Kapitel 4
„Ferdinand, so tu doch was! In wenigen Momenten schlägt der Stern auf die Erde auf, mitten in der Stadt dort unten!“ Ferdinand blieb besonnen. „Nein, Stix, keine Sorge, den Menschen dort unten wird nichts passieren. Schau, der Stern beginnt bereits damit, sich in Staub aufzulösen.  Bis wir unten sind, wird nichts mehr von ihm übrig sein.“ Stix war im ersten Moment tatsächlich etwas beruhigt, bis ihm das andere große Problem in den Sinn kam.
„Und was ist mit uns?“
„Keine Bange….“ Stix seufzte bei diesen Worten vom Sternenwächter erleichtert.
„….. wir werden erst nach unserem Aufprall zu Staub zerfallen.“
„Und dann bleibst du so ruhig?? Wir müssen was unternehmen!“
Ferdinand lächelte. „Keine Sorge, kleiner Dummkopf, ich habe eine Idee! Wir müssen abspringen. Komm zu mir herüber, unter meine Mütze. Ich werde sie aufspannen und sie wird uns sanft zu Boden gleiten lassen.“ Kaum hatte er das gesagt und ohne weiter über irgendwelche Risiken nachzudenken stieß er sich mit beiden Beinen kräftig von der mittlerweile nur noch halb so großen Sternenkugel ab. Stix konnte sich gerade noch an den Beinen seines Meisters festhalten. Als der kleine Lehrling im Gleitflug die Stadt unter ihnen untersuchte, konnte er winzig kleine Menschen sehen, die zwischen den Häusern hin und her eilten. In das Haus direkt unter ihm sah er zwei Menschen hineingehen, ein Mann und eine Frau.
„In dieser Hütte werden wir landen, Stix!“, brummte Ferdinand von oben. „Und wie wollen wir dort hinein kommen?“
„Na wie denn wohl?“ Der Meister lachte lauthals. „Durch den Schornstein!“
Lass mich dir, bevor die Beiden unten angekommen sind, etwas genauer von den beiden Menschen unten in der Hütte berichten. Diese Hütte war keine der üblichen, in denen sonst die Menschen hausten, es war das, was die Menschen einen Stall nennen, in dem sie ihre Tiere wohnen ließen. Sie gehörte einem knurrigen alten Mann, der ein Gasthaus nebenan betrieb. Der Mann, Josef, und die Frau, sie hieß Maria, hatten aber wohl nicht genug Gold bei sich, um dort wohnen zu können. Das die zwei aber ein kleines Bündel bei sich trugen in dem ein winziger Mensch, ein Menschenkind, friedlich schlief, hatte der Wirt sich widerwillig dazu bereit erklärt ihnen seinen Stall für die Nacht zu vermieten. Großzügig oder? Aber Maria und Josef war das trotzdem genug. Sie waren den ganzen Tag gewandert und am Ende ihrer Kräfte, so dass sie diese Gelegenheit für eine trockene, ruhige Nacht dankbar annahmen. Sie nahmen sich eine alte Krippe, legten ein altes, löchriges Seidentuch, das sie bei sich trugen mit etwas Stroh darin aus und so hatten sie einen Schlafplatz für ihr kleines Kind. Sie selber mussten sich mit dem Fussboden begnügen. Die Aussicht auf eine ungemütliche Nacht mit wenig Schlaf hatte ihre Laune auf den Tiefpunkt gebracht. Sie stritten. Das taten sie wohl sehr oft, denn sie wirkten ziemlich geübt darin.
„Ich hätte auf meine Mutter hören sollen! Angle dir einen Prinzen hat sie immer gesagt! Und nun habe ich nur einen Zimmermann, der auch noch zu feige war, seinen Chef um einen Bonus zu bitten. Dann hätten wir mit Jesus einen gemütlichen Schlafplatz im Warmen gehabt!“
Josef wusste nicht, wie oft er diesen Satz schon gehört hatte.
„Wenn wir bei deiner Mutter angelangt sind, warum bleibst du dann nicht einfach dort? Wer hat denn unser gesamtes Gold für ein paar Tücher, angeblich aus Rom, ausgegeben? Schau, wie löchrig dieses Ding schon ist!“
„DU kaufst mir so etwas Schönes ja nie!“
„Wie soll ich auch, wenn du ständig unser ganzes Gold alleine ausgibst?“
„Du kannst ja gar nicht mit Gold umgehen, irgendjemand muss ja die Verantwortung übernehmen, erst recht jetzt, mit einem Kind.“
Das war das Stichwort für eine Sache, die Josef bereits seit knapp 10 Monaten beschäftigt hatte.
„Das ist auch so eine Sache. Wie können wir ein Kind bekommen, ohne das dafür Erforderliche je getan zu haben?“
Ein Funken Unsicherheit blitzte über Marias Gesicht, eine Extraportion Entrüstung überdeckte diesen aber spielend.
„Ich habe dir bereits hundertmal gesagt, das Kind hat Gott persönlich mir geschenkt, als ich das letzte Mal in der Kirche beten war.“
Von der attraktiven Patrouille vor der Kirche erzählte sie lieber nichts.
„Und ich habe dir das bereits hundertmal nur schwerlich geglaubt!“
„Weil du mir nie glaubst, du blöder…“
Marias Schimpftirade wurde durch ein lautes Krachen unterbrochen. Bevor die Zwei lokalisieren konnten, woher das gekommen war breitete sich bereits eine große Aschewolke aus und bedeckte die gesamte Hütte, inklusive der Tiere und der Menschen mit einem grauen Schleier. Dann polterte es erneut und zwei kleine Gestalten kamen durch den Schornstein gerutscht. Sie stürzten auf den harten Fussboden und blieben benommen liegen.
„Seht, dort, in diesen Schuppen ist das glitzernde Etwas gefallen, nachdem der Stern erloschen war!“ Caspar sah Melchior fragend an. „Bist du dir sicher? Das ist ein Kuhstall und es stinkt grauenvoll bis auf die Straße! Warum sollte ein Bote des Himmels aus purem Gold genau hier landen?“
Selbstsicher, auch aufgrund der Tatsache, dass ausnahmsweise er selber es mal war, der den Durchblick hatte, blies sich Caspar merklich auf.
„Nun, Herr Professor Melchior! Dir scheint es entgangen zu sein, dass in jenem von dir als „Kuhstall“ bezeichnetem Gebäude eine Fackel brennt. Außerdem, Herr Professor Melchior, hört man Stimmen, wenn man aufmerksam die Ohren spitzt!“
„Spar dir deine Ãœberheblichkeit, du Experte. Ãœberlegt lieber, wie wir es anstellen sollen. Fest steht: In diesem Gebäude befindet sich etwas wertvolles, etwas, mit einem derartigen Glanz ausgestattet, wie ich es bisher noch niemals zu Gesicht bekam. Und ich will es haben, egal was genau es ist!“
Balthasar hatte sich bisher zurückgehalten und den Stall von oben bis unten untersucht. Mittlerweile standen sie direkt vor der klapprigen alten Holztür, die nur mit Mühe und Not sowie ein paar spärlichen Seilen in ihrer Angel gehalten wurde. „Also, ein Schlupfloch, durch das wir unbemerkt eindringen können, scheint es nicht zu geben. Wir müssen durch die Vordertür, “ bemerkte er trocken.
Melchior schaute vorsichtig durch das notdürftig mit einer durchlöcherten Plane geschützte Fenster. Erstaunt erblickte er die beiden Bewohner der Hütte, einen Mann mittleren Alters, kräftig gebaut, vermutlich Handwerker oder Zimmermann, sowie eine zierliche junge Frau im besten Alter, der Bauch offensichtlich von einer Schwangerschaft noch leicht angeschwollen. Er ließ den Blick soweit er konnte durch den Raum gleiten und sah den Nachwuchs des Paares in einer mit einem alten Tuch ausgelegten Krippe, aus welcher normalerweise die Tiere tranken. Von dem glitzernden Etwas konnte er nichts entdecken.
„Also, “ flüsterte er leise zu den anderen, „zu holen gibt es bei den Bewohnern offenbar nichts, auch kann ich nichts Goldenes entdecken, aber es MUSS hier sein. Ich habe deutlich gesehen, wie ein glitzernder Schein direkt durch den Schornstein in diese Hütte gefallen ist. Hier ist der Plan….“
Caspar, noch immer ein wenig überheblich, unterbrach ihn barsch.
„Lass mich raten: Wir bringen die alte Sternensänger-Nummer mit den drei Weisen aus dem Morgenland. Ich kann nicht glauben, dass dir nichts Besseres einfällt. Darauf fällt doch heute niemand mehr herein.“
Melchior wurde langsam etwas ungehalten. „Willst du das Gold nun haben oder nicht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: „Also, es läuft wie immer, ich trete als Erster ein und begrüße sie mit der Geschichte unserer langen Reise. Diesmal allerdings werden wir uns den Nachwuchs der Beiden zu Nutze machen. Wir erzählen Ihnen, ihr Kind sei von Gott gesandt und ein Heiliger, wir seien einem Stern gefolgt, der uns zu Ihnen gebracht hätte, dann übergeben wir eine kleine Menge von unserer Beute, Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenk an das Baby. In der Zwischenzeit haltet ihr wie immer die Augen offen nach Wertsachen und vor allem nach dem glitzernden Etwas. Achja, und denkt an euren Akzent! Wir kommen aus dem Morgenland. Und vergesst nicht, zu singen. Ich schlage das Lied vom Tannenbaum vor, das ist ein Evergreen, der funktioniert immer.“
Caspar und Balthasar hatten dem nichts mehr entgegenzusetzen. Auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren, mussten sie sich doch eingestehen, dass Melchior der hellste Kopf unter ihnen war. Sie räusperten sich noch einmal, dann traten sie an die Tür. Melchior klopfte dreimal.
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