Diese Kurzgeschichte, welche das schnelle Lebe des talentierten, aber leider sonst unglücklichen fiktiven Schauspielers Mark Schwarzkopf erzählt, wurde ursprünglich von Draconian (Andy) in seinem Projekt "Das manschliche Theater" veröffentlicht. Da er sich nun aber aus dem Kreis der Schreiber verabschiedet zu haben scheint veröffentliche ich diese Geschichte eben in Eigenregie. Viel Spaß beim Lesen und spart nicht mit Kommentaren, RogerWright Titelbild: www.pixelio.de © Gabriele genannt Gabi Schoenemann/PIXELIO
Von kranker Aufmerksamkeitssucht
Mark Schwarzkopf war schon immer ein sehr theatralischer Charakter. Bereits bei seiner Geburt ließ er sein Herz für mehrere Augenblicke still stehen, nur um ein Ballett von gehetzten Krankenschwestern und Ärzten zu erzeugen. Und schon kurz darauf genoss er die wohligen Wogen dessen, was man Aufmerksamkeit nennt. Ein Gefühl, welches ihm zur Droge werden würde. In seiner frühen Jugend spielte er seinen Freunden häufig die tollsten Dinge vor, welche die Anderen immer gespannt verfolgten. Ihre Münder wollten sich nicht schließen und ihre kleinen Herzen machten Salti als sie erlebten wie sich der schmächtige Junge in die wildesten Spielereien hineinsteigerte, als wäre er der wahrhaftige Drachentöter oder kapernde Pirat. Nach jeder Vorstellung dieser Art schien der junge Schwarzkopf förmlich an Atemnot zu sterben, jedoch fühlte er sich auch immer besonders belebt in jenen Momenten der Schwäche, wenn
sich die Andern um ihn sorgten und gleichzeitig seine Leistungen beklatschten.Sein treffliches Talent sollte erstmalig während seiner späteren Schulzeit offiziell gefördert werden. Denn während man in niederen Klassenstufen Bäume[1] oder Tiere verkörpern muss, was alles nicht seiner wahren Passion entsprach, so konnte man sich jetzt in klassischem Stoff probieren. Und eine Figur war es, zu der er sich besonders hingezogen fühlte; Heinrich Faust, natürlich in der Goetheschen Bearbeitung.Dieser Faust, welcher ebenfalls nach Höherem strebte und eine solch wunderbar tragische Figur war, mit solch einem großen Spektrum dessen, wie man Emotionen in jedes Wort legen kann. Eine Rolle, wie für ihn geschrieben.
[1] Bäume, die plötzlich über die Bühne springen und ihren tiefen Weltenschmerz zum Ausdruck bringen sind äußerst selten, meist stehen sie einfach so herum, wie es ihre realen Vorbilder zu tun pflegen.
Die Rolle des tragischen Gretchens übernahm Tatjana, eine Klassenkameradin, die er nicht nur sehr gut leiden konnte, sondern die er auch begehrte, sie hingegen schien ihn nur als sehr guten Freund zu sehen, was sich aber spätestens nach der Aufführung würde ändern, so schwor er sich. Schon in den Proben spielte Max Schwarzkopf mit seinem übergroßen Talent und versetzte alle in helle Verzückung, die junge, attraktive Schauspielleiterin und auch Tatjana. Neben dem herrlichen Gefühl der Bejubelung seiner gebotenen Darstellung erfreute er sich nun auch der gesteigerten Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts, was ihm einen zusätzlichen Schub versetzte. Und die Premiere wurde der gewünschte Triumph. Noch nie hatte man einen jungen Menschen erlebt, welcher mit solcher Intensität Faust hatte gespielt, jenem schicksalhaften ersten Teiles eines der größten deutschen Dramen. Und die Worte Gretchens „Heinrich, mir graut‘s vor dir“, sprach Tatjana mit wahrem atemlosen Entsetzen und gleichzeitiger
Verzückung über die Leistung ihres Partners, dass es ihm schon während des Schauspeils selbst wohlige Schauer über den Rücken jagte. Und als das Stück geendet hatte und das Publikum in orgiastische Ovationen ausbrach, da fühlte sich der kurz zuvor noch ausgepumpte Schwarzkopf plötzlich wie ein Junkie, der sich einen gigantischen Trip ritt. Doch dies alles verflüchtigte sich, als er Tatjana in den Armen eines anderen sah und sich leidenschaftlich küssend. Das Publikum liebte ihn, aber nicht die, die er zutiefst begehrte. Einige Jahre später, angestellt am Thalia Theater zu Hamburg, natürlich war Max Schauspieler geworden, spielte er den Beckmann in Borcherts Draußen vor der Tür. Und wieder hatte er sich in eine Frau verliebt, Tina, eine Schauspielkollegin. Auch sie schien ihm nicht abgeneigt und so wollte er sie, die das Mädchen spielte, durch seine größte Darstellung schließlich überzeugen die Seine zu werden. Zur Premiere erschien alles, was in der Kulturszene der Bundesrepublik zu sagen
hatte. Und wahrlich, Schwarzkopf spielte seinen Beckmann so intensiv, dass man glaubte, er wollte gar den bereits verstorbenen Hans Quest[1] an die Wand spielen. Er genoss es innerlich, als sich Tina, das einsame Mädchen um ihn kümmerte und litt, als ihr eigentlicher Mann seinen Platz wieder einnahm. Das ganze Stück hindurch war er vom Gedanken getrieben es allen zu beweisen und es einem jeden unmöglich zu machen ihn nicht zutiefst für seine Darstellung zu bewundern und zu lieben.Doch gegen Ende sah er seine Tina an der Seite des Schauspielers des Einbeinigen, er hatte ihm seine Liebe gestohlen, die Triebfeder seiner Perfektion am heutigen Abend. Was nutze denn unglückliches Talent,
[1] Quest ist das Stück durch Borchert gewidmet und Quest hat damals auch, bei der Uraufführung bei den Hamburger Kammerspielen im Jahre 1947 den Beckmann gespielt.
wenn es doch im Herzen nicht vollständig glücklich machte? Am Ende warfen sich die Frauen doch immer anderen an den Hals! Dieses Problem, welches sich ihm jetzt erschloss legte er in jene geschrienen letzten Worte Beckmanns: „Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner eine Antwort? Gibt keiner Antwort? Gibt denn keiner, keiner Antwort???“
Das Publikum war für einen unendlichen Augenblick lang totenstill und ließ dann Kaskaden von Jubelstürmen über die Bühne hereinbrechen. Max Schwarzkopf, 26 Jahre alt, hörte noch einmal die tosende Menge und klappte dann ohnmächtig zusammen. Im Nachruf stand: „Ein großer Schauspieler starb den Tod, welchen sich jeder seiner Zunft wünscht, auf den Brettern, die die Welt bedeuten unter dem gewaltigen Applaus seiner Bewunderer.“ Andere bemerkten zynisch: „Wie immer etwas zu theatralisch, aber er wusste, wie man einen guten Abgang macht!“