Beschreibung
Fenstergeräusche einmal anders...
Prolog.
Fenstergeräusche einmal anders. Bisweilen pflege ich hin und wieder an meinem Fenster zu sitzen und im Rahmen der Fensterbank zu lehnen und in die Welt hinaus zu sinnieren. Doch an diesem Samstagabend ist das Fenstergeräusch gänzlich anders, denn ich hatte mein sonst so geliebtes Fenster für diesen Abend gegen ein Wagenfenster eingetauscht, um daraus die Welt zu sehen.
Saturday Night Cruise.
Es ist Samstagabend 20:30 Uhr. Ein herrlicher Frühlingstag neigt sich dem Ende und allerlei seltsame Dinge geschehen auf einem Parkplatz inmitten eines Nürnberger Industriegebiets. Neugierige und leuchtende Blicke vereinzelter Passanten flackern aufgeregt durch die späte Dämmerung und ab und an erklingt ein tiefes Grollen durch die abendliche Stadt. Und während sich die letzten Berufstätigen auf den Heimweg machen, beginnt polierter Lack und blitzendes Chrom auf den Parkplatz zu rollen und die einbrechende Dunkelheit mit wohltuendem Blubbern und die Luft mit Benzin zu erfüllen. Es schien, als würden die Fünfziger, Sechziger und Siebziger wieder zum Leben erweckt worden sein. Ja, für diesen Abend sollte es so sein, dass das amerikanische Lebensgefühl des Reisens und Genießens auf unendlich langen Straßen allen ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Man unterhielt sich und fachsimpelte, und einige kramten aufgeregt in ihren Taschen, um irgendein Gerät zu finden, das den Augenblick in einem Bild festhalten ließ. Der Parkplatz indes, im Dunkel der Nacht verhüllt, erschien beinahe so, als verbliebe er in andächtiger Stille, in bewundernden Blicken erstarrt und doch in der Erwartung gespannt, die schmucken Metalle auf den Asphalt zu bewegen. Ab und an hörten die stolzen Karossenbesitzer begeistertes Raunen, das durch die Menge ging, wenn eines der mobilen Kunstwerke geöffnet wurde und die leuchtenden Blicke auf Tachoscheiben mit großen, nostalgischen Zahlen in chromblitzenden Zierringen geschmückt fielen. Es war der Geruch von Freiheit, der diesen Moment ausmachte.
Die Ansprache verhallte zunächst in der Dunkelheit, doch die Blicke richteten sich auf den Mittelpunkt des Platzes. Die Meute, die bereits mit den Hufen scharrte, versammelte sich, um das neue Jahr zu begrüßen. Sie tauschten Organisatorisches aus, die letzten Details zur Route wurden geklärt und man konnte den Eindruck gewinnen, dass die herbeigeeilten Passanten kein Wort von dem Verstanden, was eingefleischte Liebhaber blind verstanden. Doch es gab auch Wehrmutstropfen, die der Gemeinde traurige Gesichter bescherten, denn einer der Ihren hat die Gegenwart für immer verlassen. Er wurde schmerzlich vermisst an diesem Abend und es war eine Selbstverständlichkeit, ihm mit einer schweigenden Minute die letzte Ehre zu erweisen. Und so schmückten sich die Karossen mit schwarzen Bändern, um die Anteilnahme in die Welt hinauszutragen. Das war das Mindeste.
Nach einiger Zeit dann, war es soweit. Es sollte losgehen! Für einen Moment, ja, für einen Moment umnebelte eine merkwürdige Stille den Platz, denn jetzt waren es die Wagenlenker, die vor freudiger Aufregung und gespannter Erwartung umher liefen, ihre Fahrzeuge aufsuchten, sich hinter das Speichenlenkrad setzten und auf das Startsignal warteten. Dann war es soweit.
Nach und nach begann der Platz zu beben, als die V8-Maschinen der Reihe nach gestartet wurden. Scheinwerfer erleuchteten, Schlafaugen wurden zum Leben erweckt, die Endrohre ließen die Nacht im Klang der Big Blocks erzittern und ganz langsam bewegten sich die Straßenkreuzer auf die Ausfahrt zu, um in die weite Welt hinauszufahren und die Straßen mit Glanz zu erfüllen. Es dauerte nur winzig kleine Augenblicke, dass sich die Passanten an der Ausfahrt versammelten, um lächelnd entzückt und Beifall klatschend die chromblitzenden Gefährten unter Blitzlichtgewittern auf die Straße zu begleiten. Das Grollen hatte sich inzwischen zu einem kapitalen Brüllen, Blubbern und einer außerordentlich stattlichen Geräuschkulisse entwickelt, die selbst den Desinteressiertesten hinter seinem Ofen hervor gelockt hätte. Der Asphalt wurde zum Leben erweckt und es dauerte nicht lange, da standen die edlen Mobile in Zweierreihe auf der Fahrbahn, um sich für ihre Prozession bereit zu machen. Immer wieder ertönte der Klang der großen Maschinen, die sich unter den massiven Pferdestärken auf die Haltelinie zu bewegten, zu einander aufschlossen, wieder bremsten und unter ohrenbetäubendem V8-Gebrüll den Gesichtern der Fahrer unter den Baseball Caps zu einem überaus breiten Grinsen verhalf. Die altehrwürdigen Ladies der Chevies, Dodges und Fords wollten es noch einmal wissen und den Soul der guten alten Zeit spüren. Die wilden Ponys indes, mit ihren langen Hauben, wollten in die Prärie reiten und zeigen, wie stark und wie wild sie sind.
Die Ampeln schalteten auf grün, die Maschinen heulten auf und die Prozession setzte sich in Bewegung. Es war laut, es roch nach Benzin und Reifengummi, es ließ die Straße beben und zittern und für einen Augenblick wehte der Wind eines fabulösen Rennens durch die Stadt. Kurz: es war furchteinflößend für den, der die Scheinwerfer unerwartet in seinem Rückspiegel sah. Doch es zauberte ein unbeschreibliches Lächeln in die Gesichter der Menschen der Stadt, als der Tross auf die ehrwürdige Meile historischer Gebäude bog und sich im Glanz der Lichter sonnte.
In einer engen Seitenstraße der Altstadt, sollte die Prozession zu ihrem Höhepunkt auflaufen. Unvermittelt zog es die Menschen aus den Bars auf die Straße, um dem rollenden Tross Spalier zu stehen. Applaus inmitten der atemberaubenden Geräuschkulisse, wieder Blitzlichtgewitter, wieder die bewundernden Blicke und wieder das Grinsen der Wagenlenker. Langsam und beeindruckend schoben sie die vierrädrigen Glanzstücke durch die enge Straße. Auf den unendlich langen Motorhauben blitzten die reflektierenden Lichter der Umgebung in den Galionsfiguren der Hauben. Heckflossen muteten zur Neuentdeckung des Weltraums an und es schien beiahe so, als wollten sie zum Ausdruck bringen wollen, Apollo 11 noch einmal zum Mond fliegen zu lassen. Junge Wildpferde thronten auf dem Kühlergrill zwischen hell erleuchteten Doppelscheinwerfern und in den tiefen Speichen der Lenkräder. Aus der Anzahl der Plüschwürfel, die an den Rückspiegeln baumelten, hätte man wahrscheinlich ein passendes Sitzutensil zusammenbasteln können, auf dem man die Show bewundern hätte können. Es war eine Demonstration.
Ich lehnte mich entspannt in den Fahrersitz und grinste mit den anderen Wagenlenkern um die Wette und blickte nach vorne. Am Ende der langen Motorhaube des Pony Cars leuchteten die breiten Rücklichter des Straßenkreuzers und mich beschlich das Gefühl, Frank Bullitt zu sein. Doch ich war nur ich und genoss das Vibrieren des Big Blocks.
2011©MIK.DENTER