Maibaumaufstellen
oder
die Sauerkrautschlacht
Es war vor der Gemeindezusammenlegung. Die kleinen Orte waren noch selbstständig, hatten einen Bürgermeister, Gemeinderäte und pflegten die alten Bräuche.
Einer davon war das “Maibaumaufstellen” vor dem Anwesen des Bürgermeisters. Diese Aufgabe oblag den in diesem Jahr zur Rekrutierung einberufenen Burschen.
Es war der 29. April.
In der 300 Seelen zählenden Gemeinde gab es diesmal nur zwei Rekruten. Auf einem Traktoranhänger schleppten sie - von erfahrenen Altburschen unterstützt - einen riesigen Maibaum an. Stolz lagerten sie den sorgfältig geschälten Baum neben der Straße vor dem bürgermeisterlichen Haus.
Der Gemeindechef dankte mit einem vorläufigen Umtrunk, bei dem die Burschen zunehmend in Stimmung gerieten.
Aus Erfahrung wusste man, dass Saboteure aus Nachbargemeinden versuchen würden, den Baum zu stehlen oder zu zersägen.
Die beiden Rekruten vereinbarten daher, abwechselnd Wache zu halten.
Leider fehlte es ihnen am nötigen Durchhaltevermögen. Sie erlagen der Wirkung des Alkohols und fielen in tiefen Schlaf.
Als sie daraus erwachten, bemerkten sie mit Entsetzen die Bescherung: Das untere Drittel des Stammes war abgesägt!
In Windeseile verbreitete sich die Schreckensnachricht.
Bestürzt berieten der Bürgermeister, die Gemeinderäte und die Anrainer, was zu tun sei.
Sollte man den gekürzten Maibaum aufstellen? Unmöglich! Konnte man den Schaden reparieren?
Einer der ältesten Ortsbewohner wusste Rat - er hatte vor vielen Jahren schon einen derartigen Sabotageakt miterlebt.
“Holt´s den alten Schmied,” sagte er voll Zuversicht, “der hat das schon einmal gemacht.”
Tatsächlich rückte am Nachmittag der Schmied an. Zuerst versah er nach Zimmermanns Art die beiden Teile des Stammes mit entsprechenden Einschnitten. Vorsichtig fügte man diese verzahnten Enden zusammen, worauf der Schmied seine Reparatur mit mehreren Bandeisen und langen Schrauben vollendete.
Anschließend überwachte er aufmerksam das Aufstellen des Maibaumes. Jeder wollte helfen, und alle verfolgten die Aktion mit großer Spannung.
Erst als der Maibaum, zwar bandagiert, aber sicher stand, atmeten die Dorfbewohner erleichtert auf. Man klatschte, freute sich, bediente sich an den leckeren Imbissen aus der Küche der Frau Bürgermeister und trank - weil es der Brauch war - literweise den Heurigen.
Trotz des einsetzenden Regens wurde die Stimmung zusehends ausgelassener.
Schließlich lud das Gemeindeoberhaupt alle Anwesenden zum Weiterfeiern in seinen Weinkeller ein.
Erfahrene Zecher wissen, wie schnell die Kellerstunden verfliegen.
Glas um Glas wurde geleert.
Bereits lallend erzählten die noch Redegewandten Witze und sangen lauthals Lieder.
Wie man sich später erinnerte, war der gehörig bewunderte Schmied mit Abstand der Lustigste, aber auch der Betrunkenste.
Bei der Suche nach einer Sitzgelegenheit fand er in einem Seitenkeller einen Holzbottich mit Deckel, auf dem ein großer Stein lag.
Der Schmied warf den Stein zu Boden und setzte sich auf das Holzgefäß.
Entweder war seine Hose nass geworden, oder es war ihm der Geruch in die Nase gestiegen - er hob den Deckel. Der Bottich war voll mit Sauerkraut.
Übermütig langte er hinein, ballte in seinen derben Händen einen festen Knödel von triefendem Sauerkraut, zielte und warf seinen seltsamen Ball mit lautem Klatschen an die Stirnwand des Seitenkellers.
Johlend drängten die Zechkumpanen herbei. Alle wollten einen Sauerkrautball werfen. Es kam zu einem Handgemenge, bei dem nun nicht mehr die Kellerwand anvisiert wurde, sondern jeder gegen jeden zu kämpfen schien. Wie bei einer Schneeballschlacht landete man Volltreffer und Streifschüsse. Sauerkraut hing von Hüten, Köpfen und Kleidern, lagerte auf Weinfässern und bedeckte den Boden.
Erst als die Frau Bürgermeister, angelockt durch den Schlachtlärm, durch die Kellertür trat, ebbte der Kampf ab. Eine verirrte Sauerkrautbombe zerbarst noch neben ihr.
Verblüffung! Bestürzung! Zorn!
Die Bürgermeistersgattin ergriff einen Besen aus Birkenreisig und drosch wahllos auf die Kampfhähne ein. Im höchsten Diskant schreiend vertrieb sie in kürzester Zeit alle Teilnehmer der Sauerkrautorgie.
Lediglich das Gemeindeoberhaupt blieb erschöpft am Zehneimerfass lehnend zurück und ließ zerknirscht den gerechten Zorn seiner Angetrauten über sich ergehen.
Als kurze Pause gönnte sie ihm die wenigen, noch verbliebenen Nachtstunden.
Dann allerdings verdonnerte die noch immer grollende Bürgermeistersgattin das Gemeindeoberhaupt zum Solo-Kellerputz.
Der Bürgermeister werkte verbissen während des ganzen Tages. Nur ab und zu gönnte er sich zur Stärkung ein Schlückchen Heurigen.
Diesen 1. Mai, den Tag der Arbeit, hatte er demnach völlig sinngemäß gefeiert - und ihn sicher lange Zeit nicht vergessen.