Morbidias Schwester Helena kommt überraschend zu Besuch und involviert die Familie Plogojowitz in ihre privaten Probleme. Sehr zum Leidwesen von Lucius. Titelbild: www.Bilderkiste.de
Man kann sich seine Verwandtschaft nicht aussuchen, das weiß schon ein altes Sprichwort zu vermelden. Und selbst wenn man als aufstrebender Karrierist eine wunderbare Ehe mit einer Person einging, von der man den idealen leistungslosen sozialen Aufstieg erwartete, dann ist man selbst dann nicht vor Überraschungen aus dem Verwandten und Bekanntenkreis der wohlsituiertesten Klassen gewahrt. Nicht selten tauchen dann bisher verschwiegene Cousins auf, die eine kriminelle Vergangenheit haben oder eine Irrenanstalt nicht zum ersten Mal von Innen sahen. Vor solchen sogenannten schwarzen Schafen, ein Ausdruck, der keinen rassistischen Hintergrund hat, ist niemand gefeit, das gilt auch für Familien ohne rein menschlichen Hintergrund wie es die Familie Plogojowitz ist.
Die Plogojowitz sind eine alte Familie, entstammend einer langen Linie von Vampiren und anderer Familien mit ähnlichem
genetischem Hintergrund aus den Regionen des heutigen Rumänien. Vater Lucius Plogojowitz, Diplomat a.D., fand neue Wege der Beschäftigung um sich von seiner nicht unbedingt glanzvollen Karriere in verschiedenen Regierungen bis Waterloo und seinem damit verbundenen Ausscheiden aus dem französischen Staatsapparat und dem Berufsleben an sich abzulenken. Er widmet sich dem Orgelspiel, welches er auf der heimischen Silbermann zu höchster Perfektion gebracht hat, welche er extra für seine Wünsche modifiziert hatte, denn auf keiner normalen Klaviatur finden sich Tasten für Geräuscheffekte wie dröhnender Donner oder schreiende Jungfrau. Seine Frau Morbidia, mit der er seit 120 Jahren verheiratet ist, hatte zwischenzeitlich eine Karriere als blassestes Model der Welt hinter sich gebracht, welche sie, aufgrund der nicht vorhandenen Alterung in 30 Jahren dann doch aufgeben musste. Heute kümmert sie sich vorzugsweise um die Zucht von Pflanzen, meist in ihrer Lieblingsfarbe
schwarz und den Zusammenhalt des Haushaltes an sich. Ihre Beiden Kinder Lucius jr. und Carmilla haben an der Universität Cambridge ihre Studien abgeschlossen. Lucius jr. ist ein begeisterter Musiker, genau wie sein Vater, jedoch spielt er eine Stradivari, wobei er viel Enthusiasmus, aber leider nicht das vollendete Talent zeigt. Seine Schwester ist eine große Frauenrechtlerin, was in dieser Gegend bedeutet man ist nicht verheiratet, aber auch so ist sie, was die Emanzipation der Frau angeht, sehr engagiert, nicht nur weil sie Frauen liebt, um Himmels Willen nein! Weiterhin gehören der britische Butler Alaister McCool, welcher seit über 120 Jahren erst nur Lucius und dann der Familie diente, obwohl er ein Mensch ist und dann noch der Ghul Kemal, der dieses Schloss schon vor den Plogojowitz besetzt hielt und sich jetzt als Unterstützer von Morbidias Blumenzucht betätigt sowie als Alaisters, meist widerwilliger Gehilfe.
Doch kommen wir wieder auf das schwarze Schaf zu sprechen. Sie haben ja auch die seltene Angewohnheit sich dann anzukündigen, wenn man sie am Wenigsten gebrauchen kann oder wenn man nicht mit ihnen rechnet.
Morbidia war gerade damit beschäftigt ihre fleischfressende Pflanze Erzsebet zu füttern, mit knorpellosem Fleisch, für Knorpel war sie noch zu jung. „Schatz, Mund auf!“ Sie ließ einen Fleischklops in den großen Blütenkopf fallen, der sich augenblicklich mit lauten Schmatzgeräuschen schloss. „Langsam, sonst verschluckst du dich wieder. Ja, gut durchkauen.“ „Dämliches Gestrüpp!“, krächzte es aus einer anderen Ecke. „Was gibt es, Kemal?“, fragte Morbidia erschrocken. „Was schon! Es haben sich nicht nur rein schwarze Rosen ausgebildet, hier sind auch…rote“, sprach er mit Ekel in der Stimme, soweit man solch eine Gefühlsregung einem
leichenfressenden, nach Verwesung stinkendem Ghul zubilligen will. „Rote?!“ Sofort war Morbidia neben Kemal erschienen. „Ich werde sie entfernen“, bot der Ghul mutig an. „Bitte, dieses Unkraut soll verschwinden. Der Geruch wird auch gleich verdorben, riechst du diesen süßlichen Parfumduft? Dachböden riechen und damit eine Zierde jedes Heimes sind, nichts zu suchen!“, stellte sie entschlossen fest.
Alaister, der Butler, kam mit einem Päckchen Briefe in den Raum mit den Pflanzen. Er trug die herkömmliche Butleruniform, nur der wehende Umhang spiegelte seine individuelle Note wieder. „Post, Frau Plogojowitz.“ „Danke.“ Morbidia nahm die Briefe an und überflog die Absender. „Rechnung, Rechnung, oh, meine Bestätigung zur Aufnahme in den Club selbstbewusster Züchterinnen.“ „Ich will ja keine Träume zerstören, aber es handelt sich um eine Absage“, warf Alaister britisch trocken ein. „Eine Absage?! Ich sei zu selbstbewusst in
meinen Züchtungen?“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung beförderte Morbidia die Absage in die Hände von Kemal. „Komposthaufen?“, fragte er erwartungsvoll. Sie nickte energisch. „Alaister? Wo steckt mein Mann an einem solchen Abend mit Vollmond und heulenden Wölfen?“ Wie aufs Stichwort heulte ein Wolf in der Ferne. „Unsere Nachbarn scheinen wieder einen Streifzug durch die angrenzenden Ländereien zu machen“, schlussfolgerte Morbidia, wobei ihr wohlige Schauer über den Rücken jagten. Just zur gleichen Zeit konnte man im ganzen Schloss Toccata und Fuge[1] von Johann Sebastian Bach, gespielt auf der Silbermann,
[1] Dieses Orgelstück ist eines der meistgespielten in Horrorfilmen. Klassische Musik muss nicht langweilig sein, was dieses Musikstück eindrucksvoll beweist, denn sonst wäre es bis heute nicht so häufig, über die Jahrzehnte hindurch, zum Einsatz gekommen.
vernehmen, wobei Lucius wahren Sinn für Dramatik entwickelte und leidenschaftlich seine Klangmodifikationen einsetzte. „Dieser wunderbare Mann mit seinen musischen Talenten und eine perfekte Nacht, was kann da noch stören…“ Morbidia hielt den letzten Brief wie eine giftige Schlange weit von sich weg als würde sie befürchten dass die Worte ihr an den Hals springen könnten. „Gibt es ein Problem?“, fragte Alaister ruhig. „Noch eine Absage?“, fragte Kemal keck. „Nein, meine Schwester hat sich angekündigt.“ „Wann?“ „Heute Nacht!“ Augenblicklich verstummten die Orgeltöne und nur wenige Augenblicke später stand Lucius neben seiner Frau, die gerade noch den Brief hinter ihrem Rücken versteckt hatte. „Warum hast du mit Spielen aufgehört, es war gerade so…entspannend“, sprach seine Frau nervös. „Richtig, aber ich spürte ein Ziehen in meiner rechten Seite, das bedeutet nichts Gutes.“ Kemal blickte verwundert an seiner rechten Seite herab. „Hast du nicht gesagt, dass deine linke Seite die Unglücksseite ist?“ „Das war sie,
in der Tat, bis ich meine rechts links Schwäche überwand“, erläuterte Lucius ruhig. Seine Stimmung schwang schlagartig um als er Morbidia genauer betrachtete. „Fledermäuschen, du siehst so wunderbar blass aus im Licht des Mondes“, säuselte er und versuchte sie zu umkreisen, wobei sich Morbidia immer mit drehte um den Brief weiterhin vor ihm zu verbergen. „Was verbirgst du hinter deinem Rücken, meine dunkle Fürstin?“ „Was? Ich? Etwas verbergen? Lächerlich!“, Morbidia unterstrich diese offenkundigen Lügen mit einem arg gekünstelten Lachen. Da er keinen anderen Ausweg sah, bediente sich Lucius seines Rechts als Hausherr. „Alaister, gib mir das, was weiß ich, was Frau Plogojowitz hinter ihrem Rücken versteckt.“ „Alaister, als Herrin des Hauses befehle ich dir dies nicht zu tun!“ Der Butler war verwirrt. „Bei dieser klassischen Pattsituation nehme ich mir das Recht heraus den Raum schnellstmöglich zu verlassen“, verkündete er monoton. „So viel Lärm um einen
Brief!“, entfuhr es Kemal, der noch im selben Moment seinen Fehler bereute. „Soll ich ihn zur Strafe die Treppe herunterstoßen?“, fragte Alaister seine Arbeitgeberin. „Nein, ich denke 20 Bibelverse dürften genügen“, ordnete Morbidia an. „Was?! Bibelverse?! Ich bin ein Ghul, Araber! Bibelverse sind ein Hohn!“ Langsam erstarb seine Stimme, während ihn Alaister mit einem diabolischen Mikrogrinsen aus dem Raum zerrte. „Einen Brief wolltest du mir vorenthalten, von wem?“ Morbidia setzte ihre besorgteste Miene auf. „Liebling, ich wollte dich damit nur schützen.“ Er winkte gleichgültig ab und erhob seine Stimme melodramatisch. „Sage mir, geliebtes Weib, ruhig den Sender dieser Nachricht. Ich werde es vertragen können.“ „Hast du zuletzt wieder klassische Dramen gelesen?“ „In der Tat“, bestätigte Lucius mit fester Stimme. Morbidia sammelte sich noch einmal und brachte dann die Worte „Meine Schwester Helena wird uns besuchen“ monoton hervor.