlungen fern hielt. "Kann ich dir helfen? Suchst du was bestimmtes?" grollte Conner dem Mann zu.
"Schönes Zelt..."
"Kaputt und außerdem unverkäuflich" gab er kurz zurück.
Damian schüttelte nur den Kopf und schob das Gefährt über den kleinen Weg, vorbei an heruntergekommenen Hütten. Alles hier sah improvisiert aus, die Dächer waren mit Wellbech gedeckt und es sah aus als ob die Metallträger der 'Häuser' mit so was ähnlichem wie Klebeband zusammengehalten wurden.
"Nett hier." warf Conner ein, der inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatte. "Richtig gemütlich, fast wie zu Hause."
Ein Lächeln zog sich auf Damians Gesicht. "Willst du etwa sesshaft werden?"
Nach einer Weile stellten sie fest, dass die ganze Stadt kreisförmig angelegt war und der zentrale Platz war, ...natürlich eine Kneipe.
Das Häuschen war höher als die anderen darumliegenden und war dem ersten Anschein nach sogar relativ gut gebaut. Die Metallträger waren verschweißt und alleine das reichte schon um es stabil aussehen zu lassen.
"Wir brauchen eine Werkstatt, sonst kommen wir mit den alten Kisten nicht mehr weit..." Conner nickte ihm zu. "Such du eine, ich kümmere mich um Essen und Getränke."
Sie trennten sich, Damian fand bald etwas, das einer Werkstatt ähnelte. Die Gemeinde war klein und doch hatten sie alles was man brauchte: Schenke, Kirche, Werkstatt, Waffenschmiede und ein Gewächshaus.
Er stellte die Maschine vor der Hütte ab und sah sich kurz um. Es war mehr eine Art Vordach unter dem alle möglichen Werkzeuge von der 'Decke' hingen und die Ersatzteile sich auf der Erde stapelten, die Haufen waren einigermaßen sortiert und gingen, wie es den Anschein erweckte, einmal ums Haus herum. Es dauerte nicht lange bis ein alter Mann aus der wackeligen Tür kam und ihm mit seinen verbleibenden Zähnen ein erfreutes Lächeln schenkte.
"Was kann ich denn für sie.... dich, naja du bist ja fast noch ein Kind... achja ich war auch mal so jung, ist das aber lange her. Ja ja damals gab es noch kleine Flüsse in diesem Tal und..."
Damian hatte den Kopf schief gelegt und sah den Alten verwirrt an.
"Entschuldige bitte, mein Junge, das passiert mir öffter. Ja ja die Sonne kann einem schon ganz schön Eine verpassen. Als ich damals jung war...."
"Ich brauche Werkzeug, einen 6er-Schlüssel und vielleicht noch Benzin. Oder könnte ich meine Maschine hier reparieren?"
"Aber sicher mein Junge." Der Alte grinste, was durch die wenigen Zähne etwas gruselig aussah. "Ich hab da noch was von meinem guten Aufgesetzten da." Mit diesen Worten verschwand er in seiner Behausung. Damian sah sich schmunzelnd unter dem Dach um und fand den Schraubenschlüssel den er brauchte. Als er die Sachen neben sich gestapelt hatte tauchte der Alte wieder auf, in der Hand zwei Zinnbecher und eine Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, die aussah als würde ein Ölfilm darauf schimmern.
"Sag mal Kleiner, darfst du überhaupt schon trinken? Aber... was solls... als ich noch jung war..." Der Junge musste lachen. "Hör mal... ich bin kein Kind mehr und dass du jung warst ist schon lange her, ich weiß."
"Wie alt bist du Kleiner?" Der alte Mann schürte abwartend die Lippen. "Warum interessiert dich das?" Damian verkreuzte die Arme vor der Brust. Für einen Moment funkelte Misstrauen in den alten Augen auf, aber dann lachte er schallend und goss die Becher randvoll.
"Trink mit mir!" Feixte er. "Auf alte Zeiten."
Der Junge strich sich mit der Hand die Kapuze vom Kopf und fuhr sich durch die verwuschelten blonden Haare, dann griff er den Becher, nahm einen tiefen Schluck und hustete. Der Alte war wieder in Gelächter ausgebrochen und schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken. "Gut, oder? Übrigends man nennt mich Altor."
"Was ist das? Benzin?" Immer noch leicht hustend sah er den Mann an und erwiderte nur keuchend "Damian".
Conner hatte inzwischen eine Hütte entdeckt in der Lebensmittel verkauft wurden. Als er den Laden betrat und sich umsah musste er enttäuscht feststellen, dass mehr als die Hälfte der Regale leer waren und das Wenige sah nicht sehr frisch aus. Eine Frau war fast lautlos an ihm vorbei und hinter den Tresen gehuscht.
Lustlos hatte er ein paar vertrocknete Brote und Früchte zusammen gerafft, auch einige Dosen mit Suppe hatte er gefunden. Mürrisch musterte er noch mal jedes Regal, wenn es etwas anderes als Suppe gab musste er es finden, er konnte dieses Zeug nicht mehr sehen.
Schließlich stapelte er alles auf die Verkaufstheke und lächelte die Frau dahinter an.
"5 Taler" sagte diese nur steif. Erschrocken räusperte sich der Große und lehnte sich zu ihr und säuselte leise. "Wunderschöne Haare haben sie, Teuerste! Und ihre Augen erst... eine Augenweide."
Die Frau sah ihn verständnislos an. "5 Taler!" gab sie etwas energischer zurück.
Grummelt legte er ihr die letzten 4 Taler auf den Tisch, sie überlegte kurz und nahm die getrockneten Früchte, stellte sie zurück ins Regal und nickte dann zufrieden.
"Abzocke!" murmelte er, dabei die Ware in seinem Beutel verstauend, nicht dass es sich diese Hexe noch anders überlegte.
"Übrigends... ihre Haare sind scheußlich!" Mit diesen Worten verschwand er aus dem Laden, schnallte die Tasche fest und schob das Motorrad weiter durch die Stadt. Die Frau sah ihm finster nach und strich sich demonstrativ durch die verfilzten pechschwarzen Haare, woraufhin sie prompt in einer Strähne hängen blieb und frustriert seufzte.
Wenn er Damian fand würde er ihn sofort mitnehmen und von diesem fremdenfeindlichen Ort verschwinden.
Conner musste nicht lange suchen, er fand seinen Kumpel neben seiner Maschine, mit den Kopf auf dem Gepäck liegend, einen Zinnbecher in der Hand. Neben ihm saß ein Greis, ebenfalls mit Becher, der in ein Selbstgespräch vertieft war. Der merkwürdige Alte hatte scheinbar nicht mal bemerkt, dass Damian ihm scheinbar schon eine Weile nicht mehr zuhörte, sondern friedlich auf seinem Rucksack schlief, wie die gleichmäßige Atmung es Conner verriet.
Etwas säuerlich kam er bei den Beiden an. "Damian" grunzte er böse und zog den Blonden grob am Arm hoch. Dem fiel der Becher aus der Hand und es dauerte einen Moment bis dieser die Augen öffnete und den vorwurfsvollen Blick seines Freundes sah.
"Hey... lange nicht gesehen." Lallte er grinsend. Conner scheiterte bei dem Versuch ihn auf die Füße zu stellen und musste mit ansehen wie Damian wieder auf die Knie sank und schließlich nach hinten fiel, gerade noch konnte er sich mit den Händen abstützen.
"Komm schon, wir müssen weiter!" bellte er ihn an.
"Ist doch nett hier... lass uns doch noch hier bleiben...morgen ist doch auch noch...." Leise weiter murmelnd sank der Junge zurück auf seinen Rucksack.
Seufzend ließ sich der Große neben ihn auf den Boden sinken und schüttelte den Kopf. Der alte Mann sah etwas schuldbewusst drein. "Ja, also das tut mir jetzt leid, aber wir haben uns so nett unterhalten. Gute Gesellschaft hat man hier nicht so oft... früher war das mal anders, da kamen immer neue Menschen hierher..." Abschweifend und immer noch weiter redend sammelte er den Becher von der Erde auf, goss ihn voll und reichte ihn diesmal Conner. "Man nennt mich Altor. Trinken wir, auf die alten Zeiten!" Der junge Mann rollte die Augen, nahm aber den Becher entgegen, was konnte er auch anderes tun? Ihre Reise würde frühstens morgen weitergehen. Sie hatten keinen Schlafplatz und auch kein Geld, was in einer fremden Stadt denkbar ungünstig war. Schulterzuckend nahm er einen Schluck aus dem Becher und räusperte sich überrascht. Der Greiß nickte zustimmend.
"Mein Gott..." Etwas mitleidig warf er einen Blick auf seinen Freund, dem es morgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dreckig gehen würde.
Als es Nacht wurde und die Kälte in die Schlucht hinunter kroch, einigten sich die beiden Männer darauf, dass sie als Reisende in der Hütte auf dem Boden schlafen konnten. Damian hatte keiner gefragt, nicht das es möglich gewesen wäre.
Die Motorräder standen unter dem Dach und waren mit einer schweren Eisenkette zusammen gebunden, sie an einem der Eisenträger zu befestigen hatte Conner sich nicht getraut. Sollte jemand versuchen die Räder zu entwenden, hätte dieser Jemand wahrscheinlich die ganze Hütte eingerissen.
Damian erwachte als Erster, stöhnend wälzte er sich in seiner Decke und fasste sich an den Kopf. Conner wachte davon auf und sah schadenfroh zu wie der Jüngere sich in eine Sitzposition quälte.
"Verdammt... grins nicht so bescheuert" fauchte der Blonde ihn an.
"Wer saufen kann, kann auch arbeiten! Los, Motorräder reparieren, aber zackig! Hier sind nicht alle so freundlich wie Altor!"
Knurrend kämpfte Damian sich hoch, er zog die schweren Lederstiefel an, sie waren mit Metall beschlagen und sahen reichlich abgenutzt aus. Nach seinem Shirt wühlend, kramte er im Klamottenhaufen und wurde fündig. Anschließend warf er sich den weißen, abgetragen Umhang über und strich den Kragen hoch. Nach seinem Gürtel und seiner Brille musste er länger suchen, die Sachen hingen an einem Hacken neben der Tür. Wärend er sich die Schweißerbrille aufsetzte, die, wenn er nicht gerade fuhr, eher die Funktion eines Haarbandes erfüllte. Er schlurfte nach draußen und kniff die Augen zusammen als die grelle Sonne ihm ins Gesicht schien.
Auch Conner hatte begonnen sich fertig zu machen, seine Haare mit einem Band zu einem Zopf zu binden und sich seinen nicht mehr ganz so weißen Turban zu wickeln. Die schwarzen Cowboy-Stiefel neben seiner Matte waren sein ganzer Stolz, er hatte einiges dafür eingetauscht. Es war ein Faible von ihm Dinge mit nostalgischem Wert zu sammeln, er hatte sich auch für die zwei Motorräder eingesetzt. Auch er besaß einen weißen Mantel, doch das tat fast jeder, die brennende Sonne ließ nicht viel Farbauswahl zu. Sorgfälltig klemmte er die letzten roten Strähnen unter den Turban und trat dann ebenfalls nach draußen.
Prüfend sah er sich um, zu seinem Wohlgefallen waren die Dorfstraßen vollkommen leer, so konnte ihnen niemand in die Quere kommen.
Gähnend sah er kurz zu Damian der mit ölverschmierten Händen an den Rädern herumbastelte. "Und?" fragte er knapp "Können wir weiter?"
"Nicht gleich, einen Moment brauche ich noch." Damian grinste ihn zufrieden an, als er die öligen Finger an seinem schwarzen Shirt abwischte.
Conner verweilte ungern länger an einem Ort, Menschenhändler waren überall unterwegs und man konnte nie vorsichtig genug sein. Sie beide wären Ziele gewesen, jung, gut gebaut und mit seltenen Augen - und Haarfarben, Moosgrün und Azurblau.
Altor kam einige Zeit später mit zwei Brotkanten und den wohlbekannten Zinnbechern aus der Tür und trag neben sie.
"Das ist alles was ich habe Jungs, bin nicht auf Gäste eingestellt." Murmelnd überreichte er den beiden die Becher und das Brot.
Damian sah etwas skeptisch auf den Inhalt in seiner Tasse und roch leicht dran. Erschrocken hielt er diesen von sich weg. "Willst du uns jetzt schon morgens vergiften?"
"Ich habe nichts anderes, wie gesagt, man rechnet nicht mit Besuch." Ein endschuldigendes Lächeln lag auf den Lippen des Greisen. Die Jungs wusten schon gar nicht mehr wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatten, könnte schon zwei Tage her sein.
Dankend setzten sie sich mit verschränkten Beinen auf den Boden und ließen sich das spärliche Mahl schmecken.
Im Anschluss machte sich Damian, bezüglich noch verbliebenden Reparaturarbeiten, wieder an den Motorrädern zu schaffen.
Der Große schlenderte durch die kleinen Straßen. Dieses Städtchen war sehr übersichtlich, wenn man schnell lief konnte man in einer Viertelstunde alles gesehen haben. In dieser lebensfeindlichen Umgebung wirkten tatsächlich sogar die verfallenen Hütten gastfreundlich. Auf seinem kleinen Streifzug wurde er Zeuge wie oben auf dem Tor plötzlich Hektik ausbrach. Die Wächter riefen sich gegenseitig Befehle zu und rannten durcheinander. Was auf dem ersten Blick wie ein unkoordiniertes Gehampel wirkte, zeigte sich bei genauerem Hinsehen als gut abgestimmte Übung, bei der jeder seinen Platz kannte. Es wirkte plötzlich erschreckend gut geplant.
Diesmal wurde nicht die kleine Tür, sondern wirklich die zwei gigantischen Tore aufgezogen. Über ein Seilzugprinzip brauchte es immer noch 10 Mann an jeder Seite um den ganzen Haufen Stahl zu bewegen. Beeindruckt sah er dem Treiben eine Weile zu. Ein Konvoi, der drei Autos umfasste, rollte durch die geöffneten Tore auf den kleinen Platz vor der Kneipe.
Wie automatisiert trat Conner einige Schritte zurück und vermied es so gesehen zu werden.
Er überschlug die Zahl der Männer die sich aus den Autos der Kneipe näherten auf ungefähr 6, mit denen, die sich noch in den Trucks befanden konnten es 10 oder mehr sein.
Bei genauerem Hinsehen konnte man Umrisse von schweren Waffen erkennen, die sich unter den hellen Mänteln abzeichneten.
Conner huschte im Schutz der Häuser zu der kleinen Werkstatt zurück, wo sich das Bild nicht verändert hatte. Damian kroch noch immer unter den Maschinen herum und fluchte ab und an leise auf. Altor sah ihm zu und hatte sich eine Pfeife angezündet, auf der er genüsslich herumpaffte.
"Damian, wir müssen weg! SOFORT!" Zischte er dem Blonden beim vorbeigehen zu, verschwand im Haus und raffte hektisch die Taschen und Beutel zusammen. Beladen mit ihrer gesamten Habe quetschte er sich wieder durch die Tür auf die Straße. "DAMIAN!" Er sah fassungslos auf den Jungen, der sich nicht weiter bewegt hatte.
"Was ist denn mit dir los?" Verständnislosigkeit lag in den moosgrünen Augen, wärend er sich unter dem Vehikel hervor kämpfte. "Wir können nicht weg. Wenn wir die Kisten so lassen, kommen wir nicht weit."
"Da ist gerade ein Konvoi angekommen, die Typen sind bis an die Zähne BEWAFFNET!" Conner hatte sich im Laufe des Gesprächs in eine Mischung aus bösem Zischen und hysterischem Gestikulieren hineingesteigert. "Sieh es dir an..." Er wandte sich um und ging die Straße hinunter. Mit einem Schulterzucken war der Jüngere ihm nachgelaufen.
Gemeinsam hatten sie sich hinter eine Hütte geschlichen und sahen auf den kleinen Platz, der von einigen Häuser, der Bar und der Kirche umrahmt wurde.
Zu weit entfernt um die Gespräche zu verstehen, konnten sie zusehen wie einige der Männer mit den Leuten aus dem Dorf sprachen, vertraute Gesten, freundliches Händeschütteln.
"Ihr solltet gehen Jungs..."
Die Zwei fuhren erschrocken herum und sahen in das Gesicht des alten Mannes. Es hatte sich verändert, seine Augen waren nicht mehr freundlich, etwas abschätzendes, listiges hatte sich dazugemischt.
"Menschenhändler, sie liefern uns Nahrung und bekommen von uns Informationen.... jede, die sie haben wollen."
"Altor..." Conner sah ihn ungläubig an.
"Normalerweise halten wir Fremde so lange, bis sie kommen, fest und übergeben sie dann. So finanzieren wir unsere Stadt." Der Greis sah auf die beiden Jungs runter, die immer noch hinter der Hütte im Sand knieten. "Aber ich mag euch irgendwie, wenn ihr euch beeilt schafft ihr es vielleicht noch raus, bevor sie euch gesehen haben." Sein Blick war kalt und doch war ein Funken Traurigkeit darin zu lesen.
"Du hast uns an die Typen da verkauft?" Damian war bleich geworden.
Mit Menschenhändlern war nicht zu spaßen. Zu der Zeit als die Reichen von der Erde evakuiert wurden, blieb ein kleines Grüppchen von ihnen zurück und kaufte sich Macht. Sie lebten in der einzigen Stadt die von den Flugschiffen angesteuert wurde und handelten mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern, die sie von dort aus überall hin verteilen ließen.
Sie waren die legislative und die judikative Gewalt auf diesem Planeten. Unter ihnen bewegte sich ein ganzes System aus Menschen die wie Zahnräder ineinander griffen.
Söldner waren ein wichtiger Bestandteil, die Exikutive und sie arbeiteten mit den Menschenhändlern zusammen, sie waren auch die Boten die das Essen vertrieben.
Niemand arbeitete loyaler als Menschen die man sich kaufte. Nur so funktionierte die Maschinerie, Informationen wurden von den Händlern gesammelt und an die Söldner weiterverkauft. Fragen stellte niemand. Menschen verschwanden spurlos und niemand suchte nach ihnen, so war es schon viel zu lange und man gewöhnte sich daran.
Die Zwei rannten den Greis fast um als sie sahen wie sich eine Gruppe der Männer in ihre Richtung bewegte. Sie warfen sich ihr Beutel und Taschen über die Schulter und verschwanden hinter einer der Hütten.
"Du hast nicht zufällig beim spazieren gehen einen Hinterausgang gefunden?" Conner schüttelte nur den Kopf. "Wir müssen durch das Tor.... der einzige Weg nach draußen."
Damian schmulte vorsichtig um die Hausecke und sah wie die Kerle immer näher kamen.
"Erinnere mich daran, dass wir umzäunte Städte vermeiden..." Knurrte der Blonde und rückte wieder näher an den Großen heran.
Die Gruppe von Männern war an der Werkstatt angekommen, sie unterhielten sich mit Altor, den man herzhaft Lachen hörte. In Conner kochte Hass und Verachtung empor.
Damian zupfte an seinem Mantel. "Los!" Der Große reagierte wie im Instinkt, sprang auf die Füße und huschte hinter seinem Freund über die Straße zur nächten Hütte, die ihnen Deckung gab. Ihre Räder waren nicht groß und daher relativ leicht, sie hier zu lassen wäre nicht in Frage gekommen. Ohne fahrbaren Untersatz konnte man nicht überleben.
Mit dieser Taktik kamen sie dem Tor immer näher, nur wie sie an den Wachen vorbeikommen sollten, würden sie sich spontan überlegen müssen.
"Und jetzt?" Damian sah kurz zu dem Älteren hoch, dann wieder vor sich auf den Platz. Sogar auf den Trucks waren Gewehre angebaut und die waren natürlich auch besetzt.
"Wir könnten die Maschinen starten und versuchen durch das Tor zu kommen bevor sie uns treffen."
"Ja... und was soll's...wenn wir nicht schnell genug sind, dann müssen wir uns nie wieder über dieses Leben ärgern" Damian strafte Conner nach dieser sarkastischen Bemerkung mit einem eiskalten Blick.
"Wir zünden eine der Hütten an, in der Panik die dann ausbricht können wir verschwinden."
"Gewagt Damian, aber vielleicht klappt es sogar... noch wissen sie nicht, dass wir da sind." Der Größere nickte leicht.
Schon hatte sich der Blonde ein Stück entfernt, gab ihm ein Zeichen zu warten und huschte über die Straße, um dann hinter einem der Häuser zu verschwinden.
Geduckt schlich er auf die kleine Werkstatt zu, die Männer waren weiter gezogen. Irritiert stellte er fest, dass die Gruppe nicht den Eindruck machte jemanden zu suchen. Vielleicht hatte Altor sie doch nicht verraten und es sich in diesem Moment mit den Typen verscherzt. Leise lief er hinter die Hütte und suchte nach etwas brennbarem.
Durch ein offenes Fenster kletterte er lautlos ins Haus und stand in Altors Küche. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht als er den Topf mit dem Schnaps auf einem Schrank stehen sah. Perfekt!
Schnell lief er rüber, griff sich eine leere Flasche, füllte etwas der klaren, stinkenden Flüssigkeit um und stopfte einen Lappen in den Flaschenhals. "Du musst den Stoff auch mit dem Zeug tränken, sonst passiert gar nichts wenn du es anzündest."
Er erstarrte in der Bewegung und drehte sich langsam zur Tür um. Altor lehnte am Türrahmen zum Wohn - und Schlafzimmer und sah ihn finster an.
Damian sah ihn schweigend an und schüttelte betont langsam den Kopf.
"Ich stelle mich dir nicht in den Weg, aber sorge dafür das es klappt. Wenn sie mich fragen, werde ich ihnen alles sagen... dann solltet ihr besser weit weg sein."
Der Blonde nickte leicht und verschwand ohne ein Wort wieder durch das Fenster. Er schlich sich zu Conner zurück, der schon unruhig auf dem Boden hin und her rutschte.
"Verdammt, das hat ewig gedauert... warum sehe ich nichts brennen?"
Damian sah ihn nur kurz an und schwang sich auf sein Motorrad. "Starten!" Zischte er dem Großen zu, der reflexartig zu seinem Gefährt gesprungen war. Dann ging alles ziemlich schnell.
Als sie die Schlüssel umdrehten und in der selben Bewegung das Gas hochdrehten, heulten die Maschinen auf. Alle Blicke richteten sich auf die beiden. Sie rasten auf den kleinen Platz zu. Aus dem Augenwinkel konnten die Jungs sehen wie die Typen auf den Trucks sie ins Visier nahmen. Damian hatte während des Startes, den mit Alkohol getränkten Lappen in der Flasche angezündet. Eine brennende Wolke umhüllte den Mann am Maschinengewehr, der sich schreiend vom Auto warf. Die Schüsse hinter ihnen waren in der Hektik schlecht gezielt und verfehlten ihre Ziele. Mit quitschenden Reifen und heulenden Motoren waren sie aus der Stadt heraus, bevor man die großen Tore schließen konnte.
Sein Herz klopfte noch immer bis zum Hals, als sie nach vielen Stunden die erste Pause einlegten. Damian nahm die zitternden Hände vom Lenker und atmete tief durch.
"Meinst du er ist tot?"
"Was sollte uns das interessieren? Wäre er es nicht ... wären wir es jetzt." Conner hatte sich neben ihn gestellt und sah besorgt auf die weite Ebene hinter sich. Niemand war ihnen gefolgt, auf Stein hinterließ man keine Spuren. Für den Moment hatten sie es geschafft.
Eine Weile standen sie nebeneinander. Damian hatte sich die Kapuze und die Brille vom Gesicht gezogen und ließ sich den Wind durch die Haare wehen. Vor ihnen lag das gleiche wie hinter ihnen, eine Wüste aus Steinen und noch mehr Menschen denen man nicht über den Weg trauen konnte. Als er die Schweißerbrille wieder aufsetzte und sich in den Sattel sinken ließ, kreisten immer noch zu viele Gedanken wirr durch seinen Kopf.
Er schloss sich Conner an, der schon langsam losrollte und sie fuhren in irgendeine Himmelsrichtung, ohne zu wissen wohin.
Es gab nur noch eine, einigermaßen gut zu befahrene, Straße in diesem Teil des Landes, es war die Hauptroute der Händler, aber auch die schnellste Verbindung von Stadt zu Stadt. Entlang des Weges waren unzählige Bars und Unterkünfte für Reisende. Es gab Gerüchte über einen Stadtteil von Lakes, einer einst riesigen Metropole, in der sich Widerstand gegen das System regte.
Wenn sie die Verbindungsstraße nahmen, würden sie in wenigen Tagen dort sein.
Sie hatten am Rand der Straße angehalten und sahen abwechselnd erst in die eine, dann in die andere Richtung. Menschenleer lag der asphaltierte Weg vor ihnen, irgendwie unreal diese Straße durch eine sonst so homogene Umgebung.
"Wir brauchen ein Auto, nach den Rädern suchen die sicher schon." Damian nickte seinem Freund schweigend zu. "Bei der ersten Möglichkeit!"
Lange brauchten sie nicht bis zum nächsten kleinen Dorf, welches von der Straße in der Mitte geteilt wurde. Keine Mauern oder Zäune, sehr ansprechend.
Die Zwei stellten die Maschinen vor einem Wirtshaus ab und traten durch die Tür in einen Raum, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein schien.
Es war laut und verraucht, die Möbel waren alt und abgenutzt, doch die Menschen lachten und tranken, als wäre die Welt draußen noch genauso wie sie vor so vielen Jahren mal gewesen war.
Für einen Moment standen die beiden mit offenen Mündern da und sahen sich ungläubig um. Eine Frau mit überladenem Tablett wollte sich an ihnen vorbeischieben und blieb verwundert stehen. "Kann man euch helfen?" Lachend sah sie die Zwei an, die total bewegungslos mitten im Weg standen.
"Wie wäre es mit einem Schnaps, sieht aus als könntet ihr den brauchen." Mit einem Schmunzeln verschwand sie hinterm Tresen.
"Ja... bitte..." Die viel zu späte Reaktion kam von Conner, der sich als erster wieder aus der Starre befreien konnte und nun mit einem leichten Schlag in die Rippen auch den Blonden in die Wirklichkeit zurückholte.
Sie setzten sich an die Theke und ließen den Blick noch einmal aufmerksam schweifen. An der Decke hing ein, mit Spinnenweben versetzter, Kronleuchter, auf dem die Kerzen wild flackerten. Erst jetzt fiel ihnen auf, dass dieses sanfte angenehme Licht von hunderten Kerzen kam, die sich überall auf den Tischen und an der Wand befanden. Zwei kleine Gläser wurden zu ihnen geschoben und dankend nickten sie der Kellnerin zu.
"Die gehen aufs Haus." flötete sie ihnen zu.
"Wir könnten die auch nicht bezahlen ..." Verlegen sah Conner die Frau an und diese lächelte wieder.
"Wir haben hier immer Arbeit für Leute, die knapp bei Kasse und handwerklich geschickt sind." Ihre Stimme klang sanft und freundlich und jetzt sah er auch wie schön sie war. Recht jung, vielleicht gerade 20 Jahre, aber mit schönem schwarzen Haaren, die mit einem lockerem Knoten zusammengehalten waren. Ansprechenden dunkelbraunen Augen und einer schlanken Figur.
Mit dem Finger zeigte er auf Damian, der gerade im Begriff war, den Kurzen hinterzukippen und sich prompt verschluckte, als er Conners Worte hörte. "Ich leihe ihn gerne aus. Er kann eigentlich fast alles reparieren."
Damian warf ihm einen bösen Blick zu.
"Wie praktisch.." flötete sie und lehnte sich ein Stück näher zu ihnen auf die Theke. "Wir haben ein Loch im Dach... meinst du das bekommst du hin?"
Der Blonde zuckte die Schultern. "Müsste ich mir ansehen, denke aber schon."
"Fein." Sie fuhr sich aufreizend mit den Fingern durch die Haare und lächelte zuckersüß. "Ihr könnt essen und trinken was ihr wollt. Wenn ihr das Dach dicht bekommt, sind wir quitt."
Conner schmachtete ihr nach, als sie sich mit einem vollen Tablett wieder durch die Menschen drängte und wäre fast von seinem Hocker gefallen.
"Du bist peinlich..." Erst jetzt bemerkte er, dass Damian ihn beobachtet hatte und ihn grinsend ansah.
"Halt bloß die Klappe!" knurrte der Größere und beide widmeten sich dem Getränk vor ihnen, welches die Kellnerin da gelassen hatte. Es war ein Becher mit Rum.
Der Jüngere schauderte, warum musste außgerechnet Rum sich als einziges alkoholisches Getränk durchgesetzt haben.
Sie schliefen die Nacht in einem Zimmer das über dem Schankraum lag. Es war winzig und die halbe Nacht hatten sie geknobelt wer in dem einzigen kleinen Bett schlafen durfte. Am Ende hatte Damian die Debatte gewonnen und Conner auf die freie Fläche an der Tür verbannt.
Der nächte Tag begann früh, schon im ersten Licht waren sie geweckt worden und während Damian auf das Dach gejagt wurde, musste Conner am Tresen helfen.
Leise fluchend saß der Blonde mit Hammer, Nägeln und Brettern vor dem Loch, welches im Dach klaffte. Nachdem er zweimal fast abgestürzt war, hatte er es geschafft die Lücke so zu vernageln, dass es die nächsten Monate halten müsste, zumindest hoffte er das.
Conner war derweil mit dem Polieren von Gläsern beschäftigt und nutze die Zeit der schönen Dame näher zu kommen.
"Bist du hier geboren, oder hat es dich hier her verschlagen?"
Die schwarzhaarige Schönheit lächelte. "Mein Name interessiert dich nicht, aber wo ich herkomme schon?" Conner stieg die Röte ins Gesicht und er streckte ihr die Hand entgegen. "Conner" Als sie seine Hand nahm schmunzelte sie. "Hallo Conner, ich bin Felicitas, kannst mich aber Felix nennen, irgendwie machen das alle und es hat mich hier her verschlagen."
Der Große lächelte sanft und wandte sich mit hochrotem Kopf wieder den Gläsern zu.
Damian stand lange genug in der Tür um alles mitgehört zu haben, mit einem Grinsen drehte er sich um, trat wieder ins Freihe und schloss die Tür lautlos hinter sich.
Er hatte Conner noch nie so gesehen, es amüsierte ihn, wie sich sein Freund vor diesem Mädchen lächerlich machte. Die zwei passten zusammen, dass musste man ihnen lassen und sie war wirklich hübsch, auch das konnte man nicht abstreiten.
Um den beiden noch etwas Zeit für sich zu lassen, lief er die Straße entlang und sah sich um.
Es war eigentlich schön hier. Die Häuser waren zwar verfallen, aber es waren Behausungen mit richtigen Wänden und mit ordentlich gedeckten Dächern. Die Bewohner hatten sie alle bemalt, liebevolle Zeichnungen waren auf den Mauern zu finden. Sie zeigen Kinder, Tiere und verschnörkelte Ranken. Auch waren an manchen Wohnungen Hängematten zwischen den Holzpfeilern gepannt und hier und da lag jemand darin und schlief.
Es wirkte alles friedlich und harmonisch, fast zu schön um in diese Welt zu passen.
Ziemlich schnell war er am Ende das Dorfes angekommen und wollte wieder zurück zum Gasthaus, schließlich hatte er sich ein Frühstück verdient, als ein Dröhnen durch den Asphalt der Straße lief. Als er sich umsah konnte er nicht sicher sagen wo es herkam, nur das es näher kam. Instinktiv stellte er sich hinter eines der Häuser und musste nicht lange warten, bis er einen Pulk Biker vorbeifahren sah. Menschenansammlungen aus dem Weg gehen, dachte er und huschte zurück zur Kneipe.
Als er erneut gewollt laut die Tür aufstieß, sah er wie Conner und Felix erschrocken auseinander fuhren. Mit einem Grinsen ging er zum Tresen und setzte sich auf einen der Hocker.
"Wie süß..." schmunzelnd ließ er den Blick zwischen dem, inzwischen hochroten, Conner und der ebenfalls grinsenden Felicitas hin und her wandern.
"Das Dach ist dicht, bekomme ich jetzt was zu essen?" Seine Frage wurde mit einem Nicken kommentiert und schon war Felix in der Küche des Hauses verschwunden.
"Es ist nicht das, wonach es aussieht." Conner sah schuldbewusst auf die Gläser, die er eigentlich polieren sollte und lächelte dann. "Es ist mir egal was mit euch ist. Vielleicht kannst du uns ja ein gratis Mittagessen herausschlagen bevor wir weiter müssen."
"Warum willst du schon wieder los? Die Menschen hier handeln nicht mit Söldner oder anderem Pack, sie versorgen sich selbst." Conners Einwand stieß bei dem Blonden auf taube Ohren.
"Wir waren uns einig, nicht zu lange an einem Ort zu bleiben. Wenn die Menschenhändler uns hier finden, geht es diesen Leuten an den Kragen." Conner nickte leicht, nachdenklich sah er zur Küchentür und seufzte. "Wir könnten sie vielleicht mitnehmen."
Damian lächelte und zeigte auf eine Gestalt hinter Conner. "Frag sie!"
Erschrocken fuhr der Große herum und sah auf die schlanke Frau, die eben wieder den Schankraum betreten hatte.
"Wir müssen weiter und ich würde mich freuen wenn du uns begleitest." Felix stellte Damian und Conner zwei Teller mit Brot und etwas Butter hin und schüttelte sanft den Kopf.
"Ich möchte hier nicht weg. Es ist ruhig hier und die Menschen sind alle irgendwie Freunde geworden. Aber ihr könntet bleiben." Sie sah die zwei Jungs aus ihren schönen rehbraunen Augen an. "Es gibt immer was zu tun, ihr wärt uns eine große Hilfe."
Conner tauschte einen Blick mit seinem Freund, doch der schüttelte nur leicht den Kopf.
Während des Essens hatte niemand ein Wort gesagt, beide hingen ihren Gedanken nach. Irgendwann legte Damian den Rest Brot auf seinen Teller und sah zu Conner hoch. "Wenn du hier bleiben willst ist das in Ordnung. Du könntest den Leuten hier vielleicht wirklich eine Hilfe sein." Dann sah er zu Felix und grinste. "Lasst ihn nichts zerbrechliches anfassen."
Das Mädchen musste lachen und sah dann vergnügt zwischen den Jungs hin und her, als der Blonde sich langsam erhob und seinem Kumpel die Hand gab. "Ich besuch euch mal, wenn es meine Zeit und der volle Terminkalender erlauben."
Conner saß wie erstarrt da. Wenn er blieb würde er seinen Freund vielleicht nie wieder sehen, aber er fühlte sich wohl in dieser Stadt und hätte die Aussicht auf ein Leben mit dieser schönen Frau.
"Pass auf dich auf Kleiner." sagte er nur knapp, Abschiede waren nichts für ihn.
Damian lächelte, ließ die Hand sinken und lief zur Tür. Draußen setzte er die Brille auf und zog sich die Kapuze über den Kopf. Langsam ließ er sich in den Sattel seiner Maschine sinken und sah sich noch mal um. Es war schön hier, ohne jeden Zweifel, aber nicht das was er wollte.
Der Abschied war kurz gewesen und es war das Beste so. Hätte man Conner nicht so überrascht, wäre er mit Damian weitergezogen und hätte sich später maßlos geärgert.
Der Blonde war schon wieder eine Weile auf der einzigen Straße unterwegs und hatte noch niemanden getroffen. Er hatte sich von Conneres Motorrad alles was er als hilfreich angesehen hatte mitgenommen und wusste, dass dieser es ihm nicht übel nahm, sie hatten sich schließlich so kennengelernt.
Conner hatte ihn beim Klauen ertappt, ihn mit Moralpredigten gequält und war nicht mehr von seiner Seite gewichen.
Damian war lange Zeit alleine gewesen und nun würde er auch damit klarkommen, dass er es wieder war. Gedankenversunken fuhr mechanisch immer nur grade aus, der Straße folgend.
Mit einem Kopfschütteln jagte er die Erinnerungen aus seinem Kopf.
Als er wieder bewusst auf die Straße sah, zog er die Bremse so fest wie seine Kräfte es zuließen, rissen den Lenker herum und rutschte quer von der Straße auf den harten Steinboden. Wie gelähmt sah er auf dem Rad und starrte vor sich auf den Boden, erst als sich der Staub den er aufgewühlt hatte, die Sicht wieder freigab, konnte er Rumrisse erkennen. Eine kleine zusammengesunkene Gestalt, direkt auf dem Weg.
"Verdammt." zischte er leise und, stellte sein Bike ab und ging die paar Schritte zurück. Er konnte ein leises Wimmern hören und mit genauerem Hinsehen, erkannte er ein Kind, dass in Decken gewickelt auf dem Asphalt saß und leise weilte.
"Ist dir was passiert?" Langsam trat er auf die kleine, gekrümte Gestalt zu.
"Warum sitzt du mitten auf der Straße?" Seine Stimme war lauter geworden. Es schürte das Misstrauen, wenn jemand nicht antwortete, vielleicht war es eine Falle. Unsicher schritt er weiter auf die Straße und betrachte das Kind skeptisch. In der näheren Umgebung konnte er keine weiteren Menschen ausmachen und so hockte er sich zu der Gestalt auf die Straße.
Es war ein Mädchen, soviel konnte man trotz der dicken Staubschicht auf ihrem Gesicht sehen. Tränen hatten den Dreck zu einer dunklen Kruste werden lassen. Damian sah in zwei eisblaue Augen, die unter dem verfilzten braunen Haaren fast verschwanden. Ihre Kleidung war zerschlissen und stand vor Schmutz. Er nahm die Kleine vorsichtig auf den Arm, trug sie von der Straße und ließ sich neben dem Motorrad mit ihr in den Sand sinken.
"Was machst du hier?" Sanft sah er sie an. Sie tat ihm leid, niemand konnte sagen was sie schon alles durchmachen musste.
"Verstehst du mich?" Stumm nickte das Kind und der Junge lächelte leicht.
"Verstehe, du willst nicht mit mir reden." Er kramte in seinen Satteltaschen und zog einen Brotkanten hervor. "Hier. Du hast sicher Hunger."
Das Mädchen sah auf das Essen in seiner Hand und hob zögernd die Hand danach. Krümel für Krümel pulte sie von dem Kanten und saß.
Damian hatte ihr eine Weile zugesehen. Seufzend stand der schließlich auf. Es war nicht gut ungeschützt so lange hier zu sitzen. "Hör mal, hier können wir nicht bleiben. Hast du Familie, oder Freunde zu denen du gehen kannst?" Ein stummes Kopfschütteln war ihre Antwort.
Warum war er nicht einfach weitergefahren? Er konnte sie nicht alleine zurück lassen, sie würde sterben wenn er es tat. Nachdenklich sah er auf die Weite um sich und suchte einen Ort, der Schutz vor der kommenden Nacht bot.
"Ich kann dich ein Stück mitnehmen wenn du willst, in die nächste Stadt. Vielleicht kann man dir da weiterhelfen." Sie nickte und ein zartes Lächeln huschte auf ihr Gesicht.
Er hatte sie hinter sich auf den Sattel gesetzt und rauschte mit ihr die Straße entlang. Schließlich bog er vom Weg ab und steuerte eine interessant aussehende Steinformation an. Vom Wind geformt fanden sie einige Nischen im Sandstein, in denen sie Beiden vor der Nacht in Sicherheit waren. Er hatte eine der kleinen Hölen mit Decken ausgelegt und die Petroliumlampe angezündet. Die Kleine war sofort eingeschlafen. Einen Entschluss hatte er an diesem Abend gefasst, bei der nächsten Möglichkeit das Kind waschen, sie sah schlimm aus. Mit dem Rücken am Stein lehnend beobachtete er die Umgebung. Er hatte noch nie drüber nachgedacht was er tun würde, wenn sich wirklich was aus der alles umschließenden Dunkelheit nähern würde. Die einzigen Waffen die er besaß, waren ein kleines Klappmesser, welches ehr zum Brotschneiden gedacht war und eine rostige Machete, die bei der kleinsten Berührung wahrscheinlich zerbröseln würde. Gut, dass es kaum noch was Lebendiges in der Wüste aus Steinen gab.
Sie musste schon eine ganze Weile an seinem Mantel gezupft haben, bevor er im Schlaf die Bewegung realisierte und langsam die Augen öffnete. "Morgen." Gähnend streckte er sich und wand sich dem Mädchen zu, die ihn nur erwartungsvoll ansah.
"Was mache ich nur mit dir?" Mit einem Schmunzeln reichte er ihr ein improvisiertes Frühstück und sah in den Himmel hinauf. Die Wolken jagten über den Horizont, irgendwie sah alles rötlich aus. Ein Grollen, dann zerriss ein Blitz den Himmel.
Unwetter, mit ihnen kam kein Regen, sondern Sandstürme.
"Komm, wir schaffen es vielleicht bis Lakes, bevor es hier ungemüdlich wird."
Das Mädchen krabbelte gehorsam vor ihn auf die Maschine und hielt sich fest als der Motor aufheulte. Auf der Straße angekommen, gab der Blonde Gas und das Motorrad fegte über den spröden Belag. Über ihnen türmten sich Wolkenberge zu riesigen, bedrohlichen Gebilden auf. Als der Wind merklich zunahm, sah Damian an neben der Straße kleine Staubteufel vorbeiziehen. Am Horizont der vor Hitze flimmernden Wüste tauchten endlich Umrisse von gigantischen Gebäuden auf. Lakes.
Der Sturm hatte sie kurz vor der Stadt eingeholt. Damian hatte seine Brille aufgesetzt, ohne die er nichts mehr gesehen hätte und das Tuch über Mund und Nase gezogen. Feiner Sand pfiff den Beiden um die Ohren und fühlte sich wie Sandpapier auf der Haut an. Das Mädchen hatte sich in seinen Mantel gegraben um den winzigen spitzen Steinchen zu entgehen. Er konnte mehr ahnen als sehen wo er entlang fuhr und beim ersten Hochhaus hielt er an. Die Kleine spang aus dem Sattel und rannte zur Eingangstür des Gebäudes, abgeschlossen. Sie rüttelte so fest sie konnte, doch es blieb dabei. Damian hatte das Rad zum Eingang geschoben und sie angewiesen zur Seite zu gehen. Als er gegen die Tür trat erzitterte der ganze Rahmen, doch erst als er sich mit vollem Körpereinsatz gegen das sture Holz warf, brach das Schloss aus den Angeln. Mit dem Geräusch von berstendem Holz schwang die Tür auf und gewährte Einlass in das finstere Innere.
Das Motorrad hatten sie mit in den schmalen Flur geschoben. Damian rieb sich fluchend die schmerzende Schulter und setzte sich auf eine Treppenstufe. Diese Stufe gehörte zu einem riesigen Treppenhaus, welches mehrere Etagen umfasste. Es musste mal ein ansehnliches Haus gewesen sein, mit verzierten Treppenhaus und filigranen Holzarbeiten am Geländer.
Trotz der Spuren, die die Zeit hinterlassen hatte, konnte man den einstigen Glanz erahnen.
Als der Sturm sich gelegt hatte, wagten die Beiden einen Blick auf die Straße. Verlassen, nein, vielmehr ausgestorben. Kein Baum und kein Strauch war zu sehen. Die Natur hatte sich ihr Territorium nicht zurückerobern können, sondern war dem Nichts zum Opfer gefallen. Kleine Sandverwehungen türmten sich an Bordsteinen und Häuserecken auf. Diese große Stadt würde genauso in einer Düne verschwinden, wie so viele andere.
Die Zwei saßen schon wieder im Sattel und hatten ein gutes Stück zurückgelegt, als sie hinter sich Geräusche wahrnahmen. In der Häuserschlucht konnten man neugierigen Blicken nur schwer ausweichen, so war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie jemand bemerkte.
Vor ihnen lief ein Mann auf den Weg, der einen nicht wirklich freundlichen Eindruck machte, mit dem Gewehr im Anschlag.
"Anhalten!" Nervös wedelte er mit auf und ab.
Damian schaltete den Motor aus und hob die Hände ein Stück vom Lenker. "Wir ergeben uns. Wenn ihr Waffen, oder Essen wollt, können wir euch nicht helfen."
"Absteigen und Hände hinter den Kopf!"
Erschrocken war die Kleine vom Sitz gerutscht hatte die Hände in die Luft gerissen. Damian trat neben sie und hielt die Arme weiter auf Brusthöhe. Zwei weitere Gestalten waren auf die Beiden zugekommen und durchstöberten die Satteltaschen.
Es wurden kurze Sätze gesprochen und hastige Gesten ausgetauscht, dann wurde auch die Waffe gesenkt.
"Wir mussten nur sichergehen, dass ihr nicht doch irgendwelche Waffen versteckt." Der Blonde nickte leicht. "Verstehen wir, können wir die Arme runternehmen, wird langsam anstrengend." Die wegwerfende Geste, wertete er als ein Ja und seufzte erleichtert.
"Was ist mit dem Mädchen passiert? Sie sieht furchtbar aus?" Damian sah sich nach der sanften, weiblichen Stimme um und fand eine schwarze Silhouette, die an einer Hauswand lehnte.
"Ich habe keine Ahnung, sie redet nicht."
Das Geräusch von Pfenigabsätzen hallte an den Mauern wieder, sie kniete sich vor das schmutzige Kind und lächelte. "Komm, wir gehen mal nachsehen, was sich für ein schönes Mädchen sich unter dem Schmutz versteckt." Nickend nahm die Kleine die Hand, die ihr angeboten wurde und verschwand in einem der großen Gebäude.
"Was ist mit deiner Schulter?"
Damian wand sich der Stimme zu. "Was soll damit sein?"
"Hab gesehen wie du dich bewegst. Ist sie geprellt?"
"Weiß nicht." Gab der Blonde zurück.
Der Mann wieß ihn an zu folgen und führte ihn in das gleiche Haus in dem das Mädchen verschwunden war. Nach einigen Treppen erreichten sie eine Wohnung, deren Tür weit offen stand. Es wirkte wie ein Labor, überall standen Kolben mit Flüssigkeiten in den verschiedensten Farben, einige befremdliche Aperaturen und Gestelle, die mit weißen Laken abgedeckt waren.
"Hinsetzten." Der Bärtige zeigte auf einen Stuhl, der mit seinen Fixierungsmöglichkeiten zum fürchten aussah.
"Nein. Wirklich, es ist nicht schlimm." Damian war schon fast wieder im Treppenhaus, als ihn eine starke Hand zurück hielt.
Der Junge sog scharf die Luft zwischend den Zähnen ein und duckte sich unter der Berührung weg.
"Los, hinsetzten." Resignierend folgte er der Aufforderung und zog den Mantel aus. Er hörte ein Klirren und Schaben hinter sich und kurz darauf stand der selbsternannte Arzt wieder neben ihm. Die grüne Paste in seiner Schale roch widerlich.
"Das kühlt und lässt die Schwellung verschwinden."
Damian ließ die Behandlung über sich ergehen und als der Verband, mehr oder weniger fachmännisch, an seinem Platz war, zog er sich wieder an und nickte dankend.
"Lass uns nachsehen, wie weit die Mädels sind."
Gemeinsam gingen sie eine Etage weiter nach oben. Dort befand sich eine gemütlich eingerichtete Wohnung, mit einer Sitzecke und sogar einer Küchenzeile.
Kurz nach dem sie platz genommen hatten, schwang die Flügektür, die sich zu ihrer rechten befand, auf und die zwei Damen standen im Zimmer. Damian nickt beeindruckt, unter der Schmutzschicht war ein hübsches, zierliches Mädchen zum Vorschein gekommen. Sie trug jetzt ein knielanges schwarzes Kleid, die braunen Haare waren zu einem lockeren Knoten gebunden und einzele Strähnen fielen in sanften Wellen über die Schulter.
"Wir haben uns noch nicht vorgestellt" der Bärtige wies auf die Frau neben der Kleinen. "Feyra, unsere beste Schützen. Dort hinten in der Küche sind noch Lars und Dotsch. Die beiden kochen gut und sind die Strategen in unserer kleinen Familie. Drei andere sind noch auf Erkundungstur, die stelle ich euch später vor. Meine Wenigkeit nennt man Taro."
Der Blonde lächelte leicht. "Ich bin Damian, wie das Mädchen heißt kann ich nicht sagen, sie redet nicht mit mir."
"Maya"
Alle Blicke wanden sich in die Richtung der leisen, zittrigen Stimme. Schüchtern sah sie zu Boden. Ihre Finger spielten mit den Falten ihres Kleides.
"Lasst uns Essen und Trinken, solange es noch was gibt." Taro sah die zwei Jungs mit den Töpfen aus der Küche kommen. Geschirr wurde auf dem Wohnzimmertisch verteilt und Rum wurde ausgeschenkt.
Taro hatte sich nach dem Essen in einen Sessel gesetzt und begonnen von vergangen Tagen zu erzählen. Er war der Älteste und alle Anderen hatten sich im Kreis um ihn herum verteilt und lauschten den Geschichten. Maya saß mit großen Augen da und konnte kaum glauben was sie hörte, es klang so unreal und passte so gar nicht mehr in die Zeit in der sie lebten.
Einige fielen ihm ins Wort und wollten den zwei Neuen von ihren eigenen Abenteuern erzählen, von Kämpfen und Niederlagen.
"Was seid ihr? Eine Art Rebellen?" Damian hatte lange zugehört doch und wollte er die Antwort haben, auf die schon lange wartete. "Es gibt Gerüchte vom Widerstand in dieser Stadt."
"Na wenn du es so nennen willst." Taro zuckte die Schultern. "Wir leben davon das wir die Konvois der Söldner und Händer überfallen und bis jetzt klappt es auch ganz gut."
"Wieso haben sie euch nicht schon alle festgenommen?"
Die Miene des Mannes wurde ernst. "Wir lassen niemanden übrig, der von uns erzählen könnte. Die Straße ist gefährlich und es verschwinden immer wieder Menschen auf beiden Seiten, so lange wir es nicht übertreiben, schöpft auch keiner Verdacht."
"Kannst du kämpfen Kleiner?" Taro sah ihn schmunzelnd an.
Damian zögerte einen Moment zu lange mit der Antwort und der Bärtige nickte. "Dann lernst du es! Du wirst es brauchen."
Tage vergingen. Damian und Maya blieben, wo sollten sie auch hin? Feyra unternahm mit den Mädchen lange Streifzüge durch die Stadt, Damian musste sich Taro im Faustkampf beweisen. Dieses Unterfangen ließ seine Spuren an dem Jungen zurück, ein Blaues Auge war keine Seltenheit.
"Durch Schmerz lernt man." Lachend zog Taro den Blonden vom Boden hoch und klopfte ihm auf die Schulter.
Wütend funkete Damian ihn an. "Vorsicht Alter Mann, deine Knochen heilen langsamer als meine."
"Dazu müsstest du mich treffen Junge."
Plötzlich flog die Tür der kleinen Halle auf, die als Trainingsraum diente. Lars sankt keuchend auf die Knie, es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis er wieder sprechen konnte.
"Konvoi!" Japsend stemte er sich in die Höhe. "Vor der Stadt, in ein paar Minuten sind sie hier!"
Taro rannte los, Damian hatte Mühe dem Bärtigen zu folgen, nie hätte er für möglich gehalten, wie fit man in diesem Alter noch sein konnte. Der Weg führte ihn in die improvisierten Waffenkammer. Gewehre, Pistolen und Munition lagen in Regalen, die sich bis zur Decke hoch türmten. Hektisch wurden wahllos Feuerwaffen aus den Halterungen gerissen und an die Umstehenden verteilt.
"Alle wissen was sie zu tun haben. Damian, du kommst mit mir!" Schon rannten alle aus dem Raum. Der Blonde handelte nur noch reflexartig, viel zu schnell traten die Ereignisse ein. Die Anderen bezogen ihre Posten an den bekannten Platzen, duckten sich hinter Mauern und versteckten sich in Hauseingängen. Feyra war mit Maya auf das Dach gerannt und hatte ihr Gewehr mit Zielfernrohr aufgebaut.
"Wir müssen auf unsere Jungs aufpassen, wenn einer der Typen aus dem Konvoi eine Waffe zieht, dann sag mir Bescheid." Maya nickte nur schüchtern. Ihre Angst machte es ihr schwer zu denken. So viel Gewalt in diesen Zeiten.
Die Trucks fuhren in die Straße ein. Lars und Dotsch waren es die auf die Straße sprangen als Autos schon fast auf ihrer Höhe waren. Schüsse waren zu hören, quietschende Reifen folgten, danach Stille. Die Minuten verstrichen, bis sich endlich eine Wagentür öffnete.
Ein Kopf mit wirren Locken kam zum Vorschein.
"Alle Aussteigen!" Brüllte Dotsch und feuerte mit seiner Waffe in die Luft. Nach und nach traten die Männer auf die Straße. Ein Knall zerriss die Luft und am Ende der Autoschlange fiel ein Körper zu Boden.
"Waffen fallen lassen!" Nun war es Lars, der als erster die Stille durchbrach. Damian war überrascht von der Kaltblütigkeit, die von der Rebellengruppe an den Tag gelegt wurde, aber vielleicht war das die einzige Möglichkeit mit solchen Leuten umzugehen.
"Was soll denn das? Wir sind euch überlegen. Wir sind mehr Leute und besitzen bessere Waffen." Die Stimme kam von einem großgewachselnem Mann, seine schon leicht grau werdenden Haare waren fast zur Gänze unter einer Mütze verborgen. Sein Gesicht war mit einer Narbe gezeichnet, die sich über eine Wange und noch ein Stück des Halses entlang zog. Er trug einen Gürtel auf der Hüfte, in dem einige kleine Messer und Handfeuerwaffen befanden. Ein Maschinengewehr trug er am Gurt über die Schulter. Damian ließ seinen Blick über seine Männer wandern, alle groß, muskulös gebaut und schwer bewaffnet, als gäbe es eine Vorschrift wie man als Söldner auszusehen hatte. Es war eine schlagkräftige Truppe, der sie sich in den Weg gestellt hatten und er bereute es, dies getan zu haben.
Ein vielfaches Klicken war zu hören und schon hatten auf beiden Seite alle die Gewehre im Anschlag.
Taro feuerte, eine Salbe von Kugel traf den Befehlshabenden, der haltlos auf den Boden sank. Lars und Dotsch rannten auf einen Hauseingang zu, schossen wärendessen ohne zu zielen auf die Fremden und dann brach Chaos aus.
Patronen fielen klirrend zu Boden und ein Kugelhagel wurde vom Konvoi in alle Richtungen abgegeben. Die Rebellen huschten von einer Deckung zur nächsten, ducken und schießen, irgendwen würde es schon treffen. Schreie von den Getroffenen hallte von den Wänden der Häuser wieder und Blut ergoss sich auf die den Straßenbelag. Damian hatte eine Weile in seiner Deckung gesessen, unfähig irgendetwas zu tun. Erst als eine Kugel dicht an seinem Ohr in die Wand grub sprang er auf und feuerte in die Richtung des Schützen. Er traf, ein Soldat griff sich an Bauch, seine Handschuhe färbten sich augenblicklich rot und sank auf den Boden. Wie gelähmt sah der Junge zu wie er sich auf dem Boden wand.
Eine Hand packte Damian an seinem Mantel und zog ihn hinter eine Mauer. Taro sah ihn für einen Moment abschätzdend an, dann klopfte er ihm auf die Schulter und rannte schießend auf die Gruppe von Autos zu.
Dann war alles so plötzlich zu Ende wie es angefangen hatte. Den letzte der Söldner traf ein Schuss von Oben, er sackte zur Seite, unter der Mütze rannen schmale rote Flüsschen über sein Gesicht.
Eine unerträgliche Ruhe legte sich auf den Straßenzug. Angespanntes Warten.
Schließlich trat Dotsch aus einer der unzähligen Türen, Lars stützend. Er hatte sich den Arm des jungen Mannes über die Schulter gelegt und humpelte über die Straße, wo Taro ihnen schon entgegen stürmte. Alle Drei verschwanden in dem bekannten Treppenhaus.
Als Damian in der Wohnung ankam, sah er wie alle sich kreisförmig um die Sitzgarnitur gruppiert hatten, sie redeten aufgeregt durcheinander. Der Bärtige löste sich aus der Formation und trat auf ihn zu.
"Hilf mir! Ich will sehen was die Typen in ihren Autos haben." Der blonde Junge nickte und folgte ihm zurück auf die Straße. Gemeinsam zerrten sie die leblosen Körper die ihnen im Wege lagen beiseite und durchsuchten die Fahrzeuge. Es kam so einiges zum Vorschein. Essen, Alkohol und noch mehr Feuerkraft. Hätten die Männer die Möglichkeit gehabt alles zu gebrauchen, hätte die kleine Gruppe von Systemgegnern keine Chance gehabt. Damian trug bergeweise Waffen und Munition in die Waffenkammer und anschließen half er Taro die Verpflegung ins Haus zu schaffen. Es war ein erfolgreicher Beutezug.
Mit einem Nicken bedankte der Ältere sich und wies die anderen Jungs an sich um die Leichen zu kümmern. Damian setzte sich der Weile auf einen Sessel und sag besorgt zu Lars. Gekrümmt lag er auf dem Sofa und wimmerte leise. Ein Schuss hatte ihm das Schulterblatt zerrissen. Man hatte es notdürftig behandelt, eigentlich hätte es einen Arzt bedurft, wahrscheinlich würde er seinen Arm nie wieder richtig bewegen können.
Maya kam aus dem Nebenzimmer zu ihm und setzte sich auf die Lehne des Sitzmöbels.
"Wie ist es einen Menschen zu töten?"
Damian sah sie erschrocken an. "Was?"
Sie schwieg.
Feyra war hinter den Beiden aufgetaucht und nahm die Hand des Mädchens. "Komm." sagte sie leise. Sie verschwand mit dem Kind im Treppenhaus und als die Schritte nicht mehr zu hören waren, seufzte der blonde Junge leise und legte den Kopf in den Nacken. Wäreden er das Gesicht zwischen den Händen vergrub, dachte er tatsächlich über diese Frage nach.
Seinen Gedanken nachhängend, fuhr er erschrocken hoch als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.
Dotsch stand hinter dem Sessel und zwei Gläser und eine Flasche in der Hand. Er stellte alles auf dem Tisch ab und ließ sich auf der Lehne nieder. Bedächtig goss er die Flüssigkeit in die Gefäße und reichte dem Blonden eines davon.
"Denk nicht so viel nach."
Damian nickte und prostete seinem Gegenüber zu. Diesem Glas folgten weitere, schweigend saßen sie nebeneinander. Die Erinnerungen an das Geschehende verblassten und wurden nichtig. Diese Menschen würde niemand vermissen, wo sie hin kamen brachten sie Leid. Was mit ihnen passiert war, es kam einer Strafe gleich. Sicher war es falsch einen Mord zu rechtfertigen, aber für Damian machte es die Tatsache erträglicher.
Als Taro das Wohnzimmer betrat, musste er über den Anblick schmunzeln, der sich ihm bot. Die zwei Jungs waren in den Sesseln eingeschlafen und auf dem Tisch stand die fast leere Flasche Rum.
Es war ein harter Tag, der an niemandem spurlos vorbei gegangen war und jeder wurde damit auf seine Weise fertig. Ferya saß stundenlang mit Maya auf dem Dach und erklärte ihr was sie über die Sterne wusste. Andere hatten sich zurückgezogen, oder waren spazieren gegangen und diese Beiden hatten eben zum Alkohol gegriffen. Taro selber setzte sich zu Lars, nahm sich ein Buch aus der Regalwand und blätterte darin herum. Schließlich begann er dem verletzten Jungen etwas vorzulesen. Es würde ihn selbst und vielleicht auch Lars etwas beruhigen.
Wasserratte Re: Gefällt - vielen dank für dein Kommi :) ich freue mich wenn dir meine Geschichte gefällt und werde mich bemühen, noch besser zu werden. vielleicht schaust du ja irgendwann noch mal vorbei, ich werde versuchen in regelmäßigen abständen etwas neues hochzuladen. lg dat ratte |
Gast Gefällt - Ich muss sagen, dass mir die Geschichte bis hierhin schon sehr gut gefällt. Die Charaktere und die Umgebung sind besonders gut beschrieben und der Schreibstil ist flüssig und gut lesbar. Ich gebe trotzdem nur 4 Sterne, denn man ist immer noch zu etwas Besserem fähig ;) *daumenhoch* und weiter so! |