Beschreibung
Vier Geschwister sind allein. Die Eltern sind nicht da. Es ist klat. Sie haben hunger und haben den Willen an das Leben bereits aufgegeben.
Es war ein kalter, stürmischer Tag und unsere Eltern waren immer noch nicht zu Hause.
Meine Geschwister und ich saßen hungrig im kalten Wohnzimmer und warteten darauf, dass die Beiden mit etwas Essen und Feuerholz wieder kamen.
Die kleinste von uns hatte sich die einzige warme Decke um ihren dünnen Leib geschlungen und zitterte dennoch am ganzen Körper „Jo, mir ist so kalt.“
Ich stand auf und ging zu meiner kleinen Schwester. „Mama kommt bestimmt bald, Sue.“ Sie nickte und zog mich an sich. „Sie sind jetzt schon den ganzen Tag weg“, Lucas hockte zusammengekauert auf dem Boden „die kommen bestimmt nicht wieder.“
Niemand antwortete darauf etwas.
Wir alle hatten diese Worte an diesem Tag schon so oft gedacht, doch noch keiner hatte sich getraut sie auszusprechen.
Sue begannen Tränen über die Wangen zu laufen. Sie schluchzte und drückte ihr kleines Gesicht in meine Schultern. Strafend sah ich Lucas an, doch der zuckte nur mit den Schultern.
„Ich habe ein kleines Stück Brot gefunden, das können wir uns aufteilen.“ Summer, die zweit geborene, kam aus der Küche. Sie brach das winzige Stück in vier Teile und gab jedem von uns eines davon, dann setzte sie sich neben Lucas.
Eine Weile war es ganz still, während wir alle ganz besessen an dem Brot herum bissen. Der Wind peitschte an die lockeren Fenster und drohte sie zu zerschlagen.
Es lag schon etwas Schnee auf dem kleinen Fensterbrett. Es war so kalt das er nicht ein Mal zu schmelzen begann.
Sue schlief ein. Ihr atmen wurde gleichmäßig, ihre Hand fiel von meiner Schulter.
Sanft hob ich sie auf, und legte sie mir auf den Schoß, dann drückte ich sie fest an mich.
„Du solltest auch schlafen Lucas. Wenn du aufwachst sind sie sicher wieder da und es gibt was zu essen.“
„Warum? Damit ich im Schlaf erfrier? Nein Danke."
„Du erfrierst nicht. Du kannst dir mit Susann die Decke teilen.“
„Nein.“ Stur schüttelte er den Kopf.
„Sum?“ Ich sah auffordernd zu Summer, doch die starrte nur mit leeren Augen in den leeren Kamin. Dieser Gesichtsausdruck war bei Sum nicht selten. Sie stellte sich vor wie das Feuer munter brennen würde und wie angenehm warm es ihr sein würde. Sie stellte sich einen Teller mit warmer Suppe vor, die ihr so schmecken würde, dass sie noch eine Portion haben wollte, und es wäre kein Problem, da der Kochtopf randvoll wäre. Summer konnte so in ihrer Vorstellung verschwinden, dass es unmöglich war sie anzusprechen.
Ich wünschte mir, dass ich das auch könnte. Meine Augen schlossen sich und ich dachte an den letzten Sommer.
 „Hier Sue, such Mal hier.“ Ich deutete auf ein großes Gebüsch in dem man sich locker hätte verstecken können. Die kleine Sue kam angelaufen. Ihre braunen dichten Locken wehten hinter ihr her, und ihre kleinen aber festen Beine konnten nur knapp ihr Gewicht tragen. Sie konnte nie genug essen. Ihre Wangen waren rosig und sie strahlte als sie in dem Busch Lucas fand.
„Das ist nicht fair, du hast ihr gesagt wo ich bin.“
„Sie ist vier Lucas, du elf.“
„Na und?“
Verärgert verzog er sein hübsches Gesicht zu einer Grimasse.
„Hallo? Was ist mit mir?“ Sum kam mit ihrem langen wallenden Kleid auf uns zugerannt. „Wie lange braucht ihr denn bitte?“
Sue lachte verzückt und begann sich in dem dichten Stoff von Summers Kleid einzuwickeln. „Wieso trägst du bei der Hitze das schöne Kleid? Zieh es aus.“
Ich deutete auf mich. Ich lief nur mit dem weißen Unterkleid umher.
„Wie du sagtest, es ist so schön.“ Sie lachte und drehte sich einmal um sich.
„Kinder, kommt rein. Euer Vater muss euch etwas Wichtiges mitteilen!“ Summer begann wieder zu lachen und stürmte in Richtung Haus davon.
Sue lief ihr hinter her. Ich nahm Lucas, der immer noch schmollend in seinem Busch stand an die Hand und zog ihn hinter mir her.
 Es funktionierte einfach nicht, die Kälte ließ sich nicht verdrängen.
Summer hatte Glück. Summer. Sie hatte sich seit dem Herbst so verändert.
Früher war sie so ein fröhlicher Mensch gewesen, sie lachte viel, und hatte immer zu geredet. Jetzt schwieg sie den ganzen Tag lang, redete nur wenn sie etwas gefragt wurde.
Auch die fünf jährige Susann hatte sich verändert. Ihre Stummelbeinchen sind zu spindeldürren Beinen geworden, bei denen man Angst hat, dass sie gleich zusammenbrechen. Auch ihr rundes, weiches Gesicht mit den süßen rosa Wangen war jetzt blas und knochig wie das eines alten Weibes.
Lukas war noch immer derselbe, zwar dünner, aber immer noch gleich zynisch und wegen allem beleidigt.
„Jo?“ Ich öffnete die Augen. Summer sah mich mit ihren dunkelblauen Augen an.
„Ja?“
„Glaubst du, Lucas hat recht?“ Ich warf ihm einen Blick zu, und sah, dass er jetzt doch an Sums Schulter eingeschlafen war.
„Sie kommen bestimmt.“ Ich versuchte es mir selbst einzureden.
„Woher willst du das wissen? Sie waren so unglücklich. Papa hat oft gesagt, dass es ihm ohne uns jetzt besser ginge.“
„Das hat er doch nicht so gemeint.“
„Doch. Ich habe es ihm angesehen.“
„Vielleicht in dem Augenblick, aber sie lieben uns doch. Mama liebt uns doch.“
„Mama ist schwächer als Papa.“ Erschöpft legte Sum ihren Kopf in ihre Hände.
„Nein, sie werden wieder kommen.“ Nein werden sie nicht.
„Hoffentlich hast du Recht.“ Ja, hoffentlich.
Sue drehte sich auf meinem Schoß unruhig hin und her.
„Sue hält das nicht mehr lange aus“. Ich strich ihr über die kleine Wange. „Sie braucht ein besseres Zuhause.“
„Willst du sie etwa weggeben?“ Entsetzt schaute mich Summer an, und sofort regte sich das schlechte Gewissen. Aber ich wusste, dass ich recht hatte. Sie war gerade noch in dem Alter wo sie uns vielleicht vergessen würde.
„Wollen tu ich das nicht, aber du weißt, dass ich Recht habe.“
„Nein, das glaube ich nicht.“
Sie kniff ihre Lippen zusammen und sah mich ernst an. Ich konnte ihrem Blick nicht stand hallten und schaute wieder auf Sues Gesicht, welches früher so süß gewesen war.
Ich hörte Summer seufzen. „Natürlich hast du Recht. Ich kann es nur nicht glauben, dass wir inzwischen so weit sind, dass wir uns trennen müssen. Ihr seid doch alles was ich habe.“ Tränen waren in ihrer Stimme zu hören.
„Vielleicht müssen wir uns ja nicht trennen“, sagte ich ohne aufzusehen „vielleicht kommen sie ja wieder.“
„Und wenn nicht? Was geschieht dann mit uns?“ Jetzt musste ich aufsehen.
Summers Augen waren ganz rot und verschwollen. Man konnte in ihrem Gesicht ihre Gedanken lesen- und ich sprach sie aus.
„Wir werden für Susann und Lucas ein gutes Haus finden. Weit weg von hier. Ich werde mir Arbeit suchen und uns ernähren, bis du einen Mann gefunden hast.“
Sie lächelte „Einen reichen Mann.“ „Ja, einen reichen Mann.“
Das Lächeln wurde zu einem Lachen „Den Mann möchte ich sehen, der mich als Frau will.“ „Was redest du da? Du bist sehr hübsch.“
Da erstarb ihr Lachen. „Wie lange geben wir ihnen Zeit?“
„Was meinst du?“
„Wann beginnen wir ein gutes Leben für Lucas und Sue zu suchen?“
Ich musste schlucken. Ja wie lange würde Sue es noch durchstehen?
In diesem Moment begann Sue zu husten, und gleichzeitig kamen auch wieder die Tränen.
„Wir geben ihnen bis Morgen Mittag.“
„Gut.“ Summer legte ihren linken Arm um Lucas Schulter und zog ihn fest an sich. Mit der Rechten griff sie nach seiner und legte sie an ihr Herz, dann begann sie wieder zu schluchzen.
Nach einer Weile wurde sie ruhiger und ruhiger, bis nur mehr der Wind und unser Atem zu hören war. Wieder schloss ich meine Augen.
Es wird ihnen gut gehen, sie haben das hier nicht verdient, es ist nicht ihre Schuld.
Es wird ihnen fast so gut gehen wie vor Beginn des Herbstes…
 „Susann, geh hinauf in dein Zimmer.“ Unsere Mutter sprach mit einer sanfte Stimme, dass selbst Fremde Menschen ihr auf Anhieb vertrauten. Sue lächelte ihre Mama an und drückte ihr einen Kuss auf den Mund, bevor sie die Stufen hinauf in ihr Kindezimmer eilte. Sue liebte ihr Zimmer es war groß und hell und wenn wir nicht im schönsten Garten der Welt waren, spielte das kleine Mädchen die ganze Zeit auf ihrem schönen Teppich, den sie sich selbst ausgesucht hatte, mit ihren unzähligen Puppen bei denen sie alle die selbe Frisur gemacht hatte: große Ringellocken.
„Lucas, du auch bitte.“
„Warum?“ Er blickte wie immer ziemlich skeptisch drein. „Ich dachte Papa will uns was wichtiges erzählen.“
„Nur Jocelyn und Summer.“ Verärgert stapfte Lucas, Sue die Treppe hinauf nach.
Mama drehte sich um und ging uns voraus in die Küche. Selbst von hinten konnte man ihre ungewöhnliche Schönheit erkennen.
Sie hatte diese großen, dunkelgrünen Augen, umrahmt von schwarzen, langen Wimpern. Ihre Nase war zart und saß kerzengerade in der Mitte ihres herzförmigen, olivfarbenen Gesichtes. Ihr dunkles Haar fiel ihr wie ein Wasserfall auf den Rücken.
Unsere Mama war groß und schlank. Sie war der Schönheit eines Engels in allen Punkten gewachsen.
Sue kam ganz nach ihr, genauso wie Lucas nach Papa, der im Übrigen ein sehr stattlicher Mann war. Während Summer und ich eine Mischung waren.
Summer hatte Haare und Figur von Mama und Augen und Nase von Papa.
Von mir sagte man, dass ich einzig Papas schmale und große Hände habe, was mir ein großes Übel war, und sonst ganz meine Mutter war. Wenn ich mich im Spiegel betrachte sah ich aber etwas ganz anderes.
Papa saß an unserem großen Esstisch, die Hände über seinem Schoß gefaltet, den Kopf in den Nacken gelegt.
„Jonathan?“ Vater sah uns an. Sofort wurde mir unwohl. Auch Summers Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig.
Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und er sah unglücklich aus.
„Papa, was ist denn los?“ Summer setze sich auf einen der Stühle gegenüber von unserem traurigen Vater. „Kinder“, seine tiefe Stimme klang rau und hoffnungslos. „ich muss euch etwas sehr trauriges mitteilen.“ Jetzt sah Papa uns direkt an.
„Eure Großtante Elisabetha ist gestern Nacht gestorben.“ Summer und ich sahen uns ratlos an. Wir hatten eine Großtante?
„Wahrscheinlich könnt ihr euch nicht an sie erinnern, sie war ein Mal zu Besuch wie du Summer noch ein Baby warst und du Jocelyn knapp drei.“ Sagte Mama
„Sie ist, war eine sehr kranke Frau.“
„Sie hatte irgendwas am Herzen.“
„Genau.“ Stimmte Papa Mama zu.
„Wir hatten nicht sehr viel mit ihr zu tun, außer dass sie uns alle zwei Monate Geld schickte.“ Unsere Augen wurden Groß. Bisher dachten wir immer das Geld sei geerbt oder Vater verdiente so viel. Nie wären wir auf den Gedanken gekommen, dass es geschickt wurde, von einer Frau die die Schwester unserer Großmutter war.
„Und was heißt das jetzt für uns? Ich meine wir kannten sie ja gar nicht richtig. Also kann das nicht alles gewesen sein.“ Summer sah von mir zu Papa.
„Du hast recht Jocelyn.“
Â
„Jo, Jo, sie sind wieder da!“ Irgendwas zog an meiner Hand, und riss mich so aus meinem Traum. „Mama und Papa sie sind da.“ Ich öffnete meine Augen und sah gerade wie Sue aus dem Haus lief und wie Summer mich verwirrt anstarrte und Lucas müde mit den Augen blinzelte.