Kurzgeschichte
Die Trauerfeier

0
"Die Trauerfeier"
Veröffentlicht am 23. Mai 2011, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

www.weg-des-stifts.de Ein kleines, aber feines Forum für junge Schriftsteller, die dort einige Gleichgesinnte finden werden. Das Forum beschränkt sich nicht nur auf das Autorenhandwerk, sondern bietet auch andere Möglichkeiten wie Rollenspiele oder Diskussionen über das hier und jetzt. Schaut einfach mal vorbei, registriert euch und werdet Teil unser kleinen Community. :-)
Die Trauerfeier

Die Trauerfeier

Beschreibung

Wo ist sie? Die Geschichte bitte nicht mit der Flash-Darstellung lesen.

Langsam glitten wir fort in dem kriechenden Strom der Menschenschlange, während wir uns nach einem Platz zum Stehen umsahen. Der Aufenthaltsraum war gefüllt von Unruhe und dem alltäglichen Getratsche, so wie gelangweilten, ergriffenen, ernsten und skeptischen Gesichtern.

 

Ein Lehrer schritt rastlos zwischen den Reihen der Schüler durch und forderte jene, die schon standen und jene die sich noch bewegten dazu auf doch weiterzugehen, um jedem die Chance zu geben an dem Ereignis teilzunehmen. Keiner wollte doch vor der Tür stehen gelassen werden. Dabei war seine Stimme zugleich vorwurfsvoll und von einer flehenden Einzigartigkeit gespickt mit einem verzweifelten Zittern, das ich in diesem Raum nicht noch einmal finden sollte. Und doch wurde er von allen ignoriert.

Warum fragte ich mich ob seine Gefühle wahrlich wirklich waren, oder ob sie ein obsoletes Schauspiel waren, um die allgemeine Etikette zu erfüllen?

 

Woher kommt dieses Misstrauen?

 

Als alle Schüler schließlich ihren Platz gefunden hatten, trat der Direktor vor und eine gezwungene Stille senkte sich über die Schar der Schüler. Sie wussten, dass es nötig war zu schweigen. Sie wussten, dass es angebracht war. Sie wussten, dass etwas anderes nicht toleriert werden würde. Und einige wussten, was sie fühlten. Doch ein Teil von uns wusste es nicht. Ein Teil wusste nicht einmal, warum sie eigentlich hier standen.

Und nur ein paar wenige wussten, was folgen würde.

Es war schließlich immer das Gleiche.

Sie versuchten uns zum Trauern zu zwingen.

 

Nicht einmal ein Räuspern vor seiner Rede war nötig, damit er ganz sachlich beginnen konnte.

 

Liebe Kollegen und Kolleginnen … liebe Schüler und Schülerinnen …

 

Ich fühlte mich, wie bei der Eröffnungsrede für eine Schulveranstaltung… Es war immerhin auch eine Feier… Wenn auch nur im Namen.

 

Verlust…Kompetenz…Lehrerin…Kollegin…Kompetenz…Wettbewerb…Gewonnen…

 

Wir haben Lehrermangel. Kein Wunder, dass er trauert. Sie war anscheinend eine gute Lehrerin gewesen.

In der Zwischenzeit ist der Lehrer mit der flehenden Einzigartigkeit in einen Nebenraum gegangen, um dort hinter dicken Glasscheiben auf und ab zu gehen. Danach kam er zurück und setzte sich schwerfällig mit rotem Gesicht auf den Boden. In dem Moment verurteilte ich meine eigenen Gedanken.

Was bin ich für eine Person, die ihn des Schauspiels beschuldigen konnte? Aber gleichzeitig erfüllte es mich mit Sorge. Wie war er in der Lage bei diesen Worten zu trauern? Er musste ihr nahe gestanden haben…

Hoffe ich…

 

Sie war doch mehr als eine Lehrerin…

 

Schüler…Kompetenz…Leistung…Kollegin…Kompetenz…Schule…Gott…

 

Die Rede näherte sich dem Ende und dem Blickwechsel mit einer Lehrerin folgte ein emotionsloses Gebet, das weitaus persönlicher war als die Rede. Und trotzdem schwieg die gesamte Audienz beim abschließenden Amen.

Keine Anteilnahme.

 

Als Abschluss der Trauerfeier sollte ein Lied, gespickt von Inhalten aus der Bibel, dienen. Gott wurde gepriesen, Satan war der Besiegte, ihre Sünden sollten ihr vergeben werden, Jesus stand aus dem Grabe auf, Satan wurde überlistet.

Was interessiert mich Gott? Waren ihre Sünden etwa der Grund für ihr Schicksal? Was interessiert mich Satan? Wo besteht der Zusammenhang mit Jesus? Sie wird nicht wieder aus dem Grabe auferstehen. Sie wird den Tod nicht mehr überlisten können.

 

Danach waren wir entlassen. Die Lehrer kamen mit, damit wir auch wirklich in andächtiger, würdiger und angebrachter Art und Weise schweigend in unsere Klassenräume zurückkehren konnten, um dort wieder unverändert dem Alltag nachzugehen.

 

Während der Feier hatte ich nicht wegen ihres Todes trauern können. Es lag nicht daran, dass sie eine mir eine Unbekannte gewesen war. Jeder Tod bringt Verluste mit sich, die man betrauern sollte. Jeder Tod erzeugt irgendwo eine Lücke. Und jeder Tod eines Menschen lässt uns sehen, was uns hinterlassen wurde, wofür wir dankbar sein sollten und was wir vermissen werden.

Doch das sind keine Erinnerungen an gewonnen Schulwettbewerbe. Keine Erinnerungen an eine kompetente Lehrerin. Keine Erinnerungen an eine leistungsfähige Arbeitskollegin. Keine fragwürdigen Floskeln aus der Bibel.

Wo ist die Person geblieben? Wo ist der Mensch?

 

Ich weigere mich den Abschluss eines Verlustgeschäfts zu betrauern. 

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_53762-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_53762-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_431521.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_431522.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_431523.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_431524.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_431525.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_431526.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_431527.png
0

Hörbuch

Über den Autor

Arrix
www.weg-des-stifts.de
Ein kleines, aber feines Forum für junge Schriftsteller, die dort einige Gleichgesinnte finden werden.
Das Forum beschränkt sich nicht nur auf das Autorenhandwerk, sondern bietet auch andere Möglichkeiten wie Rollenspiele oder Diskussionen über das hier und jetzt.
Schaut einfach mal vorbei, registriert euch und werdet Teil unser kleinen Community. :-)

Leser-Statistik
36

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Sherlock Schwierig... - Deinen Text hast du gut formuliert und auch ich finde es toll, das du deine Gedanken so frei geäußert hast! Der Inhalt ist Ansichtssache, und deshalb wohl nicht verhandelbar =)

Anna!
Vor langer Zeit - Antworten
Sherlock Re: -
Zitat: (Original von HateMe am 23.05.2011 - 18:26 Uhr) Da steckt unglaublich viel Wahrheit in dem Text und er liest sich wirklich gut, vor allem da zu dem Aussprechen dieser Anteilnahmslosigkeit einiges an Mut gehört.
Wir hatten in der Schule früher auch mal eine Trauerfeier für irgendeinen Schüler, der sich umgebracht hatte. Die ganze Baggage hat sich in der Aula versammelt und "trauerte" vor sich hin, dabei hat sich zu Lebzeiten keine Sau für den Schüler interessiert - es ist schon gruselig, wie in der Gesellschaft jeder Tote hoch zum Himmel gelobt wird, selbst von Leuten, die gar nichts damit zu tun hatten.
Aber ich schweife ab, ähm... guter Text auf jeden Fall, das war eigentlich alles was ich sagen wollte.



Ich glaube nicht, das es darum geht, jemanden "hoch zum Himmel zu loben", sondern daran Anteil zu nehmen! Selbst wenn du in diesem Fall nicht persönlich betroffen warst, ist das doch in deinem täglichen Lebensumfeld passiert. Und ich finde es durchaus legitim, das den Schülern in diesem Fall gezeigt wird, was Anstand, Höflichkeit, Anteilnahme oder sogar Mitgefühl bedeuten. Das man noch einmal an den Verstorbenen denkt, an sein Leben, an sein Gesicht...das ist doch nicht gruselig! Ich höre aus deiner Aussage raus, was heute ein großer Teil der Gesellschaft denkt "Betrifft mich nicht-ist mir doch egal" Und so einen Gedanken finde ich wirklich gruselig!
Vor langer Zeit - Antworten
Arrix Re: -
Zitat: (Original von Kenshin am 26.05.2011 - 21:57 Uhr) Ergreifender Text... Menschen hinterlassen lücken, die man nicht so einfach mit 5 Sätzen schließen kann.

lg Kenshin


Danke fürs Lesen. :-)
Es freut mich, dass er dir gefallen hat.
Vor langer Zeit - Antworten
Kenshin Ergreifender Text... Menschen hinterlassen lücken, die man nicht so einfach mit 5 Sätzen schließen kann.

lg Kenshin
Vor langer Zeit - Antworten
Arrix Re: Wo ist der Mensch? -
Zitat: (Original von Forseti am 23.05.2011 - 21:57 Uhr) aber wo ist der Mensch??


Versunken im Sumpf der Gesellschaft, wo kaum ein Blick ihn mehr erreichen kann.

Vielen Dank fürs Lesen und kommentieren. :-)

Liebe Grüße
Arrix.
Vor langer Zeit - Antworten
Arrix Re: -
Zitat: (Original von HateMe am 23.05.2011 - 18:26 Uhr) Da steckt unglaublich viel Wahrheit in dem Text und er liest sich wirklich gut, vor allem da zu dem Aussprechen dieser Anteilnahmslosigkeit einiges an Mut gehört.
Wir hatten in der Schule früher auch mal eine Trauerfeier für irgendeinen Schüler, der sich umgebracht hatte. Die ganze Baggage hat sich in der Aula versammelt und "trauerte" vor sich hin, dabei hat sich zu Lebzeiten keine Sau für den Schüler interessiert - es ist schon gruselig, wie in der Gesellschaft jeder Tote hoch zum Himmel gelobt wird, selbst von Leuten, die gar nichts damit zu tun hatten.
Aber ich schweife ab, ähm... guter Text auf jeden Fall, das war eigentlich alles was ich sagen wollte.


Danke fürs Lob und für die Bestätigung.
Auch wenn ich wünschte, dass zumindest die Bestätigung diesmal ausgefallen wäre. Ich finde es nämlich erschreckend. Wie kann den Schülern beigebracht werden auf solch eine Art und Weise mit dem Tod umgegangen zu werden? [...)

Und versteh mich nicht falsch. Ich trauere um die Person. Zwar habe ich sie nie gekannt, oder gar im Unterricht gehabt, aber ich weiß, dass ihr Tod irgendwo eine Lücke hervorgerufen hat. Und die Verluste, die Gefühle und Ängste, die diese Lücke hervorruft bewegen mich. Gleichzeitig aber achte ich ihr Werk. Sie hat etwas hinterlassen.
Doch das wird nicht angesprochen. Ihre Leistung war nicht ihre Leistungsfähigkeit als Lehrerin, nicht ihr Potential ihren Job gut zu erfüllen und Preise für die Schule einzuholen.

Ich weigere mich unter diesen Gesichtspunkten um jemanden zu trauern.

Aber ich schweife auch ab. :P

Jedenfalls danke fürs Lesen. :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
8
0
Senden

53762
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung