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Der Heilige Zweig

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"Der Heilige Zweig"
Veröffentlicht am 13. Dezember 2007, 14 Seiten
Kategorie Sonstiges
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Der Heilige Zweig

Der Heilige Zweig

Es war einmal eine Statur eines Engels, die stand auf einem Kaminsims über einem knisternden Feuer und beobachtete ein altes Ehepaar.
Hinter dem einzigen, kleinen Fenster des Zimmers begann es zu schneien und der weiße Schnee hüllte den nassen Landstrich in eine herrliche Winterlandschaft.
Die alte Frau wippte gemütlich in ihrem Schaukelstuhl vor dem Kamin. Ihr grau-weißes Haar war zu einem großen Dutt zusammengebunden und zwei Stäbe kreuzten sich in diesen Knoten.
Eine braune, abgenutzte Wolldecke umhüllte den mageren, schwachen Körper. Ihre Füße, die in grauen, warmen Puschen steckten, stießen im Takt von dem hölzernen Fußboden ab. Die Augen vor Schwäche halbgeschlossen. Und trotzdem arbeiteten die Hände der Frau flink. Die Wolle auf den Stricknadeln huschte von einer Nadeln zu der anderen und wieder zurück. Auch wenn die Alte schon halbblind war, verfehlte sie keine Schlaufe auf den Nadeln. Rein, durch, raus; rein, durch, raus…. Leise summte sie ein Lied, das sie aus ihren Kindertagen kannte.
Ihr Ehemann saß neben ihr an einem Tisch und las Zeitung. Seine kahle Glatze glänzte im Licht des Feuers und sein dicker Schurbart stand weit nach außen von seinem Gesicht ab. Er hatte einen dunkelblauen, kratzigen Wollpullover und eine Lederhose an. Auch seine Füße schlugen einen Takt an, zu dem er durch die vielen Zahnlücken pfiff. Er konnte ohne Mühe die kleinen Buchstaben auf dem Zeitungsblatt erkennen, da seine Augen, im Gegensatz zu denen seiner Frau noch so frisch und gut waren wie in seinen jungen Jahren.
Die Klänge der Eheleute trafen sich mit dem Wiegen der kahlen und mit Schnee bedeckten Bäume hinter dem Fenster und dem Schneesturm, der immer stärker zuwerden schien. Das schrille Pfeifen des Windes jagte beängstigend um das Haus des alten Ehepaares. Die Unterkunft war klein und schmächtig bestehend aus einer großen Wohnstube, einem Schlafzimmer und einer kleinen Küche. Doch ihre Mauern waren dick und stark zugleich und hielten so dem mächtigen Sturm stand.
Plötzlich sagte die Frau zu ihrem Mann: „Ich möchte gerne dieses Jahr wieder einen Weihnachtsbaum haben.“
„Einen Weihnachtsbaum?“, fragte der Mann nach, den Blick weiterhin auf die Zeitung gerichtet.
„Ja, so einen wie vor zwanzig Jahren, weißt du noch? Ich möchte doch so gerne wieder den frischen Duft einer Tanne riechen!“
Sie amtete tief ein und wieder aus, als ob dieser Duft nach zwanzig Jahren immer noch in der Luft schwebe.
„Du weißt, dass Tannen sehr treuer sind und dass die Ernte dieses Jahr sehr schlecht ausgefallen ist und dass, na ja deine Pullover- so schön sie auch aussehen und so warm sie auch halten, sie verkaufen sich nun mal nicht mehr so gut.“ Er faltete seine Zeitung nervös zusammen, schaute seine allmählich zusammengefallene Frau an und meinte mitfühlend: „Aber ich werde morgen früh zeitig aufstehen und zum Markt gehen. Vielleicht haben sie ja dort noch schöne … und … nicht ganz so teure Weihnachtsbäume.“
Wie gesagt, so getan. Der Mann stand sehr zeitig auf und ging zum nächst gelegenen Weihnachtsmarkt. Es hatte die ganze Nacht durchgeschneit und nun lag der Schnee bis zu seinen Knien hoch. Langsam wurde es immer weniger Schnee, der vom Himmel rieselte und so kam der Mann recht zügig voran. Der nahgelegenste Weihnachtsmarkt war etwa drei Kilometer weit entfernt und so erreichte er sie in einer Stunde Laufschritt.
Obwohl die Kirchturmuhr erst gegen neun Uhr schlug, war der Weihnachtsmarkt schon fast halb überfüllt. Staunend wurde der Mann mit der laut schwatzenden Menge mitgerissen. Frauen riefen mit grölender Stimme aus ihren Buden über die umherwirbelnden Menschen und priesen ihre neuen Sachen an. Hin und wieder verführten sie den Mann und er blieb an ihren Buden stehen und schaute sich die neuesten Dinge an. Oft meinte er, sie seien unwichtig und unbrauchbar und doch probierte er sie trotzdem heimlich aus. Wenn ja keiner zu ihm hinschaute, zog er begeistert dort oder drückte entflammt auf jenen Schalter. Dann jedoch schaute er zu dem Preis, musste schlucken und verzog sich traurig in die Menschenmasse zurück. Auch sah er leckere Dinge wie zum Beispiel Bratäpfel oder geröstete Mandeln. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, obwohl er doch noch nie so etwas gekostet hatte! Einzig der Geruch verzauberte ihn! Und so war der ganze Weihnachtsmarkt mit wunderbaren Gerüchen übersät! Fremdartige, die der Mann nicht kannte: „Sie müssen wohl aus anderen Länder kommen, vielleicht aus dem Orient?“, rätselte er leise.
Die Ernte war dieses Jahr wirklich sehr schlecht ausgefallen, starker Regen und große Kälte hatten diese sehr beeinträchtigt- Außerdem verkauften sich die kratzigen Pullover seiner Frau immer schlechter. Kinder jagten fröhlich kreischend an ihm vorbei, alte Weiber standen am Rand und tratschten über die neusten Ereignisse. Hin und wieder sah er einen von lachenden Kindern umzingelten Weihnachtsmann.
„Irgendwann, irgendwann werde ich mir auch so etwas Schönes leisten … und wenn es das letzte ist was ich mir kaufe.“, sagte er zu sich um sich etwas Hoffnung zu machen, jedoch hielt diese Hoffnung nicht lange an, als er an seine Frau dachte. Sie war doch viel älter als er, sie war es die nicht mehr diese schönen Sachen erleben konnte, wie er es gerade tat, sie war es die halb blind war und schon so viel erlebt hatte, so viel Elend, so viele Hungersnöte und so viele andere furchtbare Sachen. Sie wird dem nahenden Tod nicht entkommen.
Wann hatte er sie das letzte Mal lachen gehört. Kannte er es überhaupt? So sehr er sich auch anstrengte, es kam ihm einfach nicht in den Sinn, das Lachen. Und so gerne er doch wieder ihr Lachen hören wollte oder wenigstens ein Lächeln von ihr sehen wollte. Ein breites Lächeln, sodass sie ihre gelben und wenigen Zähne zeigen musste.
Die Menschenmenge trieb ihn bis zum Ende des Weihnachtsmarktes und der Weihnachtsbaumverkauf kam zum Vorschein. Ein rundlicher Verkäufer stand vor dem abgezäunten Weihnachtsbäumen und rauchte genüsslich eine dicke Zigarre. Er trug mollige, dunkelblaue Handschuhe.
Er ging auf den Verkäufer drauf zu und begrüßte ihn freundlich.
„Guten morgen. Sie möchten eine Tanne kaufen? Aber immer hereinspaziert!“, er blies dem Mann den Zigarettenrauch ins Gesicht und deutete zu dem mit Tannen überfüllten Platz „Hier finden Sie große, kleine, blau schimmernde, grüne, zierliche, stattliche und alles zu einem guten Preis. Wie viel soll sie denn kosten. Also die großen kosten-“
„ Es soll eine schöne grüne, einfache Tanne sein zu etwa 2 Taler.“, fiel der Mann dem Verkäufer ins Wort. Dieser war nun ganz verwirrt, fand dann aber doch die richtigen Worte: „ Oh, ähm, oh Gott, nur für 2 Taler? Das wird aber schwer! Aber kommen Sie, wir schauen mal nach.“ Und er ging mit dem Mann zu den Weihnachtsbäumen. Der Mann bewunderte die ganzen Tannen. Er schätzte sie auf etwa hundert, auch wenn er nie schätzen gelernt hatte und gar nicht wusste wie viel eigentlich hundert ist. Er sah wirklich große, kleine, blau schimmernde, grüne, zierliche und stattliche. Weiße, handgroße Schilder schmückten die Bäume und zeigten dem Käufer den Preis. Angefangen von vier Taler, über acht Taler und die stattlichen, blau schimmernden Tannen manchmal sogar fünfzehn Taler!
„ Das tut mir aber Leid“, sagte der Verkäufer als sie am Ende angekommen waren „ aber ich habe leider keine Tanne für den von Ihnen angegebenen Preis. Vielleicht gönnen Sie sich ja doch eine für drei Taler, denn ich würde Ihnen diese hier für einen reduzierten Preis von drei Talern verkaufen, weil doch bald Weihnachten ist!“ Er zeigte seinem Kunden eine kleine, zierliche Tanne, die auf der einen Seite schon ganz vertrocknete Nadeln hatte, welche kurz vor dem abfallen waren.
„Nein, vielen Dank für Ihr schönes Angebot, aber ich habe es mir doch anders überlegt.“
Der alte Mann verließ somit niedergeschlagen den Platz mit den vielen Tannen und überquerte niedergeschlagen den Weihnachtsmarkt. Er schaute nicht einmal zu den Buden auf, stieß mit den kreischenden Kindern und den eilenden Leuten zusammen und die schönen Düfte erreichten ihn auch nicht, als ob er von einer unsichtbaren Schicht umgeben wär, spürte er nichts.
Am Abend sah der Engel dem Ehepaar wieder zu. Die alte Frau strickte wie jeden Abend ihre Sachen und der Mann las erneut Zeitung. Die Frau hatte bis zum Abend mit dem Fragen nach ihrem Weihnachtsbaum warten wollen: „ Liebling, was ist den nun mit meinem Weihnachtsbaum?“ Sie konnte zwar nicht mehr so gut sehen, dennoch fühlte sie wie niedergeschlagen ihr Mann war. Etwas stimmte mit ihm nicht, dass wusste sie, aber sie wollte es von ihm wissen, sie wollte, dass er zugab, dass er alles gegeben hatte um ihr einen schönen Weihnachtsbaum zu beschaffen, jedoch keinen bekommen konnte.
Und das wusste ihr Mann, denn er kannte sie ja nun schon seit etwa vierzig Jahren und log sie nicht an. Er erzählte ihr vom schönen Weihnachtsmarkt. Überschwänglich berichtete er ihr von den vielen, schönen Düften, von den Leckereien und von den neuesten Sachen. Natürlich meinte er, dass diese Sachen unwichtig und unbrauchbar wären und berichtete ihr nicht wie er heimlich überall alles aus probiert hatte. Seine Frau war von dem ganz gerührt gewesen, obwohl sie so etwas schon lange nicht erlebt hatte. Am Ende sagte er noch: „Es tut mir Leid, aber ich konnte keinen Weihnachtsbaum bekommen. Es lag nicht daran, dass es keine gab, im gegen Teil gab es so herrliche und wunderschöne, aber alle waren so unheimlich teuer gewesen!“, sagte er vorsichtig. Dennoch war seine alte Frau zusammengefallen und eine Träne floss über ihre blasse Wange, fiel und landete auf ihrer faltigen, knochigen Hand bevor sie in der Wolle verschwand. Wie durch ein Wunder veränderte sich die Wolle und es entstanden neue Farben und neue Strickmuster.
Die neuen Pullover, Schale und Handschuhe verkauften sich auf dem Markt blitzschnell zu einem guten Preis. Und in drei Tagen hatte der Mann das nötige Geld beisammen und machte sich wieder auf den Weg zum Weihnachtsmarkt in der Hoffnung, dass es noch Weihnachtsbäume gab. Als er dort ankam hatte dieser sich überhaupt nicht verändert. Es war noch alles so, wie er es seiner geliebten Frau erzählt hatte.
Mit einem mulmigen Gefühl sah er auf einmal, wie sich ein Mann mit einer stattlichen Tanne auf dem Rücken sich von dem Verkäufer verabschiedete. Der Mann ging wie vor vier Tagen auf den Verkäufer drauf zu, aber diesmal zaghafter, er hatte Angst wieder enttäuscht zu werden. Er begrüßte denselben Verkäufer und fragte nach einer Tanne für sechs Taler und etlichen Kreuzern, die er für die gestrickten Sachen erworben hatte. Der Verkäufer schüttelte den Kopf, denn er hatte nur noch Tannen ab zehn Taler, schenkte aber dem Mann zwei Zweige, weil „doch Heiligabend morgen ist.“
Der Mann bedankte sich maßlos und ging wieder zurück auf den Markt. Dort kaufte er sich und seiner Frau je einen Bratapfel, je fünfzig Gramm geröstete Mandeln und einen Weihnachtsstern von dem Geld. Und sagte zu sich: „Weil doch morgen Heiligabend ist.“
Zuhause machte er aus dem einen Zweig eine Duftkerze und den anderen stellte er in einer Vase und dem Weihnachtsstern auf den Holztisch. Den Bratapfel und die Mandeln wollte er seiner alten Frau zu Weihnachten schenken. Am Abend fing es wieder an zuschneien und es sollte weiße Weihnachten geben.
Am frühen Morgen standen die Eheleute später auf als sonst immer. Es lag ein leichter Duft nach Tanne in der kalten Luft und im Wohnzimmer stand ein große, wunderschöne Tanne, genauso wie es sich die alte Frau vorgestellt hatte. Bunte Kugeln und allerlei Kekse hingen von den Zweigen. Unzahlbare Kerzen füllten den Raum mit Licht und Wärme. Auf der Spitze der blauschimmernden Tanne ruhte ein riesiger Engel mit einer Kerze in der Hand. Der Engel auf dem Kaminsims jedoch war verschwunden. Der verwunschene Engel hatte sein Soll erfüllt und den liebevollen, alten Leuten ein schönes Weihnachtsfest beschert. Dieses unvergessliche Weihnachtsfest war wahrscheinlich das Schönste, das sie jemals erlebt hatten!
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