Journalismus & Glosse
eugenic.exe 2.0 - Die Präimplantationsdiagnostik

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"eugenic.exe 2.0 - Die Präimplantationsdiagnostik"
Veröffentlicht am 17. April 2011, 12 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
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eugenic.exe 2.0 - Die Präimplantationsdiagnostik

eugenic.exe 2.0 - Die Präimplantationsdiagnostik

Beschreibung

Bisweilen bewusst provokant formuliert.

eugenic.exe 2.0

Eines vorweg: der Titel dieser Zeilen ist bewusst provokant und bisweilen geschmacklos formuliert. Doch das nicht ohne Grund, wie ich hoffe, mit diesem Text darstellen zu können.

 

Neulich stieß ich auf eine Sendung im öffentlich rechtlichen Fernsehen, in der die umstrittene Präimplantationsdiagnostik thematisiert wurde. Als lebendes Beispiel und absolutes Pro-Argument wurde eine werdende Mutter präsentiert, die einen solchen Eingriff im europäischen Ausland hat durchführen lassen, um ein gesundes Kind zur Welt bringen zu können. Hintergrund dabei war, dass der Vater besagter Mutter an einer Krankheit leidet, die unter Umständen Erblinden zur Folge haben könnte. Soweit so verständlich und nachvollziehbar.

 

 

Irgendwann nach kurzer Zeit entschied ich, mich anderen Dingen zu widmen und so schaltete ich den Fernseher aus, doch das Thema ließ mir tagelang keine Ruhe.

 

Es leuchtet gewiss ein und der Wunsch nach einem gesunden Kind, einem gesunden Leben ist mehr als nachvollziehbar, denke ich daran, wie schön das unbeschwerte Leben als Kind war. Und auch für die Eltern eines Kindes scheint es nichts Schöneres zu geben, als ein gesundes Leben auf dem Weg in die Welt zu begleiten. Nachvollziehbar erscheint es zudem, wenn bei einem Familienstrang bereits Vorerkrankungen vorliegen, die über das Erbgut möglicherweise auf die Nachkommenschaft übertragen werden könnten.

 

Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto unheimlicher wurde mir der Gedanke an eine „Maßnahme“, die als Entscheidungsgrundlage herangezogen würde, über das Schicksal ungeborenen Lebens zu befinden. Wenn ich ganz ehrlich sein sollte, überkam mich spontan ein Gefühl der Fassungslosigkeit.

 

Ich stellte mir die Frage, ob wir wieder an dem Punkt angekommen seien, über „lebenswertes“ und „nicht lebenswertes“ Leben zu entscheiden und sozusagen den Weg moderner Selektion ebnen, um dem einen oder anderen unliebsamen Übel zu entgehen. Es dauerte nicht lange, da musste ich an die schrecklichen Bilder jener unrühmlichen Zeit denken, in denen Euthanasie, pseudomedizinische Untersuchungen und andere Genversuche unternommen wurden, um die Voraussetzungen für „reines und gesundes Blut“ zu schaffen und so den Fortbestand einer überlegenden Rasse zu gewährleisten. Mens sana in corpore sano. Ich gebe zu, diese Formulierung ist zweifelsfrei überspitzt, geschmacklos und die zugrunde liegenden Motive sind in keiner Weise mit jener Zeit in Verbindung zu bringen, doch werde ich es an dieser Stelle tunlichst unterlassen, mich für diesen Vergleich zu schämen oder gar zu entschuldigen, denn je vordergründiger die hehren Motive einer Gesellschaft, desto nachdenklicher macht mich der Hintergrund, denn es führt mich immer wieder zur Ausgangsfrage: Wer entscheidet, ob ein Leben lebenswert ist oder nicht? Und wer setzt den Maßstab an? Und noch viel schlimmer: Wer kann diesen Maßstab verändern und was sind die Vorraussetzungen dafür, einen Maßstab anzusetzen oder gar zu verändern? Wer kann für sich das Recht in Anspruch nehmen, über den Rechtsanspruch anderen Lebens zu entscheiden? Die mit diesen Fragestellungen verbundenen Vorstellungen sind gelinde gesagt: gruselig.

 

Gewiss, die Sorge ein schwer krankes Leben zu gebären und es unter diesen Voraussetzungen in und durch das Leben zu begleiten ist eine Herausforderung, manchmal eine Belastung und schlichtweg nicht vergleichbar mit einem „normalen“ Leben, doch bringt es die gleichen Freuden und Entzückungen mit sich, die eben nur ein Kind mit sich bringen kann, das die Welt, in der es aufwächst, entdeckt. Allzu oft fallen in dieser Diskussion die Worte, dass es ein behindertes Kind ungleich schwerer in der Gesellschaft hätte, man lieber ein gesundes Kind hätte, man Erbkrankheiten früherer Generationen vermeiden wolle, um einem Kind das Leiden zu ersparen, etc. Und je mehr ich den Argumenten folge, desto absurder erscheinen mir diese und ich drehe mich angewidert zur Seite. Zwar habe ich selbst keine Kinder und man möge mir vorwerfen, dass ich diesen Sachverhalt nicht beurteilen könne, doch dieser jener möge sich täuschen, würde er wissen, dass es im engsten Familienkreis ein Mitglied mit geistiger Behinderung gibt, das Teil unserer Familienbande ist, mit uns lacht, liebt, leidet, Feste feiert und schlicht Freude und Tränen mit uns teilt und das aus dem einfachen Grund, dass dieser Mensch einfach dazu gehört, als Mensch und als liebenswerter Zeitgenosse in einem liebevollen, würdevollen und wärmenden Zuhause.

 

Denke ich dann wieder an die Ausgangsfrage, so kommen mir die angeführten Argumente tatsächlich mehr als zweifelhaft vor, auch wenn sie, wie bereits beschrieben, aus scheinbar hehren Motiven geschehen. Doch mich beschleicht das ungute Gefühl, dass diese Diskussion Ausdruck eines Zeitgeistes ist, der das Ego und die Selbstverwirklichung vor das gemeinschaftliche Wohl stellt. Und dabei denke ich nicht an das große Ganze, sondern schlicht an das Wohl der eigenen kleinen Welt, in der man sich gegenseitig hilft und unterstützt und das insbesondere dann, wenn Krankheit und Pflege eines geliebten Menschen einfach wichtiger als das eigene Ich sind. Es scheint, als sei es eben nicht mehr „en vogue“ oder „zumutbar“, sich mit einem scheinbar unzulänglichen Leben zu befassen und seine ganze Liebe und Geduld in ein so schutzloses Geschöpf einzubringen. „Was soll denn aus dem Kind werden, wenn es nicht aufs Gymnasium gehen kann? Keinen Beruf erlernen kann? Nicht der Stärkste ist? Nicht die Hübscheste ist? Wenn es kein Auslandssemester anstreben kann? Wenn es keine Bestnoten im Schulsport erreichen kann? In der Leistungs- und Spaßgesellschaft untergeht? Oder die sozialen Kontakte sich auf wenige wirklich wichtige Personen beschränkten? Nein, das ist gewiss nicht zumutbar. Und das sagen alle!“

 

Stellt sich die Frage, hat dann das „nicht zumutbare“ Leben überhaupt noch einen Platz in dieser Gesellschaft? Wurde der Konsens, der unser Zusammenleben definiert gar aufgekündigt und die großartige Errungenschaft, dass die Starken den Schwachen helfen, ad acta gelegt? Muss gar das Grundgesetz umgeschrieben werden und die Paragraphen der Präambel, dass die Würde des Menschen unantastbar sei, neu interpretiert werden? Das führt mich zwangsläufig zu der nächsten Frage, nämlich der nach dem demographischen Wandel. Wer würde für Schwache, Alte, Gebrechliche, geistig Behinderte oder all die anderen durch ein Schicksal gezeichneten Mitmenschen finanziell aufkommen, wenn es doch zukünftig keine Notwendigkeit mehr für die Solidargemeinschaft geben sollte, da alles Leben nahezu „vollkommen gesund“ ist? Schon jetzt sehe ich die pervertierten Schlagzeilen der großen deutschen Tageszeitung mit den vier großen Buchstaben vor mir: „Das neue deutsche Reinheitsgebot – der Bürger zahlt die Zeche!“ Beinahe möchte man an Gattaca oder zumindest an Orwell denken. Nein, in einer solch feinen Gesellschaft würde ich nicht leben wollen.

 

Ich mag es mir beileibe nicht vorstellen, welche Türen – so gut sie auch im Einzelnen gemeint sind – diese Art der medizinischen Genuntersuchung öffnet und welche mittel- und langfristigen Auswirkungen sie auf unser Zusammenleben haben mag. Viel wohler wäre mir, wenn die medizinischen Möglichkeiten zur Linderung oder gar zur Heilung weiter entwickelt würden, als dass man sie ethisch nicht zweifelsfrei dazu verwendet, individuell über das Leben zu entscheiden. Alles in allem bleibt die Sorge, massiv auf Naturgegebenes Einfluss zu nehmen, weil der Zeitgeist danach verlangt. Meine Hoffnung richtet sich auf das Hohe Haus der Legislative, das in naher Zukunft, von der Parteibindung befreit, in dieser Sache entscheiden wird. Hoffen wir, dass die Parlamentarier ein glückliches Händchen für unsere Zukunft anlegen mögen. In diesem Sinne möchte ich mit Aristoteles schließen: „Wenn nämlich die Ungerechtigkeit bewaffnet ist, so ist sie am allergefährlichsten.“

 

2011©mik

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MikDenter

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MikDenter Hmm... sicher bin ich mir nicht, muss ich zugeben. Und von sich auf andere zu schließen ist vermutlich nicht der stichhaltigste Beweis. Denke, dass Sportverrückte bzw. Leichtathletikverrückte wohl keinen Unterschied machen, aber die breite Masse...?
Boah, das ist wirklich eine Frechheit, so etwas zu sagen. Solche Menschen wissen ja nicht, was sie tun und damit anrichten. Sauerei so etwas. Das glaube ich sofort, dass das verdammt weh getan hat.
Schon seltsam, dass man selbst erst einmal einige Jahre leben und Erfahrungen sammeln muss, ehe man so patent ist, in so einer Situation das Adäquate zu entgegnen. Und sowas hat mindestens einen Kommentar verdient.

Ja, nu ist gut. :-) Ich muss auch langsam in die Heia hüpfen, sonst komm ich morgen nicht raus.

Ganz liebe Grüße und eine gute Nacht wünscht
Micha
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster bist du wirklich sicher, dass man die Paralympics gut findet? - ich denke das die meisten da leider milde lächeln. Die Welt ist böse und hart. Ich habe es am eigenen Leib bei meinem damals noch sehr kleinen Sohn erleben müssen, alte Frauen watschelten hinter mir her und meinten der Kleine hätte Füße wie eine Gans. Das schlimmste war, das er es gehört hat, das hat so verdammt weh getan. Ich war damals leider nicht selbstsicher genug um was passendes zu sagen, heute wäre ich nicht wortlos.

Huuuuu, genug.

GLG Ute
Vor langer Zeit - Antworten
MikDenter Re: Hallo mein Lieber, -
Zitat: (Original von LadyLy am 17.04.2011 - 20:16 Uhr) Du kannst es Dir sicher schon denken, auch ich finde Deinen Text absolut grandios - Allerdings mag ich (schon weil ich Diskussionen liebe) hier einmal die Gegenseite aufzeigen, denn es wäre ja langweilig, wenn aus der Diskussion sofort ein Konsens entstünde.

Der Vater meines Liebsten ist gestorben, als er gerade 13 war. Die Nieren haben versagt, es war ein langsames, voraussehbares Sterben. Er hatte Schmerzen die kein Morphium hätte lindern können, der Körper hat einfach nach und nach aufgegeben - Er und seine Frau haben sich testen lassen als sie schwanger war um sicherzustellen, dass diese Krankheit nicht vererbt wird. Könnte ich als Elternteil mit der Gewissheit leben, dass mein Kind ein langsames und qualvolles Sterben vor sich hat, obwohl ich es hätte verhindern können?

Eine Freundin von mir leidet unter einer unheilbaren Krankheit, ihre Knochen und Nerven bilden sich zurück. Sie ist inzwischen vom Hals abwärts gelähmt, kann nichts mehr alleine. Nicht auf Toilette gehen, nicht duschen, sie kann nichts von dem, was ihr Freude bereitet. Einmal habe ich es gewagt sie zu fragen - Ihre Antwort hat mich tief getroffen:

"Wenn ich die Wahl hätte, hätte ich so nicht leben wollen. Ich wäre lieber nicht geboren worden." Sie hat das so ruhig und sachlich gesagt, hat sicher lange überlegt über ihre Antwort, das war kein Effekt, sie hatte in diesem Moment nicht heftige Schmerzen oder ähnliches. Wenn wir also entscheiden, dass unser Kind Schmerzen erleben soll - Weil wir glauben, dass das Leben auch derart lebenswert ist, maßen wir uns dann nicht auch eine Entscheidung an, die uns nicht zusteht?

Wenn ein uns nahestehender Mensch krank wird, tun wir alles, damit dieser wieder gesund wird. Manchmal spenden wir Blut, einige Menschen spenden ihre eigenen Organe, wir verabreichen Medizin, sind bereit Unsummen an Geld zu zahlen - Ist der Unterschied so groß? Der Wunsch nach Gesundheit ist doch immer vorhanden. Deshalb gehen wir zur Vorsorge. Ist es also falsch vorzusorgen für ein Leben, dass dies noch nicht alleine kann?

Vielleicht mal als (nicht direkt meiner Meinung entsprechenden, aber auch nicht entgegenstehenden) Denkanstoß
Lychen



Huhu Lychen,
dankedanke. :-) Hab's ja schon gesagt, aber ich freu mich riesig über so viel Resonanz auf meine kleinen provokativen Zeilen bzw. für die Denkanstöße.
Das sind wirklich Dinge, über die man nachdenken muss, von denen du da schreibst. Besonders beeindruckend finde ich die Tatsache, dass wir uns in gewisser Weise tatsächlich anmaßen über das Leben zu bestimmen, einfach schon aus der Perspektive heraus, dass wir es als Glück empfinden zu leben. Wahrscheinlich ist das auch das Resultat aus Jahrhunderte alter Kultur, die uns dazu veranlasst bzw. die Erfahrungen der vielen hundert Generationen vor uns, so zu denken. Vor allem finde ich es interessant, dass als gemeines Gut mit dem individuellen Empfinden abzugleichen. Wäre bestimmt mal interessant, wenn man so etwas richtig wissenschaftlich untersuchen würde, vor allem deshalb, um vielleicht so zu einer ausgewogeneren Meinung/Ansicht/Auffassung zu kommen. Ist ganz schön heftig diese Materie, aber ein wirklich tolles Thema, dass in seiner Weise alle unsere Errungenschaften hinterfragen und auf den Prüfstand stellen lässt. :-)

Viele liebe Grüße sendet dir
Micha

Vor langer Zeit - Antworten
MikDenter Re: Dein Text ... -
Zitat: (Original von Gunda am 17.04.2011 - 19:32 Uhr) ... ist mir absolut fünf Sterne wert, einfach weil er gut geschrieben ist, Micha. Da du das Ganze aus deiner ganz persönlichen Sicht geschrieben hast, darf er natürlich auch so parteiisch sein, wie er ist.
Ich denke, das Thema der Präimplantationsdiagnostik ist weitaus komplizierter und stellt sich je nach Blickwinkel unterschiedlich dar.
Nur ein Beispiel: Will man der Frau, die aufgrund eines bei ihren Föten auftretenden Gendefektes bereits drei Fehlgeburten hatte, verübeln, dass sie mithilfe dieser Diagnostik vermeiden will, ein solches Erlebnis ein viertes Mal durchzumachen? Das ist die eine Seite. Die andere ist natürlich die, dass man sagen kann: Die Frau denkt nur an sich, sie WILL unbedingt ein Kind, statt der Natur - die für sie vielleicht keines vorgesehen hat, zumindest nicht in dieser Partnerschaft - ihren Lauf zu lassen.

Ein interessantes Thema, das sich sicherlich nicht auf der Ebene von Kommentaren diskutieren lässt.

Lieben Gruß-
Gunda


PS: Auch ein Beitrag zum Thema "Fehler in der Matrix", ja? :o)


Hallihallo Gunda!

Uih, hier hagelt's ja Kommentare. *g* Vielen lieben Dank! Da freu ich mich doch sehr darüber, wenn so viel Resonanz kommt, zu einem in der Tat sehr kniffligen Thema. Du sagst es, es ist wirklich aus meiner ganz persönlichen Sicht geschrieben und auch etwas überspitzt dargestellt, weil dieses Thema wirklich so verdammt kompliziert ist und so unendlich viele Facetten hat, dass es wirklich nicht leicht ist, durch die große Anzahl der Argumente wirklich eine sinnvolle Lösung zu erarbeiten. Da ist wirklich ein Fehler in der Matrix. ;-) Was aber wirklich zu alledem so konträr entgegen steht, dass unabhängig davon, wie man auch entscheiden wird, man vermutlich eine ganze Menge Unrechtsempfinden auslösen wird, denn es muss schon wirklich quälend sein, wenn man z.B. Kinder bekommen möchte, aber nicht kann; genetische Veranlagung hin oder her.

Ja, ein sehr interessantes Thema, dass sich für lange Gesprächsabende eignet. :-) Vor allem finde ich es wirklich bemerkenswert, dass die Diskussion insgesamt doch sehr unaufgeregt und sehr verantwortungsvoll geführt wird.

Liebe Grüße, Micha
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Hallo mein Lieber, - Du kannst es Dir sicher schon denken, auch ich finde Deinen Text absolut grandios - Allerdings mag ich (schon weil ich Diskussionen liebe) hier einmal die Gegenseite aufzeigen, denn es wäre ja langweilig, wenn aus der Diskussion sofort ein Konsens entstünde.

Der Vater meines Liebsten ist gestorben, als er gerade 13 war. Die Nieren haben versagt, es war ein langsames, voraussehbares Sterben. Er hatte Schmerzen die kein Morphium hätte lindern können, der Körper hat einfach nach und nach aufgegeben - Er und seine Frau haben sich testen lassen als sie schwanger war um sicherzustellen, dass diese Krankheit nicht vererbt wird. Könnte ich als Elternteil mit der Gewissheit leben, dass mein Kind ein langsames und qualvolles Sterben vor sich hat, obwohl ich es hätte verhindern können?

Eine Freundin von mir leidet unter einer unheilbaren Krankheit, ihre Knochen und Nerven bilden sich zurück. Sie ist inzwischen vom Hals abwärts gelähmt, kann nichts mehr alleine. Nicht auf Toilette gehen, nicht duschen, sie kann nichts von dem, was ihr Freude bereitet. Einmal habe ich es gewagt sie zu fragen - Ihre Antwort hat mich tief getroffen:

"Wenn ich die Wahl hätte, hätte ich so nicht leben wollen. Ich wäre lieber nicht geboren worden." Sie hat das so ruhig und sachlich gesagt, hat sicher lange überlegt über ihre Antwort, das war kein Effekt, sie hatte in diesem Moment nicht heftige Schmerzen oder ähnliches. Wenn wir also entscheiden, dass unser Kind Schmerzen erleben soll - Weil wir glauben, dass das Leben auch derart lebenswert ist, maßen wir uns dann nicht auch eine Entscheidung an, die uns nicht zusteht?

Wenn ein uns nahestehender Mensch krank wird, tun wir alles, damit dieser wieder gesund wird. Manchmal spenden wir Blut, einige Menschen spenden ihre eigenen Organe, wir verabreichen Medizin, sind bereit Unsummen an Geld zu zahlen - Ist der Unterschied so groß? Der Wunsch nach Gesundheit ist doch immer vorhanden. Deshalb gehen wir zur Vorsorge. Ist es also falsch vorzusorgen für ein Leben, dass dies noch nicht alleine kann?

Vielleicht mal als (nicht direkt meiner Meinung entsprechenden, aber auch nicht entgegenstehenden) Denkanstoß
Lychen
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Dein Text ... - ... ist mir absolut fünf Sterne wert, einfach weil er gut geschrieben ist, Micha. Da du das Ganze aus deiner ganz persönlichen Sicht geschrieben hast, darf er natürlich auch so parteiisch sein, wie er ist.
Ich denke, das Thema der Präimplantationsdiagnostik ist weitaus komplizierter und stellt sich je nach Blickwinkel unterschiedlich dar.
Nur ein Beispiel: Will man der Frau, die aufgrund eines bei ihren Föten auftretenden Gendefektes bereits drei Fehlgeburten hatte, verübeln, dass sie mithilfe dieser Diagnostik vermeiden will, ein solches Erlebnis ein viertes Mal durchzumachen? Das ist die eine Seite. Die andere ist natürlich die, dass man sagen kann: Die Frau denkt nur an sich, sie WILL unbedingt ein Kind, statt der Natur - die für sie vielleicht keines vorgesehen hat, zumindest nicht in dieser Partnerschaft - ihren Lauf zu lassen.

Ein interessantes Thema, das sich sicherlich nicht auf der Ebene von Kommentaren diskutieren lässt.

Lieben Gruß-
Gunda


PS: Auch ein Beitrag zum Thema "Fehler in der Matrix", ja? :o)
Vor langer Zeit - Antworten
MikDenter Re: Oja da hat Micha aber die Sonntagskost lecker aufbereitet -
Zitat: (Original von UteSchuster am 17.04.2011 - 17:57 Uhr) Hätte ich vor über 35 Jahren die Möglichkeit gehabt.... nein, daran kann ich nicht denken, weil ich sie eben nicht hatte.

Als Mutter hat man es unheimlich schwer und solange alles gut ist, kann ich auch sagen, pfui Teufel, ich brauche kein perfektes Kind. Ich bin selbst auch nicht perfekt, aber wenn man dann da steht und man hätte die Möglichkeit, ich weiß es wirklich nicht.

Wobei ich nie den Thermenbesuch vor Jahren vergesse:

Eltern sind mit ihrem schwer behinderten Kind ca. 16-17 Jahre im Badebereich, der Junge schreit vor Freude über das Wasser und lacht und lacht.
Am Rand wird es immer enger, bis eine dicke dunkelhaarige Frau zu einem sehr fetten Mann sagt: "Das hätte es bei Hitler nicht gegeben". Ich war so unsachlich, dass ich sagte: "Aber so etwas wie Sie sicher auch nicht".
Ich gestehe, ich habe mich geschämt, weil ich das einfach schrecklich fand, was ich da sagte, aber es tat so weh, wie das ganze Luxusvolk sich vor diesem glücklichen Jungen ekelte. Nein vergessen werde ich das Bild wohl nie.

Danke für Deinen so nachdenklichen Text.

liebe Grüße

Ute



Grins... Hallo Ute! :-) Lass mich doch auch mal aufbereiten.. ;-)

Das glaub ich sofort, dass das wahnsinnig schwer sein muss, wenn man vor einer solchen Entscheidung steht. Und ich habe riesigen Respekt vor jedem, der sich - wie er auch immer sich entscheiden mag - mit dieser Sache befasst. Du sagst es, solange alles gut ist, ist alles kein Ding. Aber wehe nicht. Da kann ich dir ein Lied von Singen, wenn mein lieber Artverwandter vor Freude Michael Jackson immitiert und das natürlich an den unpassendsten Orten, die man sich so vorstellen kann. *g*

Wouw, das ist krass, was du da von der Therme schreibst... das macht wirklich schockiert, denn genau das meinte ich mit meinen Zeilen. Man braucht nur mal die Ohren aufzusperren und dann nimmt man Kommentare wahr, die jenseits von Gut und Böse sind. Gut, dass du was gesagt hast. Chapeau! Aber wie die Masse Mensch nunmal ist: eine wabbernde, hysterische, ängstliche Masse, die natürlich "alles" kann und weiß. Ekelhaft. Bei dem was du schreibst, fällt mir spontan Marius Müller-Westernhagen ein.. ich bin froh, dass ich kein Dicker bin.. ;-) Jetzt, wo wir schon beim Lästern sind. ;-) Spaß beiseite, es ist wirklich bemerkenswert, dass es solche Meinungen. Seltsam nur, dass man die Paralympics wiederum gut findet.

Liebe Grüße
Micha
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster Oja da hat Micha aber die Sonntagskost lecker aufbereitet - Hätte ich vor über 35 Jahren die Möglichkeit gehabt.... nein, daran kann ich nicht denken, weil ich sie eben nicht hatte.

Als Mutter hat man es unheimlich schwer und solange alles gut ist, kann ich auch sagen, pfui Teufel, ich brauche kein perfektes Kind. Ich bin selbst auch nicht perfekt, aber wenn man dann da steht und man hätte die Möglichkeit, ich weiß es wirklich nicht.

Wobei ich nie den Thermenbesuch vor Jahren vergesse:

Eltern sind mit ihrem schwer behinderten Kind ca. 16-17 Jahre im Badebereich, der Junge schreit vor Freude über das Wasser und lacht und lacht.
Am Rand wird es immer enger, bis eine dicke dunkelhaarige Frau zu einem sehr fetten Mann sagt: "Das hätte es bei Hitler nicht gegeben". Ich war so unsachlich, dass ich sagte: "Aber so etwas wie Sie sicher auch nicht".
Ich gestehe, ich habe mich geschämt, weil ich das einfach schrecklich fand, was ich da sagte, aber es tat so weh, wie das ganze Luxusvolk sich vor diesem glücklichen Jungen ekelte. Nein vergessen werde ich das Bild wohl nie.

Danke für Deinen so nachdenklichen Text.

liebe Grüße

Ute
Vor langer Zeit - Antworten
MikDenter Re: salü Micha, .. -
Zitat: (Original von luanna am 17.04.2011 - 17:34 Uhr) 1. harter tobak..für einen sonnTAG..

2. wenn dem so wäre, würde so mancher heute nicht leben und ob diese tatsache den eltern recht wäre, das bezweifle ich stark.. mit einer erbkrankheit, verbunden mit täglicher angst, zu leben, das muss das kind selbst lernen..*

3. ich würde für mich wohl solch 1 möglichkeit in anspruch nehmen, schließlich geht es um MICH und mein KIND.. die frau trägt die alleinige verantwortung für das werdende leben, also hat sie auch ALLES zu entscheiden, was im ermessen + verantworten liegt..

ob ich morgen auch so denke, das lasse ich hier mal offen stehen..

interessantes thema mit nachdenklicher stimmung.. für beides:

APPLAUS..

lieben gruß

nelly









Aloah Nelly,

schwere Kost zur Sonntagszeit. *g* Es schrieb sich ganz von allein.. quasi. :-) Und auch das muss mal sein. Also die schwere Kost mein ich. Und deswegen dank ich schonmal für Applaus und Blumen. *yeah* :-)

zu 2. Ja ich denk auch; trotzdem es hart ist, damit umzugehen. Aber ich finde es auch insbesondere das Spannenden an uns Gattung Mensch. Wir sind eben nicht perfekt. Ganz im Gegenteil. Und das ist glaub ich ganz gut so. Es lebe die Diversität.. oder fizierung? Naja egal, ik fühle watte spürs. ;-)

zu 3. Ja echt? Bin ich ja kompletto anderer Meinung. :-)

Ich war schon darauf gespannt, wie kontrastreich der anschließende Meinungsaustausch sei. :-)

Liebe Grüße, Micha
Vor langer Zeit - Antworten
MikDenter Re: Provokant, aber wahr! -
Zitat: (Original von Forseti am 17.04.2011 - 17:28 Uhr) Dürfen wir uns Menschen wirklich alles anmaßen? Je mehr die Medizin Fortschritte macht, umso mehr ist es auch möglich Kinder bewusst zu "züchten".....alles, was nicht in die Norm passt, nicht gesund ist.......hat es nicht zu geben, wollen wir nicht.
Was aber, wenn ein Kind gesund geboren wird und durch einen Unfall oder eine Krankheit dauerhaft behindert bleibt.....ist es dann auch nicht mehr wert zu leben????
Dein Text macht sehr nachdenklich!
Liebe Grüße Marianne






Hello Marianne,
thanks fpr commenting me. :-) Ja das dachte ich dann auch, als ich so vor mich hin sinnierte. Das ist ne ganz schön erschreckende Vorstellung, oder? Und deswegen: JA! Ich steh auf schriftliche Provokation! ;-D Spaß beiseite, das ist wirklich ein sehr ernstes Thema, dass sich lohnt zu diskutieren.

Liebe Grüße, Micha
Vor langer Zeit - Antworten
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