Tiefschlag beginnt mit seiner Beschatttung, Conti beginnt mit den Nachforschungen und stößt auf ein entscheidendes nicht vorhandenes Dokument.
Tiefschlag war auf der anderen Uferseite angekommen. Das herrschaftliche Haus war ihm vertraut. Schon wenige Tage zuvor war er hier gewesen. Er betrachtete die großen Fenster in allen Stockwerken. Warum sollte er einfach gehen? Der Auftrag war für die Gesellschafter abgeschlossen gewesen, jedoch er fand eine letzte Säuberung für angebracht. Es war falsch zwei Amateure an diese Angelegenheit anzusetzen. Er hatte Polizisten mit langer Diensterfahrung erwartet. Diese Zwerge wollten einen der besten Auftragsmörder von Kasidien zur Strecke bringen? Niemals! Und im Haus gab es noch ein paar Souvenirs, die er sich sichern wollte. Wenn er schon gegen die Satzungen der Auftragsmörder verstieß, dann richtig. Im Anschluss an diesen Coup wollte er schnell nach Transsibwahnien und mit ein paar korrupten Herrschaften verhandeln. Danach wollte er sich zur Ruhe setzen. Diese Möglichkeiten bot einem die ehrenwerte Gesellschaft nicht. Er sah einen Schatten an
einem Fenster im zweiten Stock vorbeihuschen. Er musste nur an der Dachrinne entlang und auf den Fenstersims gelangen. Die Fenster im zweiten Stock waren nie verschlossen. Einsteigen und dann den ahnungslosen Trottel umbringen, genau wie den Butler.
Conti stand vor einer großen Kommode im Schlafzimmer von Lady Winston. Den Schlüssel hatte er bereits gefunden. Er hatte hinter einem Spiegel gehangen. Nicht schlecht, aber nur wenn der Einbrecher wenig Zeit hatte. Er öffnete das erste Schubfach. Oh, Unterwäsche. Schnell schloss er das Fach wieder. Dabei hätte er sich fast einen Finger eingeklemmt. Er versuchte es bei den restlichen Schubladen. Nichts, außer in der Vorletzten. Sie schien weniger Wäsche zu enthalten als die restlichen ihrer Art. Warum war das so? Das ältere Ich von Conti schlug vor mit einem Messer den Fachboden abzutrennen. Auch wenn er sich sträubte, es
gab keine andere Möglichkeit herauszufinden ob es nicht doch einen doppelten Boden gab. Conti legte die Wäsche beiseite, trennte den Boden des Schubfachs ohne Mühe ab.
Tiefschlag war auf einem Sims gelandet, der zu einem Fenster gehörte, das sich neben dem Schlafzimmer von Lady Sophie Winston befand. Er versuchte das Fenster zu öffnen. Es klemmte! Er versuchte es erneut. Warum klemmte das verdammte Fenster? Eine dicke Taube landete auf dem nächsten Sims und beobachtete den Auftragsmörder mit wachsendem Interesse. Sie legte den Kopf zur Seite und fragte: „Gurrr?“. Tiefschlag bemerkte erst jetzt seinen gefiederten Zuschauer. „Verschwinde du Mistvieh!“, rief er der Taube zu. Sie bewegte sich nicht von der Stelle. Tiefschlag sah Rot. Er versuchte die Taube mit seinem rechten Bein zu vertreiben. Das linke Bein war seine letzte Stütze auf dem steinernen Sims. Die Taube wich den Tritten geschickt aus. Tiefschlag trat erneut zu und merkte wie sich sein Gewicht zu seinen
Ungunsten verteilte. Schnell griff er nach den Rosen, die sich an einem Gerüst in die Höhe schlangen. Die Schmerzen in seinen Händen waren unerträglich. Er durfte nicht loslassen. Er konnte sich an das Gerüst schwingen und bis zum ersten Stock herunter klettern. Danach ließ er sich fallen und rollte sich unter Schmerzen hinter die nächste Hausecke.
Conti hatte den Zwischenboden gerade zur Seite gelegt als er ein Geräusch von Unten hörte. Er öffnete das Fenster und sah hinaus. Da war niemand. Nur eine Taube saß auf dem nächsten Fenstersims und schien vergnügt zu gurren. Er schloss das Fenster und verriegelte es wieder, genauso wie er es mit den restlichen gemacht hatte. Sein, wie er es nannte, kriminologisches Ich hatte ihn dazu geraten. Das Geheimfach enthielt Dokumente, oder besser gesagt Kopien von Dokumenten. Die Lady hatte sich die Mühe gemacht und vermerkt welche Kopien das Fach enthalten sollte. Eine fehlte. Es fehlte die Kopie des Lebenslaufs des Butlers. Die
Informationsquelle über den Toten fehlte. Jedoch hatte ihre Ladyschaft einen Vermerk gemacht, welchen Namen die Butlervermittlung trug. Er kannte den Namen. Hoch & Wohlgeboren war die Vermittlungsstelle von Butler in der gesamten Aquisebene. Die Agentur genoss einen fabelhaften Ruf. Sie befand sich im westlichen Teil von Kasidien. Sie mussten unbedingt dort hin! Nur dort bekamen sie Informationen, die ihnen weiterhalfen. Conti legte wieder alles zurück und schloss die Kommode ab. Den Schlüssel platzierte er an seinem angestammten Platz. Dann begab er sich in sein Gästezimmer und machte sich Reihen von Notizen.
Tiefschlag hatte Stofffetzen seines Hemds um die blutenden Hände gewickelt. Er wollte jetzt abwarten. Mit gesunden Händen hätte er es noch einmal probiert. So wurde ihm das Halten seines Messers zur unerträglichen Qual. Auf halbem Weg hatte er einen Apothekerladen gesehen. Diesen wollte er aufsuchen. Eins stand fest. Wichtig war nun herauszufinden wie
viel der eine wusste. Zurzeit konnte Tiefschlag nur beobachten. Vielleicht war das sogar noch besser als einfach zuzuschlagen. Er musste seinen Plan noch einmal gründlich überdenken.
Es war bereits später Nachmittag. Zwei Menschen gingen vom künstlichen Strand in Bad Eske zu einem herrschaftlichen Haus. Sie liefen langsam nebeneinander her. Keine der beiden sprach ein Wort. Im Haus brannte bereits Licht. Im zweiten Stock saß eine Person am Schreibtisch und hatte sich tief über mehrere kleine Zettel gebeugt. In der Ferne kam eine Kutsche mit dem Familienwappen der Winstons gefahren. Ein Schatten näherte sich diesem Bilderbuchabend. Er war menschlicher Natur und hatte dick bandagierte Hände. Er presste sich eng an eine Wand des Hauses und versuchte Gesprächsfetzen zu erhaschen. Nicolas brütete über den Zetteln, die wie ein Puzzle vor ihm lagen. Es gab eine Lösung, sie war allgegenwärtig. Man musste nur richtig kombinieren. Der Butler war bereits drei Tage
zuvor im Haus gewesen. Für einen längeren Verwesungsprozess hatte es jedoch keine Anzeichen gegeben. Ein einziger Schnitt hatte den überraschten Butler getötet. Es war ein perfekter Schnitt gewesen. Wenn er nicht lange vor der Ankunft der Damen ermordet worden war, dann hatte der Mörder ihn wahrscheinlich ausspioniert.                                                  Es klopfte an der Tür. „Komm herein, die Tür ist offen!“ Paul Schinkel sah vorsichtig in das Zimmer seines Lehrmeisters. „Guten Abend, Herr. Ich wollte fragen ob ich vielleicht helfen könnte. Ich möchte nicht als unnütz erscheinen“, fügte er leise hinzu. Conti erhob sich und bot ihm seinen Stuhl an. „Dein Strandausflug hat mir viel Zeit zum Ermitteln gegeben. Ich habe einige, wie ich finde, wichtige Sachverhalte aufgeschrieben. Ich denke sie alle ergeben einen Sinn, aber ich komme nicht hinter den vollständigen Zusammenhang. Ich hoffe das du mir helfen kannst.“ Paul las langsam alle Notizen. „Wie denken Sie hat sich alles entwickelt?“ Conti
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begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Gelegentlich sah er aus dem Fenster. „Ich denke es begann drei Tage zuvor. Der Butler war bereits im Haus. Man beobachtete ihn.“ „Niemand war sonst im Haus. Niemandweiß hier im Ort von seinen Nachbarn Bescheid. Der Täter fiel vermutlich gar nicht auf. Er beobachtete sein Opfer lang genug und brachte es dann zur Strecke.“ Conti sprach einen weiteren Gedanken aus, der ihm durch den Kopf geisterte. „Aber woher wissen wir eigentlich, dass der Mörder sein Opfer beobachtet hat? Wir können es nicht mit Sicherheit sagen, wir spekulieren nur!“ Schinkel senkte seinen Blick auf die ausgebreiteten Notizen. Er legte sie in eine kleine Reihenfolge. „Nun man hat uns gesagt, dass alles an seinem Platz stand. Das bedeutet, dass unser Täter das Haus kennt. Er musste auch wissen wo sich das gesuchte Objekt befand. Immerhin hätte er sonst ein heilloses Durcheinander hinterlassen. Wir können nicht davon ausgehen, dass er noch vorher Ordnung
geschaffen hat bevor er floh“, gab Schinkel zu bedenken. „Ich habe das ganze Haus durchsucht. Im Schlafzimmer von Lady Winston befanden sich Sohlenabdrücke im Teppich. Das bedeutet er musste an dieser Stelle lange verharrt haben. Ich gehe nicht davon aus das Lady Sophie Winston zum Spaß gerne Männerstiefel Größe zweiundvierzig trägt“, fügte Conti im sarkastischen Tonfall hinzu. Paul deutete auf einen Zettel, der eine dick eingekreiste Adresse zeigte. „Was hat es mit der Adresse auf sich?“ „Es ist die Adresse der Butlervermittlung Hoch & Wohlgeboren. Dort hat ihre Ladyschaft den Butler her. Sie befindet sich in Kasidien.“ Paul legte auch diese Notiz in das langsam wachsende Zettelgebilde. „Was bedeutet die Notiz Warum er?“, fragte Paul seinen langsamer werdenden Lehrmeister. „Wir müssen herausfinden wer dieser Butler vorher war. Das entsprechende Dokument, oder besser gesagt die Dokumente, fehlen. Ich glaube der gute ist nicht zufällig das Opfer dieses Mordes geworden. Ich vermute
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die Auftragsmörder unserer Stadt stecken dahinter. Die ganze Sache war zu gut geplant. Wir werden uns morgen umhören und nach Kasidien fahren“, sagte Conti und schlug dabei seine Faust in den geöffneten Handteller der anderen Hand. Es klopfte erneut. Eine zarte Stimme erklang von draußen. „Das Essen wird serviert. Kommt bitte runter ins Wohnzimmer.“ Schritte erklangen und deuteten darauf hin, dass jemand die Treppe hinunter ging. Conti sah zu seinem Assistenten. „Wir sprechen nur darüber dass wir etwas in Kasidien prüfen müssen. Sonstiges werden wir nicht preisgeben. Wir wissen noch nicht genau ob unsere Theorie stimmt, verstanden?“, zischte Nicolas. „Ja, Herr“, antwortete Paul pflichtbewusst. „Dann lass uns jetzt Essen gehen!“
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