Neuer Mitbewohner
Verdammt, ist das heiß heute, ging es mir durch den Kopf, als ich nach dem Volleyballtraining die Sporthalle unserer Schule verliess.
Es war zwar noch Frühling, trotzdem war es die vergangenen Tage wirklich ziemlich warm gewesen, so das man meinen könnte, dass er schon Sommer wäre. Ich liebte solches Wetter zwar, aber wenn man Sport trieb, war es nicht mehr ganz so toll. Schnell warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Wenn ich nicht zu spät zu meiner Tante ins Café kommen wollte, dann musste ich mich jetzt beeilen. Seit sich meine Tante Haru vor zwei Jahren ihren Traum erfühlt hatte und ihr eigenes kleines Café eröffnet hatte, half ich ihr nach der Schule immer so gut ich konnte. Nach dem Tod meiner Eltern vor elf Jahren, war sie die einzige Verwandte die ich noch hatte. Meine Eltern starben, als ich sechs Jahre alt war bei einem Autounfall. Ich war zwar damals dabei gewesen, aber ich konnte mich bis heute an nichts genaues mehr erinnern. Das meiste wusste ich nur von dem, was mir Tante Haru erzählt hatte. Wir waren bei ihr zu besucht gewesen und mit dem Auto auf den Weg zurück. Ich war wohl sehr müde und habe auf dem Rücksitz geschlafen. Erst als ich im Krankenhaus war, bin ich wieder aufgewacht. Leicht schüttelte ich den Kopf. An so einem schönen Tag, sollte ich nicht an den Tod meiner Eltern denken, auch wenn ich mir lange dafür die Schuld gab. Ich hatte geglaubt, dass sie gestorben waren, weil sie mich beschützen mussten, da ich ja schlief. Heute wusste ich natürlich, dass dem nicht so war. Sie hatten mir mein Leben gerettet, weil sie mich liebten und damit ich leben konnte. Dafür war ich ihn wirklich sehr dankbar. Ich hatte jetzt wirklich schon genug Zeit vertrödelt. Mit schnellen Schritten ging ich auf der riesig Schultor zu.
„Hey, Kanegawa, warte doch mal“, rief jemand hinter mir und ich drehte mich um.
Kaede Sato, die Kapitänin der Volleyballmannschaft, kam auch mich zu. Ihre kurzen schwarzen Haare waren noch etwas nass vom Duschen und ihre dunkelblauen Augen blickten mich ernst an. Ob ich etwas falsch gemacht hatte? Ich schluckte leicht. Mir war bewusst, dass Kaede jemand war, mit dem man sich lieber nicht anlegte. Man erzählte sich, dass sie dem Kapitän der Karatemannschaft die Hand gebrochen hatte, weil dieser sie mehr als dumm angemacht hatte. Ob das wirklich der Wahrheit entsprach wusste ich allerdings nicht. Widerwillig bleib ich stehen, um auf die Schwarzhaarige zu warten.
„Was gibt es denn Kaede? Ich bin etwas in Eile“, sagte ich ihr und fuhr mir leicht durch mein blondes Haar.
„Das weiß ich, aber es wird nicht lange dauern. Lass uns ein Stück gemeinsam gehen“, erwiderte sie bloß und ging dann auch schon los.
Verwundert blickte ich ihr einen Moment nach. Sie wollte wirklich mit mir zusammen gehen? Mir war irgendwie nicht richtig wohl dabei, doch ich lief Kaede schnell nach.
„Was möchtest du denn von mir?“, fragte ich sie.
„Ich möchte mich einfach mal etwas mit dir unterhalten. Du bist beim Training immer so schweigsam und sonst, haben wir nicht wirklich Kontakt miteinander. Ich sehe dich in den Pausen immer alleine Essen“, antwortete sie mir und sah mich kurz an.
„Ich hab nicht wirklich viel zu sagen und ich bin eben gerne auch mal etwas für mich alleine. Ich muss schon im Klassenraum immer mit Anderen zusammen sein, da möchte ich meine Pause gerne für mich haben.“
„Verzeih, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Es ist mir eben einfach aufgefallen. Dir dürfte es doch eigentlich gar nicht so schwer fallen Freunde zu finden. Ich weiß, dass du bei deinen Mitschülern recht beliebt bist und dich oft für Sachen anderer einsetzt.“
„Das mag sein, aber. Moment mal! Woher weißt du das denn alles über mich?“
Kaede kicherte leise und bliebt stehen.
„Ich war einfach sehr neugierig und so schwer herauszufinden waren die Sachen auch wieder nicht. Du scheinst nicht wirklich mitzubekommen, was so um dich herum geschieht“, sagte sie und lächelte mich leicht an.
Dieses Lächeln war unheimlich, denn normalerweise lächelte das Mädchen mit den schwarzen Haaren nie. Jedenfalls hatte ich nie noch nie lächeln sehen.
„Wenn ich dich damit jetzt in Verlegenheit gebracht habe, dann tut es mir Leid“, meinte sie plötzlich, als würde sie merken, dass mir das ganze nicht wirklich behagte. „Da fällt mir etwas noch etwas ein. Das wollte ich dir schon vorhin nach dem Training geben, aber du warst so schnell weg gewesen.“
Sie wollte mir etwas geben? Kaede öffnete ihre Schultasche, zog einen weißen Umschlag hervor und reichte ihn mir.
„Und was ist das?“, fragte ich, als ich den Umschlag entgegen nahm.
„Das ist eine Einladung zu einer Party, die meine Eltern bei uns Zuhause veranstalten. Ich dachte, dass du gerne kommen würdest. Aber da du ja anscheint nicht wirklich gerne unter Menschen bist, musst du natürlich nicht kommen, wenn du nicht willst“, antwortete mir mein Gegenüber.
Meine Augen wurden größer und größer. Kaede Sato hatte mich auf eine Party bei sich Zuhause eingeladen. Ich wollte schon immer mal das Anwesen der Satos besuchen. Ich wusste, dass Kaedes Eltern ziemlich reich und sie die einzige Erbin war. Doch wenn man das nicht wusste, war sie eigentlich ein ziemlich normales Mädchen. Die Schwarzhaarige interessierte Geld nicht wirklich. Es war zwar praktisch welches zu haben, aber damit konnte man auch nicht alles erreichen.
„Ich komme natürlich sehr gerne“, sagte ich schnell. „Aber ich muss vorher noch meine Tante um Erlaubnis fragen.“
„Das freut mich aber. Du findest alle Informationen in der Einladung. Ich habe dir auch eine Wegbeschreibung dazugelegt, damit du das Haus auch findest. Obwohl, es ist ja nicht wirklich zu übersehen“, erwiderte Kaede. „Dann verabschiede ich mich jetzt hier von dir. Sag mir bescheid, wenn deine Tante dir die Party erlaubt. Falls sie das nicht tut, ist das natürlich auch nicht schlimm. Wir sehen uns dann morgen.“
Dann machte das Mädchen auf dem Absatz kehrt und ging in die andere Richtung davon. Noch einen kurzen Moment sah ich ihr nach, dann lächelte ich leicht. Ich hoffte wirklich sehr, dass meine Tante mir die Erlaubnis geben würde auf die Party zu gehen.
Verdammt, ich hab Tante Haru total vergessen, schoss es mir durch den Kopf.
Jetzt hieß es, Beine in die Hand nehmen. Ich rannte so schnell ich konnte. Als ich das Café erreichte, war ich völlig außer Atem. Normalerweise brauchte ich von der Schule bis zum Café etwas 20 Minuten, wenn ich etwas schneller ging. Jetzt hatte ich die Strecke in knapp acht Minuten zurückgelegt. Schnell ging ich durch den Hintereingang in die Küche, wo meinen Tante schon fleißig am Arbeiten war.
"Es tut mir so Leid Tante Haru, dass ich zu spät bin. Kaede wollte noch mit mir reden und ich hab dabei die Zeit vergessen. Ich geh mich sofort umziehen", sagte ich rasch und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
"Immer langsam mit den jungen Pferden", erwiderte meine Tante lachend. "Hol doch erst mal wieder richtig Luft."
Ich sah Tante Haru an. Ihre Haare waren dunkelblond und ihre blauen Augen leuchteten etwas. Wenn man uns Beide so ansah, konnte man eher meinen das Wir Mutter und Tochter waren, anstatt Tante und Nichte.
"Aber die Gäste warten doch sicher schon", meinte ich.
"Nein tun sie nicht. Ich habe unerwartet Hilfe bekommen, aber umziehen solltest du dich trotzdem. Ich weiß nicht wie lange Kisho noch alleine klar kommt", sagte meine Tante und gab mir einen leichten Stoß Richtung Umkleide.
"Wer ist Kisho?", fragte ich verwundert, doch auf eine Antwort musste ich gar nicht warten, denn in diesem Moment kam ein Junge mit kurzen braunen Haaren zu uns in die Küche.
„Haru, ich brauche einen großen Erdbeereisbecher und zwei Eiskaffee“, sagte er, doch als er mich entdeckte verstummte er kurz. „Ist sie das? Ist das deine Nichte Yuuka?“
„Ja, das ist sie. Sie hilft dir gleich bei der Arbeit. Nun geh schon Yuuka“, erwiderte Tante Haru.
Ich nickte kurz, blickte noch einmal kurz zu dem Jungen und ging mich dann umziehen. Ich hatte diesen Jungen noch nie zuvor gesehen. Ob er wohl neu hier in der Gegend war? Gedanken verloren zog ich mir meine Schuluniform aus und schlüpfte in die Uniform für das Café. Ich bereute es bis heute etwas Tante Haru bei der Wahl freie Hand gelassen zu haben. Die Uniform bestand aus einer weißen Bluse mit Puffärmeln, einer schwarzen Weste und einem weiten schwarzen Rock. Es störte mich eigentlich nicht wirklich die Sachen zu tragen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie nicht wirklich zu mir passten. Ich kämmte schnell etwas meine Haare und band sie mir zu einem hohen Zopf zusammen. Nach dem ich auch die weißen Kniestrümpfe und die schwarzen Lackschuhe angezogen hatte, ging ich zurück in die Küche. Wie jedes Mal musste meine Tante natürlich sagen, wie wunderschön ich doch in der Uniform aussah. Ich verdrehte nur leicht die Augen.
„Tante Haru, können wir nach her reden. Ich will dich etwas fragen“, meinte ich und nahm mir ein Tablett, dass auf einer Ablage stand.
„Aber natürlich meine Kleine“, erwiderte sie. „Aber jetzt raus mit dir. Die Gäste warten.“
Ich nickte und ging zu den Gästen. Es war wirklich ziemlich voll im Café. Fast alle Plätze waren besetzt und wenn einige Gäste gingen, kamen gleich wieder neue. Als ich einen Moment Pause hatte musterte ich Kisho etwas. Er wirkte nicht viel älter als ich und auf dem Gesicht trug er die ganze Zeit ein Grinsen. Die Kleidung die er trug, war meiner recht ähnlich. Ein weißes Hemd mit kurzen Ärmeln, schwarze Weste und eine schwarze Hose. Während ich mich fragte, wo meine Tante diese Sachen her hatte, blickte Kisho zu mir hinüber. Als ich den Blick aus seinen braunen Augen spürte, wurde ich leicht rot und wandte mich sofort von ihm ab. Das war peinlich gewesen. Leise seufzend machte ich mich wieder ein meine Arbeit, die an diesem Tag wohl einfach nicht aufhören wollte. Als dann am Abend das Café schloss war ich total fertig. Ich wollte nur noch nach Hause, was leckeres Essen, baden und dann ab in mein kuscheliges Bett.
„Ihr Beiden habt heute wirklich tolle Arbeit geleistet. Zur Belohnung koche ich euch was leckeres zum Abendessen“, meine meine Tante fröhlich und machte sich bereits auf den Weg zu uns nach Hause.
Müde folge ich ihr. Moment mal, euch Beiden? Wenn meinen meine Tante denn? Ich drehte mich um und sah, dass Kisho neben mir herging. Ich hatte ihn überhaupt nicht gesehen.
„Was soll das denn bitte bedeuten?“, fragte ich und deutete auf den Jungen neben mir. „Heißt das etwa, wir nehmen ihn mit nach Hause?“
Meine Tante war stehen geblieben und schaute uns Beide an.
„Ach das hab ich dir ja gar nicht erzählt. Kisho wird ab jetzt bei uns wohnen. Er ist der Austauschschüler, von dem ich dir vor einer Weile mal erzählt habe. Eigentlich sollt er erst nach den Sommerferien kommen, doch er hatte wohl etwas Probleme bei sich Zuhause und ich hab ihm angeboten jetzt schon zu kommen. Ich hoffe, ihr werdet euch gut verstehen.“
Ich blickte kurz zu Kisho rüber, der noch immer grinste. Gewiss hatte mir meine Tante mir erzählt, dass wir im neuen Schuljahr einen Austauschschüler bei uns aufnehmen würden, doch ich hatte geglaubt, dass es sich dabei um ein Mädchen handeln würde. Ich wusste nicht, ob ich mit einem Jungen wirklich klar kommen würde. Ein leises Seufzten entfuhr mir. Fürs erste würde mir eh nichts anderes übrig bleiben, als mich an den fremden Jungen zu gewöhnen.