Lisa
(Mein Geständnis)
Wenn ich zurückdenke, gab es eigentlich schon immer Probleme zwischen meiner Stieftochter Lisa und mir. Mein damaliger Mann brachte sie mit in unsere Ehe. Gewollt oder nicht, sie war nun einmal da und ich musste mich dem fügen, weil ich meinen Mann wirklich liebte, so glaubte ich damals. Nein, so war es, bis er mich schließlich wegen so einem jungen Ding verließ und aus unserem Leben verschwand. Nun war ich mit Lisa allein.
Sie müssen meine derzeitige Lage verstehen, was sicherlich keine Entschuldigung ist, jedoch könnten sie vielleicht annähernd begreifen, wie ich mich damals fühlte. Betrogen und allein gelassen mit diesem tyrannischen Biest. Meine Welt lag in Scherben vor mir und immer wenn ich versuchte sie zusammenzusetzen, kam Lisa und trat alles nieder, mit ihrem Feingefühl in der passenden Situation zuzuschlagen, um mich zu kränken. Dieser Zustand verschlimmerte sich obendrein noch, als Misery, wie ich sie manchmal scherzhaft nannte, die Schulzeit beendet hatte und nun täglich in ihrem Zimmer rumhing. Die Situation eskalierte schließlich, als Lisa, in ihrem Wahn, aus ihrem Zimmer stürmte und die Treppe hinunter hastete. Unsere Wege kreuzten sich im Flur, als ich die Wäsche aus dem Keller geholt hatte. „Kein Wunder dass mein Vater, dich prüde Schlampe, verlassen hat! Sieh dich doch mal an! Wie kann man sich nur so Hängen lassen. Aber jetzt hat er ja seinen Spaß! Nicht wahr, Mommy?“
Ich glaube, es war dieses ironische, verletzende „Mommy“, welches den Ausschlag, meines Handelns gab. Ich ließ die Wäsche fallen, packte sie an den Haaren, öffnete die Tür zum Keller, und stieß sie einfach hinein. Jedoch bedachte ich in diesem Augenblick die steile Treppe nicht, die dem knappen Plateau folgte, auf dem wir unsere Schuhe und den Staubsauger stellten. Sie stürzte hinab. Die noch geöffnete Tür, ließ mich das Gepolter ihres Fallens und das folgende, nicht zuzuordnende, knackende Geräusch vernehmen, das sich wohl für ewig in meine Gedanken gefressen hat. Dann diese quälende Stille.
„Lisa? Lisa, ich wollte das nicht tun! Antworte bitte!“ Ich wagte zuerst nicht, die Treppe hinunterzublicken, doch der Drang das vermutete Übel rückgängig zu machen überwog schließlich und ich sah die Stufen hinab. Lisa lag, ihre Beine von den letzen Stufen gestützt, am Boden. Ihre Arme kreuzten sich hinter dem unnatürlich, verdrehtem Kopf. Ihre weit geöffneten Augen, starrten mich direkt an. In Ihrem Blick zeigte sich keinerlei Regung. Geschockt schlug ich die Tür zu und flüchtete ins Wohnzimmer, Richtung Telefon, um Hilfe zu rufen, doch Etwas in mir, ließ mich zögern. Wahrscheinlich hätte ich perverser weise bei einer geliebten Person anders gehandelt, jedoch überwog der Hass und ich tat es nicht. Verdammt, ich genoss es sogar! Ich verschloss den Kellereingang und warf den Schlüssel in die Toilette.
Auch an den folgenden Wochen leugnete ich mir selbst das Geschehene und verrichtete wie gewohnt die täglichen Aufgaben einer Hausfrau. Ich kaufte einen neuen Staubsauger. Das Wäschewaschen erledigte ich in einer öffentlichen Wäscherei, da ich den Keller ignorierte.
Nun, dies ist mein Geständnis. Was jedoch folgte, ist nur für mich allein bestimmt, so denke ich heute. Lisa ist in diesem Keller.
Tag 1
Ich bezeichne diesen Tag als Tag eins, um meine Aufzeichnungen zu beginnen. Ich hätte auch Tag X einfügen können, doch ich muss für mich selbst einen Anfang finden, diese Ereignisse für mich erträglicher zu machen.
Nach einigen Wochen drang ein beißender Geruch aus dem Keller herauf. Auch dies ignorierte ich, indem ich im Flur etliche Duftanhänger für den Innenraum von Autos aufhängte. Duftnote Tannenwald. Drauf geschissen. Hat völlig versagt! Dieses Gemisch aus Wohlgeruch und Verwesung, trieb mir die Tränen in die Augen und ich übergab mich ständig. Ich nahm Alle wieder ab. Febreze ist der Schlüssel! Febreze vertreibt, fast vollständig den Duft von verwesenden Leichen! Merken sie sich das für Irgendwann einmal.
In dieser Nacht weckte mich das Geräusch einer quietschenden Tür. Ich kenne dieses Haus nun schon etliche Jahre und ich erkannte den vertrauten Klang der Kellertür. Zu Oft hatte ich sie geöffnet und geschlossen um dies nicht zu erkennen. Ich erstarrte, lauschte entsetzt auf das Folgende, doch nichts geschah. Ich fand die Tür am Morgen verschlossen vor.
Tag 2
Der folgende Tag verlief wie gewohnt, bis zur Nacht jedenfalls. Ich nickte auf dem Sofa ein, als mich erneut der Klang der Kellertür aufschreckte. Der Blick auf den Flur war mir verwehrt, da sich das Wohnzimmer durch eine Wand vom Flur abgrenzt. Der ekelerregende Geruch von faulem Fleisch fraß sich in meine Nase und ich begann zu würgen. Ich glaubte eine verzerrte Stimme wahrzunehmen, die Mommy zischte! Dann knallte die Tür mit ungeheurer Kraft in die Zarge begleitet von einem berstenden Geräusch.
Die Risse im Rahmen sind deutlich sichtbar, immer noch.
Tag 3
Ich wollte wach bleiben. Unmengen Kaffe würden dies wohl ermöglichen, dachte ich. Was sollte ich tun? An die Öffentlichkeit gehen und mich als Mörderin meiner Stieftochter outen? War sie überhaupt tot? Ein Blick in den Keller hinab würde genügen um sicher zu sein. Diese Gedanken ließen mir keine Ruhe, doch ich hatte die Kellertür verschlossen, oder etwa nicht? Ich hatte die Tür verriegelt und den Schlüssel in der Toilette versenkt, dessen war ich mir sicher. Als ich an die Tür zum Untergeschoss trat, fand ich sie einen Spalt weit geöffnet vor. Dieser üble Geruch stieg mir prompt in die Nase und ein Brechreitz stieg in mir auf. Ich tastete nach dem Lichtschalter und erhellte den Keller. Lisa lag noch am Fuß der Treppe. Ihre mittlerweile leeren Augenhöhlen starrten noch zur Tür hinauf. Ihren Leichnam rahmte eine stinkende Lache, die gemächlich den Weg zum Abflussloch nahm. Einige Fliegen hatten sich auf ihr niedergelassen. Die bereits geschlüpften Nachkommen fraßen sich windend in den Kadaver. Der leere Blick und der grotesk verdrehte Kopf waren schon schlimm genug anzusehen, doch dann sah ich auf ihren Mund. War es möglich, dass sie mich angrinste, oder bildete ich mir dies nur ein? Verhöhnte mich dieses Miststück noch über den Tod hinaus?
Ich schlug auf den Schalter und dieses schreckliche Szenario verschwand in der Dunkelheit. Die Tür ließ sich jedoch nicht verschließen. Offensichtlich war der Rahmen beschädigt.
Tag 4
In dieser Nacht schlief ich im Schlafzimmer im Obergeschoss. Ich trank einen halbe Flasche Jack, in groben Zügen, und schleppte mich die Stufen hinauf, in der Hoffnung etwas Ruhe zu finden. Später in der Nacht weckte mich das laute Aufschlagen einer Tür, die mit enormer Wucht gegen die Wand prallte. Dann vernahm ich Schritte auf der Treppe, die sich schleppend ihren Weg nach Oben bahnten. „Mommy? Komm doch zu mir in den Keller und sieh dir an was du mit meinem Hals getan hast. Komm runter zu mir, du Schlampe!“
Die Angst verschnürte mir die Kehle. Unfähig zu schreien lag ich zitternd in meinem Bett. Instinktiv verschloss ich die Augen und wartete auf das nun Unausweichliche. Dieser beißende, ekelerregende Geruch fraß sich in meine Nase. Doch die Schritte verstummten schließlich.
Tag 5
Ich rief bei der Polizei an und outete mich als die Mörderin Meiner Stieftochter Lisa. Die Beamten trafen relativ rasch bei mir ein. Geistesabwesend schilderte ich ihnen das Geschehene. Einer der Polizisten ging in den Keller hinunter. Ich hörte deutlich, wie er sich erbrach.
Ich bewohne nun ein verriegeltes, kleines Zimmer einer Psychiatrie. Doch auch dies hat etwas Gutes. Verurteilte Mörderin oder nicht, ich bin diesem Ort des Grauens entkommen. Lisa jedoch nicht. Gestern Nacht öffnete sich die sonst versperrte Tür einen winzigen Spalt breit. Ich hörte sie flüstern: „Mommy? Sieh dir meinen Hals an! Es tut nicht mehr weh…..“