Kurzgeschichte
Schöner Schein

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"Schöner Schein"
Veröffentlicht am 08. April 2011, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Schöner Schein

Schöner Schein

Beschreibung

Der Reporter Blitzpunkt wird erst abgeschoben und muss dann mit seinem Kollegen eine Reportage über ein Charity Event machen. Doch während des Abends wird ihm die Wahrheit über diese hohe Gesellschaft klar. Titelbild: www.pixelio.de/©Rainer Sturm Schoenemann/PIXELIO

Als Reporter hatte es Wilhelm Blitzpunkt zu einer kleinen Lokalgröße in seiner Heimatstadt Köln gebracht. Doch nach einem kritischen Artikel über die Schlampereien beim neuesten Streich der Stadtverwaltung, dem U-Bahn Tunnel, der einen Teil Kölns in den Zustand nach dem 2. Weltkrieg versetzt hatte, war er von einem anderen Blatt abgeworben worden. So bezeichnete man das Abschieben seriöser und kritischer Reporter an seichte Schmierblätter für den biedermeierischen Bevölkerungsteil, der gerne wieder einen König an der Spitze Deutschlands sehen würde und als Beruf „irgendwas mit Medien“ machen.

So kam es, dass sich Blitzpunkt, mit seinem obligatorischen Notizblock bewaffnet, plötzlich auf einem sogenannten Charity-Event der oberen Zehntausend, oder was glaubte dazu zu gehören, wiederfand. Sein Kollege hatte solche Massenaufläufe schon häufiger erlebt wo Individuen erschienen, die mehr Geld durch chirurgische Eingriffe am und im Körper trugen

als ein durchschnittlicher Hartz IV Empfänger in mehreren Jahren bezog.

„Christian, was machen wir eigentlich hier?“, fragte Blitzpunkt, der angewidert das Wachsfigurenkabinett der Chirurgie an sich vorbeiziehen sah. Sein Mitstreiter angelte sich behände ein Sandwich mit Kaviar und ein Glas Champagner von 2 Tabletts nicht minder blasierter Kellner, die sich optimal auf das Klientel des heutigen Abends hatte eingestellt. „Fotos knipsen, irgendwelche Leute belanglosen Mist fragen und ordentlich was vom Buffet absahnen. He, das ist kein Beluga Kaviar! Muss eine öde Veranstaltung sein“, resümierte Christian und kippte sich den Champagner hinter die Binde.

Auf beide kam in diesem Moment eine Frau, das Wort Dame wäre in diesem Zusammenhang unangebracht, die ein so enges Kleid trug, dass man sich ernsthaft Sorgen machen musste, ob die eingenähte Frau nicht gleich an Atemnot sterben würde.

 

 

 

Außerdem trug sie stolz ein Dekolletee zur Schau, was einem am Gesetz der Fallbeschleunigung zweifeln ließ. „Wen haben wir denn da?“, fragte sie mit einer Stimme, die wie ein gewürgter Kanarienvogel klang und ein fast traumatisches Hörerlebnis für beide Männer war. Stimmbänder konnte man noch nicht auf die gewünschte Tonart operieren. „Wir schreiben für den Boulevard Anzeiger“, verkündete Christian, der in solchen Dingen geübter war. „Richtig, sie haben den letzten Ball meiner Freundin, Baronin von Schwips, so herrlich beschrieben. Ich erwarte Ähnliches von dem Meinigen, nur noch herrlicher“, fügte sie zwinkernd hinzu, was ihr sichtlich schwer fiel, da Botox ihr Gesichtsregungen bereits in jungen Jahren erschwert hatte. „Sicherlich nicht, bei der Kaviarqualität“, zischte Christian, als die Frau fortging. „Wer war diese…Frau?“, fragte Wilhelm. „Chantal de la Fleur, heißt eigentlich Doris Schwertlein, der andere Name klingt aber besser, ist so eine Tante, die praktisch für jeden Anlass mal eine kleine

Spendengala macht. Mal für die Waisen, die Armen, die armen Waisen oder die Waisen der Armen.“

Wilhelm erblickte einen Mann, der vor Borniertheit kaum laufen konnte und dessen Gesicht aussah, als hätte er es sich aus einem Ersatzteillager zusammengeglaubt. Alles ergab, obwohl es aus ästhetischer Sicht nicht zusammenpasste, einen erschreckend passenden Gesamteindruck des Paradoxen. „Wer ist denn dieser Frankensteinverschnitt?“, fragte er seinen Kollegen unverblümt, der sich fast an seinem Toast mit französischer Stopfleber verschluckte. „Sag bloß nicht sowas, wenn der in Hörweite ist!“, zischte er krümelspuckend. „Das ist Froderick Hartenstein, einer der wichtigen Mäzene für solche Veranstaltungen. Man nennt ihn in Fachkreisen auch das Damoklesschwert.“ „Warum?“ „Weil er unheilvoll über jeder Veranstaltung dieser Art schwebt. Wenn es ihm nicht gefällt, dann fließt auch kein Geld.“ Schockiert von den dicken

 

 

 

 

Juwelen, die die Frauen trugen und den goldenen Manschetten der Herren, welche zu einem der unzähligen Opernbälle gehörte aber nicht zu einer Veranstaltung zur Unterstützung von Organisationen, die sich für misshandelte Kinder einsetzte, versuchte Wilhelm wenigsten mit irgendjemandem mal ein paar sinnvolle Worte zu wechseln.

Neben dem Reporter mit gezücktem Notizblock stand eine Dame mit einem derart verzerrtem Gesicht, dass sie in der Geisterbahn hätte arbeiten können, ohne Make Up. „Dürfte ich Ihren Namen erfahren?“ „Prinzessin Silvana von Sachsen Coburg Gotha“, brachte sie zwischen ihren Schlauchbootlippen hervor. Verdammt, wie viele Adelige sind denn heute Abend hier. Ich dachte wir hätten die alle abgeschafft nach der Revolution 1918, dachte er sich insgeheim. „Aha, und seit wann engagieren Sie sich für misshandelte Kinder?“ Obwohl es kaum Gesichtsregungen gab, konnte man der Prinzessin ansehen, dass sie

verzweifelt nach Worten rang. „Sie wissen doch, wenn man Kinder hat, dann will man doch helfen, sowas soll nicht passieren, die armen Dinger in Afrika.“ Der Reporter stutze. „Verzeihung, aber die Organisationen, die hier unterstütz werden, setzen sich für Missbrauchsopfer in Deutschland ein.“ In den Augenhöhlen seiner Partnerin tanzten die Augäpfel gerade eine wilde Samba, bis die verzweifelten Worte fielen: „Ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts mehr!“ Mit regungsloser Miene zog sie von dannen.

Da gesellte sich sein Kollege mit einem Fruchtspieß mit exotischen Südfrüchten bewaffnet zu ihm. „Und, war’s ergiebig?“ Wilhelm wollte gerade seinen Notizblock zuklappen, als ein Mann mit stierendem Blick auf die beiden zukam. Er wirkte sehr alt, natürlich gealtert, ohne jede Spur eines chirurgischen Eingriffs, er war ein Unikat auf dieser Veranstaltung. „Boah, Jungs, habt ihr noch Stoff?“ „Was?!“ „Champagner, Koks, mir

 

 

 

 

fliegt gleich der Kopf weg wenn ich noch irgendeinen von diesen operierten Vögeln sehen muss!“, gellte er die Reporter an. Wilhelm witterte seine Chance. „Und Sie sind?“ „Daniel Rotschild, verlobt mit der sogenannten Schirmherrin dieser Farce.“ „Warum Farce?“ Er blickte den Fragesteller mit aufgerissenen und blutunterlaufenen Augen an. „Das fragt der Kerl mich?! Kann der Herr sich vorstellen, welchen Wert die gereichten Speisen haben?“, fragte er ernst. „Ziemlich teuer.“ „Allerdings, wenn nicht noch mehr. Und was denkt ihr wie das alles bezahlt wird?“ Beide schüttelten den Kopf. „Von den Spenden, die heute Abend eingehen. Und die gespendeten Beträge werden vom Fiskus rückerstattet. Hier verliert niemand Geld.“ Christian ließ unauffällig seinen Fruchtspieß fallen und Wilhelm glotzte den Offenbarer offensichtlicher Scheinheiligkeit wie ein Mirakel an. „Aber, warum machen die das dann hier?“ „Prestige, mehr nicht! Ah, da sehe ich doch schon die Geier vom Privatfernsehn,

die Übermittler solcher Feierlichkeiten, bei denen abgehalfterte Idioten sich nochmal puschen können und vielleicht nochmal eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen.“ „Und was sind die ganzen Adeligen hier?“ „Gekaute Titel, mancher adoptiert, wenige echte, aber mal ehrlich; ein Titel macht auch nicht reich. Der ist deren letzte Rettung vor dem Arbeitsamt. Den Großteil ihres Besitzes haben die Meisten hier doch schon lange verscheuert.“

Dann trat Madame de la Fleur ans Mikrofon und alle Blicke richteten sich auf sie, außer der ihres Verlobten, der gerade versuchte sich in einer überdimensionierten Bowleschale zu ertränken, oder sie zu leeren, den Unterschied konnte man nicht eindeutig ausmachen. „Liebe Gäste! Ich freue mich, dass sie alle so zahlreich erschienen sind. Zu diesem Abend, den wir den Missbrauchsopfer dieser Republik widmen. Wir sollten deshalb eine kurze Gedenkminute einlegen.“ Alle senkten die Köpfe und setzten ihre Gespräche flüsternd

 

 

 

 

fort. Da wurde es Blitzpunkt zu viel und er schob sich durch die dicht drängenden Kuriositäten der plastischen Chirurgie und des Stukateurhandwerks, zum Hinterausgang, vorbei an den koksenden, Pillen schluckenden und Geschlechtsverkehr ausführenden Damen und Herren auf den Toiletten. Christian folgte ihm unauffällig.

Als sie draußen waren atmete Wilhelm erstmalig an diesem Abend auf. „Wieso bist du rausgegangen?“ „Das war mir einfach zu viel, zu viel Heuchelei, zu viel Theater, zu viel von allem, der Sinn der Veranstaltung wurde pervers durch die Anwesenden karikiert, es war wahrlich eine Farce.“ „Und was machen wir jetzt?“ „Weiß nicht was du machst, aber ich genehmige mir erst mal ein kühles Blondes in der nächsten Kneipe, gehe nach Hause und morgen kündige ich bei diesem Drecksblatt. Mal sehen ob mich nicht eine seriöse Tageszeitung will.“ Christian grinste verstohlen. „Hast wohl schon genug von dem

Trara?“ „Allerdings, wenn ich nochmal auf so eine Veranstaltung muss, dann jage ich mir präventiv eine Kugel durch den Kopf.“

 Ende

 

 

 

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RogerWright
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