Eine Kurzgeschichte von unserem Mitglied "Saga". Viel Spaß beim Lesen. Hier der Originalthread: http://www.weg-des-stifts.de/smf/kurzgeschichten/dezemberengel/
Diese eine Nacht im Dezember, die mein Leben veränderte, war sternenlos. Das Firmament spannte sich wie ein samtschwarzes Tuch über die kleine Stadt, die ich mit Stolz mein Zuhause nannte.
In meinem Zimmer verströmte ein Räucherstäbchen den winterlichen Duft von Zimt und Tannennadeln und nur der schwache Lichtschein weniger Kerzen erhellten mein eigenes, kleines Reich. Eine wohlige Wärme erfüllte den mittelgroßen Raum und von den kühlen Minusgraden der Außenwelt, bekam ich nichts mit.
Mit einem Schuhkarton voller alter Fotos hatte ich es mir auf meinem Bett gemütlich gemacht und schaute zwischendurch immer mal wieder in die tintenartige Finsternis hinaus. Die Erinnerungen, die bei dem Anblick dieser Bilder in mir aufkeimten, ließen mein Herz höher schlagen. Die Aufnahmen, die ich in diesem Moment in Händen hielt, waren eine stumme Zusammenfassung der letzten zwei Jahre, in denen ich mit meinem Freund gute und schlechte Zeiten durchlebt hatte. Unsere Beziehung war nicht immer die einfachste gewesen, da wir eine Distanz von über 300 Kilometern zwischen uns hatten.
Doch bis jetzt hatten wir es überstanden und am 24. Dezember würden wir unser Zweijähriges feiern. Einen schöneren Weihnachtsabend konnte ich mir gar nicht vorstellen.
Bei diesem Gedanken fiel mein Blick instinktiv auf den kleinen Funkwecker, der auf dem Nachttisch neben meinem Bett stand. 23:55 Uhr! Noch fünf Minuten, dann würde es soweit sein.
Wieder schlug mein Herz einen Takt schneller und ein Grinsen zog sich von meinem linken Ohr zum rechten. Schon vor Tagen hatte ich mir einen poetischen Text für eine kleine Sms zurecht geschrieben, den ich um Punkt 24:00 Uhr abschicken würde.
Aber so sehr ich mich auch freute, ein kleiner Dorn bohrte sich doch in mein Herz. Wir hatten zwar beide Ferien, doch er war vor wenigen Tagen mit seinen Eltern in Urlaub gefahren und hatte deshalb keine Zeit, vorbei zu kommen. Manchmal war es wirklich schwer, die Sehnsucht zu überstehen, doch wir hatten es gemeinsam zwei Jahre lang geschafft und wir würden es auch noch länger durchhalten, das verriet mir meine weibliche Intuition!
Erneut schaute ich auf die Uhr. 23: 58 Uhr. Vorsichtshalber nahm ich schon einmal mein Handy zur Hand, damit ich auch ja nicht zu spät dran war. In meiner anderen Hand befand sich unser allererstes gemeinsames Foto, in dem ich mich mit verträumtem Blick verlor.
Doch plötzlich riss mich die schrille Türklingel aus den Gedanken. Da ich sturmfrei hatte, schlug ich, wie in Trance, meine Bettdecke zurück und taperte die hölzerne Wendeltreppe hinunter.
Immer noch hielt ich das Bild fest in der Hand und schloss die wuchtige Haustür auf. Wer konnte das nur sein? Ich erwartete keinerlei Besuch, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Gerade als ich die freie Hand auf die Klinke legte und diese hinunterdrücken wollte, kamen mir Zweifel. Was, wenn es ein Einbrecher war, der mich gnadenlos niederschlagen und ausrauben würde? Schließlich würde mich zu dieser nachtschlafenden Zeit niemand hören und alle waren schon betäubt von der allgegenwärtigen Weihnachtsatmosphäre.
„Ach, mach dich nicht verrückt, Fia.“, ermahnte ich mich selbst und schüttelte den Kopf, als würde ich die Gedanken so verscheuchen können. Noch einen Blick auf die Uhr, die zu meiner Linken an der Wand hing. 24.00 Uhr!
Missmutig wurde mir bewusst, dass ich mein Handy hatte im Zimmer liegen lassen. Nun würde mein Text zu spät kommen.
„Mist! Dabei war doch alles so schön geplant.“, murmelte ich und entschied mich schließlich doch noch dazu, die Tür einfach zu öffnen. Wer auch immer die Dreistigkeit besaß, zu so später Stunde noch bei mir anzuklingeln, ihm würde gleich Hören und Sehen vergehen, wenn ich ihm meine Meinung sagen würde!
In Gedanken hatte ich mir schon die richtigen Worte zu Recht gelegt, die ich dem nächtlichen Besuch an den Kopf knallen wollte. Doch als ich die Tür vollends geöffnet hatte, blieben mir sämtliche Sätze im Halse stecken!
„Was machst du denn hier?“, war alles, was ich herausbrachte. Meine Augen weiteten sich vor Überraschung und die Kinnlade klappte mir herunter.
„Ach, das ist aber eine nette Begrüßung.“, lachte mein Gegenüber, „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das zwischen uns gängig war.“
Nachdem ich begriffen hatte, was hier vor sich ging, stahl sich ein breites Lächeln auf meine Lippen. Meine Hände wurden schwitzig und ich konnte nicht mehr an mich halten. Schallend lachend sprang ich meinem Freund um den Hals.
„Nein, natürlich war und ist das nicht gängig.“, kicherte ich, „Aber ich bin einfach so überrascht. Ich meine … du solltest doch eigentlich im Urlaub sein.“
„Und dafür unser Zweijähriges verpassen? Nein, auf gar keinen Fall.“ Luan schlang die Arme um mich und drückte mich fest an sich. Obwohl ich mitten in der Nacht stand, spürte ich wieder nichts von den kühlen Temperaturen. Seine Umarmung brachte mein Herz vor Freude zum Rasen.
„Komm doch erst einmal rein.“, löste ich mich von ihm und lächelte zu ihm auf. Großzügig trat ich ein paar Schritte zurück und ließ Luan in die Wohnung.
„Aber, ich kann immer noch nicht glauben, dass du den Urlaub früher abgebrochen hast.“
„Warum denn nicht?“, lachte er schallend, „Ist es nicht Beweis genug, dass ich jetzt gerade vor dir stehe?“ Noch einmal nahm er mich in den Arm, nachdem ich die Tür geschlossen hatte und ein letzter kühler Windzug durch den schmalen Flur fegte.
„Aber das ist ja schon ein bisschen gemein, dass du mich in dem Glauben gelassen hast, du wärest nicht da… ich hatte ganz schön Sehnsucht.“, schmollte ich scherzhaft.
„Es sollte eine Überraschung werden, sonst hätte ich ja etwas erwähnt.“, zwinkerte Luan und folgte mir, als ich freudig die Treppe hinauf in mein Zimmer sprang.
„Wow, was ist denn hier los? Wartest du schon sehnsüchtig auf das Christkind?“, wollte er wissen, als ich die Tür öffnete.
„Nein, aber ich meine, wir haben doch bereits Weihnachten. Ich bin einfach in Weihnachtsstimmung.“, murmelte ich eine Antwort, während ich rot anlief. Beide ließen wir uns aufs Bett sinken und mir entfuhr ein kleiner Aufschrei, als ich sah, wie mein Freund sich achtlos auf unsere Fotos fallen ließ.
„Hey, aufpassen.“ Mit einem Ruck stemmte ich ihn wieder auf die Beine und versuchte die Bilder zu retten.
„Oh, das tut mir Leid.“, lachte Luan, schaute mir dann ernst ins Gesicht und setzte hinzu:
„Aber du hast Recht, auf dem Bett bin ich auch vollkommen fehl am Platz.“
Verwundert schaute ich ihn an, doch er erklärte nichts weiter. Er fasst bloß meine linke Hand, als ich die Fotos wieder beiseite gelegt hatte. Immer noch sagte keiner von uns beiden ein Wort und mein Herz begann ein weiteres Mal zu rasen. Was würde da bloß auf mich zukommen?
„Ich weiß, meine Süße, dass du eigentlich keinen Kitsch magst und nicht unbedingt der romantische Typ bist. Aber diese Umgebung ist einfach perfekt, um meinen ohnehin schon gut durchdachten Plan noch besser zu machen.“, erläuterte er mit fester, bestimmter Stimme.
Warum redest du denn so um den heißen Brei herum? , wollte ich ihn fragen, doch ich bekam vor Spannung einfach keinen einzigen Ton heraus. Meine Hände wurden langsam schwitzig und auf einmal schienen mir die paar Kerzen, die mein Zimmer erleuchteten, heißer zu brennen, als sie es noch vor wenigen Minuten getan hatten.
„Schatz, zwei wunderbare Jahre darf ich nun schon mit dir verbringen und ich kann nicht beschreiben, wie glücklich du mich in dieser Zeit gemacht hast und immer noch machst. Bei dir habe ich das Gefühl, zu Hause zu sein. Wir haben gute und schlechte Zeiten miteinander durchgestanden und deshalb bin ich mir hundertprozentig sicher, wenn ich dich hier und jetzt frage: Möchtest du meine Frau werden?“
Herzstillstand! Für wenige Sekunden dachte ich wirklich, es würde nicht mehr beginnen zu schlagen, so überrascht und überwältigt war ich von seinem Antrag!
Komm schon, Fia. Du zögerst zu lange, sein Blick wird schon fragend.
„Das … eh .. also … WOW!“, stotterte ich und musste vor Nervosität leise kichern.
„Ist das dein Ernst? Also .. das ist nicht böse gemeint. Ich bin einfach so … hin und weg.“
Nun stand er auf, setzte sich neben mich und zwinkerte:
„Sicher ist das mein Ernst, sonst hätte ich nicht gefragt.“
„Wow .. ja … klar möchte ich deine Frau werden, sehr gerne!“, krächzte ich voller Vorfreude und konnte einfach nicht mehr an mich halten. Ich fiel Luan um den Hals, drückte ihm einen Kuss auf und das einzige, woran ich denke konnte, war mein Name auf einem neuen Klingelschild:
Fia & Luan Scott!