Gedichte
Sirene - Sehnsucht, die befreit

Anmutig hebt sie an ihr Kinn,

sendet aus welch betörenden Gesang,

bestückt mit Schönheit und Scharfsinn,

sie, eines Mannes Hauptgewinn.

Ihre Flügel bringen sie an den Ort,

den sie für die Jagd auserkoren,

ihre Flossen tragen sie wieder fort.

Sie singt einsam, hofft auf Antwort.

Ihr Lied dringt sanft ein in sein Ohr,

setzt sich angenehm dort fest,

wie ihr zarter Blick zuvor,

in welchem er sich längst verlor.

Im Traum ist sie ihm schon erschienen,

sang ihm ein lieblich Lied,

schon wollt' er ihr erliegen,

sich an ihre warme Brust anschmiegen.

Hat seine Reise umgelenkt,

um sofort zu ihr zu gelangen,

hat sogar fast sein Schiff versenkt,

weil nur sie es ist, woran er denkt.

Und jetzt, wo er sie so ansah,

da er ihr leibhaftig gegenüber,

wollt' er, dass seine Kinder sie gebar

und nichts mehr ohne sie geschah.

Seemänner, Bauern und noch mehr,

von überall zieht der Gesang den Bann,

sie schickt Gesang sogar durchs Meer,

es erscheint ihr gar ein Männerheer.

Doch etwas trübt das Liebesglück,

keiner scheint es zu erkennen,

kein Mann hier ist ihr Gegenstück,

dennoch weicht ihr keiner zurück.

Liebesschwüre sie ersucht,

um unreine Begierde zu vernichten.

Sie treibt die Männer in ihre Bucht,

auswegslos ist dort des Mannes Flucht.

Obwohl sie mit Grausamkeit es wagt

ihrer Opfer Glieder ganz öffentlich zu fressen,

bisherige Resonanz besagt:

ihr Spiel hat zuvor noch nie versagt.

Doch ein einzig Seemann scheint zu wissen,

hat sich dadurch selbst erweckt,

sich zu entziehen ihren Bissen,

scheint eine andere Frau stets zu vermissen.

Ehe wieder ihr Gesang erbricht,

um von Männerkörpern zu probieren,

scheint ein Seemann ganz erpicht,

wendet sich ans Sternenlicht,

beginnt die Zeilen zu zitieren,

und bringt hervor ein kurz' Gedicht:

„Wo ich mich auch verirren mag,

dein Licht mag mich leiten.

Ob die Nacht mein Feind oder der Tag,

oder ob toben die Gezeiten,

du vermagst mich zu geleiten.

Jungfrau, mein Herz schaut nach dir aus,

ist nicht krank und ist nicht blind,

schickst mich zurück, schickst mein Schiff hinaus

und die Sehnsucht ist des Matrosen Wind.“

Ehe ihr Gesang bricht erneut entzwei,

fasst sie sich an ihre schmerzend Brust,

ihr Schreckensspiel ist nun vorbei,

erstickt im Keim des Wassers Tiefe,

erstirbt ihr Fluch und sie ist frei.

Vergangen die Suche nach falscher Lust,

ein ehrlich Herz, dies sei gewiss,

ein ehrlich Herz, das ist robust.