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Spuren im Holz

Spuren im Holz

Es war ein schlichtes Fenster, wie ein jedes andere auch; mit Rahmen und Glas, so wie es sich für ein ordentliches Fenster gehörte. Es ließ Sonnenlicht herein und flutete den Raum mit angenehm hellem Licht. Und doch war es kein gewöhnliches Fenster, denn irgendetwas Magisches schien ihm in die Wege gelegt worden zu sein, das auf unerklärliche Weise so manchen Gedankengang anregte. 

So saß ich wieder einmal auf dem Fensterbrett und lehnte in der Einfassung des altehrwürdigen Gemäuers und ließ die Blicke schweifen. Doch an diesem Tage waren es weniger die Szenen auf dem Platz vor dem Haus, die mich interessierten, nein, an diesem Tage war es die Dankbarkeit, die mich beschäftigte. Dankbarkeit, diesen tollen Ort genießen zu können. Zufrieden lehnte ich mich zurück, nippte am heißen Kaffee und schaute auf den Platz heraus, während mir die kühle Morgenluft um die Nase wehte und mich zuweilen frösteln ließ. 

Ich wollte mein Versprechen einlösen, so viel war klar, denn was man versprach, das musste man auch einhalten. In dieser Hinsicht war ich wohl eher altmodisch veranlagt und so beschloss ich, mein ehrwürdiges Fenster zu befragen und hoffte auf schnelle Erleuchtung, wie ich wohl am besten mein Versprechen einlösen sollte. 

Und während ich im gedanklichen Nirwana verweilte und immer wieder kleine Schlücke vom heißen Kaffee trank, betrachtete ich die Streben des altehrwürdigen Fensters. Was dieses Gemäuer wohl schon alles erlebt haben mag, dachte ich unentwegt und ich entdeckte so manche Kerbe auf dem Holz. Und es war viel Holz, das die sechs Fensterscheiben umrahmte. Vermutlich würden die vielen Kerben einen ganzen Historienroman erzählen können, überlegte ich und blickte die Jugendstilfassade entlang. Wie viele Menschen wohl schon in diesem Fenster saßen und das Treiben auf dem Platz beobachtet hatten, fragte ich mich. Bestimmt waren es eine Menge, denn immerhin lagen mehr als hundertfünfzig Jahre zwischen der Grundsteinlegung und dem Hier und Jetzt. Beeindruckend, wie lang eine solche Zeitspanne erscheinen kann. 

Bei näherem Hinsehen konnte ich gut erkennen, dass die Kerben mal größer, mal kleiner waren. Schmale und breite Kerben, von denen wahrscheinlich jede einzelne eine ganz eigene Geschichte war. Die kleine Kerbe rechts, die durch eine Art geschwungenen Strich durchkreuzt wurde, mutete beinahe wie ein typisches Freimaurersymbol an, dass der fleißige Handwerker zeichnete, als seine Aufgabe, dieses Haus zu erbauen, erledigt war, so wie es guter Brauch und gute Sitte war, dem Herrn für die Arbeit und Lohn zu danken. 

Ein Stückchen weiter herauf formte eine Kerbe mehr eine Eins, als eine gerade Linie. Doch als ich genauer hinschaute, entdeckte ich, dass die Eins mehr ein L war und dass dahinter weitere Buchstaben angedeutet waren, die man inzwischen nicht mehr erkennen konnte, da der Zahn der Zeit an ihnen genagt hatte. Vielleicht hatte sich hier sogar ein Liebespaar verewigt, als es das Glück der ersten gemeinsamen Wohnung zelebrierte? Ich verwarf den Gedanken wieder, denn es erschien mir dann doch zu kitschig und doch musste ich grinsen, dachte ich an den Vandalismus vergangener Zeiten, der verglichen mit heutigen Maßstäben vermutlich zu ernsthaften Auseinandersetzungen geführt hätte. 

Doch mein Grinsen hielt nicht lange an, denn blickte ich auf die linke Seite, so war die Kerbe dort tief und das Holz schien gesplissen. Wenig elegant, dafür voller Aufruhr; unregelmäßige Zacken und Splitter zierten die kleine, aber tiefe Wunde im Holz des Fensterrahmens. Unweigerlich vielen meine Blicke auf die vier goldenen Pflastersteine auf dem Gehweg vor dem Haus, die jeden Tag mahnten und die Andacht bewahrten. Welch widerwärtige und gottlose Zeiten es doch gab. Für einen Moment hielt ich inne, dachte nichts und ließ mich treiben. 

Da, noch eine Kerbe, diese jedoch hatte am Ende eine winzige Nase der weißen Farbe, die krampfhaft versuchte, die Narbe zu bedecken. Doch es gelang ihr nur teilweise, aber dennoch schien sie ein Stück Aufbruch zu verkörpern, denn das Weiß strahlte unvergleichlich im Sonnenlicht des noch jungen Tages, als wollte es auf einen neuen Beginn aufmerksam machen, den es eben jeden Tag geben kann. Vielleicht war es ja auch der Beginn, an diesem Tage im Fensterrahmen zu sitzen und die Morgenluft um die Nasenspitze zu fühlen... Und just in diesem Moment verschluckte ich mich schrecklich, hustete und verschüttete den letzten Schluck Kaffee über das Fensterbrett, denn ich erwischte mich urplötzlich beim dem Gedanken, dass ich wohl die Worte für mein Versprechen gefunden hatte: ein Stück dieses Fensters zu teilen und es in Worte gekleidet widme. Sollte dieses Fenster tatsächlich magische Fähigkeiten haben?

Mitunter verblüfft blickte ich in den Rahmen, nahm meinen Stift und malte meine eigene kleine Kerbe in das Holz ehe ich mich aufmachte, meine Fenstergedanken niederzuschreiben.

2011©MIK