Der Kobold und die Elfe
Der Kobold war klein, grün und hatte große, spitze Ohren und einen frech grinsenden Mund.
Das sah sehr boshaft aus, und die Tiere waren grundsätzlich misstrauisch ihm gegenüber, weil sie dachten, dass er sicher Etwas Fieses mit Ihnen anstellen wolle.
Sie mieden ihn also, und manchmal beachteten sie Ihn einfach nicht, weil er in ihren Augen hässlich und langweilig war.
Eigentlich war der kleine Kobold ein lustiger Bursche und voller Tatendrang. Weil ihn aber keiner mochte und beachtete, bekam er eine Riesen-Wut, ja sogar einen richtigen Hass auf die anderen Geschöpfe. Da hatte er nicht länger Lust, seine ausgelassene Kobold-Energie für gute Taten einzusetzen, sondern er versuchte nun, möglichst boshaft und gemein zu sein.
„Wenn ihr mich sowieso nicht mögt...“, sagte er, „dann sollt ihr wenigstens erfahren, wie hässlich und böse ich wirklich bin!“
Und er fing an, den Blumen die Blütenblätter ab zu reißen und warf mit einem Stein das Spinnennetz kaputt. Den Schwanz der Maus band er an einem Ast fest, während sie schlief, so dass sie sich schrecklich weh tat, als sie aufwachte und den Kobold fangen wollte, der sie von einer großen Blume aus mit Nüssen bewarf.
Schlimmer noch war, dass er den Tieren heimlich auflauerte. Wenn zum Beispiel der Biene der Honigtopf um fiel, lachte er sie keckernd aus und schrie sie an, wie ungeschickt sie doch sei. Heulend flog dann das arme Bienchen zum Bienenstock zurück und wollte den ganzen Tag nicht mehr arbeiten.
Den Blumen erzählte er so lange, dass sie alle hässlich seien, bis sie traurig ihre Köpfchen hängen ließen und sie gar nicht mehr freudig der Sonne entgegenstrecken wollten.
Ja, sogar die Sonne selber schimpfte er aus, sie wäre ein grässliches finsteres Loch. Die lächelte aber nur liebevoll, streichelte ihn mit ihren warmen Strahlen und weinte eine Träne um die arme verirrte Seele des Kobolds.
Die Tiere waren jetzt richtig böse auf den Kobold und beschlossen, ihn von der großen, bunten Wiese zu vertreiben.
In der Nacht, wenn der Mond und die Sterne am Himmel standen, verkroch sich der Kobold in seine kleine Höhle am Fuße eines großen Baumes und weinte bitterlich, weil niemand ihn lieb hatte und er eigentlich gar kein böser Kobold sein wollte. Tief in seinem Herzen verborgen hatte er nämlich den Wunsch, wie die kleine Blumenelfe zu sein: sanft, lieblich, wunderschön - und zärtlich und mitfühlend für alle Wesen.
Nur aus der Ferne hatte er das Elfchen angesehen, denn wenn er sie erblickte, begann sein Herz vor Sehnsucht zu brennen, und er weinte sogar am Tage. Nie hatte er sich in ihre Nähe gewagt, weil er sich vor ihr schämte und fürchtete, er könne ihr in dem Schmerz und Zorn über sein Leid Etwas noch viel Schlimmeres antun, als den Tieren bisher.
Manchmal hörte er sie aus der Ferne leise singen. Dann kroch er zitternd tief in das Innere einer Blüte, schloss die Augen und träumte, er sei selber ein Blumenelf und flöge in den Himmel.
Wenn er dann erwachte und feststellte, dass er immer noch der grüne, hässliche Kobold war, wurde er noch wütender als zuvor und sein Herz bekam einen Sprung, der von Tag zu Tag größer wurde.
Eines Nachts gab es ein fürchterliches Unwetter auf der großen Wiese. Alle Tiere flohen in den Wald. Und – ach – der Sturm riss die Schlafblume der Elfe aus und blies sie mitsamt ihrer Bewohnerin davon. In den Zweigen der mächtigen Eiche blieb die Elfe hängen, klammerte sich verzweifelt an und schrie um Hilfe. Unter ihr in der Höhle lag der kleine Kobold und weinte bitterlich, wie jede Nacht. Doch auf einmal horchte er auf. Hatte da nicht ein dünnes Stimmchen um Hilfe gerufen? Nein, das war wohl der Sturmwind, der um den Baum pfiff!
Doch! - Da war es wieder!
Von oben aus dem Baum kam es!
Der Kobold streckte seinen Kopf zur Höhle heraus und erschrak, als er die Blumenelfe erkannte, die sich gerade noch mit letzter Kraft an einem dünnen Zweig festhielt. Gleich würde der Sturmwind sie davon reißen und irgendwo auf die Erde schmettern...
„Ja, jetzt ist's aus mit Dir, liederliches Wesen!“, kläffte er empor. „Bist selber schuld, Dich bei dem Unwetter draußen herum zu treiben! Ich bin der böse Kobold und werde Dir bestimmt nicht helfen!“
„Endlich bin ich sie los, und sie kann mir nicht mehr weh tun!“, dachte er. Aber in ihm drin fing sein Herz gefährlich zu zucken und zu hüpfen an und aus seinen Augen rannen Tränen, wie zuvor.
„Ach – ich will ein erstes und letztes Mal ein guter Kobold sein, auch wenn niemand es sieht und mich lieb haben kann dafür. Und auch, wenn mein Herz dabei entzweibrechen wird!“
Denn das würde es – sobald er in die Nähe der kleinen Elfe kommen würde – so viel wusste er.
So begann er – sich tapfer gegen den Sturm wehrend, der ihm die Zipfelmütze vom Kopf wehte – den Baum empor zu klimmen.
Die kleine Elfe hörte überrascht zu Schreien auf, als sie ihn erblickte.
Der böse Kobold kam herauf um sie zu retten!
Sie hatte zwar nie an alles geglaubt, was die Tiere über ihn sagten, aber Manches hatte sie mit eigenen Augen gesehen – wenn er auch ihr selbst nie etwas zuleide getan hatte.
Doch jetzt, als sie ihn sah, wie er sich langsam – Stück für Stück – den Baum hoch arbeitete, während seine Tränen links und rechts herunter tropften, wusste sie sofort, dass er ein gutes Herz hatte, und ein tapferes obendrein.
Und als er bei ihr angekommen war, da brannte ihr eigenes kleines Elfenherzchen – das doch alle Wesen so lieb hatte – vor Liebe so lichterloh, dass ihr ganzer durchscheinender Elfenkörper einen rötlichen Schein bekam. Als er ihr dann die Hand reichte, um sie in Sicherheit zu bringen, strömte all die Liebe hinüber zum Kobold.
„Knack!“, machte es, und sein Herz sprang mitten entzwei.
Der Sturm war gerade vorüber und ein letzter Windstoß ließ die fallende Elfe, die den leblosen Kobold in den Armen hielt sanft zu Boden gleiten.
Und wäre da nicht gerade in dem Augenblick die Sonne durch die Wolken gekommen, wäre es mit dem kleinen Kobold vorbei gewesen.
Doch wie sie ihn da liegen sah, ganz totenbleich in den Armen des liebenden Elfenmädchens, da streckte sie mitleidig ihre Strahlen aus und fügte das gebrochene Herz des Kobolds wieder zusammen.
Aus lauter Freude über die Liebenden tat sie noch einen kleinen Zauber hinzu.
„Elfen-Junge!“, rief die kleine Blumenelfe leise, „wach auf, die Sonne lässt uns grüßen!“
Der kleine Kobold blinzelte mit den Augen, konnte sie aber nicht recht öffnen, das helle Sonnenlicht blendete ihn.
Aber er spürte, dass er im Schoss der Blumenelfe lag, und fühlte ihre Liebe, wie einen warmen Frühlingsregen, der die Blumen wachsen lässt.
Wieder rief ihn ihre leise, zarte Stimme: „Wach auf mein Schöner und lass uns in den Himmel fliegen!“
Er öffnete seine Augen nun ganz und sah die Blumenelfe an. In ihren großen, glänzenden Augen spiegelte sich kein hässlicher Kobold – nein ein wunderschöner kleiner Blumenelf mit langen seidigen Haaren und einem lieblichen Gesichtchen.
Das war der Zauber der Sonne, doch nur die Blumenelfe und der Kobold konnten ihn sehen.
Die Tiere aber waren tief beschämt, als Ihnen am nächsten Tag eine kleine Wolke alles erzählte, die den Beiden zugesehen hatte.
Reumütig kamen sie den kleinen Kobold besuchen, um sich bei ihm und bei der Blumenelfe zu entschuldigen, die sie während des Sturmes im Stich gelassen hatten. Wenn sie auch den neuen Körper des Kobolds nicht sehen konnten, so nahmen sie doch einen zarten Lichtschein um ihn wahr, und das Leuchten in seinen Augen.
„Wir haben uns geirrt!“, dachten sie, „Er muss etwas Besonderes sein! Es ist uns nur recht geschehen, dass wir Schlechtes bekommen haben, denn wir haben Schlechtes erwartet!“
Von diesem Tag an waren sie alle seine Freunde.