"Ich hatte tatsächlich Angst als ich den kleinen Stoffbären an mich drückte und die Augen zusammen kniff um den Countdown eigenständig runter zu zählen." - Alle sprechen von 2012 und dem Weltuntergang. Lasst uns doch mal das Danach ansteuern...
Dieses ganze Tara was die Leute überall auf der Erde schon seit einiger Zeit veranstalteten habe ich nie wirklich nachvollziehen können. Fast alle sprachen von 2012 und vom Weltuntergang, und viele Menschen hatten sogar wirkliche Bedenken und fürchteten sich deswegen. Entsinne ich mich da falsch, oder sollte nicht schon beispielsweise 2000, also zur letzten Jahrtausendwende die Welt unter gehen? Was machten die Menschen eigentlich so ein Drama daraus? Die Sonne geht am Ende eines jeden Tages unter, und da regt sich auch kaum einer auf. Jedenfalls glaubte ich an derlei so wie so nicht. Oder sagen wir es so: Ich versuchte mir zumindest einzubilden, dass ich derlei nicht glaubte. Doch wirklich funktioniert schien es nicht zu haben, denn ich hockte stumm und mit den Händen vor dem Gesicht in einer Kellerecke und wartete darauf, dass etwas geschah. Was genau geschehen sollte war mir ein Rätsel, doch ich hatte mehr als genug Zeit gehabt, Spekulationen anzustellen. Es könnte ein riesiges Erdbeben geben, weltweit. Oder ein Tsunami oder ein Hurrikane, jeweils so eine achtundachtzig auf der Richterskala, wenn ihr versteht, was ich meine. Es könnte allerdings auch ein anderer Planet mit unserem kollidieren und beide zur Explosion bringen, und, und, und, und, und...
Oder es geschah ganz einfach nur ein „Pflup“. Ein „Pflup“ und der Planet war weg. Hörte auf zu existieren und alles Leben mit ihm, eigentlich ziemlich unspektakulär. Würde es eine Panik geben? Müsste man auf dem Weg bis zum Ende Schmerzen leiden? Ich fragte mich in Gedanken so viele Fragen dass ich mich wunderte, warum mein Kopf nicht platzte.
Ich hockte und wartete, wartete auf was auch immer. Auf Armageddon, eine Supernova, das fliegende Spagetti-Monster oder auf was auch immer, ich kannte mich mit so einem Kram ja nicht aus.
Ich ließ meine Hände sinken, welche zugegebener Maßen zitterten, um auf die kleine Uhr zu sehen, die vor mir stand. Die weißen Digitalziffern leuchteten mir durch die Dunkelheit entgegen. Sie zeigten mir sowohl das aktuelle Datum als auch die aktuelle Uhrzeit hundertprozentig genau an, so dass es für mich unmöglich war mir einzubilden, dass ich noch besonders viel Zeit hätte. Auf der einen Seite hätte ich mit meinen vermeintlich letzten Minuten etwas sinnvolleres anfangen können als hier nur zu sitzen und zu warten, aber mir fiel auf die Schnelle eh nichts besseres ein, also vergeudete ich meine Zeit gar nicht erst damit, etwas anderes zu finden um mir die Zeit bis zum finalen Moment zu vertreiben. Da ich in meinem kleinen, dunklen Keller ganz alleine war konnte ich ja auch mit niemandem sprechen außer mit mir selber, und das wiederum hätte ich als absolut übertrieben empfunden, was mich selbst verständlich nicht daran hinderte, es trotzdem zu tun. „Vermutlich mach ich mir nur unnötig Gedanken. Ich könnte genau so gut wo anders nichts tun. Die ganze Sache wird doch von den Medien nur hochgespielt, wie sonst auch immer. In Wahrheit ist alles wie immer und es besteht nicht der geringste Grund für all diese künstliche Aufregung.“ Wenn ich von dem was ich da murmelte wirklich überzeugt gewesen wäre, dann wäre ich vermutlich einfach aufgestanden und gegangen anstatt immer weiter auf die Uhr zu starren. Ganz offensichtlich hatten die Medien ihren Job so gut gemacht, dass nun auch ich meine Bedenken hatte und das glaubte, was ich glauben sollte, aber da ich in letzter Zeit ja nicht tot gewesen bin habe ich eben auch das eine oder andere mit bekommen, also kann ich eigentlich nichts dafür. Zu gegebenen Anlass einer drohenden Katastrophe ist der Verstand der meisten Menschen eh in etwa so resistent gegen Modulation wie ein Speckstein oder eher noch nasser Ton. Das war nur natürlich.
Das ich auf meiner Uhr die Wecker-Funktion aktiviert hatte sah ich ganz genau, wie viel Zeit mir noch blieb, bis weiß der Himmel was passierte. Zwei Minuten. Ich setzte meinen alten Teddybären auf meine Knie und warf ihm einen fragenden Blick zu, wie ein kleines Kind einen erwachsenen ansah, wenn es etwas nicht verstand und neugierig auf eine Erklärung wartete. Er war das einzige, was ich abgesehen von der Uhr mit hier runter gebracht hatte, der wenige Rest war schon vorher hier gewesen. Ein Schrank in dem keine Ahnung was drin war und daneben ein Regal mit ganz ähnlichem Inhalt. Gegenüber davon auf der anderen Seite des Raumes befand sich ein kleiner, schwarzer Klappstuhl. Abgesehen davon war der Raum leer. Anderthalb Minuten. Würde ich vielleicht in einem zukünftige Geschichtsbuch in einem Nebensatz erwähnt werden, wenn mich jetzt, in den vermeintlich letzten Sekunden unseres Planeten, jemand von draußen die Nationalhymne meines Landes singen hören würde? Oder sollte ich vielleicht noch einen für die Welt bedeutsamen Satz hinaus schreien? So etwas wie „Vive la Resistance!“ oder „Stoppt den illegalen Walfang!“ oder so etwas in der Art? Ich dachte darüber nach dass ich in Gedanken allen möglichen Göttern schwören würde an sie zu glauben, in der Hoffnung dass mich später vielleicht einer von ihnen in seinen Himmel lassen würde anstatt mich eine Etage tiefer zu stecken. Aber das wäre schon ziemlich dumm, oder? Und töricht noch obendrein. Nach einem sehr, sehr langen und tiefen Seufzer sah ich erneut auf die Uhr. Noch fünfzig Sekunden. Hörte ich da von draußen tatsächlich einen Sturm? Erst ganz leise, dann deutlicher und schließlich immer lauter, mit heulendem Wind und grollendem Donner. Noch vierzig Sekunden. Schien es mir nur so oder begann die Erde unter mir leicht zu beben? Die wenigen Dinge in meinem Keller gerieten leicht in Bewegung. Noch dreißig Sekunden. Ich hätte nicht gedacht, dass wirklich etwas passieren würde, doch nun schien sich tatsächlich etwas anzubahnen. Aber was machte ich mir Sorgen? Entweder die Welt ging nicht unter und dieses ganze Theater war für umsonst, oder sie ging unter und es konnte mir letzten Endes eh alles egal sein. Langsam wandte ich meinen Blick wieder der Uhr zu. Noch zehn Sekunden. Ich hatte tatsächlich Angst als ich den kleinen Stoffbären an mich drückte und die Augen zusammen kniff um den Countdown eigenständig runter zu zählen. Neun... acht... siebe... sechs... fünf... vier... … drei... … … zwei... … eins...
Null...
…