Biografien & Erinnerungen
Deine Beerdigung

0
"Deine Beerdigung"
Veröffentlicht am 02. März 2011, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Love Hate and Anxiety - Mein Leben mit Sugar Ray BigE Niemand, und am wenigsten ich selbst, kann erklären wie ich diese langen Jahre mit Djane Sugar Ray BigE , die Jahre der Demütigungen und Erniedrigungen, die Jahre der Drogen und des gemeinen Punkrocks so lange ertragen habe. Als ich sie das erste Mal, kurz nach der Wende, im OK Corral Club (jetzt Subversiv), einem unglaublich schmutzigen und düsteren Kellerloch, sah, nannte sie sich ...
Deine Beerdigung

Deine Beerdigung

DEINE BEERDIGUNG

Du wolltest verbrannt werden, und Deine Verwandten sind dem Wunsch gerne nachgegangen. Wenn man in Betracht zieht, dass Nägel und Haare auch nach dem Tod weiterwachsen irgendwie nachvollziehbar, braucht kein Mensch, schon gar nicht bei nem Junkie.

 

Mein Vater fährt mich zur Beerdigung. Ich ganze 17 im Sgt. Pepper Mantel  „Du traust Dich was“ sagt er. Noch nie habe ich Bewunderung in seiner Stimme gehört, zumindest nicht was mich betrifft, und ich weiß nicht genau womit ich diese verdient habe. Und das ausgerechnet zur Beerdigung meines Liebsten. Deiner Beerdigung.

 

Ich komme zu spät und kann die große Flasche Jägermeister die für Dich gedacht ist, nicht mehr zu den Gaben an Deinem Sarg stellen. Den mochtest Du so gern, weil Du Dir einbilden konntest er sei Medizin. Wir hatten immer Dutzende der kleinen Flaschen dabei, die wir achtlos durch die Gegend warfen, und so eine Jägermeisterspur durch München Giesing zogen. Dorle, die Lotterielose auf dem Stachus verkauft, Deine beste Freundin, hat ein Spritzenmobile gebastelt, das finde ich mutig, und mein Geschenk kommt mir banal und treulos vor. Ich bin überrascht über die vielen Gesichter, die mir alle völlig fremd sind. Wieviel Leben Du schon hattest mit Deinen 21. Aber Dein treuer Kumpel Ronnie aus Grundschultagen, der Dich so bewunderte, dass er aus Solidarität oder aus was weiß ich was, die Weisse Scheisse mit Dir ballerte, der, der Dich aus der Klapse befreit hatte, ist genauso wenig da, wie Ralf die miese Ratte, den ich dann doch irgendwann hatte heulen sehen. Vielleicht weil sie wissen, dass sie die nächsten sind. Die Seuche hattet ihr ja alle.

 

Roger – diese Scheiß Blumen – immerzu sehe ich Dich wie Du Dich darüber lustig machst. Dieses verfickte Scheiß Blumenmeer. Oh mann BLUMEN! Wie ich diese Blumen hasse. Ausgerechnet für Dich. Die ganze Zeit habe ich das Gefühl, dass Du auf mich herabschaust und willst das ich cool bleibe und nicht greine wie die ganzen treudoofen oder heuchlerischen Wichser in der Kirche. Ich finde es so verlogen, diese ganzen Arschlöcher die auf Kommando nass im Gesicht werden.

 

Dorle war die Erste an die ich dachte als ich aufwachte und Du Dich neben mir nicht mehr bewegtest. Junkies haben einen tiefen Schlaf. Als ich Dich küsste waren Deine Lippen kalt. Aber hey ein Junkiekreislauf ist selten auf Körpertemperatur. Du warst aus Haar(*) abgehauen, und ich wollte Dich den teuflischen Ärzten nicht ausliefern. Vier Jahre lang hatten sie Dich dort gequält. Deswegen zögerte ich die Sanis zu holen und telefonierte in meiner Verzweiflung nach Dorle um Rat. Ich wollte Dich den Sanis nicht schutzlos ausliefern und zog Dir Deine armaniverseuchten Klamotten an. Der Krankenwagen kam zu spät. Meine Mutter kam von der Arbeit nach Hause, als sie Dich mit einem Laken über Kopf und Körper aus dem Haus trugen. Sie dachte ich wäre darunter.

Nur Dir zu Liebe heule ich nicht. Nicht eine Träne. Ich heule nicht, weil ich nicht zu diesen Wichsern gehören will die sich mit ihren Tränen in Szene setzen wollen. Für mein kurzes Leben habe ich schon zu viele Witwen in meinem Bekanntenkreis gesehen. Ich war so sauer auf Dich, dass Du Dich einfach verpisst hast. Als hättest Du es so geplant. Erst viel später erfuhr ich, dass Du etwas verändern wolltest, Dir einen Job gesucht hattest, als Spüler, das Du noch mal was versuchen wolltest, aber Du warst viel zu Stolz mir das zu sagen. Da fühlte ich mich wie ein Killer.

Ich sitze dort, in dieser antiseptischen Kirche ganz allein in einer Reihe, nur Du da oben und ich. Ohne Sentimentalitäten. Ich weiß Du willst das nicht.  Dann fängt dieser Scheiß Pfaffe an seinen Standart Text zu labern. Wahnsinn was für eine Witzfigur, was für ein Heuchler. Der redet über Dich! Wo gibt’s den einen Standart Text über Dich? In diesem Moment ist er die Verkörperung des Bösen. Würde er Dich verachten wäre es erträglich. Aber ich sehe den kaum verhohlenen Ausdruck von Gleichgültigkeit in den Augen seines ausdruckslosen Gesichts während er seine Grabrede runterleiert. Nächstenliebe für einen Giftler. In der ersten Reihe Deine Verwandten. Ich erkenne Deinen morphiumsüchtigen Vater, weil er aussieht wie eine Stahlhelmversion von Dir. Vor Jahren jagte er ein paar Kugeln aus seiner Wehrmachtspistole durch die geschlossene Schlafzimmertür. Hinter ihr verschanzte sich Deine Mutter. Wie auf ein geheimes Zeichen hin ziehen sie plötzlich alle gleichzeitig die zu diesem Zweck vorsorglich eingesteckten Taschentücher und tupfen sich ihre staubtrockenen Augen. Sie haben Dich und Dein verpfuschtes Leben schon lange abgeschrieben, und Dein Abgang überrascht sie keineswegs.

Die Musik leiert aus einem Tonband, ich hätte mir „I’m waitin for my man“ von Oberjunkie Reed für Dich gewünscht, aber geht natürlich nicht, ist nicht genormt. Dann öffnet sich ein Tor, der Sarg verschwindet und Du verbrennst.

Auf dem Weg nach draussen, ich immer noch der verkrampfte Super Cooper begegne ich Dorle die mich mit geschwollenen Augen und tränenverschmiertem Gesicht in die Arme nimmt. Sie liebte Dich und ich glaube, erst da wird mir richtig bewusst, dass Du für immer weg bist. Da kann ich meinen Schmerz nicht mehr zurückhalten. Die Tränen bahnen sich den Weg, unaufhaltsam. In Sturzbächen laufen sie über mein Gesicht. Ich rotze und heule und bin sauer auf mich, dass ich mich so gehen lasse. Deine Mutter, die mich verantwortlich machte für Deine Probleme, wie Mütter halt so sind, überall auf der Welt, und mich für den Teufel hielt, steht auch dort und plötzlich sind wir Schwestern im Schmerz und sie, die mich stets verjagt hat, lädt mich zu sich ein. Wie alle Mütter von toten Söhnen, die nicht wissen was ihre Kids bewegt hat, braucht sie die lebendige Gegenwart von jemandem der ihn kannte. Ich weiß jetzt schon, dass ich sie nie besuchen werde. Dann fange ich an zu laufen, flüchte, renne bis mir die Lunge zerreißt, immer noch die Plastiktüte mit der Flasche Jägermeister in der Hand.

Seit dem sind über 20 Jahre vergangen. Es gibt keinen Grabstein der an Dich erinnert, bis heute habe ich Dich nicht besucht. Ich weiß nicht einmal mehr auf welchem Friedhof Deine Asche aufbewahrt wird. Es dauerte ein Jahr bis ich in der Vergangenheitsform von Dir reden konnte. Ein Jahr bis ich die Hoffnung auf Deine Stimme am Telefon aufgab. Bela, die wir aus der Geschlossenen retten wollten, behauptete später, sie hätte schon immer gewusst, daß Du in meinem Bett sterben würdest. Nie wieder habe ich in dem Zimmer meiner Eltern übernachtet in dem Du gestorben bist. Noch heute bilde ich mir manchmal ein Dich zu sehen, aber die Momente werden immer seltener. Ralf traf ich ein halbes Jahr später zufällig am Chinaturm. Er schnitt gerade ein Loch in die geliehene Jeans die er trug, weil er das schick fand. Der treue Ronnie schrieb mir einen ungläubigen Brief nach Berlin. Dass ich keine Schore mehr ballerte konnte er nicht glauben, packte mir aber trotzdem einen riesigen Abzug von dem einzigen Foto das ich von Dir habe in den Umschlag. Der kleine höfliche Robert, von dem Du dachtest er wäre in mich verliebt, berichtete mir am Telefon von seiner trostlosen Therapie in einem Kaff in Süddeutschland und brachte mich zum weinen. Ich denke oft an Dich und höre Deinen ironischen Kommentar zu meinem Leben. Es gibt keinen Frühlingsanfang an dem ich nicht an den Tag denke, als Du neben mir nicht mehr aufwachtest. Meistens mit der Gewissheit der Schuld. Aber manchmal, an einem guten 21. entlockt mir die Erinnerung an Dich und unsere verliebten und gefährlichen Tage ein Grinsen und ich trinke einen Jägermeister. Auf den genialen begabten Giftler der sich jeden Morgen aus meinem Kinderzimmerfenster stahl.

 

*Nervenheilanstalt in der Nähe von München

http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383923.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383924.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383925.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383926.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383927.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383928.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383929.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383930.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_383931.png
0

Hörbuch

Über den Autor

ProfTrash
Love Hate and Anxiety - Mein Leben mit Sugar Ray BigE


Niemand, und am wenigsten ich selbst, kann erklären wie ich diese langen Jahre mit Djane Sugar Ray BigE , die Jahre der Demütigungen und Erniedrigungen, die Jahre der Drogen und des gemeinen Punkrocks so lange ertragen habe.

Als ich sie das erste Mal, kurz nach der Wende, im OK Corral Club (jetzt Subversiv), einem unglaublich schmutzigen und düsteren Kellerloch, sah, nannte sie sich noch 500 Miles To Glory. Damals organisierte sie mit vier "Freunden", die berüchtigten "Rock"n"Roll Killed My Mother" Partys. Auch wenn ich schon damals Probleme mit der Art von Musik hatte, die sie und Frank Against-All-Flags völlig übersteuert aus veralteten Dual Plattenspielern dröhnen ließen, rührte mich doch der Enthusiasmus mit dem sie sich dem sogenannten Punkrock verschrieben hatte.

Daß ich meine besten Jahre für diese egozentrische Grafikerin, die auch für die - völlig zu Unrecht - gefeierten Berliner Greaserrocker "Lorena & The Bobbits" Schlagzeug spielt, verschwendet habe, wird für immer wie ein Schatten auf meiner Seele lasten. Zwei Jahre ist es nun her, daß ich den Mut aufbrachte mich von ihr zu trennen.

Es waren nicht die whiskeyheiseren Anrufe lange nach Mitternacht, in denen sie mir brüllend erklärte sie hätte endlich die Motörhead/Girlschool "Massacre on Valentines Day" gefunden und müßte sie gerade mit einem "Freund" hören, die den Ausschlag dazu gaben sie zu verlassen.
Auch nicht der Schwarm blutjunger Männer, der sie auf ihren kulturimperialistischen DJ-Kreuzzügen durch einschlägige Berliner Clubs (Wiener Blut, Lee Harvey Oswald Bar, Ankerklause, Scotch & Sofa, White Trash, Glühlampe, Coffy, Astro Bar....) ständig zu umkreisen schien, wie Fliegen eine Dose Black & White Pomade.
Sogar den Vorwurf ein "analfixierter Zwangscharakter mit haarsträubend schlechtem Musikgeschmack" zu sein, den sie mir machte, nachdem sie sich auf meine CD-Sammlung übergab, hätte ich schweigend ertragen.
Es war dieser verächtliche Zug um den Mund, den sie an den Tag legte, wenn ich ihr zu erklären versuchte, daß sie ihr und mein Leben mit ihrem Hang zu Gewalt und tagelangen Drogenexzessen, kombiniert mit der ständigen Beschallung von ohrenbetäubend lauter Soulmusik zerstört, der letztendlich den Ausschlag dazu gab.
Meine Bitten, ja mein inständiges Flehen sich von ihrer schädlichen Lebensweise zu trennen waren vergebens. Die Frage, ob sie James Brown nicht auch etwas leiser und vielleicht auch ganz ohne Bier und Bourbon genießen könnte, selbstredend unter der ständigen Beteuerung, daß ich ihn ja doch genauso verehre wie sie, beantwortete sie mit dem lakonischen Satz "Klar Schatz, wenn die Hölle zufriert und Bon Scott an meine Tür klingelt". Meine Sisters of Mercy Sammlung, deren geniale Texte sie niemals verstanden hat, liegt noch heute zerstreut auf dem dunklen Hinterhof, direkt unter ihrem Musikzimmerfenster.

Vielleicht habe ich mich zu gern im Glanze Ihres späteren Erfolges gesonnt, vielleicht faszinierte mich aber auch nur die sorg lose Leichtigkeit mit der sie es verstand Menschen - und das nicht nur während sie Platten spielte - zu manipulieren und sie buchstäblich nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Es war unheimlich zu beobachten, wie es ihr gelang, die unglaublichsten Musikstile - Soul, Punk, 60s, Garage und sogar Deathmetal - miteinander zu kombinieren und diesen einzigartigen Rhythmus beizubehalten, dem sie ihr Leben, ihre Gedanken und ihre gewaltige Plattensammlung weihte, und dem sie Alles unterwarf - Freunde, Groupies und, letzten, bitteren Endes, auch MICH!

Es waren Jahre der Leidenschaft, des Hasses und der Furcht. Ich danke meinem Therapeuten, daß er mir die Kraft gab einen geradlinigen, drogenfreien und rocknrollfreien Weg einzuschlagen.









Leser-Statistik
27

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Scylla ...sehr hart...
Vor langer Zeit - Antworten
Doctor Hello B.,
Wir kennen uns ja jetzt nicht so lange,...dennoch,...diese Bio mit dir in Einklang zu bringen, bereitet mir doch ein paar Schwierigkeiten. Wenn ich nicht ganz genau wüßte das alles der Wahrheit entspricht, würde ich dein Werk als äußerst morbide und mehr als makaber abtun. So aber, ist es schon sehr erschreckend. Du warntest mich ja vorher schon, das es ziemlich bitter werden würde. Traurig, sehr traurig das alles was mit diesem Dreckszeug zusammenhängt zwangsläufig nach Tod riecht. Ich habe auch einmal jemand sehr geliebt der davon nicht lassen konnte, und glücklicherweise mußte ich es mir nicht bis zum bitteren Ende mitansehen.
Ich weiß auch bis heute nicht wie und warum die Leute es überhaupt immer wieder anfassen oder ausprobieren.
Der Text ist bewegend, und hat eine Qualität des Grauens die man hier suchen kann, wenn überhaupt. Daran merkt man wohl, das nichts so hart ist wie das Leben an sich.

Dein "Bruder" DOC
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
3
0
Senden

50024
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung