Biografien & Erinnerungen
Mein erster Kuss

Mein erster Kuss

Den ersten Kuss vergisst man nicht. Und mögen noch so viele Jahre über das Land ziehen.

Wir schreiben 1954, Februar 1954. Ich bin im Internat der Lehrerbildungsanstalt.  Ab 17 Uhr ist Studierzeit angesagt, wir sitzen in der Klasse und sollen lernen. Aber ich kann nicht. Aus jedem Heft, aus dem Mathe-, dem Geschichtsbuch, aus dem Liber Latinus, von überall springt mir dieses spitzbübische Lächeln entgegen und ich ich fühle seinen Blick, der im Speisesaal so oft auf mir ruht..  

Die Schulklassen sind getrennt, 5 Mädchenklassen, 5 für Burschen, ebenso das Internat, links 5 Schlafsäle für die Jungen, rechts fünf für die Mädchen, für jeden der fünf Jahrgänge einen..  .

Treffpunkte sind die Stiegen, die Gänge, der große Lesesaal und der Speisesaal zu gemeinsamen Mahlzeiten.

Im Speisesaal, genau unserem  Tisch gegenüber sitzen die Schüler des 5. Burschen-Jahrgangs.. .... Und dort sitzt ER! 

Er ist nicht sehr groß, aber fesch. Schwarzgelockte Haare, braune Augen und eine Wahnsinns-Ausstrahlung!  Das bilde ich mir sicher nicht ein, denn das halbe Mädcheninternat schwärmt vom "Bersch" (= steirisch: Bursch) wie sie ihn nennen.. 

Wenn sich unsere Augen treffen, senke ich verlegen die Lider. Ich hasse die Hitze und die Röte, die ich dann immer aufsteigen fühle.

Abends, wenn ein Getuschel und Gekicher durch den Schlafraum schwirrt, liege ich still in meinem Bett und träume. Träumen ist so schön, träumen kann ich gut, da vergesse ich alles um mich herum. Ich male mir prickelnde Situationen und die schönsten Zukunftsbilder aus, ich stelle mir vor, dass er mich mag, wie wir lachen und plaudern. Bin ich etwa verliebt? Nein! Ich will nicht verliebt sein - ich muss lernen. Aber gefallen darf er mir schon, oder? Und wie er mir gefällt!!

Nur meiner Freundin Gerli gestehe ich meine Gefühle. Mit ihr kann ich über ihn sprechen. "Keine Chance!", sagt sie, "der ist ein Casanova, der kann jede in der Schule haben. Vergiss ihn!" 

 Ich vergesse ihn. Trotzdem klettert mein Puls in die Höhe, sooft ich ihn sehe.  "Vergiss ihn!", sage ich, "Lernen ist angesagt!"

Wenn ich Lehrerin werden will, muss ich auch ein Musikinstrument spielen können. Ich entscheide mich für das Klavier. Furchtbar! Jede Klavierstunde bedeutet für mich eine Marter. Dabei bin ich durchaus nicht unmusikalisch, ich singe gerne und gut, singe in zwei Chören, aber Klavierspielen? Das schaffe ich nicht.. Jetzt gerade hab ich eine Übungsstunde. Gelangweilt setze ich mich ans Klavier in der Übungsschule und kämpfe mit den Noten, mit den Tönen. In der Übungsschule unterrichten neben Lehrern auch die Maturanten die Volksschüler - und dort steht auch das Klavier. Plötzlich geht die Tür auf und herein kommt... er. Er müsse für morgen für seine Lehrstunde etwas vorbereiten, Wörter mit "Weh" an die Tafel schreiben, Bauchweh, Halsweh...u.s.w. 

Mich trifft fast der Schlag, durchhalten und so tun, als ob ich spielte. Angstrengt starre ich aufs Notenblatt und berühre vorsichtig die Tasten - aber ohne sie niederzudrücken.

"Waum spielst du nicht?", fragt er. "Ich spiele doch! Nur halt leise!" Da lacht er und kommt nach hinten zum Klavier..

"Leise? Wie geht denn das?" Er steht hinter mir - mir wird heiß. Er beugt sich über mich - mir wird schwindlig. Er küsst mich auf die Stirn - ich bin wie gelähmt.

Er küsst mich auf den Mund ...... in diesem Augenblick ertönt der Essensgong.

Gott sei Dank!

Wie eine Erlösung scheint mir der vertraute Klang. Wir werden zum Nachtmahl gerufen. Ich stürme die vier Stockwerke ins Internat hinauf, werfe die Noten auf mein Bett und umarme meine Freundin. "Gerli," schreie ich, " er hat mich geküsst. Der Bersch hat mich geküsst!"

Diesem Kuss folgten noch viele, viele, viele.... dann verloren sich unsere Wege, um 17 Jahre später wieder zusammenzutreffen...

und 1985 haben wir dann endlich geheiratet.....