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Der Mond stand hoch am Himmel und strahlte so hell, dass jeder Gegenstand unheimlich schön in fließend weißes Licht getaucht war. Nachts wirkte immer alles schaurig und still. Ich sprang leichtfüßig auf eine meterhohe Mauer, von welcher man einen weiten Blick hatte und was noch viel wichtiger war, von welcher man auf das Meer hinaus sehen konnte. Schön war das Meer immer, doch am Schönsten war es am Abend, wenn der Horizont die grelle Sonne verschluckt und sich ihr Licht über dem Wasser ergießt, so schnell wie Blut aus einer Kehle fließt. Das Meer war wie die Nacht, auch dieses wirkte ruhig und eintönig und die Menschen liebten es ruhig. Nur täuschen sie sich. Sie täuschen sich in der Nacht. Sie täuschen sich im Meer. Weder das eine noch das andere war ruhig, nur weil es eben diesen Anschein machten. Ich war wie die Nacht. Ich war wie das Meer. Die schwarzen Bäume rauschten im Wind, die Äste ragten in den Himmel wie knochige Finger. Kein einziger Stern stand am Himmel. Er sah aus wie ein riesiges schwarzes Tuch und der Mond war ein weißer Fleck, der wundervoll leuchtete. Lange betrachtete ich die glimmende Kugel hoch über mir, bis ich ein Knacken hörte und eine schneeweiße Katze von einem Baum neben mir auf die Mauer sprang, so lautlos wie eine Feder zu Boden fiel und dennoch spürte ich ihre Präsens ganz deutlich. Sie starrte mich funkelnd an und ihre Augen glänzten im Mondlicht mystisch. Auffordernd trat sie einen Schritt näher an mich heran und als ich die Hand langsam ausstreckte um ihr Fell zu berühren, zuckte sie nicht zurück, sondern schmiegte sich wohlwollend um meinen Arm. Ihr Fell war warm und unter meinen sanften Streicheleinheiten schnurrte sie leise und irgendwie melodisch. Die Katze streckte sich und legte sich dann wie selbstverständlich und behutsam in meinen Schoß, wo sie die Augen schloss und ich ihr Schnurren auf meinen Beinen in leichten Stößen spüren konnte. Ich hob den Kopf, sah in den Himmel und strich ihr weiter über das gleißend strahlende Fell. Sie täuschen sich alle verheerend.
Da mein Hunger einigermaßen gestillt war, blieb ich noch lange auf der Mauer sitzen, die Katze kuschelnd in meinem Schoß, und sah auf das Meer hinaus. Erst als die ersten Strahlen der Morgensonne mein Gesicht streiften, setzte ich das liebliche Geschöpf auf der Mauer ab. Mit großen Augen sah es mich an und ich bildete mir ein die Katze würde mir zulächeln. Ich strich ihr noch einmal über den weichen Kopf, dann schwang ich mich den Hang hinab in die Tiefe.