Der alte Mann saß wie jeden Abend in seinem Schaukelstuhl. Er fror sehr leicht, in seinem gesetzten Alter war das auch kein Wunder. Darum hatte er sich ganz dicht an den Kamin gesetzt. Dort war es mollig warm. Den Fernsehr liess er aus. Ebenso wenig interessierte ihn das Radio. Er sass da und starrte einfach nur in die Flammen. Sie schienen für ihn zu tanzen. Das Lodern und blitzen glich einem wunderbaren Tanz, das Knistern der Holzscheite schien die Musik dazu zu machen. Er liebte die Musik. Alles, was melodisch war, hatte ihn sein langes Leben nicht nur begleitet, auch begeistert hatte es ihn. Wenn er sich recht erinnerte, hatte
er sogar mal Geld damit verdient, richtig erinnern konnte er sich daran allerdings nicht, die Altersdemenz untersagte ihm das. Er hatte in den langen Jahre viel vergessen. Zuviel.. Aber es gab eine Sache, an die er sich sein ganzes Leben erinnerte. Ihr Gesicht. Das Gesicht der schönsten Frau, die ihm jemals begegnet war. Sie hatte lange blonde Haare, die zwar gefärbt waren, aber das interessierte ihn nicht. Sie hätten auch grün sein können, ihm wäre wohl trotzdem der Atem gestockt. Doch das allerschönste lag noch ein kleines Stück darunter. Ein Gesicht, welches sich seit so langer Zeit fest in sein Gedächtnis verankert
hatte. Das waren zwei Augen, aber nicht irgendwelche Augen, keine Augen, die man alltäglich auf der Strasse beobachten kann. Das waren zwei Tore zum Paradies. Grosse Kulleraugen, die reden konnten. Diesen Eindruck hatte er zumindest immer dann, wenn er ganz tief hineinschaute. Und das war ziemlich oft, wenn er sich richtih erinnern konnte. Wenn das Gedächtnis bloss noch funktionieren würde. Ungeduldig trat er immer wieder gegen den Fuss des Schaukelstuhls, auf dem er es sich bequem gemach t hatte. Da war sie wieder. Jeden Abend, seit sovielen Jahren geisterte sie ihn seinem Kopf herum. Er wollte sich so gerne erinnern,
diese traumhafte Zeit, die er mit ihr hatte, wenigstens in Gedanken noch einmal Revue passieren lassen. Er wusste noch, dass er sofort gemerkt hatte, dass diese Frau anders ist, als sie ihm über den Rücken gestreichelt hatte. Diese Bewegung spürte er heute noch, wenn er besonders glücklich und verträumt war. Die hatte etwas in ihm verändert. An jenem Tag, da war er sich heute noch sicher, lernte er........zu lieben. Etwas mehr zu lieben als alles, was ihm wichtig war, mehr als das eigene Leben. Wenn er sich doch bloss an den Namen erinnern könnte. Die Demenz bot keine Gnade. Sie löschte alles rigoros aus seinem Kopf,
was ihm jemals wichtig gewesen ist. Verzweifelt blickte er sich um. Nur dunkle, schemenhafte Gebilde, die Gegenstände, Möbel abzeichneten. Wo war er? Er schaute wieder nach vorne und blickte in die Vertrautheit des Feuers. Dann schlief er ein. Während er die Augen schloss, schoss ihm eine Träne aus dem rechten Auge. Das letzte, was er dachte, war: Warum habe ich dich nicht fest gehalten
Die ältere Dame öffnete die Wohnzimmertür. Dort erblickte sie einen alten Mann, der in der Mitte des Raumes auf einem Schaukelstuhl sass und
schlief. Vor ihm flackerte wild ein Feuer. Dieses Feuer erinnerte sie an ihre Jugend. Ohne zu zögern schritt sie auf den Mann zu und küsste ihn sanft auf die Stirn. "Du sollst doch nicht immer so lange alleine vorm Kamin sitzen, mein Schatz! Du wirst nur krank." Mit einem liebevollen Blick streifte sie ihm die Decke ein Stückchen weiter über den Körper, damit er nicht fror. Er wälzte sich unruhig hin und her. Dann gaben seine Lippen ein paar undeutliche Laute von sich. Sie hielt ihr Ohr dichter an seinen Mund, damit sie ihn verstehen konnte. "Warum bist du nicht bei mir geblieben? Ich habe nie etwas geliebt wie dich........"
Traurig blickte die Dame ins Leere . Auch ihr rann mitllerweile eine Träne über die rechte Wange. "Aber ich bin hier! Ich war hier und ich werde immer hier sein!" war ihre Antwort, obwohl sie wusste, dass er sich am nächsten Morgen nicht daran erinnern würde.