Biografien & Erinnerungen
Die weiße Schürze - Muttertag - anno dazumal

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"Die weiße Schürze - Muttertag - anno dazumal"
Veröffentlicht am 07. Mai 2011, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Die weiße Schürze - Muttertag - anno dazumal

Die weiße Schürze - Muttertag - anno dazumal

 

 

Der erste bekannte Muttertag wurde vom englischen König Heinrich III. (1216-1239) vor rund 800 Jahren eingeführt. Alle Gläubigen sollten an einem Sonntag im März der Kirche als religiöser Mutter gedenken und  auch die erwachsenen Kinder einer Familie sollten an diesem Tag in ihr Elternhaus zurückkehren, um der leiblichen Mutter zu danken. Von England aus begann der Muttertag dann seinen Siegeszug um die Welt. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er  auch in Amerika als offizieller Feiertag eingeführt. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich dieser Brauch, wie viele andere auch, allmählich in ganz Europa durch.

 

 Doch damals, vor mehr als fünfzig Jahren, hatten es die Kinder nicht so leicht wie heute, ihren Müttern eine kleine Freude zu bereiten. Es war Nachkriegszeit und überall herrschte Not. Es gab nichts zu kaufen, die meisten Leute waren bitterarm und hatten kaum genug zu essen. Die Menschen mussten schwer arbeiten und auch die Kinder hatten schon bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Sie mussten bei der Hausarbeit und auf dem Feld mithelfen oder auf kleinere Geschwister aufpassen.

 

Maria, die Tochter eines armen Taglöhners hatte Glück. Sie hatte keine kleinen Geschwister und musste auch auf den Feldern nicht helfen, sondern durfte jeden Tag die Schule besuchen. Dort hatte sie auch das erste Mal vom Muttertag gehört und wollte ihrer Mutter unbedingt eine Freude bereiten, denn sie hatte die beste Mutter der Welt, das wusste sie ganz bestimmt. Niemand konnte so schöne Geschichten erzählen wie ihre Mutter und auch Mutters Kartoffelsuppe schmeckte am besten. Mutter konnte einfach nichts aus der Ruhe bringen, nicht die zerrissenen Strümpfe und die schmutzigen Schuhe, mit denen Maria oft abends nachhause kam und auch nicht das Wasserglas, das sie einmal so unvorsichtig auf den Tisch stellte, dass es herunterfiel und zerbrach. Bei Vater war alles anders, er war strenger. Er durfte nicht sehen, dass die Mutter die harte Rinde von Marias Brot heimlich herunterschnitt und selber aß, nur weil das Mädchen keine Rinde mochte. Brot war eine Kostbarkeit, dafür musste man dankbar sein, auch wenn es eine harte Rinde hatte. Damals wurde das Brot nämlich noch von den Hausfrauen selbst gebacken. Brot fertig beim Bäcker kaufen, konnten sich nur die reichen Leute leisten und dazu gehörten Marias Eltern nun wirklich nicht. Einmal in der Woche band sich Mutter ihre alte zerschlissene, weiße Schürze um, bereitete den Brotteig zu und formte zwei große Laibe daraus, die dann vom Bäcker gebacken wurden. Frisches Brot gab es daher nur einmal in der Woche, doch wie gesagt, Marias Brot hatte nie eine harte Rinde.

 

Womit konnte sie ihrer Mutter nur eine Freude machen? Soviel sie auch nachdachte, ihr fiel nichts Passendes ein. Geld um etwas zu kaufen, hatte sie keines. Ein kleines Sprüchlein aufsagen, wie es die Frau Lehrer in der Schule vorschlug, wollte sie auch nicht. Dabei würde sie wahrscheinlich zu stottern beginnen und dann fürchterlich rot werden. Nein, das kam nicht in Frage. Selbst gepflückte Wiesenblumen – dass sich Mutter darüber freuen würde, konnte sie sich nicht vorstellen. Es war wirklich schwer, doch plötzlich hatte sie eine Idee – nähen.

 

Nähen konnte sie nämlich wirklich gut und es machte ihr auch Spaß. Sie würde für ihre Mutter eine Schürze nähen. Eine schöne, weiße Schürze zum Brotbacken. Wie man das macht wusste sie ganz genau, denn das hatte sie im Handarbeitsunterricht  im letzten Jahr gelernt. Handarbeiten war ihr Lieblingsfach. Ihre Schürze war damals die beste Arbeit in der Klasse. Für die gute Ausführung wurde sie gelobt, denn niemand setzte so sorgfältig in gleichen Abständen die Stiche wie sie. Damals gab es in den Schulen noch keine Nähmaschinen, alles musste mühsam mit der Hand genäht werden.

 

Ein Problem bereitete jetzt nur noch der Stoff. Woher sollte sie weißen Stoff bekommen? Ihren Vater um Geld zu bitten wagte sie nicht, der würde sicherlich nein sagen. Also durchsuchte sie den großen Kleiderkasten und wirklich, ganz oben in der hintersten Ecke lag ein weißes Hemd – Vaters Sonntagshemd für besondere Anlässe. Bei uns hat es ganz bestimmt noch keinen besonderen Anlass gegeben, kam ihr in den Sinn. Sie hatte ihren Vater noch nie in einem weißen Hemd gesehen, vielleicht wollte er auch gar keines. Es würde ihm bestimmt nicht fehlen, er trug doch tagaus und tagein nur in seine dunklen Arbeitshemden. Das weiße Leinen war genau das richtige, das würde passen.  Es musste eine wunderschöne Schürze werden, Mutter sollte stolz darauf sein können.

 

Voll Feuereifer machte sie sich an die Arbeit und zerschnitt Vaters bestes Hemd. Der breite Rücken war groß genug für die  Schürze, ein Vorderteil reichte für den Latz und aus den Ärmeln machte sie die Bänder. Jede Minute, die ihre Mutter außer Haus war nützte sie, um heimlich auf dem Heuboden zu nähen. Einen Tag schwänzte sie sogar die Schule, denn der Muttertag kam näher und näher. Der Stoff war längst nicht mehr weiß und ihre Finger zerstochen, doch verbissen arbeitete sie weiter.

 

Endlich war der große Tag da, den sie so lange ersehnt hatte. Sie konnte es kaum erwarten ihrer Mutter das Geschenk zu übergeben. Mit hochrotem Gesicht stand sie nun da, wünschte ihrer Mutter alles Gute und übergab ihr die Schürze. Die Mutter war zu Tränen gerührt, als sie das Werk sah, doch sie wäre nicht die beste Mutter der Welt gewesen, wenn sie nicht nach den ersten Schrecksekunden ihr Mädchen ans Herz gedrückt und sich für die wunderschöne Schürze bedankt hätte. Ja, das wäre genau die Schürze, die sie sich schon immer gewünscht hätte und Vater  hätte das Hemd sowieso nicht mehr gepasst.

 

Dass ihre Mutter dann monatelang für die ´bessere Herrschaft´, wie sie es nannte, Wäsche waschen und bügeln musste, um für Vater ein neues Hemd kaufen zu können, erfuhr Maria erst viel später.

 

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ulla

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MerleSchreiber Der geschichtliche Bezug - gibt Deiner Geschichte etwas sehr Wahrhaftiges. Für die Schürze das Hemd des Vaters zu zerschneiden, wer könnte sich das heute noch vorstellen?!

Dein Schreibstil, den ich sonst auch sehr schätze, hat hier noch eine ganz besondere Nuance - Klasse!!

Liebe Grüße, Ulla!
Merle
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Sehr gerne - noch mal Marie beim Nähen der Schürze über die Schulter geguckt ...Deine Geschichten sind genauso, wie ich sie auch von meiner Oma und den Großtanten kenne.

Wir haben in der DDR statt seiner den Internationalen Frauentag begangen. Habe mich heute über einen besonders netten Anruf meines Sohnes gefreut.

Liebe Grüße
fleur

Vor langer Zeit - Antworten
monalisa592107 zeitreise - die fesselt kann das nachvollziehen kenn es aus erzählungen meiner großmutter solche geschichten super geschrieben lg mona
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Ach Ulla ... -
Zitat: (Original von Gunda am 05.05.2012 - 20:34 Uhr) ... das ist ja eine zauberhafte Geschichte. Und ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass so etwas wirklich passiert ist, damals. Auch dein Schreibstil passt sehr gut zum Inhalt, Ulla. Richtig gut gelungen.

Lieben Gruß
gunda


Danke Gunda,
diese Geschichte hat sich tatsächlich so ereignet und wurde im Familienkreis oft erzählt. In der heutigen Zeit aus vielerlei Gründen undenkbar...
Schön, dass du da warst
lg und einen schönen Sonntag
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Ach Ulla ... - ... das ist ja eine zauberhafte Geschichte. Und ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass so etwas wirklich passiert ist, damals. Auch dein Schreibstil passt sehr gut zum Inhalt, Ulla. Richtig gut gelungen.

Lieben Gruß
gunda
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Als "Dorfkind"... -
Zitat: (Original von erato am 10.05.2011 - 15:54 Uhr) aufgewachsen - hast du mir viele
Erinnerungen angezupft......
Sehr schön und Danke.
GglG Thomas


Dann haben wir ja vieles gemeinsam, das kleine Dorf, in dem meine Großeltern wohnten, war für mich ein Paradies.
Großmutter erzählte mir allabendlich wunderbare Geschichten, einige davon versuche ich jetzt zu Papier zu bringen
Danke für deinen einfühlsamen Kommi
gglg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
erato Als "Dorfkind"... - aufgewachsen - hast du mir viele
Erinnerungen angezupft......
Sehr schön und Danke.
GglG Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: liebe Ulla, -
Zitat: (Original von UteSchuster am 08.05.2011 - 22:18 Uhr) eine wunderschöne und sehr berührende Geschichte, Danke.

Ich bekam auch die Brotkruste abgeschnitten ;-)
ein bisschen Kindheit hast Du mir heute geschenkt.

liebe Grüße

Ute


Ich habe gerne knuspriges Brot, aber früher wa r es ja nicht immer frisch, es wurde ja nur einmal in der Woche gebacken.
so alte Familiengeschichten, frisch aufbereitet, verleiten schon oft zum Nachdenken...
danke für deinen netten Kommi
lg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster liebe Ulla, - eine wunderschöne und sehr berührende Geschichte, Danke.

Ich bekam auch die Brotkruste abgeschnitten ;-)
ein bisschen Kindheit hast Du mir heute geschenkt.

liebe Grüße

Ute
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Re: Re: Sehr lebendig beschrieben, -
Zitat: (Original von ulla am 08.05.2011 - 20:32 Uhr)
Zitat: (Original von baesta am 08.05.2011 - 17:03 Uhr) die "gute alte Zeit".

Liebe Grüße
Bärbel


Ob sie wirklich so gut war, die gute alte Zeit.?
Danke fürs Vorbeischauen
und liebe Grüße in deinen Abend
ulla


Sie hatte sicher ihre guten und auch schlechten Seiten, deshalb habe ich sie ja auch in Anführungsstrichchen gesetzt. Eines war sicher besser: Es gab nicht so viele Autos, keine Fernseher und PC´s und somit nahmen sich die Menschen mehr Zeit für einander, auch wenn die meisten arm waren.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
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