Beschreibung
Seit dem Tod ihres Freundes wandelt Katie durch ihr Leben, als wäre sie selbst gestorben. Selbst ein Jahr danach quälen sie die Erinnerungen, als wäre es erst gestern gewesen.
"Eines Tages wird alles gut sein, das ist unsere Hoffnung. Heute ist alles in Ordnung, das ist unsere Illusion." - Voltaire
Katie Nickelson schlenderte wie jeden Morgen die großen, überfüllten Gehwege der Stampelton Street entlang. Die Sonne ließ ihre Haare nicht nur blond, sondern fast wie Gold strahlen. Ihre Locken ließen sie einen Engel gleich sehen. Viele Blicke, die an ihr hingen blieben, wurden von der jungen Frau erst gar nicht wahrgenommen, da ihre Gedanken ganz wo anders waren. Die Lauten Geräusche, die um sie herum gemacht wurden, kamen ihr sehr weit entfernt vor. Es waren nur ein paar Sätze, die sie immer wieder im Kopf hörte.
Wir konnten nichts mehr tun, es tut uns schrecklich leid. Es war zu spät. Wir werden Ihnen eine Psychologin zur Verfügung stellen, Sie sollten mit ihr reden.
Als ob eine Aufnahme stecken geblieben wäre. Katie eilte die alten Stufen zu dem großen Gerichtsgebäude hinauf. Die großen braunen Türen, erinnerten sie jedes mal wieder an den verhängnisvollen Tag. Sie stieß mit Kraft gegen den Türknauf, um die aufblühenden Erinnerungen zu verdrängen.
...Da saß sie ihm gegenüber. 20 oder 30 Meter lagen zwischen ihnen. Wie er grinste, als ob es ihm vollkommen egal wäre. Noch nie hatte sie einen Menschen so voller Verachtung - nein, Hass - angesehen. Nach all den Jahren, in denen sie an das Rechtssystem geglaubt hatte und sich dafür einsetzte, sah sie nun keinen Sinn mehr darin. Wie konnte er nur so davonkommen? Ihre ganzen Kollegen, für die sie immer da war fielen ihr in den Rücken. Warum machte nur niemand etwas? Der Urteilsspruch fiel, doch was für eine Gerechtigkeit war das? - 3 Jahre, davon zwei auf Bewährung. Wieso durfte er nach so kurzer Zeit wieder ein richtiges Leben führen? - Sie würde nie wieder ihr altes zurückbekommen Sie würde ihn nie wieder zurückbekommen doch…
Der Sicherheitswächter begrüßte sie mit einem Nicken. Raschen Schrittes kam sie bei der Empfangssekretärin Emily an: „Guten Morgen Mrs. Nickelson. Mr. Johnson wünscht sie sobald wie möglich zu sehen.“ Katie brachte ein gezwungenes Lächeln hervor und dankte noch schnell für die Nachricht. Der Lift, der gerade unten angekommen war, wurde noch aufgehalten. Eine Stimme rief ihr zu: „Katie, beeil dich!“ Hastig eilte sie in den leicht überfüllten Fahrstuhl. Sie alle waren da. All ihre „Freunde“, die nichts unternommen hatten.
Katie es tut uns so leid für dich. Es ist schrecklich, ihr ward so ein liebes Paar. Falls du Hilfe brauchst sind wir alle für dich da.
Doch wer von ihnen hatte wirklich etwas unternommen? Nach ein paar Minuten der Stille ertönte das gedämpfte Läuten der Glocke, die ihren Stock ankündigte. Ohne noch ein Wort zu sagen verließ sie den Aufzug. Ihr Büro, welches am rechten Ende des Ganges lag, trug noch immer eine kleine schwarze Fahne neben dem Schild mit ihren Namen. Sie machte die Tür auf und …
…erblickte Mark. „Liebling was machst du denn hier? Du müsstest doch noch in Frankreich bei der Besprechung sein.“ „Ich habe mir ein paar Tage früher frei genommen, weil ich dich so vermisst habe, schließlich ist heute unser fünfter Jahrestag und ich habe heute etwas ganz besonderes vor mit dir.“ Seine hellgrünen Augen strahlten eine Wärme aus, die sie noch bei keinem anderen Menschen erlebt hatte. Selbst wenn sie noch so böse, geladen voller Zorn, oder einfach schlecht drauf war ließ er sie all ihre Sorgen vergessen. „Ich hol dich heute Abend um sieben ab. Du musst nicht mehr nach Hause dich umziehen, da deine jetzige Kleidung vollkommen akzeptabel ist.“ „Ich freu mich Schatz, doch so leid wie es mir tut, muss ich jetzt in den Gerichtssaal. Meine Mandanten können sich nicht selbst vertreten.“ Mark lächelte sie an, als ob er gerade den größten Reichtum der Welt für sich erobert hätte. Ihr Herz begann jedes Mal aufs Neue zu rasen, wenn er sie so wie jetzt nahm und sie küsste. „Ich liebe dich mein Engel, vergiss das nie.“ „Ich liebe dich auch.“ Die Tür ging auf und…
Katie verschwand in ihrem Büro. Der Aktenstoß auf ihrem Schreibtisch ließ sie sehr viel Arbeit vermuten. So konnte sie sich wenigstens von ihren Tagträumen ablenken, doch vorher musste sie ja noch zu Mr. Johnson. Nachdem sie zumindest ein bisschen Ordnung gemacht hatte spazierte sie den Gang entlang, bis sie vor der Tür zu seinem Büro stand. Schon immer strahlte sie etwas Bedrohliches aus, die Gründe dafür waren ihr noch nie klar, doch auch jetzt fühlte sie sich nicht wohl als sie klopfte. Eine raue Stimme befahl monoton: „Wer ist da? Egal, herein!“ Sie drückte die schwere Kastanienholztür auf, die ein schrilles Quietschen von sich gab. „Na endlich sind Sie da Mr. Nickelson. Ich dachte schon Sie kommen heute nicht mehr. Es freut mich sehr, dass Sie den weiten Weg von Ihrem Büro in meines geschafft haben.“ Der Zynismus war unüberhörbar, doch man durfte ihm solche Bemerkungen nicht übel nehmen. Nicht viele in dem großen Gerichtsgebäude konnten mit seiner Art auskommen. Die meisten beschwerten sich, fühlten sich ungerecht behandelt oder versuchten ihn ewig für sich zu gewinnen. Katie hingegen hatte schon vor Jahren gelernt, dass Mr. Johnson ein sehr zynischer Mensch war, jedoch trotzdem fürsorglich und liebevoll, wenn man ihn erst einmal kennen gelernt hatte. „Was denken Sie denn von mir? Würde ich Sie jemals versetzen Mr. Johnson? Der Weg würde allerdings bequemlicher sein, wenn es mehr Bilder geben würde, die man sich während des Gehens anschauen könnte. Ich glaube, dann würde ich Sie auch öfter besuchen“, Katie setzte ein charmantes Lächeln auf, dem niemand widerstehen konnte. Ihr Boss, der gleichzeitig auch ein Freund für sie war musste lachen und bat sie Platz zu nehmen. „Katie, Scherz beiseite. Du weißt wahrscheinlich schon warum ich nach dir geschickt habe, oder? Vor genau einem Jahr ist es passiert. Nie wieder warst du die gleiche danach. Wie geht es dir und ich meine jetzt nicht die Höflichkeitsfloskeln die man jeden Tag runter labert, sondern wie es wirklich ist“, seine noch eben fröhlichen Augen wurden merkbar besorgt. Der gleiche Blick.
Katie kam das erste Mal seit dem Unfall wieder in die Kanzlei. Alle starrten sie an. Im großem und ganzem hatte sie sich schon wieder gut erholt. Ihr Bein, das mehrere Brüche gehabt hatte, musste nur noch mit einer Krücke gestützt werden und ihr Arm war schon wieder vollkommen regeneriert. Außer einigen Kratzern waren keine wirklichen Spuren vom Unfall an ihr geblieben. Da kam Jack Johnson, ihr Chef auf sie zu und umarmte sie gleich. „Wir haben alle davon gehört, wie geht es dir?“ In dem Moment setzte es bei ihr aus. Wie geht es ihr? Sie lebt, doch wollte sie noch leben? Sie hatte keine schwerwiegenden Verletzungen, doch hätte sie nicht lieber schlimmere, die ihr vielleicht sogar das Leben kosten würden? Was sollte sie auf die Frage sagen, wie es ihr geht? Woher sollte sie wissen wie es ihr geht? Wie konnte sie überhaupt wissen, dass das hier alles real war? Träumte sie nur?
Katie versuchte ein leichtes Lächeln, damit sich ihr Chef keine Sorgen mehr machte und versicherte ihm, dass sie nun schon gut damit zu recht kam. Nach ein paar weiteren flüchtigen Antworten, machte sie sich wieder auf in ihr Büro. Dort angekommen nahm sie die erst beste Akte und Schlug sie auf. Eine Anklage wegen Diebstahls. Der Täter wurde mit der Videokamera, sowie mit seinen Fingerabdrücken überführt. Sie arbeitete an Fällen, Argumenten für Verteidigungen und an guten Schlussplädoyer, die ihr den Sieg schon so gut wie gewiss machten. Als sie endlich den ganzen Stapel durch hatte, bemerkte sie, dass es inzwischen schon halb elf Uhr Nachts war. Die nächtliche Stille war ihr immer am liebsten, da man sich nun ganz seinen Träumen hingeben konnte. Während Katie ihr Büro wie jeden Abend genau inspizierte blieben ihre Augen auf einem Bild haften. Das Foto zeigte sie mit Mark als sie in ihrem Lieblings Restaurant gegessen hatten.
Um genau sieben Uhr stand Mark vor dem Gerichtsgebäude mit einer schwarzen mini Limousine. Katie musste immer wieder über seine Ideen schmunzeln. Wie geplant fuhren sie zum La Notte Restaurant ein teures französisches Lokal, wo sie bei größeren Anlässen immer wieder essen gingen. Die Atmosphäre war perfekt und der Abend konnte ihrer Meinung nach nicht mehr besser werden, doch da irrte sie sich gewaltig, denn Mark ließ sich plötzlich auf die Knie fallen, um sie zu fragen, ob sie seine Frau werden wollte. Der Augenblick kam ihr so unwahr vor. Alles um sie herum verschwamm und sie dachte, dass es zu schön war um wahr zu sein.
Eine Träne kullerte ihr über die Wange. Warum quälte sie sich immer mit den Erinnerungen? Wieso konnte sie nicht einfach vergessen? Katie entschied sich dafür, nach Hause zu fahren und den Tag im Bett zu überstehen. Sie rief sich ein Taxi und fuhr knappe 5 Minuten später zu dem großen Wohnhaus, wo sie seit etwa einen Jahr wohnte. Als sie die Haustür unten aufsperrte und vor dem Aufzug wartete kamen ihr erneut Tränen und ein Gefühl der Hilflosigkeit stieg in ihr hoch. Sie fühlte sich alleine und wusste, dass es außer Mark eigentlich niemanden gegeben hatte, mit dem sie alles Teilen konnte. Ihr wurde auf einmal klar, dass es auch niemals jemanden geben würde, der so wichtig sein wird für sie wie er. Ohne es gemerkt zu haben, hatte sie unbewusst den Knopf zum Dach gedrückt. Die schweren Eisentüren öffneten sich und sie übersah die ganze Stadt von oben. Langsam, aber sicher ging sie auf die ungesicherte Seite zu. Nur noch ein kleiner Absatz trennte sie vom äußersten Rand des Hauses. Sie stieg die Erhöhung hinauf und blickte direkt nach unten. Katie sah die tiefe und in ihr die Befreiung. In ihrem Kopf wurden die Bilder wieder zum Leben erweckt die sie für immer vergessen wollte. Sie presste die Augen zusammen…
…als sie sie wieder aufmachte fühlte sie einen grauenhaften Schmerz im Genick. Irritiert versuchte sie ihren Kopf zu bewegen. Was war geschehen? Unter enormen Kraftaufwand schaffte sie es sich umzusehen. Mit Schrecken stelle sie fest, dass die Limousine verkehrt herum auf der Straße lag. Neben ihr war Mark zwischen seinem Sitz und dem Lenkrad eingequetscht und bewegte sich nicht. Katie fing an zu schreien und schluchzen. Durch die Bewegungen rutschte sie aus ihrem Gurt und fiel mit dem Kopf voran gegen etwas Hartes. Erst im Krankenhaus wachte sie wieder auf. Sie wollte sofort wissen, wo Mark ist, doch niemand wollte es ihr sagen. Da schloss sie die Augen…
…und fühlte den sanften Wind, der ihr ihre Haare aus dem Gesicht blies. Die Tränen wurden durch den lauwarmen Hauch getrocknet. Sie setzte mit den rechten Fuß schon leicht zum Sprung an und wollte sich in die Tiefe stürzen, wissend, dass sie ein Leben voller Frust zurücklassen wird. Ihre Füße hoben sich. Der Wind erlischt und eine vollkommene Stille umhüllte sie. Plötzlich packte sie eine Hand an ihrer Jacke und hielt sie fest, so dass sie die Erhöhung nicht verlassen konnte: „Katie, tu das nicht. Das Leben bietet dir noch so vieles, warum willst du es jetzt herschenken? Du denkst du hast Mark verloren, doch du hast nur dich verloren, denn er wird immer bei dir sein. Er wird dich immer begleiten. Jetzt musst du nur für dich selbst entscheiden, ob du für dich da sein willst. Möchtest du dein Leben wegwerfen? Wenn du nicht genau weißt was du willst, dann frage dich doch einfach, ob Mark gewollt hätte, dass du die einzige Person, die er jemals über alles geliebt hat vernichtest? Hätte er gewollt, dass du dein Leben für ihn aufgibst?“ Katie blieb einige Minuten stehen und starrte direkt in den Abgrund, dann aber drehte sie sich um, damit sie den Mann sehen konnte, der sie vor einem schrecklichen Fehler abgehalten hatte. Sie drehte sich um und sah ihm direkt in sein Gesicht. Die beiden starrten sich einige Minuten an, bis er endlich was sagte: „Du wirst noch viel Gutes tun. Ich, sowie viele andere glauben an dich.“ Mit den Worten drehte er sich um und ging. Katie war außer Stande etwas von sich zu geben. Sie wollte ihm nachschauen doch konnte ihn nicht mehr sehen. Er war so schnell verschwunden, als ob er sich in Rauch aufgelöst hätte. Nachdenkend machte sie sich auf den Weg zum Aufzug, um wohlbehütet in ihre Wohnung zu kommen. Wer war dieser Mann? Kannte sie ihn? Nein. Katie war sich sicher, dass sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Woher kannte er ihren Namen? Trotzdem sie so viele Fragen im Kopf hatte fühlte sie sich besser, denn er hatte ihr eine innere Stärke gegeben, die sie zuletzt von Mark bekommen hatte. Die Ereignisse des heutigen Tages ließen sie rasch einschlafen. Erst spät in der Früh schaffte es der laute Wecker sie aus ihrem warmen und gemütlichen Schlaf zu wecken. Katie beeilte sich aus ihrer Wohnung in ihr Büro zu kommen. Die Straßen waren wie jeden Tag überfüllt, doch für sie war es, als ob sie das erste Mal seit langen zwischen den anderen Menschen ging. Als sie endlich beim Gerichtsgebäude ankam, musste sie feststellen, dass es heute um einiges fröhlicher wirkte als sonst. Oder war sie einfach besser drauf? Schon nach weiteren 5 Minuten saß sie an ihrem Schreibtisch und wollte sich um ihren ersten Fall kümmern. Sie schlug die Mappe auf und begann zu lesen. Ein junges Paar hatte einen Autounfall, die Frau verklagt den Fahrer des anderen Fahrzeuges wegen fahrlässiger Tötung, da ihr Freund bei dem Unglück ums Leben kam. Katie blätterte um und sah die Bilder des Geschehnisses. Der auf dem Kopf liegende Wagen, die Trümmer die rund herum verstreut waren. Es sah genauso aus wie bei ihrem Unfall. Dann blätterte sie noch eine Seite weiter und sah das Bild des toten Mannes. Ihre Augen weiteten sich und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Die Ähnlichkeit mit den geheimnisvollen Fremden von gestern war beängstigend, nein sogar unmöglich. Sie starrte das Foto noch einige Minuten an und war sich sicher, dass das der Mann war, der ihr gestern das Leben rettete. Sofort suchte sie seine Angaben. Name Jill Maiers. Alter 26. Geburtstag 24.3.1978. Todestag/Zeitpunkt 22.10. 2004. 14: 22. Todesursache massive Quetschungen wichtiger Organe; schwerer Herzfehler durch zu viel Blutverlust. Katie konnte es nicht glauben. Der Mann, der sie abhielt sich umzubringen war selbst schon seit gestern Mittag tot. Doch wie war das nur möglich? Sie hatte ihn doch gesehen. Da klopfte es an der Tür und eine junge Frau, die vollkommen aufgelöst war kam herein: „Entschuldige Sie. Ich bin Mrs. Burtle, die Freundin von Jill Maiers. Man sagte mir Sie haben den Fall zugewiesen bekommen. Können Sie mir helfen, diesen verfluchten Dreckskerl zu verklagen?“ Katie lächelte stand auf und gab ihr ihre Hand: „Sie können sich nicht vorstellen wie gerne ich ihnen dabei helfe. Es tut mir furchtbar leid um ihren verstorbenen Freund, er war ein sehr guter Mensch und ich bin ihm was schuldig. Er hat mir schließlich geholfen über den Tod meines Verlobten hinweg zu kommen.“ Katie hatte sich schon seit langer Zeit nicht mehr so gut gefühlt. Ja, Jill hatte ihr beigebracht, dass sie weiterleben musste. Nun hatte sie die Pflicht seiner Freundin damit zu helfen.