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Kapitel 1
Erschöpft sackte ich in mir zusammen und ließ mich kraftlos auf meinen Rücken fallen. Der kalte Steinboden war unangenehm, aber mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Immerhin vegetierte ich schon seit nun mehr als vollen Monaten in diesem verflucht Loch vor mich hin und wartete auf einen günstigen Augenblick endlich zu fliehen. Aber das Schicksal hatte es noch nie gut mit mir gemeint.
Die Flucht würde alles andere als einfach werden. Nicht nur, dass ich mich einem Labor der Lichten befand und es hier dementsprechend vor Magiern nur so wimmelte, nein das Gebäude wurde auch noch durch eine mächtige Barriere geschützt. Ich könnte sie zwar durchbrechen, aber dafür bräuchte ich Zeit. Und die würde ich nicht so einfach bekommen, nicht bei dem Aufgebot an Feinden. Da war das Entkommen aus meiner stinkenden Zelle noch das kleinste Problem.
Ein Seufzen entglitt mir und ich fuhr mir mit der Hand über mein Gesicht. Sofort spürte ich das klebrige Blut, das schon anfing zu trocknen. Ich würde nicht sterben. Aber das hinderte mich nicht daran zu hassen. Sie zu hassen. Diese verdammten Lichten sahen mich, oder besser gesagt mein Auge, als ihr rechtloses Forschungsobjekt. Jeden Tag zerrten sie mich in ihre Labore und versuchten dort die Eigenarten meiner Fähigkeiten zu ergründen. Ich lächelte überlegen. Aber bis jetzt haben sie noch nicht einmal herausgefunden, was genau mein Auge sehen kann… Und ich war mir sicher, dass es ihnen auch nicht gelingen würde. Nicht umsonst war ich einer der wenigen Seher, die auf dem Boden dieser Erde wanderten. Kein Forscher, kein Lichter, kein sonstiger Magier, würde es schaffen... Ich war überlegen und sie wussten es, klammerten sich aber an die Vorstellung mich zu überwinden, indem sie zu verstehen versuchen. Aber das würde nicht klappen. Meine Fähigkeit die Magie in ihrem Wesen zu sehen, war nichts, was ein verkümmerter Mensch begreifen und verstehen konnte. Dafür bedarf es einer höheren Existenz.
Und sie wussten es, auch wenn es keiner eingestehen wollte. Ich hatte es das erste Mal bemerkt, als die zweite Untersuchung keine Ergebnisse gebracht hatte und Tarsian in seinem Wutanfall zwei seiner Helfer zu Asche reduziert hatte. Seit diesem Tag lag in den Augen und Stimmen meiner Bewacher die unterschwellige Angst, dass ich dem Forschergott Tarsian überlegen war. Mit jedem Tag, jeder weiteren ergebnislosen Untersuchung wuchs in ihnen dieses Gefühl und erzeugte mir gegenüber blanken Hass. Doch da ich diesen schon gewohnt war, fiel mir jenes versteckte, reizende Misstrauen auf, das die Lichten gegenüber ihrem Meister zeigten. Sie zögerten die Befehle zu bestätigen und wenn sie es taten, dann Schwang in ihren Stimmen eine kleine Nuance von Unsicherheit oder gar Spott mit. Aber auch ihre Augen veränderten sich, indem sich ein Funke von Verständnislosigkeit in ihre trüben Pupillen schlich. Es erschien als hätte Tarsian die Macht verloren ihnen vorschreiben zu können, was sie zu denken haben.
Sie versuchten sich zu entwickeln, obwohl ihr Streben vergeblich war. Eher würden sie sich selbst vernichten, da die Mächte mit denen sie spielten ihr Vorstellungsvermögen überschritten.
In meiner Situation half mir das allerdings herzlich wenig. Zuerst müsste ich wieder zu Kräften kommen.
Angestrengt wandte ich meinen Blick von der Decke ab und betrachtete die Gitterstäbe meiner Zelle. Mein linkes Auge nahm das dunkle, von bräunlichem Rost überzogene Metall wahr. Nur mein Rechtes sah den Zauber, der mich einsperren sollte. Feine, sorgfältig gewebte Fäden aus gelbem bis orangem Licht füllten die Metallstäbe von innen heraus und ließen sie bedrohlich leuchten. Wie ein Netzt aus geflochtenen Kordeln breiteten sich die Fäden über das Metall aus, wobei sie durch einzelne dünnere Fäden mit den Kontrollzaubern der anderen Zellen verbunden waren. Ein überlegenes Lächeln stahl sich in mein Gesicht. Schließlich wussten die Lichten nicht, dass ihr eigener Zauber der Grund war, weshalb ich meine Kraft nicht verlor. Langsam rutschte ich in die hinterste Ecke meiner Zelle, um mich vor den Blicken meiner Wächter zu schützen und lehnte mich dort an die Wand. Danach schloss ich mein linkes Auge und fixierte die Gitterstäbe.
Sofort erkannte ich den langsamen Rhythmus in dem die Magie ihre eigentliche Aufgabe verrichtete. Langsam und rhythmisch wurde die Magie von einem zentralen Steuerpunkt aus, der sich am oberen linken Ende des Gitters befand, durch die Fäden gepumpt. Ich stimmte mich ein, indem ich den Takt erkannte und schon nach wenigen Sekunden fühlte ich den Fluss der magischen Kraft. Mein rechtes Auge wurde wärmer, fing leicht an zu glühen und ein kleiner blauer Blitz schoss aus meiner Pupille mitten in den Kontrollpunkt des Zaubers. Mein Lächeln wurde breiter. Ich spürte ihn mit jeder Faser meines Körpers und meines Geistes. Die Verbindung war hergestellt. Der Zauber, der mich einsperren sollte, lag nun völlig unter meiner Kontrolle.
Im Grunde wäre es auch kein Problem aus dieser Zelle zu entkommen. Indem ich eine Turbulenz im Zauber verursacht hätte, wäre das gesamte System mit einer beachtlichen Explosion ausgehebelt worden. Aber da ich danach einfach überwältig worden wäre, wäre es wohl nicht gerade eine schlaue Aktion gewesen. Sehr viel sinnvoller war es den Zauber anzuzapfen. Die Verbindung, die ich über mein Auge hergestellt hatte, gaukelte dem simplen Spruch vor, dass ich zum System gehörte. Dadurch floss ein großer Teil der magischen Kraft in meinen Körper, wovon ich allerdings auch nur einen Teil nutzen konnte. Schließlich wollte ich nicht, dass die Lichten bemerkten, dass ihr Zauber plötzlich aufgehört hat zu wirken. Dennoch reichte die abgezapfte Menge, um meine Kraftreserven aufzufüllen.
Ein weiterer Fakt, der mich über die Menschen stellte. Solange ich von Magie zehren konnte, brauchte ich keine Nahrung. Mein Körper funktioniert weiter, auch wenn er weiterhin Entzugserscheinungen zeigt. Die Magie hält mich zwar am Leben, spendet mir Kraft, stillt aber weder meinen Hunger, noch meinen Durst.
Nach einigen Minuten hatte ich die Grenze erreicht. Hätte ich noch mehr gesaugt, wäre der Zauber zusammengebrochen, womit ich den Lichten einen vermeidbaren Hinweis gegeben hätte. Mit aufgestockten Reserven schloss ich schließlich mein Auge und besann mich auf meinen schmerzenden Körper. Die Magie strömte durch mich hindurch, um zu den verletzten Stellen zu gelangen und diese zu heilen. Wer aber denkt, dass es ein angenehmes Gefühl ist, der irrt. Es ist das Gegenteil der Fall. Bei magiebedingter Heilung wird der Körper gezwungen sich in unnatürlichem Maße zu regenerieren, was sich je nach Ausmaß der Verletzung als äußerst schmerzhaft erweisen kann.
Bei mir begrenzten sich die Nebenwirkungen glücklicherweise nur auf ein paar stechende Schmerzen im Brustkorb und ein dumpfes Pochen im Kopf. Also nichts, was mich daran hätte hindern könnte erst einmal Erholung im Schlaf zu suchen.
Bedächtig zwang ich meine steifen Glieder sich aufzurichten und mich zu der kargen Holzpritsche zu tragen. Erschöpft legte ich mich nieder und schloss gerade die Augen, als im Raum vor meiner Zelle Stimmen laut wurden. Der einzige Grund warum ich aufhorchte war, dass unter ihnen eine verzweifelt schreiende Stimme war, die ich nicht zuordnen konnte. Neugierig hob ich meinen Kopf ein Stückchen an, öffnete mein linkes Auge und spähte durch die Gitterstäbe meiner Zelle. Doch bevor sich die Verursacher des Tumults in mein Sichtfeld begeben hatten, verstummte die Stimme mit einem schmerzerfüllten Schrei. Mein Mundwinkel zuckte hasserfüllt. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, welches Schicksal den Unglücklichen getroffen haben muss.
Doch gerade als ich meine Augen wieder schließen wollte, hörte ich, wie sich die Kerkertür öffnete und die Wächter eintraten.
„Ich glaubs nicht, dieses kleine Biest hat mich tatsächlich gebissen!“, fluchte einer von ihnen, während sie meiner Zelle immer näher kamen. Ihre Schritte wurden von dem Schleifen eines Körpers begleitet.
„Du hättest es fester schlagen sollen… Dann hätten wir es gleich entsorgen können. Jetzt besteht Tarsian noch darauf vorher seine Experimente zu machen.“, beklagte sich die angeekelte Stimme meines Wächters.
„Da hast du Recht…“, schnaubte der Andere, während sie vor meine Zelle traten. Mein Wächter schloss die Tür auf, warf mir einen hasserfüllten Blick zu und meinte: „Hier hast du Frischfleisch!“ Dann hielt er dem anderen Soldaten die Tür auf, worauf dieser einen kleinen, schmutzigen und regungslosen Körper achtlos in die Zelle schleuderte. Mein Magen drehte sich um, während ich mich so schnell aufrichtete wie ich konnte, ohne Schwäche zu zeigen. Von meinen neuen Magiereserven gespeiste Blitze zuckten aus meinem Auge auf die Menschen zu. Wut wallte in mir hoch und ich ballte meine Faust. Am liebsten wär ich diesen Mistkerlen an die Kehle gesprungen. Doch sie schlugen nur schnell die Zellentür zu und verschwanden eilig aus dem Kerker.
Zitternd stand ich vor dem regungslosen Körper, der zu einem zierlichen Mädchen von höchstens acht Jahren gehörte.